Aus aktuellem Anlass: Zum Internationalen Tag der Sinti und Roma

In communities across Europe and around the world, Romani people have contributed in ways large and small to culture, music, and the arts.  This is also an occasion to commemorate the history of brave resistance against Nazi persecution. Protecting and promoting the rights of Romani people everywhere is a personal commitment of mine.  Far too often and in too many places, Roma continue to experience racial profiling, violence, segregation, and other forms of discrimination.  Individuals, organizations, and governments must establish the political, legal, and social landscape to encourage and value diversity.  I call upon European leaders to redouble their efforts to ensure that Romani people are not discriminated against in access to education, healthcare, housing and employment opportunities.” Hillary Clinton

Am 8. April 1971 versammelten sich mehrere Roma-Vertreter/innen zum Welt-Roma-Kongress in London, auf  den eine Vielzahl von politischen Forderungen zurückzuführen ist. Nach dem ebengenannten Kongress fand 1976 in Indien das Weltroma-Festival statt. Dabei handelt es sich um einen wichtigen symbolischen Akt, da  im Jahr 1000 nach Christus Angehörige der Roma aus Nordwestindien vertrieben bzw. versklavt worden sind. Durch Sprachvergleiche des Romanes (der Sprache der Roma) ist trotz dieser großen Zeitspanne die historische Herkunft aus Nordwestindien gesichert, obwohl Roma eine weitestgehend mündliche Überlieferungstradition pflegen.Dieser Tag ist zugleich Gedanktag der Porrajmos, dem nationalsozialistischen Genozid an Sinti und Roma. Am Internationalen Tag der Sinti und Roma streuen Roma in ganz Europa Blumen in Flüsse, Seen und Meere, um symbolisch die Verbundenheit mit Roma in allen Teilen der Welt zum Ausdruck zu bringen.

Jaisalmer Ayo! Gateway of the Gypsies from Melitta Tchaicovsky on Vimeo.

An dieser Stelle will ich keine historischen Rundumschläge und keine großen Ausführungen über die Geschichte der Romavölker vornehmen, da ohnehin ein Blogeintrag zu kurz wäre. Außerdem kann ich nicht ausführlicher auf Abschiebungen durch die Bundesregierung von Roma nach Ex-Jugoslawien eingehen. Tatsache ist, dass diese von Amnesty International und vielen anderen Menschrechtsorganisationen angeprangert wurden/werden. Ich will nur auf das Buch “Europa erfindet die Zigeuner” von Klaus-Michael Bogdal verweisen, das 2011 im Suhrkamp Verlag erschien. Bogdal weist in dieser spannend und anschaulich erzählten Geschichte nach, wie die Europäer zum verachteten Volk am unteren Ende der Gesellschaftsskala stets die größtmögliche Distanz suchten. Keine der unterschiedlichen Gesellschafts- und Machtordnungen, in denen sie lebten, ließ und läßt eine endgültige Ankunft in Europa zu. Ohne einen schützenden Ort sind sie seit ihrer Einwanderung vor 600 Jahren ständigen Verfolgungen und Ausgrenzungen ausgesetzt: in den Imaginationen der Kunst und in der politischen Realität.

Auch Günter Grass ist ein engagierten Fürsprecher, der mit seiner ‘Stiftung zugunsten des Romavolkes’, mit Auftritten vor dem Europarat und der Europäischen Investitionsbank Partei für diese größte Minderheit Europas ergreift. Ebenso mahnte der im letzten Jahr verstorbene Otto von Habsburg in seinem Buch “Unsere Welt ist klein geworden. Die Globalisierung der Politik” die mangelnde Anerkennung und Integration der Sinti und Roma an und verwies darauf, dass es sich um Bürger Europas handelt.

