Altes Wissen modern verwaltet

Computer haben Bibliotheken nachhaltig verändert – findet die Autorin, aus eigener Anschauung als Bibiltheksnutzerin [sic!].

Ja, das haben sie, wird Ihnen jede(r) BibliothekarIn bestätigen, die nicht mehr mühsam Karteikärtchen per Hand beschriften muss. Natürlich ist es ein AHA-Erlebnis für Bibliotheksbenutzer, wenn sie in eine sehr kleine Institutsbibliothek kommen und wieder an den Zettelkatalog müssen. Viele Studentengenerationen mussten sich mit dem Alphabetischen Autoren-, Titel- und Schlagwortzettelkaltalog nicht mehr auseinander setzen, sondern konnten gleich im elektronischen Katalog recherchieren, ohne großartige Vorkenntnisse dafür zu haben.

Und dann bringt die Autorin Sophia Amalie Antoinette Infinitesimalia natürlich auch ein paar Vorurteile, die man so Bibliotheken gegenüber hat:

Ich mochte Bibliotheken schon immer, den etwas muffigen Geruch nach Büchern, die Ruhe, die netten kleinen Überraschungen, die einen manchmal zwischen Buchdeckeln erwarten: Unterstreichungen, Besserwisser, die Tippfehler korrigieren, gelegentlich fällt auch eine Konzertkarte aus den Seiten heraus – kleine Memorabilia eines völlig anderen Lebens, das meines für einen Moment lang streift.

Und schön, dass ihr bewusst geworden ist, was für eine enorme Leistung der Erhalt und die Ordnung von Bücherbeständen bedeutet. Diese Glaube, dass dies früher schwerer gewesen ist als heute, hätte sie vielleicht sich sparen sollen. Heute sind die Anforderungen andere. Gerne möchte man die Suchmöglichkeitend er verschiedenen Zettelkatalog in den Online-Katalogen von heute ermöglichen und darüber hinaus Rechercheeinstiege schaffen, die damals nicht mögich waren. Der Aufwand für den Erhalt von Büchern heute ist durch die steigende “Sichtbarkeit” und somit Verfügbarkeit aber auch stärkere Umwelteinflüsse (Putzmittel, etc.) sicherlich nicht geringer einzuschätzen. Wir haben auch hier nur andere Möglichkeiten zur Restaurierung und Prävention.

Dass der Mikrokosmos Bibliothek faszinierend sein kann, ist jedem sicherlich klar, der selbst seine eigene kleine Bibliothek sortieren möchte. Bibliotheken haben im Laufe der Jahrhunderte Verfahren dazu entwickelt und Systematiken aufgebaut, um einen systematischen Zugang zum Wissen in Büchern zu ermöglichen.

Jeder, der mal versucht hat, seine – im Vergleich immer mehr oder minder bescheidene – Privatbibliothek zu sortieren, weiß, wovon ich spreche. […] Und immer, wenn man ein Buch hinzukauft, muß man alle anderen weiterräumen, um es korrekt zu platzieren. Ich fand es schon als Kind faszinierend, wie Bibliotheken es schaffen, daß immer noch mehr Bücher in die Systematik passen – daß das eine Wissenschaft für sich ist, war mir damals nicht klar.

Ja, es ist eine kleine Wissenschaft. Nicht umsonst gibt es sehr viele BibliothekarInnen, die dieses Fach Bibliothekswesen bzw. Bibliothekswissenschaft studiert haben. Um so trauriger ist es, wenn dies von Kommunalpolitikern aus Kostengründen nicht bedacht wird und z.T. ungelernte Kräfte eine Bibliothek führen lassen. Eine Weiterentwicklung wird so erheblich erschwert.

Natürlich werden wissenschaftliche Bibliotheken völlig anders gepflegt, weil die Ansprüche ganz anders an den Bestand und die Dienstleistungen sind, als an die einer Stadtbücherei. Zudem kommen bei wissenschaftlichen Universitätsbibliotheken konzeptionelle, z.T. “historische” Gründe zum Tragen, wenn es um ein- und zweischichtige Systeme geht. Da hat sich aus Sparzwängen viel getan, was die Vernetzung von Zentral- und Fachbibliothek (Zweigbibliotheken) angeht. Heute sind sie gezwungen, sich beim Bestandsaufbau abzusprechen. Und selbst wer heute verschiedene Teilbibliotheken nutzt, kann jetzt bequem von Zuhause aus per Online-Katalog (OPAC) recherchieren und muss nicht mehr jede einzelne Bibliothek abklappern.

Einem kleinen Irrtum unterliegt die Autorin, wenn sie schreibt:

Heute sind wir alle suchmaschinen-klug und wissen, welche Wörter in den PC einzutippen sind. Nicht das Schlagwort ist bedeutend, sondern die richtige Kombination aus bestimmten Begriffen, eventuell mit Gänsefüßen, Wildcards und unterschiedlichen Verknüpfungen.

