Bibliotheken in der Wüste am Beispiel der Stadt Timbuktu (Mali)

En Afrique, quand un vieillard meurt, c’est une bibliothèque qui brûle.  In Africa, when an old man dies, it’s a library burning. Jedes Mal, wenn in Afrika ein Greis stirbt, brennt eine Bibliothek. (Amadou Hampaté Bâ, 1960 at l’UNESCO)

Dieses Zitat, welches u.a. in einer Daueraustellung des Pigorini National Museum of Prehistory and Ethnography in Rom verwendet wird und vom wohl bekanntesten malinesischen Schrifsteller Amadou Hampaté Bâ stammt, bestimmt nach wie vor den eurozentrischen Blick auf den Kontinent Afrika, dass das kulturelle Gedächtnis von Stämmen und Kulturen nur alleine aus der oralen Tradition heraus weitergegeben wird und die Erwähnung der Existenz einer Schriftkultur bisher kaum thematisiert wurde. Es wurde dabei aber außer Acht gelassen, dass es beispielsweise in Mali, aber auch in anderen Ländern bereits seit dem 11. Jahrhundert eine Schreibkultur gibt, die weit über den Koran hinausging und wissenschaftliche und philosophische Schriften beinhaltete.

John Hunwick, ein englischer Professor für Afrikawissenschaften, Religion und Geschichte, sprach vom „song and dance“ Stereotyp, das heutzutage weiterhin über den Kontinent Afrika verbreitet ist. Er merkte dazu folgendes an: „We want to demonstrate that Africans think and write and have done so for centuries.“ (Wir wollen zeigen, dass Afrikaner seit Jahrhunderten denken und schreiben.)

Der südafrikanische Historiker und Autor des Buchs „The Meanings of Timbuktu“, Shamil Jeppie, gibt pauschal den Kolonialisten aus Europa die Schuld die geistige Geschichte Westafrikas verdrängt zu haben. Hierzulande werden im Volksmund Timbuktu und die  Walachei gerne in einem Atemzug genannt, wenn sprichwörtlich jemand eine ungeliebte Person ins Nirgendwo schicken will.

Timbuktu wurde im 11. Jahrhundert von den Tuareg gegründet und war insbesondere für den Salz- , Gold- und Sklavenhandel eine wichtige Handelstadt und ein Knotenpunkt. Dass Timbuktu vom 11. bis ins 15. Jahrhundert eine Universitätsstadt mit etwa 20.000 Studenten und zahlreichen Bibliotheken war, die zu den größten der damaligen Welt zählten, ist bis heute  in der Geschichtsschreibung europäischer Prägung weitestgehend ausgeblendet.

Der arabische Reisende und Geograph Johannes Leo Africanus beschrieb die Stadt als Zentrum für Doktoren, Richter und anderen Gelehrte. Ab dem Jahr 1591 verlor Timbuktu durch die Eroberung der marokkanischen Armee an Bedeutung  und unter französischer Herrschaft verfiel Mali immer mehr der Armut und der Isolation. Seit 1959 ist Mali unabhängig und ist dabei seine eigene Identität zu finden und eine selbstbewußte Nation zu werden.

Heute gibt es noch schätzungsweise 80 Privatbibliotheken in der Stadt. Zu den größten zählt die Mamma Haidara Bibliothek, die Fondo Kati Bibliothek und die Al-Wangari Bibliothek.

Der Philosoph und Historiker Ismael Diadie Haidara setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, Gelder aufzutreiben, um  seine 3.000 Manuskripte zu konservieren, welche detailliert von einer Co-Existenz von Muslimen, Juden und Christen berichten und beweisen, dass Timbuktu immer schon ein Zentrum für religiöse und ethnische Toleranz gewesen ist. Er selbst stammt von spanischen Christen ab und es gibt noch viele weitere Malier, deren Herkunft multiethnisch und multireligiös ist.

Unter den folgenden beiden Links gewinnt der/die Bibliotheksinteressierte anhand zahlreicher Fotos einen interessanten Einblick über die architektonische Schönheit des von der südfrikanischen Regierung und dem vom Timbuktu Manuscripts Trust finanzierten Baus des neuen Ahmed-Baba-Centers. Andre Spies erläuterte in seinem illustrierten Essay The Building of a New Library in Timbuktu aus dem Jahr 2005 seine architektonischen Überlegungen zum Ahmed-Baba-Institut und wie er plante, das Institut in die Stadtstrukturen zu integrieren und inwiefern sich der afrikanisch-islamische Einfluss in der Ästhetik des Gebäudes widerspiegeln wird. Das Institut wurde vom Architekturbüro DHK Architects mit  Andre Spies als Projektarchitekten entworfen. Ferner wird auf  darauf verwiesen, dass das neue Gebäude erst seit Ende 2009 voll funktionsfähig ist.

Im Ahmed-Baba-Institut in Timbuktu lagern 20.000 Handschriften, welche unter anderem der Pflanzenmedizin, der Mathematik, der Musik, dem islamischen Recht und der Poesie zuzurechnen sind. Hierbei handelt es sich um die bedeutendste Sammlung alter westafrikanischer Manuskripte. Ziel des 1970 gegründeten Ahmed-Baba Instituts war es die damals weitestgehend unbekannte Zahl von Manuskripten zu sammeln, zu restaurieren und zu katalogisieren und fachgerecht aufzubewahren. Sie sind historisch mit der Islamisierung Westafrikas und der Ausbreitung der Königreiche Mali im 13. und 14. Jahrhundert und Songhay im 15. und 16. Jahrhundert verbunden. Herrscher und Gelehrte, die Ägypten besuchten oder nach Mekka pilgerten, kamen in Timbuktu vorbei.