In welcher Form bieten Bibliotheken, Archive und Mediatheken einen Service für Roma und Sinti – aber auch für Bürger an, die fernab aller bekannten Klischees und Medienberichte ausgewogenere Informationen erhalten wollen? Die Hauptbücherei Wien am Urban Loritz Platz zählt vermutlich zu den wenigen öffentlichen Bibliotheken, welche einige Bücher in der Romanisprache im deutschsprachigen Raum anbietet. Viele Städte im Ruhrgebiet wie etwa Duisburg, aber auch anderswo in Berlin oder Ingolstadt verzeichnen einen Bevölkerungszuwachs durch Roma. Manche Städte ignorieren das, mit dem Verweis darauf, dass das illegale Campieren bald aufhört, da gewisse Baumassnahmen auf einem Gelände ohnehin bald beginnen und die Roma ohnehin ja nur betteln wollen. Die meisten sind EU-Bürger und wollen ein besseres Leben leben als in ihren Herkunftsländern. Rückführungen durch die französische Regierung wurden von der EU-Kommissarin Viviane Redding angeprangert. Die meisten der abgeschobenen Roma gingen danach wieder nach Frankreich zurück oder in ein anderes EU-Land. Wie kann in öffentlichen Bibliotheken ein ausgewogneres Bild über die Kultur, die Lebensweise und die Traditionen von Roma, aber von Sinti entstehen, die in Deutschland schon seit dem Mittelalter leben und die größte Roma-Gruppe stellen? Wie können Bibliotheken ihre Medien auf den Prüfstand stellen und ermitteln, ob sie nicht doch zu sehr die alten Stereotype und Klischees bedienen? In der Stadt, in der ich lebe, gibt es demnächst einen Kulturverein der Sinti. Die Menschen sind durchaus interessiert über ihr Leben, ihre Traditionen und ihre Kultur zu erzählen, die nicht so ganz den gängigen Klischees aus den Medien entsprechen. Bislang gibt es Aktionen der “Menschenbibliothek” in den Niederlanden und anderswo, bei der sich Neugierige auch Sinti und Roma “ausleihen” können. Dennoch gäbe es auch ein Riesenpotential an Storytellingprogramme und an Ideen auf andere Art und Weise die Kultur, Lebensweisen und Sprache an interessierte Menschen zu vermitteln.

Im folgenden Video kommt Romani Rose zu Wort, der über die Bedeutung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg spricht.

Germany: Documentation and Culture Centre for Roma and Sinti from Jake Bowers on Vimeo.

In Europa gibt es das “Roma Routes project“, das der EU-Bevölkerung  und auch den Volksgruppen selbst die Kultur, die Geschichte und Lebensweise von Romagruppen näher bringt. Das Projekt verfolgt folgende Ziele:

“1. Build a network of heritage organisations across Europe with interests in Roma cultural heritageDevelop a transnational network of Roma to create opportunities for understanding and exchange of ideas and knowledge of diversity and commonality of Roma cultural heritage at grass roots level

2. Provide a platform for promotion of Roma cultural heritage through a website related to activities, celebrations, festivals, and collections of heritage

3. Act as a seedbed of activities which will develop across Europe

4. Act as a catalyst for further transnational cooperation between Roma and heritage organisations and between Roma communities

5. Promote a non-confrontational means of communication between Roma and non-Roma communities

6. Lay groundwork for an application to the Council of Europe for  Roma Route of Culture and Heritage”

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[Zitat] Unkommentiert – 2010

“The librarian is not simply a checkout clerk whose simple task could be done by anyone and need not be paid for. Those who think that every expert can be replaced by a cheerful volunteer who can step in and do a complex task for nothing but a cup of tea are those who fundamentally want to see every single public service sold off, closed down, abolished.”

Philip Pullman

 

Zwei Videos über die interkulturelle Arbeit der Garden Library in Tel Aviv

It is true that a single library will not save the world. But until then the foreign communities are the weakest group in the population and there is no one who will be there for them. Where is the social justice when it is needed, and quickly, before another law or amendment is enacted that will also ban support for this welcome humanitarian initiative?” Esther Zandberg (Journalistin der Tageszeitung Haaretz)

An dieser Stelle will ich über die “Garden Library” im Levinsky Park in Tel Aviv berichten, die von einer möglichen Schließung bedroht ist und dringend finanzielle Förderung benötigt. Die vor zwei Jahren eröffnete Bibliothek ist für die Migranten Community und die Anwohner im Süden Tel Avivs eine wichtige Anlaufstelle. Seit der Eröffnung dieser Einrichtung, war sie immer mehr als “nur” eine Bibliothek: Kulturzentrum, Community-Zentrum, Treffpunkt und Anlaufstelle.

