Zum einjährigen Bestehen der interkulturellen Kinderbibliothek "Il était une fois…" in Luxemburg-Gasperich

“Wenn in einer mehrsprachigen Umgebung eine mehrsprachige Erziehung nicht gelingt, dann sind dafür verschiedene Faktoren verantwortlich, die wir kennen müssen, um ihnen in der Erziehung zu begegnen. Auf jeden Fall ist sicher, dass eine gute Sprachkompetenz in einer Sprache ein besseres Lernen einer oder mehrerer anderer Sprachen ermöglicht. Kindergärtner(innen) bestätigen: Kinder mit guten Erstsprachkenntnissen lernen schnell und zuverlässig die zweite! […] Denn wenn die Ausbildung in der Erstsprache stagniert, ist auch die Entwicklung in der Zweitsprache in Gefahr. […] Medien können aber auch eine positive Rolle beim Spracherwerb und überhaupt beim Lernen spielen, wenn man sie denn richtig einsetzt.” Dr. Sabine Schiffer

Vor dem Hintergrund der Aktualität des Themas der Sprachförderung und  prioritär der Förderung der Muttersprache im Besonderen, welche durch den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan vor wenigen Wochen in Düsseldorf ausgelöst wurde, habe ich ein Best Practice Beispiel aus Luxemburg gefunden, das ich an dieser Stelle vorstellen will. Vor etwa einem Jahr wurde die multikulturelle Bibliothek für Kinder „Il était une fois“ in Luxemburg-Gasperich eröffnet.  Die Vorsitzende des Vereins, der sich ebenso „Il était une fois“ nennt, war über dieses Jubiläum sehr glücklich. Ob es wohl mehr solche Bibliotheken in Luxemburg gibt oder war dies erst der Anfang? Die Bibliothek an sich will nicht als traditionell gelten. In Luxemburg ist der Anteil der Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit am höchsten in Europa und in Luxemburg ist Mehrsprachigkeit kein Novum, als was  es hierzulande gerne gesehen wird, sondern gelebter Alltag.  Dort beträgt die Quote der Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit  43, 5 % und liegt weit vor Ländern wie Deutschland  mit ewa 8 %. Die Bibliothek verfügt über eine Leseecke, in der sich Eltern mit ihren Kindern treffen können und gemeinsam in Bücher schmökern können.  Die Bibliothek richtet sich an Kinder im Alter von 0 bis 12 Jahren. Sie bietet auch Ateliers (Musikworkshops und Leseworkshops) an. Inhalt dieser Ateliers sind Rollenspiele, Diskussionen und Malaktivitäten. Dies bietet den Kinden die Möglichkeit ihre Muttersprache zu verbessern. Samstags zwischen 15 und 18 Uhr finden diese Ateliers statt. Als die Bibliothek vor einem Jahr ihren Betrieb aufnahm, gab es Bücher in elf verschiedenen Sprachen. Mittlerweile hat sich der Bestand vergrößert und auch die Anzahl der Sprachen. Es gibt Bücher in luxemburgischer, deutscher, französischer, englischer, holländischer, spanischer, albanischer, schwedischer, dänischer, griechischer, serbokroatischer, polnischer, italienischer und portugiesischer Sprache. Die Vereinigung “Il était une fois” kooperiert auch mit Schulen und Kinderbetreuungsstätten. Das ermöglicht dann LehrerInnen, ErzieherInnen und BetreuerInnen ihren Wortschatz zusammen mit Kindern zu erweitern.  Besonders beeindruckt hat mich der Webauftritt der Bibliothek: www.iletaitunefois.lu Insgesamt ist die Webseite in acht verschiedene Sprachen verfügbar. Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass die Bibliothek leider nur ehrenamtlich von etwa 17 freiwilligen Helferinnen betrieben wird. Weiterlesen

Vorstellung der Sony Reader der “Skokie Public Library” (Illinois, USA) durch eine Bibliothekarin

Eine Bibliothekarin der Stadtbibliothek in Skokie erklärt den ZuschauerInnen im folgenden Video , wie man  die von der Bibliothek bereitsgestelltens E-bookreader benutzt.

