Rückschau auf den "Study Visit: Multicultural Libraries: practice makes perfect!" vom 2-3 November in Rotterdam (1. Teil)

Study Visit: Multicultural Libraries practice makes perfect

Vom 2.11.-3.11. fand eine Tagung zur multikulturellen Bibliotheksarbeit in der Stadtbibliothek Rotterdam statt.

Dieses unvergeßliche und interessante Treffen, an dem Gäste aus Schweden, Norwegen, Israel, Spanien, Belgien und Deutschland teilnahmen, bot zahlreiche Gelegenheiten zum Erfahrungsaustausch. Hierbei wurden Best Practice Beispiele vorgestellt, die eine große Bandbreite an Möglichkeiten aufzeigte, wie multi-, inter-  und/ oder transkulturelle Bibliotheksarbeit gelingen kann.

In zwei Blogeinträgen will ich meinen Fachaufenthalt inhaltlich untergliedern und auf die wichtigsten und interessantesten Vorträge und Eindrücke eingehen. Die politische Ausrichtung und die Definition, wie multikulturelle Bibliotheksarbeit in anderen Ländern ausgeübt und auf die jeweilige Bibliothek angewendet wird, sind sehr unterschiedlich. Meist hängt dies auch von der Politik der jeweiligen Kommune zusammen. Rotterdam, mit einem Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund von etwa 50 % zählt mit Sicherheit zu den multikulturellsten Städten in Europa. Die zweitgrößte Stadt der Niederlande liegt hierbei weit vor Amsterdam, was den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund angeht. Dennoch sollte ergänzend erwähnt werden, dass die Bibliotheksarbeit sich in den Niederlanden mehr multi- statt interkulturell entwickelt hat v.a. durch die politischen Ereignisse der letzten Jahre. Katrin Sauermann, die ebenfalls in Rotterdam dabei war, versicherte mir, dass die Ermordung des umstrittenen Filmemachers Theo Van Gogh im Jahre 2004,  zu einer (radikalen) Kehrtwende in der Integrationspolitik führte. Im Laufe meines Aufenthaltes bestätigte sich das in Gesprächen mit niederländischen Bibliothekaren der Stadtbibliothek Rotterdam und der Chefredakteurin der Zeitschrift NL Unlimited immer wieder.

Es wird nun mehr auf “Integrationsmaßnahmen” gesetzt, die auf Assimilation zu zielen scheinen statt auf interkulturelle Angebote, die auf die Mehrsprachigkeit der Migranten setzen. Statt bewußter das UNESCO-verbriefte kulturelle Recht auf Muttersprache zu unterstützen und fremdsprachige Medien anzubieten, werden oftmals einsprachige Medien angeboten, wie mir auch eine Bibliothekarin einer kleineren Stadt während der Tagung versicherte. Das konnte ich am 04.11. erstaunlicherweise in der Stadtbibliothek Den Haag feststellen, als ich mich bei einem Bibliothekar erkundigte , nur auf fremdsprachige Medien in englischer Sprache verwiesen wurde. Selbst als ich die Bibliothek bis in den letzten Winkel und alle Stockwerke erkundete, fand ich keine Medien in anderen Sprachen. Das war in Rotterdam jedoch anders.  Vermutlich kommt es nach wie vor auf die Prioritätensetzung der Kommunalpolitiker und der der Bibliotheksleiter an. Zudem gibt es zurzeit – angeleiert durch den Rechtspopulisten Geert Wilders – in den Niederlanden eine ernsthafte und besorgniserregende  Debatte darüber die Kosten der Migration zu berechnen[1][2], was durchaus einen weiteren Rückschlag für die dortige Entwicklung bedeutet.

