Cycling for Libraries – eine bibliothekarische Unkonferenz auf Rädern

Seit heute 12 Uhr kann man sich unter http://www.cyclingforlibraries.org/2011/02/15/registration-opens-on-february-22-get-ready/ für eine ungewöhnliche bibliothekarische Konferenz registrieren. Ein wenig “sattelfest” sollte man allerdings schon sein…

Worum geht es? Eine Gruppe finnischer Bibliothekare hatte die Idee, zwei ihrer Leidenschaften miteinander zu verbinden: die für Bibliotheken und die für das Fahrrad fahren. So entstand Cycling for Libraries – praktisch eine Konferenz auf Rädern, die am 28. Mai in Kopenhagen startet und pünktlich zum 100sten dt. Bibliothekartag am 7. Juni mit einer Fahrraddemo zum Estrell in Berlin und der Teilnahme an der Eröffnungsfeier am Gendarmenmarkt endet.

Während der Tour, die von einem Filmteam begleitet wird, finden viele kleinere und größere Workshops, Seminare und Veranstaltungen an den Stops der Strecke statt, z.B. an der Universität Rostock am 1.6., in Fürstenberg am 4.6. und am ZIB in Berlin am 6.6. Die Themen sind vielfältig und reichen von Open (Linked) Data über Marketing für Bibliotheken und die Bibliothek als Ort bis hin zu Anforderungen an heutige Bibliothekar_innen und der Frage, wie sich Bibliotheken verändern (müssen). Die Events sind nicht nur den Teilnehmern der Tour vorbehalten, sondern prinzipiell offen für Interessierte, denn ein (internationaler) Austausch liegt den Organisatoren besonders am Herzen.

Zu der Veranstaltung am ZIB und dem anschließenden Social Event, die vom KOBV ausgerichtet werden, werde ich hoffentlich bald mehr berichten können (im Moment bemühen wir uns um einen möglichst kultigen, “berlinischen” Ort und haben da bereits etwas Ausgefallenes im Auge…).

Mehr Informationen zu Cycling for Libraries gibt es unter www.cyclingforlibraries.org, auf Facebook und Twitter.

LIBREAS #17 ist online

Diesmal hat sich LIBREAS.Library Ideas  schwerpunktmäßig mit den bibliothekarischen und informationswissenschaftlichen (Anti-)Helden beschäftigt. Dabei lag der Fokus weniger auf schillernden Persönlichkeiten:

Vielmehr gehen wir davon aus, dass eine Wissenschaft immer von handelnden Personen gestaltet, gelenkt und mitunter auch deformiert wird. Will man sein Fach verstehen, hilft oft der Blick auf diejenigen, die dahinter stehen sowie ihre Biographien, Motivationen und Interessen. Das Sachlichkeitsdogma wissenschaftlichen Geschehens versucht dem entgegenzuwirken. Die eigene Erfahrung sagt aber: Je kleiner die Disziplin, desto abhängiger ist sie von den individuellen Neigungen, Interessen und Charakterzügen seiner Vertreter.

Zwei Beiträge widmen sich diesem biografischen Ansatz.

Thomas Hapke: Zum verborgenen Ursprung des Informationswesens in der Chemie

Die Aktivitäten des Chemikers und Nobel-Preisträgers Wilhelm Ostwald erlauben den Schluss, dass fachlich-inhaltliche Prinzipien der Chemie Eingang in Ausprägungen moderner Informationssysteme gefunden haben. Die unübersehbare Präsenz von Chemikerinnen und Chemikern in der Entwicklung der Informationswissenschaft ist ein weiterer Beleg für die Nähe der Chemie zum Informationswesen. Die mit der Bewältigung der Informationsflut verbundenen fachlichen Informationsprobleme am Beginn des 20. Jahrhunderts erforderten eine Gesamtorganisation der wissenschaftlichen Kommunikation mit Unterstützung durch technische Hilfsmittel und internationale Zusammenschlüsse. Historische Forschungen zum verborgenen Ursprung des Informationswesens in der Chemie können zusammen mit dem Hinweis auf die positivistische Einstellung solcher Informationspioniere wie Ostwald und Paul Otlet heute zu beobachtende einseitige Tendenzen in Informationswissenschaft und Informationspraxis, z.B. im Rahmen des Themas Informationskompetenz, bewusst machen.
Das heutige Informations- und Bibliothekswesen benötigt differenzierte, vielfältige Ansätze für seine theoretischen und methodischen Grundlagen.

