Die «wärmste Bibliothek aller Zeiten» oder wie die Stadtbibliothek Hangzhou auf Twitter eine hohe Rensonanz erfuhr

Vor einer Woche stieß ich über die Webseite www.asienspiegel.ch auf die Stadtbibliothek in Hangzhou (Provinz Zhejiang in China), die aufgrund ihrer wenig restriktiven Einlassbestimmungen für Aufmerksamkeit sorgte. Im Moment herrschen dort, ebenso wie bei uns, Minustemperaturen. Viele Heizungen funktionieren nur mangelhaft oder gar nicht:

F: “Was tun also Personen ohne feste Heimat in dieser Stadt , um diese Tage zu überstehen? “

A: “Sie gehen in die Bibliothek.”

Der Stadtteil Jiangang wurde erst 2008 eröffnet und es befinden sich dort noch sehr viele Baustellen. Für die Arbeiter ist dies eine Möglichkeit der Kälte zu entfliehen und die Besucherzahlen der Bibliothek zu erhöhen.  Außerdem hat die Bibliothek 24-Stunden täglich geöffnet. Über den User «Helantai» und über eine Twittermeldung des Sina-Weibo-Dienstes im Internet wurde diese Meldung weiterverbreitet. Zudem wurde die Twitter-Nachricht über die «Wärmste Bibliothek aller Zeiten» von über 16’000 Personen innerhalb kürzester Zeit weitergeleitet. War dies bisher in China noch ungewöhnlich Obdachlosen und Wanderarbeitern ein Obdach in der Bibliothek zu gewähren? Oder weshalb diese hohe Resonanz? Um nachzuprüfen, ob die Bibliothek der Stadt tatsächlich Obdachlose und WanderarbeiterInnen offenherzig Zutritt gewährt, verschaffte sich ein Journalist von Chinanews selbst ein Eindruck von der Lage dort. Am Ort des Geschehens angekommen, entdeckte der Journalist tatsächlich “dösende” WanderarbeiterInnen von einer nahegelegenen Baustelle und Obdachlose, die sich ihre Zeit mit Lesen und Aufwärmen vertrieben. Auf Anfrage eines Nutzers, der mehr darüber wissen wollte antwortete der Bibliotheksdirektor:

“Ich habe kein Recht darauf, sie davon abzuhalten hereinzukommen und zu lesen – aber Sie haben das Recht, zu gehen.”

Das Recht auf Bildung als ein Menschenrecht, zu dem nicht alle Zugang haben, muss laut dem Direktor auch diejenigen einschließen, die am Rande der Gesellschaft stehen und sollte nicht nur denen gewährt werden, die über matriellen Besitz (z.B. in Form von Geld oder anderem Vermögen) verfügen. Auf einer Webseite wird die Bibliothek wie folgt dargestellt:

“It is the paradise for children and adults; it not only can enrich knowledge, but also can enhance cultural quality.”

Gibt es hierzulande eigentlich Statistiken, aus denen hervorgeht, wieviele Personen der (sogenannten) Unterschicht und/oder der marginalisierten Bevölkerungsgruppen eine öffentliche Bibliothek besuchen? Wie sollten öffentliche Bibliotheken mit Obdachlosen umgehen? Die Stadtbibliothek in San Francisco engagierte für die Betreuung von Obdachlosen einen Sozialarbeiter. Der dortige Sozialarbeiter Melvin Morris beschrieb seine Aufgaben folgendermaßen:

tells people caught shaving or bathing in the sinks to move on, and summons security for more serious problems, such as hostile junkies. But usually, he simply reaches out with compassion. ‘I come from the same place they come from,’ he said. ‘When I talk to them, they can’t believe I was actually homeless. I tell them they could do it, too.

Spätestens nach der Lektüre “Aus der schönen neuen Welt” von Günter Wallraff wird einem bewußt, dass es jeden (insbesondere männlichen Geschlechts) von uns treffen kann und es nicht immer eine Frage der sozialen Herkunft ist, obdachlos zu werden und zu bleiben. Zygmunt Baumann bezeichnet diese Gruppe als die “Ausgegrenzten der Moderne“. Sie alle kennzeichnet u.a. der Verlust des Arbeitsplatzes, der kulturellen Identität und der Orientierung. Baumann beschrieb diese Tatsachen unter anderem so:

Ortlose Migranten, Flüchtlinge und für ‘überflüssig’ gehaltene Menschen – in ihrem Schicksal manifestiert sich die Tatsache, dass die Entwicklung der modernen Gesellschaften in ökonomischer und politischer Hinsicht nicht etwa in der Integration aller besteht. Ganz im Gegenteil: Die Moderne wirkt sich höchst selektiv aus.”