P.S: Eigentlich ist Skokie nur ein Dorf, aber in der Öffentlichkeit vermarktet es sich als das weltgrößte Dorf der Welt. Damit hat das Dorf nicht unrecht, denn 42 % der Einwohner sind nicht in den USA geboren.  Der Stadtbibliothek wurde 2008 mit vier anderen Bibliotheken und Museen die höchste nationale Auszeichnung zuteil, die Bibliotheken in den USA bekommen können: Die “National Medal for Museum and Library Service

Ein Blick auf die Facebookfanseite der Bibliothek, deren Twitteraccount und ihre Webseite mit vielen Dienstleistungsangeboten, will ich an dieser Stelle unbedingt empfehlen.

Was die Bibliothek ferner auszeichnet und wofür sie sicherlich den ebengenannten Preis erhielt, ist ihre vorbildliche Zielgruppenarbeit:

When visitors arrive at the library, they are greeted by large banners that say “library” in 14 different languages; inside, the multilingual signage continues, with “welcome” written on a number of walls. On the library’s Web home page and above the foreign-language book section (which contains almost 20,000 titles in 18 different languages), flags of many nations are on display. Additionally, there is a “recent immigrants” page on the library’s SkokieNet Web site—which has the distinction of being one of the first library-sponsored community Web sites in the country—with information on topics from becoming a citizen to getting a Social Security card. All of these steps have been taken to ensure that every person in Skokie feels comfortable spending time in his or her community library.”

Aus aktuellem Anlass: Der Europäischen Tag der Sprachen und was die Hauptbücherei Wien hierzu anbietet

Obviously, there is diversity, but Europe is a union of diversity. Jean-Pierre Raffarin

Was macht eigentlich Ihre Bibliothek heute anläßlich des  “Europäischen Tags der Sprachen“? In der  Hauptbücherei Wien steht heute alles im Zeichen dieses europäischen Tages,  der die Vielfalt an Sprachen durch Workshops und mit Schnupperkursen in Wolof, Hebräisch, Arabisch, Russisch u.v.m. widerspiegelt. Im Jahr 2001 wurde das „Europäische Jahr der Sprachen” von der EU und dem Europarat erstmals ausgerufen, um Sprachenvielfalt zu fördern. Die Initiative der EU dient der Wertschätzung unterschiedlicher Sprachen und Kulturen mit der Intention sich Sprachkenntnisse anzueignen und auf die Vorteile der Mehrsprachigkeit hinzuweisen. Laut Martina Adelsberger, die für die Durchführung des “Europäischen Tags der Sprachen” verantwortliche Person, ist das Interesse an Schnupperkursen sehr groß.  Besonders beliebt waren im letzten Jahr die romanischen Sprachen, aber auch asiatische Sprachen wie Chinesisch oder Japanisch. Nahezu auf keiner Interesse stießen die Sprachen, welche bedingt durch Arbeitsmigranten ins Land Österreich kamen: Türkisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch

We should never denigrate any other culture but rather help people to understand the relationship between their own culture and the dominant culture. When you understand another culture or language, it does not mean that you have to lose your own culture.”
Edward T. Hall