Konstantin Baierer: Erinnerungen an Joseph Weizenbaum

An einem kalten Tag Januar 2008 sitzen wir zu viert in einer kleinen Wohnung nahe dem Berliner Alexanderplatz. Elektrogeräte in verschiedenen Stufen der Auflösung und Neuzusammensetzung bevölkern den Raum – zwei Reporter der Jüdischen Zeitung, ich und Joseph Weizenbaum am Tisch. Es bedarf einiger Zeit bis ich meine Bewunderung so weit heruntergeregelt habe, dass ich nicht mehr stupide lächelnd schweige vor einem der ganz Großen der Informatik. Er ist ein Greis geworden, Altersflecken überziehen Gesicht und Hände, die fachmännisch die Digitalkamera des Reporters betasten, der Gang ist etwas tapsig und gebeugt, aber unter den spärlichen, zusseligen, schlohweißen Haaren blitzen mal scharf, mal sanft dreinblickende, aber immer wachsame braune Augen.

Najko Jahns Artikel “Bibliotheks- und Informationswissenschaftliche Zeitschriftenaufsätze 2009 im Spiegel des Web of Science” beschäftigt sich mit der Messbarkeit des Heldentums der Library and Information Science und findet klare Worte:

Wer nach Spitzenfahrern fragt, verliert schnell das Vermögen und die Leistungen der Mitglieder des Peloton oder die der Abgeschlagenen im Besenwagen aus den Augen. Gerade für die verteilte und dynamische Wissensproduktion und ihrer Darstellung in der scientific community kann dies fatal sein. Allerdings scheint es, als sei die Bibliotheks- und Informationswissenschaft aus deutschsprachigen Ländern international nicht anschlussfähig. […] . Aber auch deutschsprachige Autoren finden sich in der Exploration nur vereinzelt, und wenn, kaum an prominenter Stelle.

Außerhalb des Schwerpunkts tummeln sich diesmal sehr unterschiedliche Themenbereiche, wie etwa SMeRT Librarians (Tania Alekson, Dean Gustini: Collaborative academic librarians and conducting research on social media in Canada. Introducing the Social Media Research Team (SmeRT)), Quodes (Oliver Bendel: Die Renaissance des Papiers. Codes als Elemente hybrider Publikationsformen) und urheberrechtliche Aspekte der Wissenschaftsfreiheit (Rainer Kuhlen: Verteidigen Deutscher Hochschulverband und Börsenverein wirklich Wissenschaftsfreiheit oder geht es nur um obsolete Privilegien?), aber auch Rezensionen zu Sozialen Netzen (Djordjevic) und Wissenschaftssprachen (Kaden) bis hin zu einem Podcast #15 zur IFLA New Professionals Special Interest Group (Dierk Eichel, Sebastian Wilke).

ELAG 2010 – Meeting new user expectations

An dieser Stelle ein kleiner (leider reichlich später) Bericht zur ELAG-Konferenz, an der ich vom 9.-11. Juni in der finnischen Nationalbibliothek in Helsinki teilgenommen habe. ELAG steht für European Library Automation Group und der Sinn dieser Veranstaltung ist es, die Kommunikation zwischen Bibliothekaren und Technikern / Informatikernzu verbessern. Zu diesem Zweck besteht die Konferenz nicht nur aus Vorträgen, sondern zu einem großen Teil auch aus Workshops. Ich habe an einem Workshop zu Discovery Interfaces teilgenommen, die Ergebnisse der dort gebildeten Gruppen findet man hier.

