Ein Nachtrag zu meiner Reise in die Niederlande: das “Lezersfeest” und “Nederland leest”

Als ich bis zum 5.11. 2009 in den Niederlanden war, fiel mir durchaus beim Besuch der Bibliotheken auf, dass zu diesem Zeitpunkt die landesweite niederländische Kampagne “Nederland leest”  (23.10.-20.11.) in vollem Gange war. Es beteiligten sich sehr viele Bibliotheken, wie unter dem folgenden Link zu sehen ist. Leider verpasste ich das Lezersfeest am 7.11., bei dem sich die Stadtbibliothek Rotterdam in eine riesengroße Tanzfläche verwandelte und es ein großes Dansfeest gab. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Lezersfeest- Stiftung in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Rotterdam und dem Büro Fris. Das Ziel des Lezersfeest ist das Lesen zu fördern, indem für die  Öffentlichkeit Veranstaltungen mit nicht-elitärer Literatur angeboten werden. Dabei werden die “Leser” ermutigt sich mit Literatur und dem Lesen im Allgemeinen zu befassen. Das Hauptanliegen des Lezersfeest ist es, eine Verbindung zwischen dem Lesen und der Freude an Literatur zu vermitteln, indem eine positive Einstellung zu Literatur vermittelt wird. Die Hauptzielgruppe sind Menschen zwischen 18 und 80 Jahre alt, wie es auf der Webseite heißt.  Das Programm findet sich unter dem folgenden Link.  Nachdem ich mich mit der Chefredakteurin der Zeitschrift NL Unlimited (Ausgabe für Rotterdam) einen Abend vor meiner Abreise über diese Veranstaltung unterhielt, die ja damals durchaus das Stadtgespräch in Rotterdam war,  stellte ich mir sofort die Frage ob es so etwas auch in Deutschland gibt. In Berlin oder München gibt es zwar immer wieder Literatur- und Poesiefestivals, aber auch aus anderen Städten habe ich von solchen Veranstaltungen in einer Bibliothek nie zuvor gehört. Vermutlich bin ich nocht nicht gut genug informiert und es gibt tatsächlich Veranstaltungen in Deutschlands Bibliotheken, die inhaltlich ähnlich sind.  Events auf der Lit.Cologne und der Buchmesse Leipzig finden meines Wissens auch in Bibliotheken statt. Insgesamt habe ich bei sehr vielen deutschen Literatur- und Kulturveranstaltungen – außer dem Poesiefestival in Berlin (2005 im Hebbel am Ufer) und Veranstaltungen in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und dem Printemps de la Poésie (2006) am Goethe-Institut Rabat – durchaus öfter das Gefühl, dass bei den meisten Literaturveranstaltungen  bzw. das elitäre Publikum in der Mehrheit ist. Von einem Poetry-Slam oder einem Tanzfest in einer deutschen Bibliothek habe ich bis heute noch nicht gehört.  Die Chefredakteurin der Zeitschrift NL Unlimited stellte mir netterweise Fotos und nachträglich Informationen zur Verfügung. Zu Beginn schien es mir schier unglaublich, dass die Bibliothek als Ausgehalternative für einen Samstag im Jahr in den Mittelpunkt der Bürger Rotterdams (und Umgebung) rückte. Die Karten kosteten zwischen 14,50 – 17,00 €. Es fanden mehrere Poetry Slams statt und niederländische Autoren  wie z.B. Bart Chabot, Nicci French oder  Fayza Oum’Hamed  lasen aus ihren Büchern, die dort auch verkauft wurden. Außerdem gab es ein Popquiz, dass in der “Discothek” stattfand. Darüber hinaus fand die Verleihung des Boek-delenprijs statt, den dieses Jahr Arthur Japin erhielt.  Insgesamt war das Programm sehr reichhaltig und facettenreich wie unter dem folgenden Link zu sehen ist. Bekannte DJs legten bis 3 Uhr morgens Musik auf.

