[Bericht] Enteignung oder Infotopia – Teil 2

Dr. Nils Rauer stellte sich der doch sehr umfassenden Frage: Was bedeutet das Google Book Settlement für Leser, Autoren und Bibliotheken?

Im Moment ist vieles im Fluss. Das GBS, d.h. der Google Book Vergleich, in seiner bisherigen Form ist Geschichte. Es sind nach der Eingabe des US-Justizministeriums grundlegende Änderungen zu erwarten. Fast hypnotisch wedelt er mit einem Packen Zetteln. Allein 57 Seiten macht der Ausdruck nur der Liste mit allen Eingaben aus. Das macht deutlich, wie umstritten und kritisch das GBS zu betrachten ist.

Rauer stellte kurz die Ausgangssituation da, erklärte das Prozedere der Class Action und seine Auswirkungen auf Deutschland, bevor er kurz das GBS und die Knackpunkte des Vergleichs in seiner jetzigen Form erläuterte Abschließend fasste er die geäußerten Bedenken schwerpunktartig zusammen.

Am 14.12.2004 machte Google das Google Library Project bekannt, welches Bibliotheksbestände digitalisieren sollte, um dem Ziel, den Menschen alles Wissen der Welt zugänglich zu machen, ein Stück näher zu kommen. Seit 2007 steuert die Bayerische Staatsbibliothek als einzige Bibliothek Deutschlands ihre gemeinfreien Werke bei. Heute beinhaltet Google Books etwa 10 Millionen Werke, die in den USA unter der Fair Use-Regel digitalisiert werden. Google rechnet dabei mit Kosten zwischen 10 – 12 Euro pro Buch.

Das Projekt war von Anfang an nicht unumstritten. Bereits am 20.09.2005 reichten Authors Guild und die Association of American Publishers eine Klage gegen Google ein. Es gibt noch eine zweite Klage, die auch vom GBS umfasst wird, in der einzelne Autoren klagten. Der Streitpunkt dieser Klagen war die Digitalisierung und Zugänglichmachung kleiner Exzerpte (“brief excerpts”). Heute umfasst die Klage die Digitalisierung des gesamten Buches, d.h. der Vergleichsgegenstand hat sich ausgeweitet. Die Gegner berufen sich bei ihrer Klage auf einen Verstoß gegen das Copyright Act, 17 U.S.C. §101 et. sec. Google sieht aber sein Vorgehen geschützt durch die Copyright Fair Use-Klausel des Copyright Act, 17 U.S.C. §107 et. sec.

Als Verfahrensform wurde eine “Class Action”-Klage gewählt. Diese ist nach der Rule 23 der Federal Rules of Civil Procedure möglich. Man kann diese Class Action nicht als Sammelklage bezeichnen, denn sie geht darüber hinaus. Sie wird auch rechtlich verbindlich für Dritte, die nicht an der Klage selbst beteiligt sind. Dafür müssen bestimmte Regeln beachtet werden.

  1. Die Gruppe (Class) der Geschädigten muss so umfangreich sein, dass eine gemeinschaftliche Klage unzweckmäßig it.
  2. Die “Class Members“ müssen gleichermaßen betroffen sein.
  3. Der Klagegegenstand muss für alle Betroffenen typisch sein.
  4. Die Durchführung muss der Sache angemessen sein.

Zur Class gehören alle Inhaber der “U.S. Copyright Interests”. Die Class Action wird dann durch die ursprünglichen Kläger durchgezogen. Sie müssen aber alle Class Members in ausreichendem Maße informieren (Notice). Der Einfluss dieser Class Members ist sehr gering. Sie haben drei Möglichkeiten, Eingaben zu gestalten. Die erste wer die Objection, bei der Bitten um die Anpassung von Punkten gestellt werden können. Diese müssen schon sehr schwergewichtig sein, da diese Einreichung zu einem sehr späten Zeitpunkt erst möglich sind, beim GBS war dies erst zwei Jahre nach den Hauptverhandlungen der beteiligten Parteien. Der Börsenverein mit seiner Objection kam also erst sehr spät zu Wort.
Die zweite Möglichkeit ist das Opt-out. Dies beinhaltet eine Ausstiegsmöglichkeit für die Class Members. Das Settlement wäre danach für sie nicht binden und sie müssten einzeln mit Google verhandeln. Und die dritte Eingabeform wäre der Amicus Curiae Letter, bei denen Interessenvertretungen Stellungnahmen abgeben können, die nicht Teil der Gruppe sind. Ihre Eingaben werden ebenfalls gewürdigt.

Deutschland ist faktisch betroffen, denn in den amerikanischen Bibliotheken wurden und werden auch urheberrechtlich noch geschützte Werke im Rahmen des Fair Use digitalisiert. Rauer wies daraufhin, dass dies in dem Sinne rechtens ist, denn nach den Regeln der Berner Übereinkunft gilt der der Grundsatz der der Inländergleichbehandlung und das Territorialprinzip. Schwierig wird es aber durch die Internationalität des Internets. Zwar besteht faktisch eine Beschränkung des Angebots auf die USA, aber die ist technisch leicht zu umgehen.