Ein Highlight waren auf jeden Fall die beiden Vorträge am Donnerstagnachmittag von Charles Lowell (Serials Solution Summon) “Working with your users to develop a modern user interface for search bzw. Building a User Interface with Feedback Loops” und Jindrich Mynarz (National Technical Library of Czech Republic) “Linked data as a library platform”.

Lowell begann seinen Vortrag damit zu schildern, was er alles nicht ist (kein Bibliothekar, kein Entscheider, …) um dann darzustellen, wo das eigentliche Problem bei der Entwicklung von Suchoberflächen liegt: an den zu langen Releasezyklen (6 Monate) zwischen Planung, Entwicklung und Freigabe der Software. Problematisch ist dieser Zeitraum laut Lowell deshalb, weil der Nutzer zunächst praktisch immer unzufrieden ist. Werden die Zyklen hingegen verkürzt, kann schneller auf Kritik und Anmerkungen der Nutzer eingegangen werden. Allerdings dürfte die von ihm vorgeschlagene Releasezykluszeit von 3 Wochen im Bibliotheksumfeld doch etwas utopisch sein. Trotzdem ist diese Methode der agilen Entwicklung der richtige Weg, wenn man bedenkt, wieviele Projekte viel zu lang im stillen Kämmerlein entwickelt und dann nach der Veröffentlichung in Grund und Boden kritisiert werden, sodass sie innerhalb kürzester Zeit im Nirwana landen.

Jindrich Mynarz stellte in seinem Vortrag ein Projekt der National Technical Library (CZ) vor, die eigenen Bibliotheksdaten in Linked Data umzuwandeln. Die Tücke dabei war vor allem die starke Kontextabhängigkeit bibliothekarischer Daten und die Unzulänglichkeiten des MARC-Formats, das ausschließlich in bibliotheksspezifischen Systemen funktioniert (By the way: das Gleiche gilt selbstverständlich auch für das MAB-Format). Mynarz’ Ansicht nach ist Linked Data hauptsächlich eine back-end Technologie, weshalb es unerlässlich ist, entsprechende Anwendungen zu bauen, die die Möglichkeiten, die aus Linked Data erwachsen, auch den Nutzern zugänglich machen. An der National Technical Library ist dafür ein erster Prototyp entstanden, der sich derzeit im Beta-Stadium befindet. Eine wichtige Grundaussage des ausführlichereren Papers war darüber hinaus, dass Bibliothekare bedenken sollten, dass es drei Kategorien von Bibliotheksdatennutzern gibt: Bibliotheksnutzer, Bibliothekare und Maschinen. Und um diese adäquat bedienen zu können, müsse es einen Wandel geben von Text zu Daten, von einem “set of records” zu einem “web of data”, von kontextabhängig zu kontextunabhängig, von einer impliziten zu einer expliziten Bedeutung, so dass die vormals rein bibliotheksspezifischen Daten umgebungsunabhängig benutzbar sind.

Insgesamt kann ich den Besuch dieser Konferenz wirklich nur jedem technisch interessierten Bibliothekar ans Herz legen, nicht nur wegen der guten, frischen Vorträge, sondern vor allem auch wegen des “get together” rund um die Konferenz herum, bei dem man sehr unkompliziert Einblicke in das Denken und Fühlen anderer Bibliothekare und Bibliothekstechniker auf internationaler Ebene bekommt.

In diesem Sinne zum Schluss der Hinweis auf die nächste ELAG-Konferenz, die nächstes Jahr vom 25.-27. Mai in Prag stattfindet zum Thema “It’s the context, stupid!” See you at ELAG2011!

P.S.: Ein paar Eindrücke von Helsinki (mit seinen wundervollen hellen Nächten im Juni) gibt es bei flickr.

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