Ein weiteres Ziel, welches an diesem Tag der Sprachen verfolgt wird, ist Kindern das Bewußtsein für deren Muttersprache zu schärfen. Der Gedanke, dass jede Sprache gleich viel Wertschätzung erfahren sollte und das Beherrschen von Fremdsprachen eine Bereicherung darstellt steht dabei im Vordergrund.  “Geschichtenzeit” nennt sich die für Kinder ab 4 Jahren entwickelte Veranstaltungsreihe. Auf dem Kinderplanten der Hauptbücherei, “Kirango” genannt, werden am “Europäischen Tag der Sprache” Geschichten auf Deutsch und auf Tschechisch vorgelesen. Bei dem an diesem Tag angebotenen Workshop geht um die Mehrsprachigkeit, die den TeilnehmerInnen ein Gefühl dafür geben sollen, wie deren Mehrsprachigkeit in ihnen bereits vorhanden ist. An diesem Tag bietet die Hauptbücherei Wien Führungen an, in denen sie sich als “Ort der Sprache” darstellt. Als “Ort der Sprachen” präsentiert sich die Hauptbücherei im Rahmen einer Führung zum Thema Sprache. Hierbei wird auf den umfangreichen Bestand  Sprachlernmedien verwiesen und der Vielfalt an fremdsprachigen Filmen und Belletristik. Ein Mittel, um die Besucher für das Thema zu begeistern, ist das in Großbritannien weit verbreitete “Pubquiz”. Bei diesem Spiel gibt es verschiedene Teams, die Fragen rund um das Thema Sprache beantworten müssen. Für alle GewinnerInnen gibt es Preise wie etwa Sprachkurse, Büchergutscheine oder eine kostenlose Jahreskarte für die städtischen Büchereien Wiens. Weitere Highlight bei der die Volkshochschule Wiens und andere Institutionen beteiligt sind, ist die Lange Nacht der Sprachen, welche durch das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur finanziert wird und zum dritten Mal stattfindet.

Die Gefängnisbücherei auf Guantánamo (USA)

“He who does battle with monsters needs to watch out lest he in the process becomes a monster himself. And if you stare too long into the abyss, the abyss will stare right back at you.” Friedrich Nietzsche

Bisher war mir nicht bekannt, dass es im Gefangenlager auch eine Bibliothek (“Delta Camp library“) für die Häftlinge gibt. Unter der Überschrift “Harry Potter and the Prisoners of  Guantánamo” veröffentlichte Huffington Post einen Hinweis auf einen im Time Magazine erschienen Artikel mit der Überschrift  “What Prisoners Are Reading at Gitmo” von Kayla Webley.  Dieser Artikel hat durchaus Unterhaltungswert und vermittelt dem Leser den Eindruck, es handele sich um ein ganz normales Gefängnis. Auch die französische Tageszeitung “Le Monde” und der britische Guardian versuchten medientauglich mit der folgenden Überschrift die vermeintlich allerletzten Geheimnisse des Lagers zu entlocken: “Guantánamo Bay library’s most wanted books? Anything but Barack Obama“.  Bevor ich näher auf die Bibliothek und deren Echo aus den Medien eingehe, sollte ich kurz etwas zum Lager erwähnen. Die Fläche der Halbinsel Guantánamo von 117 km² wird seit 1903 von den USA gepachtet, aber eigentlich verlangt Kuba seit einigen Jahren schon mit Nachdruck die Rückgabe des Gebietes. Ursprünglich sollte das  Lager von Guantánamo im Januar 2010 geschlossen werden.  Aus verschiedenen Gründen wird sich die Schließung aber noch bis auf weiteres hinauszögern. Ende Juni diesen Jahres berichtete die New York Times darüber, dass es immer unwahrscheinlicher wird, dass das Lager Guantánamo vor dem Ende der Amtsperiode Obamas geschlossen wird. Einer Umfrage aus dem März 2010 zufolge, die im selben Artikel zitiert wird, würden 60 % der US-Amerikaner sich wünschen, dass das Lager erhalten bliebe und weiterhin genutzt würde. Für Journalisten, Reporter, Abgeordnete des Kongreßes und anderen Gäste, wird die Bibliothek als Vorzeigeeinrichtung des Gefangenlagers von Guantánamo genutzt, um zu zeigen, dass das Lager eigentlich ein sicherer, menschlicher und von Transparenz gezeichneter Ort ist, wie der Miami Herald am 10.11. 2009 schrieb. Andere “normale” Gefängnisse haben auch Büchereien und verfügen über Einrichtungen, die das Leben in solchen Extremsituationen und in der Isolation von der Außenwelt erträglicher machen, aber wird ein Lager, das gegen die UNO-Menschrechtskonvention verstößt durch eine Bücherei und eine harmlose Berichterstattung “menschlicher” und von der Weltbevölkerung mehr akzeptiert als bisher? Insgesamt verfügt die Bibliothek über 18.000 Medieneinheiten in 18 Sprachen (z.B. Urdu, Usbekisch, Arabisch oder Farsi) bei 176 Inhaftierten. Durch die Verlegung und Entlassung von Häftlingen ist dies ein durchaus beachtlichte Quote (das Verhältnis Medienbestand zu den Nutzern). Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die Harry Potter Bände, von Dan Brown verfasste Bücher, aber auch Klassiker von John Grisham und bis hin zu Agatha Christie. Wenn das Militär Schwierigkeiten hat Titel in einer bestimmten Sprache ausfindig zu machen, kommt das “International Committee of the Red Cross” manchmal zu Hilfe beim Bestandsaufbau zur Hilfe. Weiterlesen