Die Bibliothek wurden von ARTEAM ins Leben gerufen und wird auch von dieser Gruppe unterhalten. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Künstlern, die sich aktiv für die Belange und Bedürfnisse ihrer vielfältigen Community engagiert. Sie besteht aus ZuwanderInnen aus unterschiedlichen Ländern, die als ErntehelferInnen, BauarbeiterInnen, KrankenpflegerInnen, RaumpflegerInnen und Flüchtlinge nach Israel kamen oder weil sie aus ihren Ländern vor Hunger, Folter, korrupten Diktaturen flohen. Die einzigartige architektonische Struktur befindet sich im Zentrum des Parks. 2/3 der 400.000 ausländischen EinwohnerInnen Tel Avivs, insbesondere im Stadtteil Neve Sha’anan, sind “illegal” im Land.

Sie verfügt über Bücher in 16 Sprachen, einschließlich hebräisch. Der Bibliotheksbestand besteht aus Büchern auf Nepalesisch, Thai, Mandarin, Hindi, Spanisch, Hebräisch, Rumänisch, Französisch, Arabisch und Tagalog (die am meisten verbreitete Sprache der Phillipienen). Die Bücher in Thai stammen von einem israelischen Unternehmer, der in Thailand eine Fabrik besitzt. Der Besitzer einer Buchhandlung für spanische Bücher überzeugte seine Kunden davon Bücher an die “Garden Library” zu spenden. Ebenso waren viel BotschaftsmitarbeiterInnen beteiligt, da sie in an deren Arbeitsorten Bücher in den jeweiligen Sprachen besorgten. Viel dazu hat auch das Außenministerium beigetragen, das mithilfe seiner MitarbeiterInnen Bücher aus anderen Ländern anschaffte. Wären dies nicht auch unkonventionelle Ideen und informelle Wege, welche vielen Bibliotheken auch hierzulande helfen würden ihren mehrsprachigen Bestand auszubauen? Ein Netzwerk mit Expatriats, BotschaftsmitarbeiterInnen, Philantrophen, PolitikerInnen und anderen international vernetzten Menschen zu bilden, um einen Bestand an mehrsprachigen Büchern aufbauen, der Vielfalt anerkennt und nicht nur wie hierzulande Bücher meist nur auf türkisch, russisch und chinesich anbietet?

Geführt wird die Bibliothek von ehrenamtlichen Männern und Frauen, angefangen von Rentnern, MusikerInnen, Künstlern, Fabrikdirektoren, Ingenieuren, AkademikerInnen, WirtschaftswissenschaftlerInnen und MitarbeiterInnen des Militärs. Die meisten von Ihnen sehen diese Aufgabe als Berufung an und verwenden ihre Freizeit hierfür. Institutionelle Partner des Projekts ist die städtische Hilfsorganisation Mesilla, die Stadtverwaltung und die staatliche Lotteriegesellschaft Mifal Hapais.

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Aus aktuellem Anlass: Die Stadtteilbibliothek in Bottrop-Boy wird nun endgültig geschlossen

Am 15.11. beschloß der Rat der Stadt Bottrop die Stadtteilbücherei sterben zu lassen.Bottblog berichtete über die Abstimmungsergebnisse:

Gegen die Schließung haben gestimmt: die Grünen, die DKP, die ÖDP, die Linke sowie die SPD-Ratsmitglieder Franz Ochmann, Josef Weiner und Michael Schajor. Für die Schließung haben alle übrigen Ratmitglieder der SPD, CDU und FDP votiert.”