Im Folgenden will ich die Vorträge des ersten Tages nennen und möchte auf besonders interessante Best Practice Beispiele eingehen:

  • Die Begrüßung durch den Leiter der Stadtbibliothek Rotterdam, Herrn Gerard Reussink
  • Rotterdam Public Library: The broad approach towards low literacy von Joke Mos, unitmanager Division Innovation and Development. Hierbei beschrieb sie die sogenannte Participation Ladder, einen Plan, wie städtische Regionen Lösungen für die Alphabetisierung ihrer Bürger angehen. Zwischen der Stadtverwaltung, dem Sozialamt, Erwachsenbildungsinstitutionen und natürlich der Stadtbibliothek finden Kooperationen statt, die nach den Richtlinien der Participation Ladder umgesetzt werden. Die “Partizipationsleiter” reicht von der Isolation zur bezahlten Arbeit und gliedert sich in sechs Phasen, wobei ich die drei wichtigsten hier nenne: 1.) Hierbei versucht die Bibliothek die Leute beim Erlernen der Niederländischen Sprache und beim Aufbau sozialer Kontakte zu unterstützen. 2.) Das Wesen der zweiten Phase ist die Integration, den Auf- und Ausbau sozialer Netzwerke und die Teilnahme bei organisierten Aktivitäten. 3.) In der letzten Phase geht es um die Teilhabe in der Gesellschaft durch eine bezahlte oder ehrenamtliche Arbeit. Die Bibliothek ermutigt zum Engagement und zur Partizipation, indem sie Sprachkurse anbietet und bei der Jobsuche behilflich ist. Jede Stadtteilbibliothek lädt einen Coach ein, der den Arbeitssuchenden Workshops und Unterstützung beim Verfassen ihrer Bewerbungen anbietet. Nahezu jede öffentliche Bibliothek verfügt über sogenannte  E-center, die einen kostenlosen Internetzugang  und verschiedene E-Learniningprogramme anbieten z.B. Integrationskurse um die niederländische Staatsbürgerschaft zu erlangen.

Danach folgte eine Bibliotheksführung, bei der wir nur einen kleinen Teil der etwa 24.000 m² großen und sich auf sechs Stockwerken verteilenden Bibliothek besichtigten.  Dadurch, dass Rotterdam – als aller erste europäische Stadt überhaupt – dieses Jahr Europas Hauptstadt der Jugend (EuropeanYouth Capital) ist, finden Aktionen und Veranstaltungen rund um das Thema Jugend und Teenagerdasein statt.  Hierzu gibt es in der Bibliothek eine neu eingerichtet Jugendabteilung, die von einem Innenarchitekten gestaltet wurde und die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen stärker abbildet, was wiederum mehr Identifikation mit der Bibliothek als Ort schafft.