Interkulturelle Bibliotheksarbeit mal anders: Bibliomigra – eine fahrende und mehrsprachige Bibliothek in Turin

„Toleranz sollte nur ein vorübergehender Zustand sein, er muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ Johann Wolfgang von Goethe

Der am 21.05. jährlich begangene UNESCO-Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung bot Anlass mich eingehender mit dem Projekt  der Künstlergruppe Arteria mit dem Namen Bibliomigra zu beschäftigen. Der kreative Ideengeber von Bibliomigra heißt Davide Serra.

Doch zuerst sollen die politischen Voraussetzungen näher erläutert werden, welche diese Initiative erleichterten. Vor kurzem widmete sich der Courrier International in einer Übersetzung eines Artikels aus La Stampa der Stadt Turin. Seit Ende April 2010 hat sich mit Erringen der Mehrheit der Lega Nord bei den Regionalwahlen in Piemont, dessen Hauptstadt Turin ist, das politische Klima auch dort verändert. Francesco Jori zufolge, reicht es nicht aus den Wahlerfolg dieser Partei allein durch den von ihnen propagierten Rassismus und ihrer Intoleranz gegenüber EinwanderInnen und dem starken Populismus, sowie den antieuropäischen Ressentiments alleine zu begründen.

Turin ist aufgrund der politischen Machtverhältnisse im Stadtrat im Vergleich mit anderen italienischen Städten, gegenüber ZuwanderInnen viel freundlicher und integrativer und nähert sich dem Thema Migration anders als viele italienische Kommunen, die eigentlich eher durch Negativschlagzeilen in jüngster Zeit auf sich aufmerksam machten. Den Vereinten Nationen zufolge ist Turin ein Best Practice Modell für die Integration von Migranten. Die illegale und “unsichtbare” Einwanderung ist insbesondere in Turin in den letzten Jahren zu einem wachsenden Phänomen geworden. Im historischen Stadtteil, in Borgo Dora/Porta Palazzo, beträgt der Anteil der Migranten 50 %.  Kleine unabhängige Vereine und Gruppen, wie die Initiative von Arteria, nutzen die “Straße” als einen Ort der interkulturellen Kommunikation und Prozessen der aktiven Staatsbürgerschaft.  Bibliomigra, eine mehrsprachige fahrende Bibliothek, bietet – alleine durch seine Präsenz in verschiedenen Teilen der Stadt – Literatur unterschiedlichster Art an. Bei den beiden Fahrzeugen handelt es sich um zwei alte Apecars der Marke Piaggio, die so umfunktioniert wurden, wie auf dem Bild oben oder im Film unten zu sehen ist. Das Projekt läuft seit drei bis vier Jahren und MitarbeiterInnen von Arteria steuern vor allem Porta Palazzo an, der Platz für den größten Freiluftmarkt Europas bietet. Zweimal pro Woche in der Zeit von 18:30 Uhr und 21:30 Uhr kümmern sich die MitarbeiterInnen von Arteria vor allem um junge Migranten, die dort “abhängen”, wie es Antonella Aduso, die Vize-Präsidentin von Arteria, ausdrückte.