Gelebte Integration in Bottrop bedroht” hieß es noch am 15.02.2011 durch Dörtes Blogeintrag. Im Juli war die Situation dann schon akut und es wurden Flaschmobs abgehalten und es gab Fernsehberichte. Zur Erinnerung zwei weitere Videos, welche vom Kunstkreis Bottrop e. V. und Herrn Sahin Aydin stammen, die auf Bottrop TV gesendet wurden. Vielleicht können diese Videos eine Anregung sein, wie Kommunalpolitik gemacht wird. Letztendlich wurde demokratisch abgestimmt und es war seit Monaten wohl deutlich, wie die Entscheidung ausfallen wird.

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Vorstellung des Bukarester Leseförderungsprojekts "Lecturi Urbane", das sich rumänienweit verbreitete

Du öffnest ein Buch, das Buch öffnet dich.“

Chinesisches Sprichwort

Im letzten Jahr hatte Dörte ja bereits mit ihrem Blogeintrag “Die Auflösung der Bibliothek als fester Ort” gewisse Entwicklungen näher dargelegt, wie sie die Hamburger Bücherhallen (Seite 29) in Kooperation mit der EKZ vorantreiben: Die Entwicklung von Containerbibliotheken

Nachdem Miriam Hölscher & Corinna Sepke 2010 den B.I.T.-Innovationspreis für ihre Masterarbeit “Moving Libraries: Mobile Bibliothekskonzepte als Antwort auf die Herausforderungen der modernen Informationsgesellschaft” diese Art von Bibliotheken einem breiteren Publikum bekannt gemacht hatten, wurde vermutlich deutlich, wie sich Bibliotheken bereits verändert haben, was vielen Bücher- und Bibliotheksfreunden vielleicht bis zu dieser erfolgreichen Masterarbeit  entgangen sein durfte.

An dieser Stelle soll eine Aktion vorgestellt werden, die Ähnlichkeit mit Bibliometro hat, aber bibliotheksunabhängig agiert: “Lecturi Urbane”

Ehrenamtliche HelferInnen folgen in regelmäßigen Abständen den Aufrufen, die auf der Webseite www.civika.ro angekündigt werden und treffen sich an einer bestimmten U-Bahnstation in Bukarest. Dort erhalten sie von den jeweiligen ProjektleiterInnen eine Tasche mit Büchern und gehen damit in die nächstbeste U-Bahn. Alex Sterescu schrieb 2010 sehr anschaulich wie die Fahrgäste in der U-Bahn durch die ehrenamtlichen HelferInnen auf das Projekt aufmerksam gemacht werden:

“Hier wird mit taktischem Geschick die Aufmerksamkeit der Fahrgäste geweckt: Einige der Teilnehmer kramen einfach ein Buch hervor und beginnen zu lesen, während die restlichen Volontäre den überraschten Metro-Reisenden ausgewählte Bücher schenken.”

Bei den Büchern handelt es sich zumeist um bereits gebrauchte Bücher. Mittlerweile konnten Sponsoren hinzugewonnen werden, die neue Bücher finanzierten. Die Bücherverschenkungsaktion, welche von der Bürgerinitiative CIVIKA ausging, zeigt, dass viele Menschen in den U-Bahnen Bukarests nicht unbedingt alle gerne lesen wollen, da sie gerade von der Arbeit heimkommen und erst einmal keine Lust auf Literatur haben. Menschen zum Lesen an öffentlichen Orten zu ermutigen ist das Ziel dieses Projekts.

Der Ideengeber Adrian Ciubotaru beschrieb die Reaktionen gegenüber der Kulturzeitschrift Dilemateca wie folgte:

“Es gab Fälle, in denen Menschen unsere Bücher mit der Begründung ablehnten, sie hätten bei der Arbeit die ganze Zeit auf ihren PC-Schirm gestarrt und davon Augenschmerzen bekommen. Die meisten waren allerdings erstaunt, dass eine Handvoll Jugendliche in der U-Bahn Bücher verschenkt. Und die große Mehrheit reagierte mit Bewunderung auf unsere Aktion, ich bin sehr zufrieden, dass uns die Leute ermutigt haben, die urbanen Lektüren fortzusetzen.”

