In der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek steht die Zeit still

Es ist laut in der Bibliothek des Vatikans und bis zum 20. September wird sich daran nichts ändern. Die Bibliothek ist ganz in den Händern der Bauarbeiter seit dem 14.07.2007.

Eine der wertvollsten Sammlungen der Welt macht einfach Pause; ihre Schätze werden bewahrt, aber die Forschung ruht.

Neben dem Geheimarchiv des Papstes, das als geheim gilt, weil es auch heute nur denen offen steht, die ein begründetes Forschungsinteresse haben, wird die Bibliothek viel zu wenig beachtet, welche die päpstliche Sammelleidenschaft fasst. Für die Bibliothek gab es bereits im 8. Jahrhundert einen Bibliothekar. Die heutige Sammlung geht auf Papst Nikolaus V. zurück, der 1447 den Grundstock legte. Heute umfasst sie zwei Millionen Bücher und Manuskripte inclusive 150.000 Handschriften, über 8.000 Inkunabeln und 300.000 Münzen und Medaillien. Die drei Jahre Pause machen da doch nichts gegenüber der auf Ewigkeit angelegten Sammlung.

Allie_Caulfield, CC-BY

Vatikanische Museen Bibliotheca, Allie_Caulfield, CC-BY

Der 76jährige Geschichtsprofessor Raffaele Kardinal Farina, Mitglied der Kurie, leitet die Bibliothek und er macht deutlich, dass bis Ende September die Umbauarbeiten fertig sein müssen, auch wenn es keine große Wiedereröffnungsfeier geben wird. Man wird die Bibliothek einfach aufmachen, da die Nutzer schon warten. Zu Heraushebung der Wiedereröffnung wird es im November ein Symposion geben und Papst Benedikt XVI. wird wohl auch vorbeischauen.

Bei den Umbauarbeiten wurden in das altehrwürdige Gebäude der Bibliothek zwei große Lifte eingebaut, um die Verkehrsströme der Besucher besser leiten zu können. Die Baukosten von ca. sechs Millionen Euro waren eigentlich viel zu wenig für das, was getan werden musste. Daher wurden viele Tätigkeiten und Materialien gespendet. Der Außenlift, der die Werkstätten mit den Labors und den Lesesaal mit den Handschriftendepots verbindet, ist zum Beispiel eine Spende. Neben dem Gefallen für Gott und Kirche ist das Sponsoring auch eine gute Werbung und steuerlich absetzbar. Dass das nicht immer ästhetisch schön ist, zeigen dabei die Werbebanner an den Kolonnaden des Petersplatzes, welche nach Fertigstellung der Bibliothek wieder verschwinden. Vermutlich noch ein Grund, warum man bis 20. September fertig sein möchte…

Wird die Bibliothek auch in Zukunft ihre Bedeutung beibehalten? Zumindest verschließt man sich der Zukunft nicht. Sie war eine der ersten Bibliotheken, die ein elektronisches Archiv erhielt. Bei den Digitalisaten setzt man aber vor allem auf Qualität und nicht auf Quantität. Google als Partner kommt deshalb für die Digitalisierung nicht in Frage. Das Wissen der ganzen Welt zur Verfügung zu stellen, hält der vatikanische Bibliothekar der Heiligen Römischen Kirche nichts, nicht weil die Inhalte geheim wären oder für alle seien, sondern weil die meisten Dokumente nur für eine Handvoll von Experten interessant sind bzw. von ihnen überhaupt gelesen werden könnten. Es mache einfach keinen Sinn, dennoch alles ins Netz zu stellen. Digitale Kopien würden, sofern vorhanden – noch sind nicht alle Bestände digitalisiert – auf Anfrage nach außen gegeben.

Digitalisate sind jedoch nur eine Arbeitsmöglichkeit.

„Wer weiß heute, wie lange Digitalisate wirklich überleben? Die Geschichte hat gezeigt, dass gescannte Bilder bei jeder Übermittlung Farbkraft einbüßen.“

Farblose digitale Kopien? Das mag man wohl stark bezweifeln, aber aus Sicht der Langzeitarchivierung der Digitalisate gibt es Probleme. Daher setzt man für die Archivierung auf konventionelle Technologien, z.B. Mikrofiche, aber bitte in bester Qualität. Schlechte Erfahrungen hat man damit aber auch bereits gemacht. Vor zehn Jahren wurden 60.000 Miniaturen abgefilmt und davon ist so gut wie nichts mehr verfügbar. Daher hat man nach einer neuen Firma gesucht, die diese mit bester Qualität und etwas konventioneller herstellt als die amerikanische Firma vor zehn Jahren. Danach hat man wieder vierzig Jahre Ruhe. Für Raffaele ist die digitale Welt nichts Fremdes, aber er glaubt, dass man in beiden Welten Zuhause sein muss und vermittelt dies auch in der hauseigenen Bibliotheksschule.