Aufgrund der Budgetkürzungen sind die beiden Fahrzeuge von Bibliomigra nur noch jeweils ein bis zweimal in der Woche unterwegs, statt wie früher drei bis viermal pro Woche.  Arteria ist die Nichtregierungsorganisation, welche diese kreativen Projekte durchführt. Ein weiteres vorbildliches Projekt nennt sich Una Finestra Sulla Piazza (‘A Window onto the Square’). Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von soziokulturellen Akteuren, welche sich um unbegleitete Migrantenkinder  kümmern. Darüber hinaus macht diese strategische Wieder-Aneignung des öffentlichen Raumes die Flüchtlinge und marginalisierten Gruppen, deren sozialer und kultureller Status ansonsten versteckt und vernachlässigt würde, sichtbarer gegenüber der sogenannten Mehrheitskultur.  Hierbei wird mit jungen Menschen gearbeitet, indem mit ihnen Fußball, Basketball, Badminton, Volleyball, Jenga, Schach und vieles mehr gespielt wird. Außerdem werden Flyer in den Rathäusern der Bezirke  und bei örtlichen Nichtregierungsorganisationen verteilt, um die Menschen über die Projekte zu informieren und die Kontakte und Begegnungen herzustellen.

Im Moment gibt es zwei Bibliomigra-Fahrzeuge, wobei eines im 7. Bezirk unterwegs ist und von der Stiftung Compagnia di San Paolo finanziert wird, wie mir Antonella Aduso verriet Das zweite Fahrzeug, wird hauptsächlich im 3. Bezirk von Turin eingesetzt. Bibliomigra ist sowohl für ZuwanderInnen als auch für Italiener wichtig. Die angebotenen Bücher gibt es nicht nur in Fremdsprachen, sondern auch in italienischen Dialekten.  Weiterlesen

Aus aktuellem Anlass: der 5. Geburtstag der Hannah-Arendt-Bibliothek in Hannover

Jeder Mensch braucht eine Heimat, eine Heimat, die Boden, Arbeit, Freude, Erholung, geistigen Fassungsraum zu einem natürlichen, wohlgeordneten Ganzen, zu einem eigenen Kosmos zusammenschließt. Die beste Definition von Heimat, das ist eine Bibliothek“. (Elias Canetti)

Dieses Zitat aus Canettis Roman “die Blendung” beschreibt sehr anschaulich, welche Bedeutung gerade die Hannah-Arendt-Bibliothek und viele andere Bibliotheken für Menschen haben, deren eigentliche “gefühlte” Heimat nicht Deutschland ist. Dennoch bezieht sich dieses Zitat auch auf uns BibliothekarInnen, da wir die Aufgabe haben/hätten den “geistigen Fassungsraum”, den Ort der Erholung und der Freude  anderen zu vermitteln und mehr Menschen teilhaben zu lassen an einer “zweiten Heimat Bibliothek”. Vor wenigen Tagen, am 06.05.  feierte die Hannah-Arendt-Bibliothek in Hannover ihren fünften Geburtstag. An dieser Stelle gratuliere ich nachträglich, indem ich etwas ausführlicher auf diese Einrichtung eingehe. In der Zeit zwischen 14 und 15 Uhr war die Bibliothek  gestern für BesucherInnen geöffnet. Die normale Öffnungszeit der Bibliothek ist Montag bis Donnerstag zwischen 14 und 18 Uhr. Als Dokumentationszentrum und Präsenzbibliothek können aber auch andere Zeiten vereinbart werden.