Lecturi Urbani” mit Ciubotaru als Mastermind dieser inzwischen landesweiten Leseförderungsprojekts will eines Tages eine eine mobile „Underground-Bibliothek” einrichten. Im Gegensatz zu Bibliometro sollen sich die Bücherregale in den U-Bahnwägen befinden, die es den Fahrgästen erlaubt kostenlos Bücher “auszuleihen”. Nach aktuelleren Quellen hat sich diese Form der Leseförderung mittlerweile auch auf andere Städte und Plätze Rumäniens ausgedehnt. Auf Facebook sind mittlerweile 21 rumänische Städte, die über eine Fanseite von “Lecturi Urbane” verfügen, verzeichnet. Der Webauftritt macht sogar auf 31 Städte innerhalb Rumäniens aufmerksam, die sich ans “Lecturi Urbane” mit dem oben angefügten Logo beteiligen. Außerdem ist “Lecturi Urbane” auch auf Open Air Musikveranstaltungen präsent. Mittlerweile hat sich das Projekt aufs Land ausgedehnt und heißt dort: “Lecturi rurale

Alex Sterescu machte in einem Artikel aus dem Jahr 2010 deutlich, das insbesondere nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Lesekultur in Rumänien vernachlässigt wurde. Einer Studie zufolge lesen 30 % der RumänInnen überhaupt nicht, weiter 30 % lesen nur 1-3 Bücher im Jahr. Weiterlesen

Der Kampf des Bürgervereins in Magdeburg-Salbke um den Erhalt der Freiluftbibliothek und des Ladenlesezeichens

“Die beiden Architekten Stefan Rettich und Bernd Hafermalz konnten namhafte Mitbewerber wie Herzog & de Meuron und Thomas Heatherwick’s aus dem Feld schlagen.Das preiswerte und flexible Museumskonzept beziehe die Magdeburger als intelligente und verantwortungsvolle Mitbürger ein, so die Jury in London. Denn die Freilichtbibliothek ist mehr als nur ein besonders geformtes Gebäude: Anwohner können ihr Bücher dort ins Regal stellen, andere sie vor Ort lesen. Mittlerweile beherbergt die Bibliothek 30.000 gespendete Bücher.”

Deutsche Welle

Gibt es eigentlich ein Haltbarkeitsdatum für Bibliotheken? Ähnlich wie bei den Bücherzellen und offenen Bücherschränken verhalten sich nicht immer alle MitbürgerInnen verantwortungsvoll und respektvoll gegenüber öffentlichen Gütern und an öffentlichen Orten. Bereits Anfang Juli berichtete die Magdeburger Volksstimme über den Salbker Bürgerverein und die Architekten, die einen offenen Brief an den Oberbürgermeister (OB) und die Stadtratsfraktionen schrieben und darin die ungenügende Hilfe und das fehlende Engagement der Stadt beklagen. Vandalismus und Zerstörungswut waren der Anlass:

“… Sie schauen seit Monaten tatenlos zu, wie eine kleine Gruppe von Chaoten den Verdienst der engagierten Bürger von Salbke in Trümmer legt. Wir haben Sie schon vor Monaten darüber in Kenntnis gesetzt, dass an den Wochenenden bis zu vierzig schwer alkoholisierte Jugendliche und Heranwachsende aus verschiedenen Stadtteilen den kleinen Leseplatz in eine No-Go-Area verwandeln, in die sich nicht einmal mehr die direkten Anwohner trauen, um die Störenfriede zur Ordnung zu rufen. Es wird randaliert, das Objekt wird demoliert, beschmiert, Bücher werden zerrissen und säckeweise Müll hinterlassen, die dann von den Bürgern entsorgt werden und nicht von Ihren Ämtern, die den Unterhalt des Objektes vertraglich zugesichert haben! – Es gleicht einer Farce, wenn Sie (der Oberbürgermeister d. Red.) in Ihrem Brief, datiert vom 10. Mai 2011 schreiben, ,ich (…) versichere Ihnen ein funktionierendes und gutes Zusammenspiel unserer Ämter und der Polizei.’ Auch heute, mehr als sechs Wochen nach dem Schreiben ist das Objekt unverändert in einem erbärmlichen Zustand. Dies liegt unter anderem auch an der mangelhaften Unterhaltung. Die Rasenpflege und die Leerung der Mülleimer erfolgt in einem Turnus, der bei weitem nicht der Nutzungsintensität des Objekts entspricht. All diese latenten und hausgemachten Faktoren der Verwahrlosung laden gewaltbereite Personen geradezu dazu ein, Vandalismus zu begehen.”