Rauer stellte als nächstes die Frage, ob das Angebot von Google in Deutschland gleichermaßen möglich gewesen wäre, da wir hier diese Generalklausel des Fair Use nicht kennen. In Deutschland besteht für den Urheber ein Vervielfältigungsrecht nach § 16 UrhG und auch ein Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung nah § 19a UrhG, welche durch die Schranken der §§ 44a ff. UrhG zugunsten von Interessengruppen wieder eingeschränkt wird. Diese Schranken reichen aber nicht aus, um so ein Projekt in Deutschland zu ermöglichen.

Haupthandlungen finden zunächst Mal in den USA statt, deshalb gilt an dieser Stelle auch US-amerikanisches Recht.

Das GBS wurde am 28.10.2008 das erste Mal veröffentlicht. Dieser Vergleich war seit dem schwebend wirksam. Bis Mai 2009 wurde dann eine Deadline für Objections und das Opt-Out eingerichtet die dann bis 04.09.2009 und schließlich aus technischen Gründen bis 08.09.2009 verlängert wurde und nun ausgelaufen ist. Für den 07.10.2009 wurde dann ein Fairness-Hearing angesetzt, welches nach der Eingabe der Antitrust Division des US Department of Justice vom 18.09.2009 ganz abgesagt wurde. Dafür wird an diesem Termin ein Status-Hearing stattfinden, bei dem der Richter darauf hinweisen wird, welche Änderungen er möchte.

Was ist der eigentliche Gegenstand dieses Vergleiches?
Gegenstand des Vergleiches sind Bücher (Monographien), nicht jedoch Periodica, die vor dem 05.05.2009 veröffentlich wurden. Es geht dabei um so genannte Inserts (Beilagen), worunter – soweit ich es verstanden habe – Vor- und Nachworte oder einzelne Beiträge eines Sammelwerkes gefasst werden. Die Verwaltung der daran hängenden Rechte soll durch eine Book Rights Registry übernommen werden, ein unabhängiges Gremium, das aber durch Google mit finanziert wird. Diese Registry soll die Registrierung, die Rechteverwaltung und die Ausschüttung der Tantiemen übernehmen. Die Rechte, um die es dabei geht sind nach Google folgende: Einmal ist das Recht zur Digitalisierung betroffen und dann die Nutzungsrechte.

Zu den Nutzungsrechten zählen Non-Display-Uses, welche die Anzeige bibliographischer Daten, eine Volltext-Indizierung für die Recherche und eine Verschlagwortung beinhalten. Zu den Display-Uses zählen Previews von ganzen Seiten oder die Anzeige ganzer Digitalisate aber auch die Anzeige von Stippets, d.h. Auszügen von 3-4 Zeilen, die das Suchwort beinhalten. Als Nutzungsrecht gilt auch der Advertising Use für Werbung. Rauer betonte, dass es sich in diesem Fall um eine einfache und nicht ausschließliche Lizenz handele, d.h. die Verlage oder Urheber können auch anderen das Recht der digitalen Nutzung einräumen.

Angezeigt werden bei käuflichen Büchern nur Snippets, es sei denn, der Rechteinhaber hat mehr erlaubt. Bei vergriffenen Büchern und nicht angemeldeten Werken (in den USA müssen Bücher zum Copyright-Schutz angemeldet werden), sieht Google sich in der Position, auch ohne ausdrückliche Erlaubnis mehr anzuzeigen.

Für die Class Members bestehen in Rahmen des GBS folgende Rechte. Sie können bis 04.04.2011 konkret benannten Werken Google ein Nutzungsverbot (“Removal”) erteilen oder mit dem “Right to Exclude” nur Snippets anzeigen lassen. Achtung, hier muss ich noch mal darauf hinweisen, dass das GBS sich nur auf Bücher aus dem Bibliotheksprogramm von Google handelt. Das Verlagsprogramm basiert an dieser Stelle auf Zustimmung der Rechteinhaber. Dort geben die Verlage bereits im Vorfeld die Zustimmung, wie ein Buch von Google genutzt werden darf.

Entscheiden sich Class Members für die Opt-out-Konzeption, passiert hier eine Umkehrung des Einwilligungsprinzips. Bisher musste der Urheber einwilligen, wenn etwas mit seinem Werk geschah. Durch das Opt-out muss der Urheber aktiv verbieten, dass etwas mit seinem Werk passiert. Durch die Fristsetzung sind besonders so genannte verwaiste Werke betroffen. Google erspart sich so die aufwendige Recherche nach Rechteinhabern (Verlag, Autor).