Wie gehen öffentliche Bibliotheken mit dieser Klientel um? Gelten die “Überflüssigen” oder der “menschliche Abfall”, wie Baumann diese Phänomene nennt, dort auch als unerwünscht, nicht als die wahre Zielgruppe oder gibt es positive Ansätze zur “(Re-)integration”? Baumann selbst sieht in seinem Buch “Verworfenes Leben: Die Ausgegrenzten der Moderne” wenig Hoffnung und Ansätze, die bisher auf lokaler Ebene  durchgeführt wurden, um diesem Phänomen etwas Positives entgegenzusetzen. Falls jemand Ansätze hierzu kennt, die auch die Bibliothek als einen möglichen Integrationsfaktor miteinbinden, wäre ich sehr dankbar für Zuschriften und/oder für einen Gastblogbeitrag. Aus Großbritannien und den USA (Virginia) sind mir zumindest einige Beispiele bekannt.

2 Kommentare

  • Walter Scheithauer

    Als ehemaliger Mitarbeiter von College 5 in der Hauptbücherei am Gürtel (Wien) mit Videoplätzen und CD-Spielern mus ich leider bekennen, daß nicht nur ich überfordert war. Nicht nur die Stammgäste, die am liebsten den gamzen Tag Videos geschaut h…ätten und sehjr unangenehm wurden, wenn man sie bat, den Platz für die nächsten freizumachen, sondern auch eine ganze Reihe von unangenehmen Persönlichkeiten, die sich bei den Cd-Spelern breitmachen, essen trinken, allerhand Geräusche machenund einem das Leben als Bibliothekar verleiden. Ähnliches muss ich auch von (meist migrantischen) Kindern berichten, die am liebsten jeden Tag mehrere Stunden an Internetplätze sitzen, womöglich noch zu mehreren und Computerspielen. Hier wäre mehr Personal (Sozialarbeiter, Security, medienpädagogen ) vonnöten

    • Wolfgang Kaiser

      Guten Abend Herr Scheithauer, ich erinnere mich auch noch an ein Gespräch mit einer (pensionierten) Berliner Bibliothekarin 2004, die im Stadtteil Kreuzberg als Bibliothekarin tätig war und mir damals ähnlich Geschichten erzählte (Schlägereien und Gewalttätigkeiten in der Bibliothek) und BibliothekarInnen, die dem hilflos gegenüberstanden. Interkulturelle Kommunikation und Fremdsprachenkenntnisse alleine reichen da sicherlich nicht mehr aus und es kann nicht die Aufgabe der BibliothekarInnen sein auf Dauer diese Nebenschauplätze zu koordinieren und zu überwachen. Es gäbe sicher noch viel mehr Beispiele in Deutschland/ Österreich und anderswo, die deutlich machen könnten, wie akut und verbreitet gewisse Rücksichtslosigkeiten und ignorantes Verhalten in der Bibliothek sind. In gewissen Vorstädten von Lyon und Paris gibt es sehr oft mehrere SecuritymitarbeiterInnen (mein ehemaliger Mitbewohner war einer davon, der mir aus erster Hand davon erzählte). Über delicious bin ich mit http://www.safelibraries.org/ und http://safelibraries.blogspot.com/ verbunden und lese gelegentlich, was sich alles an kriminellen Aktivitäten in US-Bibliotheken ereignet. Dort scheint dieses Thema schon länger BibliothekarInnen zu beschäftigen und es gibt auf dieser Webseite jede Menge Infos. Aus diesem Grunde gebe ich Ihnen recht, dass mehr Personal in Form von Sozialarbeitern, Security, Medienpädagogen vonnöten wäre. Doch wäre dies nicht eine Idee diese dringlichen Themen, die viele Großstädte betreffen auf die Agenda zu bringen (z.B. Bibliothekartage) und in Verbänden und Kommunalverwaltungen zur Sprache zu bringen oder ist das eine alte Diskussion? Oder glaube ich an das Unmögliche, dass dies doch eines Tages eintritt? Wir sind eben nur Menschen und keine “Helden” oder “Mädchen für alles”. In der Theorie sehen viele Dinge einfacher aus als sie sind, aber dennoch würde sich vieles sicherlich ändern, wenn mehr Sozialarbeiter und Medienpädagogen auch in Bibliotheken tätig wären, denn soziale Probleme lassen sich von BibliothekarInnen am Ende nur schwer lösen, insbesondere, wenn noch andere Aufgaben warten. Danke für Ihren ernüchternden Erfahrungsbericht.
      Schönen Abend
      wünscht Ihnen
      Wolfgang Kaiser