Seit dieser Zeit hatte der OB seinen zuständigen Beigeordneten “mit einer umfassenden Prüfung der Sachverhalte beauftragt”. Trotz meiner Recherchen habe ich keine adäquate Antwort von Seiten der Lokalpolitik auf diesen offenen Protestbrief finden können.  Weder die Magdeburger Volksstimme noch Engagierte auf der Webseite http://www.salbke-magdeburg.de berichteten über Ergebnisse eine Antwort des OB und dessen Beigeordneten, obwohl dies ja ursprünglich nur einige Tage dauern sollte. Doch warum lässt sich die Lokalpolitik solange Zeit? Spielt sie auf Zeit oder soll der Bürgerverein nun auch soziale Probleme lösen? Die Freiluftbibliothek in Magdeburg, die 325.000 € kostete, gewann mehrere Architekturpreise und wurde auf niederländischen, französisch-,  englischprachigen und weltweiten Webseiten lobend erwähnt. 2009 schrieb Dörte zur Eröffnung:

“Eine Mischung, die es in sich hat: ein Bürgerverein, eine ausgemusterte Kaufhausfassade und 20.000 Bücher. Das alles wird mit einem Modellvorhaben des Bundes gut gemischt und als Platz dient eine freie Fläche im Magdeburger Stadteil Salbke. Auf der Brache der früheren Ortsbibliotek wird eine Freiluftbibliothek mit Bühne von den Karo Architekten (Magdeburg) am 20.06.09 eröffnett. Sie soll als Begegnungszentrum für Jung und Alt dienen.”

Der am 1. Juli in der Magdeburger Volksstimme veröffentlichte Artikel “Lesezeichen: Salbker sehen sich im Kampf gegen Chaoten alleingelassen” erwähnte sogar, dass im Deutschen Architekturmuseum das “Salbker Lesezeichen” – sprich die Freiluftbibliothek –  sogar als bester öffentlicher Raum Europas gefeiert wird. Doch wie auf dem Foto zu sehen ist, fehlt nur noch, dass die Bibliothek von rebellierenden Jugendlichen wie 2007 im Pariser Vorort Villiers-le-Bel angezündet wird. Bislang gibt es an der Magdeburger Freiluftbibliothek immer wieder Graffiti-Schmierereien, zerkratzte Wände und Scheiben und auf dem Boden zerstreute Bücher zu besichtigen. Lobend wird im Artikel erwähnt, dass es auch Jugendliche gab, die im Mai bei der Beseitigung der Schäden mithalfen. Doch kann kulturelle Bildung in Form des Lesens von Büchern Jugendliche von Gewalt und Hass gegenüber Büchern und innovativen architektonischen Konzepten abhalten? Das Beispiel Magdeburg zeigt, dass Jugendliche, die wenig (berufliche) Perspektiven haben, sich an ihrer Umwelt in irgendeiner Weise rächen müssen oder es einfach wollen. An Wochenenden scheint dieses Gelände eher ein “No-Go-area” zu sein und der Mob ist da anscheinend ganz unter sich und kann tun und lassen, was ihm gefällt.  Der Verein reagierte nach diesen blindwütigen Zerstörungen: Er engagierte einen Sicherheitsdienst, der Jugendliche, welche dort an Wochenenden “abhängen” Platzverweise ausprach. Hinzu kamen Kontaktgespräche mit der zuständigen Polizei. Dies brachte aber nicht den erhofften Erfolg. Rainer Mann, ein Mitglied des Bürgervereins Salbke hob hervor, dass die Stadt Magdeburg Eigentümer des Grundstücks und der Bibliothek ist. Es sei Aufgabe der Stadt sich regelmäßig um die Entleerung der Mülltonnen, die Wiederherstellung der Bauteile und um die Reinigung der Außenflächen kümmern müsse.