Stadtbibliothek Gandia: The response of its libraries to growing cultural diversity von Gisela Sendra Pérez, Gandia Public Library Network, Spanien: Diese Stadt liegt an der Spanischen Ostküste in der Provinz Valencia und hat etwa 80.000 Einwohner. Ingesamt leben dort 100 Nationen.  Das entspricht einem Anteil von 25 % der Einwohner. Hier werden die “Ausländer” der Kommune insofern integriert, indem beispielsweise im sogenannten “Multicultural Committee” (gegründet: 2004) Bürger unterschiedlicher Nationalität vertreten sind, die beim Bestandsaufbau und bei kulturellen Veranstaltungen ein Mitsprache- und Vorschlagsrecht haben. Zudem stellen diese den Dialog zwischen den unterschiedlichen Kulturgruppen her, um sie als Neukunden für die Bibliothek zu gewinnen.  Ziel ist es weiterhin den Anteil, der zwischen den spanischen Nutzern und den nicht-spanischen Nutzern klafft zu verkleinern, so dass aktuell der Anteil der Nutzer nicht-spanischer Nationalität etwa 25 % entspricht, was wiederum genau dem Anteil dieser Gruppe in der Stadtbevölkerung entspricht und auch eine Zielsetzung der Bibliothek war.  Durch verschiedene Treffen mit der Stadtverwaltung und anderen Akteuren, wurde ein öffentliche Bewußtsein vom Gedanken der Vielfalt geschaffen. Im Moment wird versucht multikulturelle Veranstaltungen in das allgemeine Veranstaltungsprogramm aufzunehmen. Meines Erachtens macht dies die Glaubwürdigkeit einer echten interkulturellen Arbeit  deutlich.  Im Februar 2007 hatte die Stadtbibliothek Gandia ein Treffen der „Bibliotheken der Welt” organisiert, bei dem vor allem Bibliothekare aus den Herkunftsländern der Migranten angesprochen waren und aus folgdenden Ländern kamen: Armenien, Bulgarien, Rumänien, dem Senegal und aus Marokko. Mit den Bibliotheken in Bulgarien und Rumänien wurden die Begegnungen intensiviert und es fanden Gegenbesuche der spanischen Kollegen in den Herkunftsländern der Migranten statt. Die Verantwortlichen der Bibliothek stellten den Kontakt mit einigen der Bibliotheken der Herkunftsländer her, damit die neuen Zuwanderer sich vor ihrer Ankunft in Spanien über ihr neues Land informieren können und gegebenfalls die neue Sprache zu erlernen beginnen.  Von allen vorgestellten Beispielen aus der Praxis verfolgt diese Bibliothek einen neuen Ansatz,  den Frau Prof. Dr. Krüger als transkulturell bezeichnete. Zudem gibt es noch mehr beeindruckende Dienstleistungen und Angebote, die von der Offenheit für Neues, der Flexibilität und dem Interesse am Austausch mit anderen Kulturen und Bibliotheken, die Stadtbibliothek Gandia auszeichnen. Sie arbeiten mit alternativen Methoden bei dem das Management von Vielfalt bis hin zur Stadtverwaltung umgesetzt wird. Ebenso wie sich die Gesellschaft weiterentwickelt wird auch die Bibliothek der gesellschaftlichen Realität anpasst.

  • Children’s libraries in Kindergartens von Grete Bergh, The Norwegian Archive,
    Library and Museum Authority, Norway
  • Libraries for All von Miguel Benito – Immigrant-institutet Sweden
  • European possibilities Grundtvig Program von Dennis Wacht, European Platform,
    The Hague:  Beim Grundtvig Programm handelt es sich um Förderprogramme der Europäischen Union, die im Rahmen von Lifelong Learning Programmen von der Europäischen Kommission initiiert wurden und im Bereich der Erwachsenenbildung angewandt werden. Wäre uns deutschen Kollegen die Veranstaltungsdaten bzw. die Bewerbungsfrist früher bekanntgegeben worden, hätten auch wir ein Anrecht auf eine Förderung zur Teilnahme am Study Visit gehabt. Die Ansprechpartnerin für Deutschland ist Frau Ulrike Suckau. Dennis Wacht machte auf die Teilnahmeländer, das Budget und die Möglichkeiten der Partizipation durch Bibliotheken aufmerksam. Im Rahmen des Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Exklusion im nächsten Jahr  gibt es attraktive Fördermöglichkeiten, wobei für Bibliotheken insbesondere Lernpartnerschaften, Workshops und Freiwilligenprojekte infrage kommen. Zu den Zielgruppen zählen unter anderem Migranten, erwachsene Schulabgänger ohne Abschluß und Ältere.

Im Anschluß fuhren die Teilnehmer gemeinsam zur Besichtung der Zweigbibliothek im Stadtteil Delfshaven. Die Kinder- und Jugendarbeit mit Migranten und die Alphabetisierungskurse wurden vorgestellt.

Nach diesem anstrengenden Tag waren alle hungrig. Gemeinsam fuhren wir mit der Metro in das Hotel Bazar, ein Restaurant, das vor allem auf marokkanische und arabische Gerichte aus dem Mittleren Osten spezialisiert ist. Wir wurden vom Niederländischen Bibliotheksverband zu einem unvergeßlichen Drei-Gänge-Menü eingeladen. An dieser Stelle bedanke ich mich nochmal für diese nette Geste.

[1] http://www.nrc.nl/international/article2308242.ece/Wilders_Calculate_cost_of_immigrants

[2] http://www.watkostdemassaimmigratie.nl/

Ein Kommentar

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