Auf Anfrage an Walter Koch, konnte ich die folgenden Einzelheiten über die Entstehungshintergründe in Erfahrung bringen:

“Am 6. Mai 2005 trug Oskar Ansull, Mitbegründer des Hannah Arendt Stipendiums für bedrohte Autoren, dazu bei, dem Ort und dem Ortsgeist einen Namen zu geben. Schon lange fügten sich im hannoverschen Universitätsviertel, aber auch im Stadtteil Linden Fluchtbibliotheken (Iranische Bibliothek, Nordafrika-Bibliothek, Kurdische oder Pontisch-griechische Bibliothek) zu Räumen babylonischer Kommunikation. Diese kaum bekannten Blüten der Vielsprachigkeit sollten durch das Angebot eines einigenden Bandes ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Eine Bibliothekslandschaft, die die Aura der Durchreise und der Vergeblichkeit nicht kaschiert. Kurz, am 6. Mai 2005 hatten wir eine hannoversche Hannah-Arendt-Bibliothek aus der Taufe gehoben, die vom Heimat- und Paradiesversprechen (J. L. Borges) des „Bibliothekstraumes“ nicht lassen kann.”

Einer der Hauptgründe,  weshalb die Bibliothek nach Hannah Arendt benannt ist, liegt in ihrer eigenen Biographie begründet und in ihrem Werk, in dem sie sich mit den Fragen der Identität, der  Zugehörigkeit, den Themen Flucht und   Nationalstaat auseinandersetzte. In ihrem 1943 erschienenen paradigmatischen Essay “Wir Flüchtlinge” (“We Refugees“), der erst 1986 auf deutsch veröffentlicht wurde und vom politischen Selbstverständnis von Flüchtlingen handelt,  schrieb sie unter anderem:

“Die Gesellschaft hat mit der Diskriminierung das soziale Mordinstrument entdeckt, mit dem man Menschen ohne Blutvergießen umbringen kann; Pässe oder Geburtsurkunden, und manchmal sogar Einkommensteuererklärungen, sind keine formellen Unterlagen mehr, sondern zu einer Angelegenheit der sozialen Unterscheidung geworden.“

“Für H. Arendt sind es die selbstbewussten Flüchtlinge, welche “ihre Identität aufrechterhalten”. Sie sind es, die Politik zur Angelegenheit der Bürger machen. Arendt kennt Gesellschaften, deren Verfassung bereits auf den Flüchtlings-schiffen verabredet wurde. Die Mayflower-Auswanderer und ihre Enkel sind die politischen Akteure, die sich Ihre Gesetze und Institutionen in völliger Demokratie selber geben. Auf diese Weise können Bibliothekare eines Einwandererlandes heute beobachten wie die Dienstleistungs- und Wissengesellschaft neue Impulse erhält. Nach ihrem Verständnis wird nicht Politik für die Flüchtlinge gemacht, sondern die Flüchtlinge handeln selber, indem die Politik zur Angelegenheit der Bürgerinnen und Bürger wird. Auf diese Art haben sich auch die fremdsprachigen Büchersammlungen durch Flüchtlinge und Migranten aus unterschiedlichen Teilen der Welt entwickelt, welche eine “zweite Heimat” für sie wurden. Dieser “Schatz” wird nun seit kurzem mithilfe des GBV zu einem internationalem Bibliotheksverbund ausgebaut und stärker vernetzt als bisher. Zusammen mit der Stadtbibliothek Hannover wurde vor einiger Zeit  ein “RunderTisch Internationale Bibliothek Hannover” ins Leben gerufen, der (auch im Netz) an der Öffnung unserer Lese-, Wissens- und Kommunikationsstrukturen arbeitet. Der nächste Runde Tisch findet am  Dienstag, den 15.06.2010 um 18.00 Uhr in der Chinesischen Leihbücherei,  Rotermundstrasse 27, 30165 Hannover statt (Der Haupteingang ist an der Redeckerstr.)

Auf der Internetseite der Bibliothek wird deren Anspruch und Selbstverständnis deutlich formuliert. Dieses Leitbild könnte so bzw. in ähnlicher Form für andere Bibliotheken als Best Practice Beispiel dienen:

Die Hannah- Arendt-Bibliothek versteht sich nicht nur als Bibliothek im herkömmlichen Sinne, sondern auch als Ort für persönlichen Austausch und Kommunikation, als Ort, an dem sich eine „zweite Aufklärung“ (Peter Brückner) ereignen kann. Wir fördern die Begegnung mit den Kulturen der Immigranten durch Gespräche, Arbeitskreise, Vorträge und Inszenierungen. Uns geht es um wechselseitige Wahrnehmungen und um interkulturelle Sensibilisierung für verschiedene Aneignungs- und Verarbeitungsformen des Wissens.