Bisher ist die Freiluftbibliothek noch nicht als gesamtstädtische Bildungs- und Kultureinrichtung annerkannt. Dabei wisse doch jeder, dass die Hemmschwelle Dinge zu zerstören, an Orten sinkt, die stets unterhalten und gepflegt werden. Hinzu kommt, dass vor kurzem das Gebäude in der Straße Alt-Salbke 75, in dem die Bücherausleihe stattfindet und der Bürgerverein untergebracht ist, bald vom neuen Eigentümer übernommen werden. Dieser will den Verein mit seiner Buchausleihe nicht mehr dort unterbringen. Dennoch mache ich mir aufgrund des großen Leerstands an Läden kaum Sorgen, dass dieses Problem bald gelöst sein wird. Mehr Grund zur Sorge könnten den Vereinsangehörigen und NutzerInnen der Freiluft- und Bürgerbibliothek die Tatsache bereiten, dass die lokalen PolitikerInnen, die sich einst bei der Eröffnung noch das ehrenamtliche Bürgerengagement des Vereins und dessen Mitglieder lobten, nun aus dieser Verantwortung mehr und mehr heraushalten werden, wenn nicht ein größerer Protest in der Lage ist, das Freiluft- und das Ladenlesezeichen langfristig zu halten. Eine Konsequenz dieser Ungewissheit ist die Absage des im September geplanten Salbker Stadtteilfests, das der Bürgerverein jährlich ausrichtet. Sollten nicht bald neue Räumlichkeiten gefunden werden, müssen die Vereinsmitglieder die Bücher “einlagern”. Doch worum handelt es sich bei Fleisch, das (ein-)gelagert wird? Ja, um tote Tiere: Weiterlesen

Aus aktuellem Anlass: Die Schließung der Bibliothekszweigstelle Bottrop-Boy wurde vor kurzem beschlossen

Vor wenigen Monaten berichtete Dörte ja bereits in ihrem Blogeintrag “Gelebte Integration in Bottrop bedroht” über die im Sterben “liegende” “Lebendige Bibliothek” in Bottrop-Boy, die nun im Januar 2012 im Rahmen der Haushaltskonsolidierung getötet werden soll. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Einsparung zweier hauptamtlich Beschäftigter. Momentan arbeiten in dieser Bibliothek schon neun ehrenamtliche Kräfte. Leider sind Kultureinrichtungen, welche die Funktion soziokultureller Zentren erfüllen besonders in den Regionen Deutschlands vom Aussterben bedroht, die durch eine Strukturschwäche und Deindustrialisierung gekennzeichnet sind. Die Unerklärlichkeit solcher politischer Entscheidungen lassen die Vorzüge einer solchen Einrichtung völlig unberücksichtigt:

“In Laufe der Zeit hat sich ein funktionierendes soziokulturelles Projekt entwickelt, das neben den klassischen Aufgaben einer Bibliothek die Integrationsarbeit in den Vordergrund rückt. Die Bibliothek bietet die Möglichkeit, dass sich Deutsche und Migrantenkinder austauschen, gemeinsam miteinander spielen, lesen, singen und basteln. Es sind wundervolle Kooperationen mit Schulen und Kindergärten entstanden. Damit kommt der Bibliothek im Bereich der Integration und Bildung eine besonders große Bedeutung für den Stadtteil Boy zu. Die Bibliothek stellt auch einen wichtigen Anlaufpunkt für die Bewohner des benachbarten Seniorenheims dar. Die Schließung der Bibliothek würde also das sich über Jahre selbst entwickelte funktionierende Konzept und die Arbeit insbesondere auch der neun ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen zerstören. Angesichts der bestehenden Integrations- und Bildungsproblematik ist es unerklärlich ein über Jahre gewachsenes funktionierendes Konzept einfach aufzugeben!.”