In Deutschland steckt die Kampagne “Deutschland liest: Treffpunkt Bibliothek” im Gegensatz zu Österreich und den Niederlanden noch in den Kinderschuhen, da sie erst zum zweiten Mal überhaupt stattfand. Wenn man bedenkt, dass es  eine solche Kampagne in der “ach so oft gescholtenen” Türkei seit 1964 gibt, erfolgte dies im “Leseland” Deutschland relativ spät. In den letzten Jahren kamen Österreich (2006), Kanada (2006) und Irland (2005) hinzu.  Ziemlich spät wurde im Juni 2008 auf dem Mannheimer Bibliothekartag die Webseite www.treffpunkt-bibliothek.de vorgestellt. Auf der deutschen Webseite dieser Kampagne werden neben Kernstandards für Bibliotheken, auch ein vom dbv erarbeitetes Musterbibliotheksgesetz  vorgestellt, sowie die umstrittenen und viel diskutierten 21 “guten” Gründe für Bibliotheken und alles Wissenswerte für Externe über die Arbeit und den Outcome von deutschen Bibliotheken. Die Aufmerksamkeit der Medien wird jährlich genutzt um das Konzept und die Rolle der Bibliotheken  stärker ins öffentliche Bewußtsein zu rücken. Die niederländische Kampagne Nederland leest dauert im Gegensatz zum deutschen Pendant einen Monat. Oberstes Ziel ist es eine stärkere Kundenbindung an die öffentlichen Bibliotheken zu erreichen. Hinzu kommt noch die  Aktion “One book – one city“, die jeweils ein Buch eines bekannten nationalen Autors kostenlos verteilt und ein verbindendes Element zwischen den Bürgern herstellt. In den Niederlanden ist es nicht nur eine Stadt, die kostenlos ein Buch verteilt, sondern die Kampagne wird im ganzen Land durchgeführt. Auf der Webseite wird erklärt, dass sich die Niederlande am Vorbild “One book – one Chicago” orientierten, das aus dem Jahr 2001 stammt und viele Nachahmer gefunden hat. Während dieser Zeit werden in den Bibliotheken viele Veranstaltungen initiiert, die mit der Thematik des jeweiligen Buches in Verbindung stehen. Ich erinnere mich auch gelesen zu haben, dass zu den diesjährigen Themen Interkulturelle Freundschaft und Kolonialismus, auch Theaterstücke aufgeführt wurden, die auf der Novelle von Hella S. Haase basierten. Dieses Jahr hieß das Buch Oeroeg von Hella S. Haase. Dabei handelte es sich um eine Novelle aus dem Jahr 1948. Die Autorin ist mittlerweile 91 Jahre alt und scheint meines Erachtens sehr bekannt und beliebt zu sein. Sie ist die Grande Dame der niederländischen Literatur. Vor wenigen Jahren hat sie eine Lobbyrede für die Bibliotheken in Form eines Essays geschrieben. Die Novelle  scheint heute in Zeiten der Überbetonung unterschiedlicher Kulturen und deren Andersartigkeit ebenso aktuell wie während der Zeit des Kolonialismus. Haase, die bis zu ihrem Studium in Indonesien lebte und dadurch wie ein Third-Culture-Kid aufwuchs, schreibt über die Freundschaft zwischen einem niederländischen und indonesischen Jungen namens Oeroeg, die damals noch unmöglich war. Indonesien war eine ehemalige Kolonie der Niederlande.  Es geht in dieser Novelle auch um kulturelle Fremdheitserfahrungen, indem die Hella S. Haase ihre Kindheitserinnerungen mitverarbeitete.

In den letzten Jahren gab es in den Niederlanden sehr unterschiedliche Imagekampagnen, die sich erstens auf die Bibliothek als Marke konzentrierten, zweitens auf die Kundenbeziehungen, drittens auf die Leseförderung und viertens auf die Förderung neuer Produkte und Dienstleistungen. Hierfür gab es einen Public-Affairs-Plan und einen Marketing-Programm. Das Buch über neue Bibliotheken in den Niederlanden, welches mir nach meiner aktiven Teilnahme am Study Visit geschenkt wurde, beeindruckte mich sehr und bestätigte nochmal meinen positiven Eindruck nach den Besuchen der Bibliotheken in Amsterdam (März 2009), in Rotterdam,  des Library Concept Centers in Delft und der Stadtbibliothek Den Haag. Weiterführende Literatur zum Thema der Bibliothekskampagnen in den Niederlanden findet sich in den Artikeln von Marian Koren auf der Webseite des Niederländischen Bibliotheksverbands in einem Artikel von Anke Weinmann, in dem die Kampagnen weltweit verglichen werden und im Bereich der Leseförderung für Kinder und Jugendliche auf der Webseite Lesen-weltweit. Vermutlich erwähnt Weinmann nichts von der französischen Kampagne Lire en fête (Lesefest), weil sie dieses Jahr im Oktober überhaupt nicht stattfand und zweitens weil das CNL (Centre National du Livre) mehr Mitsprache- und Organisationskompetenzen inne hat, als französische Bibliothekverbände. Sie soll im Frühling 2010 nachgeholt werden. Gründe hierfür waren Einsparungsmaßnahmen des französischen Kulturministerium, obwohl meines Erachtens 900.000 € für eine solch große Kampagne wie Lire en fête vergleichsweise wenig Geld sind. Der Hauptgrund hierfür liegt in einer Neuausrichtung des CNL (Centre National du Livre). Hierfür bildete der Conseil du Livre eine Arbeitsgruppe, die ein neues Modell erarbeitet, das sich stärker an die Bedürfnisse der Öffentlichkeit orientiert.