Grundsatzstreit um Digitale Kopie und Elektronische Leseplätze geht weiter

Eigentlich hatte der Ulmer-Verlag kein Interesse, den Streit mit der Technischen Universität Darmstadt in eine Hauptverhandlung zu überführen. Ihm reichte die bereits in den Vorverhandlungen erzielte Rechtssicherheit.

Die TU Darmstadt will jedoch weiter für das Recht von Bibliotheken kämpfen, gedruckte Werke selbst digitalisieren und ihren Studierenden so zugänglich machen zu können, welches nach § 52b UrhG seit 2008 vom Gesetzgeber Bibliotheken eingeräumt worden war.

Bibliotheken sollten in die Lage versetzt werden, ihren Nutzern häufig genutzte Werke auch unabhängig von (vorhandenen oder fehlenden) Verlagsangeboten in digitaler Form anzubieten. Der Gesetzgeber trug damit einem wichtigen Ziel der EU-Richtlinie zur „Harmonisierung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ Rechnung. Jedermann sollte den Zugang zu digitaler Information erhalten.

Die TU Darmstadt wollte diesen Paragraphen nutzen und wurde dann vom Ulmer Verlag verklagt. Verlag und Börsenverein des deutschen Buchhandels fordern, dass vor dem Digitalisieren der Werke erst eine Erlaubnis des jeweiligen Verlages eingeholt wird. Außerdem wollen sie dem Lesern das grundsätzliche Recht auf die Herstellung einer Kopie zum persönlichen Gebrauch verwehren. Würde der Verlag mit dieser Einstellung durchkommen, so wäre das neu geschaffene, schon während des Gesetzgebungsverfahrens heftig von Bibliotheken und Verlagen umstrittene Recht eigentlich wertlos.

Im Sommer diesen Jahres akzeptierte die TU Darmstadt daher die zweiter Instanz ausgesprochene einstweilige Verfügung des Oberlandesgerichts Frankfurt nicht und erzwang eine Klage des Verlages gegen die TU. “Die Digitalisierung nach §52b UrhG war ein Ausloten der Möglichkeiten, die sich für Bibliotheken ergeben. Durch das zweite Urteil muss man dieses Angebot als gescheitert ansehen”, war das Fazit von Herrn Nolte-Fischer auf dem diesjährigen Bibliothekskongress. Auch das Fazit der Würzburger Universitätsbibliothek lautet, dass das Urteil den § 52b UrhG damit ad absurdum führen würde. Die gefundene Lösung des OLG Frankfurt macht ein Bibliotheksangebot in dieser Form überflüssig.

Zwar haben das LAG und OLG Frankfurt in den bisherigen einstweiligen Verfügungsverfahren das beklagte Recht der Bibliotheken ausdrücklich bestätigt. Bibliotheken dürfen auch ohne Rücksprache mit derm Verlag Bücher digitalisieren, doch durch die erhebliche Einschränkung der Rechte der Nutzer ist dies eher sinnlos, da nach der bisherigen Verfügung nicht einmal mehr Papierkopien erlaubt sind.

Bibliotheken dürfen unabhängig von den Verlagen Werke aus ihrem Printbestand digitalisieren und in ihren Räumen das so geschaffene digitale Exemplar zur Nutzung anbieten. Den Nutzerinnen und Nutzern muss jedoch jede Möglichkeit genommen werden, daraus für sich Kopien zu machen.

Verhandlungsbeginn im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Frankfurt am Main ist der 08. Dezember 2010. Die TU Darmstadt wird in diesem Musterprozess durch den Deutschen Bibliotheksverband unterstützt, der natürlich auch Interesse an einer entgültigen Klärung hat. Diese kann nur mit einem Hauptsacheverfahren erreicht werden.

Dr. Hans-Georg Nolte-Fischer, Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, begründete das Vorgehen der Universität wie folgt:

“Das Verfahren wird weitergeführt, um Rechtsklarheit herbeizuführen. Ziel ist es aber auch, den Gesetzgeber auf die Problematik hinzuweisen. In der anstehenden erneuten Novellierung des Urheberrechts, dem sogenannten „Dritten Korb“, ist es dringend erforderlich, dass zugunsten der wissenschaftlichen Nutzung von Texten eine Klarstellung der vom Gesetzgeber mit dem § 52b UrhG verbundenen Intentionen erfolgt: Eine Grenze der Vermarktungsrechte der Verlage ist die freie Kopie für die Wissenschaft, die den Urhebern selbstverständlich vergütet aber nicht an die Zustimmung der Verlage gebunden sein darf. […]”

Dabe stehen nicht die eigenen Nutzer im Vordergrund, sondern Wissenschaft, Lehre und Forschung, die ohne die Nutzung von Individualkopien erheblich behindert ist. Dabei darf keine Benachteiligung entstehen, weil Materialien digital und nicht in Print vorliegen. Wissenschaftliches Arbeiten passiert am Text, mit Hervorhebungen, Randnotizen und der Tatsache, “Passagen wortwörtlich aus der Bibliothek mitzunehmen, um Quellen später verlässlich zitieren zu können.” Im wissenschaftlichen Bereich war es daher immer schon notwendig, Texte zu kopieren, früher durch Abschreiben, seit einigen Jahrzehnten mit Hilfe von Kopiergeräten und heute durch Ausdruck und umweltschonender durch elektronische Kopie. Hier darauf zu bestehen, dass Dinge nur per Hand kopiert werden dürfen, wäre ein Rückschritt in Richtung Mittelalter und bei Grafiken größtenteils auch unmöglich, besonders wenn es auf Zitiergenauigkeit ankommt.

Ein Rückfall ins Mittelalter dürfte auch nicht im Interesse des Börsenvereins und seiner Verlage sein. Doch deutlich wird dies momentan nicht und geht im Bestreben unter, ein Monopol für die Erstellung, Nutzung und Verwertung der digital vorliegenden Medien auf Basis von Printmedien zu errichten. Statt Tantieme soll eine eins-zu-eins-Abrechnung die einzige legale Möglichkeit sein, an digitale Medien (auch in Kopie) zu gelangen. Bibliotheken bestreiten nicht, dass sie zu Zahlungen an den Urheber verpflichtet sind, welche dann über die VG Wort an die Autoren verteilt wird.

Es geht also keineswegs um „Raubkopien“, wie öffentlich immer wieder von Verlagsseite behauptet wird. Es geht auch nicht um ein kostenloses Vermehren verfügbarer Exemplare, um Entlastung der Bibliotheksetats gewissermaßen durch die Hintertür. Und schon gar nicht geht es darum, den Urhebern ihren verdienten Lohn vorzuenthalten.

Für die Bibliotheken geht es darum, ihren Kunden (Wissenschaftlern, Lernenden und Lehrenden), die Medien zeitgemäß verfügbar zu machen, wenn Verlage dies nicht gegen eine angemessene Vergütung wollen/können. Nolte-Fischer macht deutlich:

“Es geht um die Herstellung moderner, im wissenschaftlichen Umfeld längst selbstverständlich gewordener Arbeitsbedingungen für Studierende und Wissenschaftler unabhängig von den Geschäftsinteressen einzelner Verlage.”

Quelle:
“Wissenschaft braucht das Recht auf digitale Kopie” – TU Darmstadt erzwingt Fortsetzung des Musterprozesses um das Recht auf Privatkopie für Bibliotheksnutzer, DarmstadtNews.de