Google stellt für die Vergütung der Rechteinhaber, die sich bis zum 05.05.2009 registriert haben, 45 Millionen Dollar Entschädigung bereit. Pro Buch gibt es 60 Dollar, wovon 15 Dollar für gesamt angezeigt Inserts und 5 Dollar für in Teilen gezeigte Inserts gezahlt werden sollen.

Es gibt Bedenken gegen diesen Vergleich. Ein Hauptgrund ist das gewählte Verfahren der Class Action. Die Antitrust Division sieht hier als besonders kritisch ein unzureichende Repräsentation der Class Members insbesondere in Bezug auf Verwaiste Werke und Werke, die Out-of-Print sind. Außerdem wird die zu kurze und nicht angemessene Notifikationsphase bemängelt, da gerade für ausländische Verlage mehr Informationen notwendig gewesen wären. In einem kritisch gesehenen Punkt sieht das Department allerdings kein Problem. Regelungen, die aus einer Class Action gültig werden, können grundsätzlich auch zukunftsweisend sein.

Schwierigkeiten sieht die Antitrust Division im Bereich des Antitrust Law. Das GBS könnte zum Gewinnverteilungsplan für die gesamte Branche werden und somit Wettbewerb unterbinden. Durch Mindestpreise und ein Rabattverbot ist das Kartellrecht betroffen. Auf Grund der hohen, aufgebrachten Gelder besonders im Bereich der verwaisten Werke kommt es zu einem faktischen Monopol, da diese Menge an digitalisierten Werken so schnell von niemand anderem erreicht werden kann. Dieses Monopol wird noch mal in folgender Sicht deutlich:
Durch das GBS würde Google in Bezug auf verwaiste Werke durch die Opt-out-Option alle einfachen Nutzungsrechte ohne großen Aufwand zufallen. Andere Unternehmungen müssten in Bezug auf die Rechte zur Nutzung der verwaisten Werke erneut verhandeln. Sie können sich von den Rechten, die im GBS enthalten sind, keine eigenen Rechte ableiten. Der Aufwand, eigene Angebote aufzubauen, würde zu hoch, so dass Googles Monopol an dieser Stelle faktisch bestätigt würde.

Besonders schwer wiegt die Besorgnis im Bereich des Copyrights bei der Umkehrung des Einwilligungsprinzips (Opt-in) in ein Verbotsprinzip (Opt-out). Das US Justizministerium ließ bei seinem Einspruch die Generalklausel des Fair Use unberücksichtigt. Sollte der Vergleich letztendlich nicht Zustande kommen und das Verfahren ausgefochten werden, kann über eine Zulässigkeit der Handlungen Googles in diesem Rahmen noch immer entschieden werden.

Das US Department of Justice gab folgende Empfehlungen. Es heißt die Schaffung von Zugang zu Büchern in einem digitalen Rahmen erstmal gut, sieht darin aber eher eine staatliche als eine privatwirtschaftliche Aufgabe. Es bestätigt, dass mit einer Class Action auch zukunftsweisende Regelungen getroffen werden können. Es empfiehlt aber eine Beibehaltung des Opt-In-Prinzips für Bücher out-of-Print. Zudem sollten die Ausschlussfristen verlängert werden. Google sollte intensiver nach Autoren suchen. Außerdem schlägt es ein Kontrollgremium für die Book Rights Registry vor.

Die Bundesregierung machte in ihrem Amicus Curiae Brief deutlich, dass sie im GBS einen grundlegenden Verstoß gegen die internationalen Regelungen der Revidierten Berner Übereinkunft. Sie möchte gerne wissen, wer die Entscheidung darüber trifft, ob ein Buch noch In- oder schon Out-of-Print ist. Sie sieht ebenfalls ein faktisches Monopol für die Verwaisten Werke und äußert Datenschutzbedenken, gerade durch die Masse der Metadaten. Zudem dürfen laut GBS 15 % der Werke durch Google aus dem Index entfernt werden. Hier besteht ihrer Meinung nach eine Gefahr der Zensur. Insgesamt wird eine fehlende Transparenz und zu geringe Kontrollmechanismen kritisiert. Auch sei die unzureichende Fixvergütung ein Problem.

Der Börsenverein selbst legte unter anderem Widerspruch zum Opt-out-Verfahren ein und gegen die Formerfordernisse, um eine Vergütung zu erhalten. Diese ist nach der RBÜ verboten. Ansonsten teilt der Börsenverein die bereits durch die Bundesregierung erwähnten Bedenken.

Auf die Frage Spielkamps “Was nun?” konnte Rauer wenig antworten. Er sieht schon ein Einlenken Googles in Bezug auf ein Opt-In-Prinzip kommen, wenn es um Bücher Out-of-Print geht und auch eine ergänzende Notifizierungsphase besonders durch die zu erwartenden Änderungen hält er für sehr wahrscheinlich. Alles andere sei momentan reine Spekulation.

Im nächsten Beitrag werde ich über die Rede von Frau Paruschker und die sich daran anschließende Diskussion berichten.