Bei meinen OPAC-Schulungen habe ich immer wieder erlebt, wie hilfreich Studierende den Hinweis auf Schlagwörter fanden. “Ja, Sie können mit dem Online-Katalog auch thematische recherchieren.” So sind Redundanzen bei der Suche nicht mehr ganz das Problem. Die richtige Suchtechnik ist aber auch heute noch ein wichtiger Baustein für die effektive Recherche. Drei Bausteine waren durch Autoren-, Stich- und Schlagwortkatalog in Zettelkatalogseiten vorgegeben. Wer heute recherchiert kennt diese häufig nicht mehr und stochert wie bei Google eher blind herum. Dadurch dauert die Suche in EDV-Zeiten häufig länger als im Zettelkatalog. Sicherlich war an einigen Stellen “das Ende der Möglichkeiten” eher erreicht, aber eine Anwendung dieser Tugenden von damals + die neuen Möglichkeiten von heute (Eingrenzung nach Zeiträumen, Kombination von Suchtechniken) würde ein Stochern im Datenheuhaufen nach der einen Stecknadel erheblich vereinfachen und effizienter machen.

Öffentliche Bibliotheken nutzen noch weitere Möglichkeiten, das Auffinden von Büchern zu vereinfachen. Eine Idee ist die “bedürfnisgerechte Präsentation” der Medien, wobei sich an den Bedürfnissen der Nutzer orientiert wird. Zurück geht diese Form der Präsentation auf Dr. Heinz Emunds. Viele Stadtbüchereien sortieren nach diesem Beispiel ihre Medien, wo im Nahbereich Nachschlagewerke und aktuelle Informationen zu finden sind, im Mittelbereich Bücher und Zeitschriften in Freihand und im Fernbereich die magazinierten Medien.

Die Präsentation ist das eine, die systematische Aufstellung das nächste, um Medien zugänglich zu machen. Es gibt eine große Auswahl an Klassifizierungen. Für ÖBs wird häufig die Allgemeine Systematik für Öffentliche Bibliotheken aus den 1950er Jahren verwendet, wobei die 23 Buchstaben des Alphabets für die thematischen Hauptgruppen stehen, die dann weiter unterteilt werden nach Spezialgebieten. Und auch die deutsch-deutsche Teilung ist noch ablesebar, denn das “andere Deutschland” (Ost oder West, Süd oder Nord? – denn auch da gab es unterschiedliche Systematiken) verwendete natürlich ein anderes Klassifikationssystem.

Wissenschaftliche Bibliotheken verwenden auch unterschiedliche Klassifikationen, so z.B. das internationale wie das System der Library of Congress, Mathematics Subject Classification (MSC) oder die Informatik- und Computer-Literatur nach der Computing Review Klassifikation (CR) der ACM. Daneben werden auch rein für den deutschsprachigen Raum ausgelegte Klassifikationen wie die Regensburger Verbundklassifikation oder die Systematik für Bibliotheken verwendet. Im Kommen sind auch internationale Klassifikationen mit Anpassungen an den Deutschsprachigen Raum, wie die deutschsprachige Dewey Dezimal Classification (DDC).

Wem das für die eigene Bibliothek zu viel ist, der kann natürlich auch nach Größen oder Farben sortieren. Dabei jedoch geht die inhaltliche Komponente verloren, die bei einer weiterführenden “Regalrecherche” vor Ort helfen kann, passende Literatur auch ohne Katalog zu finden (neudeutsch: Offline-Browsing 😉 )

All die schönsten technologischen Fortschritte beim Suchen von Medien verpuffen, wenn Medien falsch zurücksortiert, absichtlich verstellt, versteckt oder geklaut werden. Da helfen auch RFID- und Sicherungsstreifen nichts, wenn es jemand drauf anlegt oder die Buchsicherungsanlage einfach nicht richtig funktioniert. An manchen Stellen müssen “Bücherdetektive” eingesetzt werden, um verstellte und versteckte Bücher wieder aufzufinden.

Fans alter Bibliotheken und ihrer Zettelkataloge werden sicherlich das “Haptische” vermissen, das unmittelbare Erlebnis der Recherche vor Ort, aber wer ehrlich ist, wird froh sein, sich im Vorfeld informieren zu können, ob Bücher vor Ort sind oder ob sie vorgemerkt, aus dem Magazin bestellt oder per Fernleihe beschafft werden müssen. Meist lassen sich Vormerkungen, Magazin- und Fernleihbestellungen auch gleich online Zuhause erledigen, so dass man erst in die Bibliothek reisen muss, wenn das Buch verfügbar ist. Durch die Online-Recherche und Angebote wie den Karlsruher Virtuellen Katalog ist es sogar möglich die Bestände vieler Bibliotheken mit einer Suchanfrage zu durchsuchen. Und wenn Bibliotheken alles richtig machen, findet man im Online-Katalog bereits das ein oder andere elektronisch zugängliche Exemplar eines Buches oder eines Aufsatzes.

Quelle:
Infinitesimalia, Sophia Amalie Antoinette: Altes Wissen und dessen moderne Verwaltung, Deus Ex Machina – FAZ-Community