Hannover allein verfügt über 20 verschiedensprachige Sammlungen, die als community-, kirchen-, privat-Sammlungen schwer zugänglich sind. Heute ist die Hannah-Arendt-Bibliothek, sowie viele andere in Hannover, welche einst von ehemaligen Gastarbeitern und Flüchtlingen aufgebaut wurden, ein selbstverständlicher Teil der nun folgenden Auflistung fremdsprachiger Bibliotheken in Hannover: Weiterlesen

Ljubljana – Welthauptstadt des Buches vom 23.04.2010-23.04.2011

Nach Amsterdam (2008)  und Beirut (2009) wird ab heute für ein Jahr Ljubljana  zur  Welthauptstadt des Buches. Sie konnte sich 2008 gegen Städte wie Riga, Wien, Sankt Petersburg und andere durchsetzen.

Seit dem 15.04. gibt es auf den folgenden Webseiten umfangreiche Informationen: http://www.ljubljanasvetovnaprestolnicaknjige.si/ und http://www.ljubljanaworldbookcapital.si/ Allerdings wird man noch von der englischsprachigen URL direkt auf die slowenischsprachige Webseite verlinkt. Bisher gibt es leider noch keine englische Übersetzung der Webseite. Meine Informationen stammen größtenteils vom Stand des Landes Slowenien auf der Leipziger Buchmesse 2010.

Das offizielle Programm wurde am 19.04. in Anwesenheit des Bürgermeisters  von Ljubljana, Herrn Zoran Jankovic und der slowenischen Kulturministerin Frau Majda Sirca, sowie der Generaldirektorin der UNESCO, Frau Irina Bokova,  in Paris vorgestellt. Es sei unbedingt erwähnt, dass Slavoj Žižek zu den drei konzeptionellen Entwicklern und Organisatoren des Programms zur Weltbuchhauptstadt zählt. In diesem einen Jahr werden nicht nur  Bücher und Literatur im Vordergrund stehen, sondern auch der interkulturelle Dialog. Zu diesem vielfältigen Programm zählt unter anderem das Festival “Literaturen der Weltkontinente”, an welchem Schriftsteller aller Kontinente teilnehmen werden, sowie der Weltkongress “Bücher als Motor der Entwicklung der Menschheit” mit anerkannten Fachleuten und Forschern.

Mit dem Hissen der Flagge der neuen Weltbuchhauptstadt durch den Bürgermeister von Ljubljana wird das ein Jahr dauernde Event eröffnet. Am Abend wird es eine vom slowenischen Regisseur Matjaz Berger entwickelte Theaterperformance geben, bei der durch die Begegnung von Kunst, den Wissenschaften und der Philosophie, der Buch- und Lesekultur Anerkennung zuteil wird. Insgesamt wird es etwa 300 Veranstaltungen geben, welche folgende Ziele haben:

1.) die Leseförderung, 2.) die Lesekultur zu stärken, 3.) den Zugang zu Büchern zu erleichtern, 4.) die Vielfalt der Literatur verschiedenster Gattungen einer möglichst großen Öffentlichkeit näherbringen

Zu den Programmhighlights zählen die folgenden Schwerpunkte:

  • The International within the Local: Dabei handelt es sich um eine Reihe von Poesielesungen  durch Gastautoren aus China und aus vielen anderen Ländern.
  • Ljubljana liest: Growing up with books ist ein Projekt für dreijährige Kinder und für Grundschüler, bei dem jedes Kind ein Geschenk in Form eines Bilderbuchs oder eines slowenischen Romans erhält.
  • Books for everyone: Zur Förderung des Lesens werden 21 Bücher (unterschiedler Gattungen) in ausreichender Anzahl gedruckt und für jeweils 3 € verkauft Weiterlesen