Glauben ist keine Voraussetzung, um in der Bibliothek zu arbeiten, aber man ist doch eng damit verbunden. Allein der Arbeitsplatz an sich. Die Apostolische Bibliothek untersteht direkt dem Papst und ist traditionell der Kurie vorbehalten. Für Bibliothek und Archiv arbeiten 180 Festangestellte + 50 Teilzeitkräfte, die von drei Geistlichen geführt werden. Das typisch Katholische zeige sich in der Mischung aus Glauben und Kunst, Religion und Kultur, die die Kirche geprägt hat.

Die Schätze der Bibliothek sind in einem Bunker mit drei Meter dicken Betonwändern gelagert. Die Räume sind stahlgrau und klimatisiert. Dort werden Neuzugäng in aufgeblähten durchsichtigen Plastiktüten in “Quarantäne” gelagert, bevor sie dem Bestand zugeordnet werden. Gesammelt wird mit Blick auf das große Ganze:

Sammlungsgründer Nikolaus V. ordnete an, auf allen Märkten des Ostens und des Westens die wichtigsten Bücher zu besorgen. Wenn sie nicht verkäuflich waren, ließ er auf eigene Kosten Kopien anfertigen. Als er 1455 starb, umfasste die Sammlung bereits 1200 Handschriften von erster Qualität, ein Drittel griechisch, zwei Drittel in lateinischer Sprache. Homer, Euklid, Cicero, Vergil, Dante – hier liegen jeweils die ältesten Exemplare. Der Codex Vaticanus, eine in Einzelblättern gesammelte Bibel aus dem frühen vierten Jahrhundert, besticht auch heute noch mit seinen makellosen griechischen Großbuchstaben, dreispaltig auf jeder Seite im Blocksatz angeordnet.

Im Bunker sind auch geschlossene Bestände und Sammlungen zu finden, die komplett erworben oder geschenkt wurden, z.B. die „Biblioteca Reginense“ oder die „Biblioteca Urbinate“. Ein Problem sind aber die offenen Bestände, welche permanent wachsen und ein riesiges Platzproblem bedeuten. Derzeit gibt es 85 (!) Regalkilometer. Der Schwerpunkt des Umbaus lag daher neben der Lösung der Platzfrage auch auf einer Sicherung der Bestände. Teil der Baumaßnahmen war die Schaffung eines Notausgangs, Feuerfestigkeit des Fußbodens, Erneuerung der Klimaanlage und eines Kontrollsystems für die Luftfeuchtigkeit. Für die Papyri wurde ein eigener Bunker mit einem Sonderklima gebaut. Das Zeitschriftendepot erhielt neue Regale und ein weiterer Etappensieg des Umbaus war die Eingliederung des Salone Sistina als zweiter Lesesaal. Fertig wird man zwar mit diesem Umbau, aber unendlich viele werden wohl noch nötig werden.

Die neuen Technologien sind toll, aber die Zukunft des Buches sieht der Kardinal nicht gefährdet. Er weiß, worauf man jedoch in der Zukunft wird achten müssen.

„Es wird darauf ankommen, das Gefühl nicht absterben zu lassen, beim Lesen stünde die Zeit still.“

Ab Herbst steht die Zeit dann wieder still in den Lesesälen der vatikanischen Bibliothek.

Hintermeier, Hannes: Lesen heißt, die Zeit stillstehen zu lassen, Faz.net

2 Kommentare

  • Frage: An wen kann ich mich in der Apostolischen Bibliothek wenden, der deutsch spricht?

    • Dörte Böhner

      Hallo Herr Dr. Schwing,

      ich habe die Frage an Kollegen weitergegeben, aber auch die konnten mir keine Antwort darauf vermitteln. Vielleicht wenden Sie sich trotzdem mit einer kurzen formlosen Nachricht direkt an die Bibliothek. Ich denke, dort wird man Ihnen am schnellsten weiterhelfen können mit einem passenden Ansprechpartner oder Übersetzer.

      Mit freundlichen Grüßen,
      Dörte Böhner