Der folgende eindrucksvolle Fernsehbeitrag des WDR vom 26.04.2011 konnte daran ebensowenig ändern, wie 1.700 Unterschriften. Für viele PolitikerInnen zählen eingeschriebene aktive LeserInnen mehr als Menschen, die den Ort der Bibliothek zur Kommunikation und zum gemeinsamen Miteinander nutzen. Es war für die politischen VertreterInnen ein großes Argument, dass die Bibliothek “nur” noch 310 eingeschriebene LeserInnen hat, statt wie im letzten Jahr 410 aktive LeserInnen.

Ein am 18.06.2011 durchgeführter Flashmob in der Bottroper Innenstadt um „5 vor 12″ konnte zwar den Unmut vieler Bürger nochmals deutliche Aufmerksamket verschaffen, aber am Ende hieß es mithilfe von SPD und CDU-Stimmen “Ja zur Zweigstellen-Schließung“, wodurch nun 35.000 € jährlich eingespart werden können.

Doch welche Folgewirkungen dies haben könnte, habe ich bereits am 16. Januar diesen Jahres in Form von Fragen formuliert:

“Wie groß ist eigentlich  der finanziell schwer zu bezifferende Schaden, der durch  die gezielten “Bibliothekstötungen” zustande kommt? Oder wie stehen Bürger einer Kommune heute da, deren Bibliothek vor 10 Jahren oder mehr geschlossen wurde? Hatte die Schließung keinerlei Konsequenzen für ihr Wohlbefinden oder traf sie diese sehr hart, da die Nutzung der Angebote der Bibliothek Teil ihrer Freizeit waren oder gab es Alternativlösungen? Was passierte mit den arbeitslos gewordenen BibliothekarInnen und den bibliotheksarm gewordenen EinwohnerInnen, für welche die Bibliothek ein Informations- und Kommunikationssort war?”

Leider ist vielen PolitikerInnen in Deutschland entgangen, dass Bibliotheken keine Bücherleihstellen mehr sind, wie nach dem 2. Weltkrieg als Bücher im Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten keine Wegwerfartikel waren. Zurzeit werden in vielen Städten Kürzungen des Programms “Soziale Stadt” vorgenommen. Ein mir nun bekannter Professor eines Lehrstuhls für Soziologie setzt sich zusammen mit seiner MitarbeiterInnen dafür ein, dass die erfolgreiche Stadtteilarbeit vor dem Aus bewahrt wird. Wäre es nicht ein Zukunftsmodell, dass bedrohte Bibliotheken, die soziokulturelle Funktionen erfüllen zusammen mit Soziologen und Professoren der Bibliotheks- und Informationswissenschaften vor dem Untergang/der Schließung bewahrt werden? Unterschriften, Flashmobs und Appelle an PolitikerInnen haben in dem vorliegenden Fall, ja leider trotz einer Verzögerung der Schließung, diese nicht wirklich verhindern können. Was sind also die Erfolgsrezepte, um zukünftig einen solchen kommunalen Aderlaß zu verhindern?

"The Heart of the City": Ein neues Imagevideo der London Public Library in der Provinz Ontario (Kanada)

Drehort Bibliothek: Ein französischer Werbespot zur Förderung des ehrenamtlichen Engagements

2011 ist dasEuropäische Jahr der Freiwilligkeit“, und die Politik in der Bundesrepublik wird nicht müde, das soziale, ehrenamtliche Engagement der Bevölkerung zu beschwören. […] Rund 23 Millionen, ein Drittel der Bevölkerung über 15 Jahren, sind hierzulande ehrenamtlich tätig, von ein paar Stunden pro Jahr bis zu vielen Stunden in der Woche. In manchen EU-Ländern ist ihr Anteil sogar noch höher; Weiterlesen

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