Aktuelles zur interkulturellen Bibliotheksarbeit aus Italien (Südtirol) und Österreich

Der Bibliotheksverband Südtirol lädt am 24.04.2010  zu seiner 29. Jahreshauptversammlung ins Pastoralzentrum Bozen ein, deren diesjähriges Motto ganz im Zeichen der Interkulturellen Bibliotheksarbeit steht. Am 24. April wird es dazu am Vormittag einen Workshop mit vielen praktischen Tipps sowie am Nachmittag ein Referat zum Thema geben. Beide Veranstaltungen werden von Reinhard Ehgartner, dem Leiter des Österreichischen Bibliothekswerks geleitet, der schon einige viel beachtete Projekte auf diesem Gebiet initiiert hat. Er ist Leiter des Projekts „LebensSpuren, Begegnung der Kulturen“ und ehrenamtlicher Bibliothekar. Ausserdem hat das Bibliothekswerk vor kurzem eine 192-seitige Projektmappe veröffentlicht, welche in Kooperation mit vielen anderen Bibliotheken und Institutionen entstand (eine „Arbeits- und Impulsmappe für die bibliothekarische Praxis“). Sie ist zum Preis von € 20,-  plus Versandkosten (in Österreich € 3,50) beim Österreichischen Bibliothekswerk (Telnr: 0043-662-881866 oder per E-mail: biblio@biblio.at)  erhältlich. Darin enthalten sind  Grundlagen zum Thema Migration und Integration, zentrale Dokumente zum Thema “Interkulturellen Bibliotheksarbeit”, Impulse zu den Themenbereichen “Mehrsprachigkeit” und “Sprachwechsel”, zahlreiche Projektbeschreibungen und Konzepte aus der bibliothekarischen Praxis, Projektmaterialien der STUBE zum Thema “Fremdheit/Vielfalt” und Buchrezensionen zum Thema “Interkulturelle Vielfalt” der bn.bibliotheksnachrichten und des Vereins EFEU. Obwohl ich die Projektmappe noch nicht kenne, bin ich mir sicher, dass diese auch für Bibliotheken in anderen deutschprachigen Sprachräumen zusätzlich zum Webauftritt www.interkulturellebibliothek.de und der Checkliste “Wie interkulturell ist Ihre Bibliothek?” eine gute Ergänzung darstellen könnte, da es meinem Kenntnisstand zufolge noch keine mehrseitigen Materialien zu diesem Thema in Deutschland gibt. Ehgartner betont am Schluss seines Aufsatzes die Bedeutung einer höheren medialen Aufmerksamkeit zu diesem Thema, eine stärkere Verankerung des Aufgabenfeldes in der Breite und die damit verbundene Lobbyarbeit in politischen Entscheidungsprozeßen. Aus diesem Grunde wäre eine einheitliche Projektmappe hierzulande ebenfalls wünschenswert, um mit einer Handreichung bei Multiplikatoren und bei politischen  Entscheidungsträgern unterschiedlichster Couleur stärker um die interkulturelle Zukunft zu werben. Nach wie vor wird der abgrenzende Begriff der sogenannten “Mehrheitsgesellschaft” verwendet. Die “Mehrheit” – ob nun als Kunden einer Bibliothek oder als Bürger eines Stadtteils – wurde meines Erachtens noch nicht ausreichend auf diese interkulturellen  Veränderungen von Seiten der Politik und der Zivilgesellschaft vorbereitet. In seinem Aufsatz  “Die Bibliothek als Begegnungsort der Kulturen: Einige Überlegungen zur interkulturellen Bibliotheksarbeit” benennt Reinhard Ehgartner unterschiedliche Aspekte der Interkulturellen Bibliotheksarbeit, wobei ich die drei Schritte, welche über die kulturelle Brückenfunktion von Literatur und von Bibliotheken hinausgehen an dieser Stelle zitiere:

Schritt 1: Vom Objekt zum Subjekt: Weiterlesen

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