Angst vor Bibliotheken

Beim Überfliegen der Neulinge im Bereich Sachbuch diesen Herbst bin ich an einem Werk hängengeblieben, das schon durch seinen Titel Lesefreude verspricht: Kathrin Passig, Sascha Lobo: „Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin“. Darin erläutern die Autoren das Prinzip der Prokrastination, also der Verschiebementalität.
Interessant wurde es dann aber für mich, als ich ein “Blog-Interview” mit den beiden Autoren las, bei dem es unter anderem um die Rolle der Bibliotheken geht. Der Journalist Oliver Jungen bringt die Generation Google ins Spiel:

Hurra, wir veröden. Alle Studien sind eindeutig. Das amerikanische „National Endowment for the Arts“ hat schon 2004 eine große Alarmstudie vorgelegt und im letzten November den Zustandsbericht „To Read or Not To Read“ draufgepackt: Nur noch knapp über die Hälfte aller Amerikaner lesen Bücher aus Spaß, je jünger, desto weniger. Im Januar legte das University College London nach: Die „Google-Generation“ habe regelrecht Angst vor Bibliotheken und ernste Probleme bei der Informationsevaluation.

Daraufhin antwortet Kathrin Passig:

Ja, wir haben Angst vor Bibliotheken. Natürlich kann man in und mit Bibliotheken leben, man gewöhnt sich schließlich an alles. Und seit einigen Jahren haben die Bibliotheken ja auch ihr Instrumentarium an Regelungen, Sonderregelungen, Öffnungszeiten, Ordnungssystemen, Zettelkästen, missmutigem Personal, unauffindbaren Bänden („evtl. Kriegsverlust“), Fernleihverfahren, wochenlangen Wartezeiten, Kopierverboten und in Haus 3 untergebrachten Magazinen zurechtgestutzt. Aber dass die Benutzung von Bibliotheken heute etwas bequemer als früher ist, ändert wenig an der Umständlichkeit dieser Form der Informationsbeschaffung. Ein von freundlichen Fachleuten bereitgestellter, gut gewarteter Faustkeil bleibt ein Faustkeil. Zum Glück ist die Angst vor Bibliotheken heute eine völlig folgenlose Angst, vergleichbar etwa mit der Angst vor Speed-Dating-Partys oder Höhlentauch-Expeditionen. (Hervorhebung durch mich)

So. Bibliotheken liefern also Faustkeile, sind laut Passig in der Steinzeit stehen geblieben. Und der letzte Satz setzt noch eins drauf, denn dort wird Bibliotheken nahezu jegliche Bedeutung in der heutigen Gesellschaft abgesprochen.
Auch wenn wir es besser wissen, bleibt ein bitterer Nachgeschmack bei einer solchen Einschätzung, immerhin stammt sie nicht von Dieter Bohlen oder Atze Schröder, sondern von einer Bachmannpreisträgerin.

Quelle: Interview mit Kathrin Passig und Sascha Lobo: Triumph des Unwillens. FAZ.NET

Ein Kommentar

  • Dörte Böhner

    Wenn ich solche Sachen lese, stelle ich immer wieder ein seltsames und unklares Bild von Bibliotheken und Information fest. Ein Faustkeil bleibt ein Faustkeil, auch wenn er mit Grandeza übergeben wird. Aber das Wissen, dass es ein Faustkeil ist, ist in der Bibliothek aufbewahrt worden. Der Wissenschaftler, der bestimmt, dass der Faustkeil ein Faustkeil ist, hat sich dieses Wissen aus Büchern der Bibliothek geholt, denn vermutlich ist er nicht mit einem Faustkeil als Werkzeug aufgewachsen.
    Ich finde es gleich noch erstaunlicher, wenn dann erwartet wird, dass Bibliotheken die Welt neu erfinden sollen. Sicherlich müssen Bibliotheken verstärkt auf die Bedürfnisse der Nutzer eingehen. Es heißt, Wissen so aufzubereiten und zugänglich zu halten, dass die Nutzer es finden können und Zugang zu erhalten. In diesem Zusammenhang verstehe ich dann nicht das Verhalten der Politiker und Firmen in Sachen Urheberrecht, in Punkten der Finanzierung. Aber damit wird das Thema jetzt doch ziemlich philosophisch und würde zu einem Rundumschlag in allen Punkten, die gesellschaftlich und politisch mit Lernen, Bildung und Wissen zu tun haben. Die große Frage hinter allem ist: Wo stehen Bibliotheken in der politisch gewollten Wissensgesellschaft?