Die Bibliothek, die zum gleichnamigen Institut gehört, wurde mithilfe des Staates Südafrika 2009 neu errichtet und im letzten Jahr feierlich eingeweiht. In seiner Ansprache zur Einweihung des etwa 7,5 Millionen Dollar teuren Neubaus,  drückte  der Vizepräsident Südafrikas Motlanthe die Hoffnung aus, dass es zu einer Re-Definition der Rolle Afrikas in der Weltgeschichte kommt.

„This magnificent heritage should strengthen our efforts to rebuild our continent, work for growth and development, fully aware that we can – despite the many impediments we face – emulate the grandeur of these great Africans who came before us. Significantly, it is part of our efforts to elevate Africa not only in the eyes of the world but also in the eyes of Africans who may have succumbed to the notion of Africa’s historical inferiority or who carry a demeanour of defeat, or who join the ranks of the Afro-pessimists who see no value in Africa’s past and hence no reason to contribute to Africa’s future“

(Dieses großartige Erbe soll unsere Anstrengungen stärken unsereren Kontinent wiederaufzubauen, für Wachstum und Entwicklung zu arbeiten, im vollen Bewußtsein unseres Könnens dazu imstande zu sein – trotz der vielen Hindernisse, welche uns gegenüberstehen – um der Größe der Afrikaner nachzuahmen, die vor uns da waren […])

Am 5.  Januar 2010 diesen Jahres griff der Courrier International den Artikel „In Timbuktu, a race to preserve Africa’s written history“ von Scott Baldauf aus dem Christian Science Monitor vom 16.12.2009 wieder auf, indem er hierfür die französische Übersetzung veröffentlichte.  Hierbei ging es um die reichhaltigen kulturellen Schätze, über welche Timbuktu verfügt. 
Die Familie von Ahmed Saloum Boularaf ist nur eine von vielen anderen, welche über eine wertvolle Sammlung von Handschriften verfügt. Ahmed Saloum Boularafs Großvater war es,  der ihn dazu überredete, seine Privatsammlung und die wertvollen alten Manuskripte zu vervielfältigen.  Der Osloer Arabist Albrecht Hofheinz schätzte in einem Artikel des Spiegel-Magazins den Bestand der Manuskripte und Handschriften in Mali auf 300.000 – 700.000. In dem folgenden BBC-Video vom November 2009 kommt Herr Boularaf nochmal zu Wort und es wird deutlich, dass er Hilfe braucht, seinen Familienbesitz zu konservieren, um diesen auch nachfolgenden Generationen zugänglich zu machen.

Lost manuscripts of Timbuktu from caparkinson on Vimeo.

Einem Artikel aus dem Spiegel (31/2008) entnehme ich, dass zurzeit etwa 12  wissenschaftliche Institutionen in Timbuktu wertvolle Arbeit bei  der Rettung und Auswertung von Dokumenten leisten, wobei besonders norwegische Organisationen hervorzuheben sind, da diese Einheimische zu Konservatoren ausbilden.

Sidi Mohamed Ould Youba, der beigeordnete Direktor des Ahmed Baba Institut brachte es auf den Punkt:

“The manuscripts of Timbuktu completely change the way we think of Africa. We had a long history, with a big advantage compared with other countries, including those in Europe. The Westerners like to think they can come here and tell us about good governance, but we were already writing about good governance back in the 16th century.”

(Die Manuskripte von Timbuktu werden die Sichtweise, wie wir über Afrika denken komplett ändern. Wir hatten eine lange Geschichte mit einem großen Vorteil im Vergleich zu anderen Ländern, solchen in Europa eingeschlossen. „Westler“  mögen glauben, dass sie hierherkommen und uns erzählen, was „gutes Regieren“ ist, aber wir schrieben bereits im 16. Jahrhundert darüber.)

In dem untentstehenden Video der englischsprachigen Ausgabe des Fernsehsenders Al Jazeera, das Teil einer Serie ist, wird unter anderem über die geschichtlichen Hintergründe der Stadt und von den vielen Privatbibliotheken insbesondere dem Ahmed-Baba-Instituts berichtet. Zur Grundsteinlegung des neues Instituts reiste eigens der ehemalige  algerische Präsident Ahmed Ben Bella mit seiner Frau an. Daneben gibt es noch viele weitere Videos, die vom Engagement und dem neuen Bewußtsein in der einstigen „Stadt des Wissens“ (Timbuktu) zeugen das kulturelle Erbe zu erhalten und sichtbarer zu machen.

P.S: Seit einigen Jahren gibt es Aluka, eine digitale Bibliothek wissenschaftlicher Ressourcen aus und über Afrika, die seit 2008 zu JSTOR gehört.

4 Kommentare

  • Vielen Dank für den tollen Beitrag.
    Ein sehr schönes Kapitel zu den „People of the Book“ und damit u.a. über Timbuktu findet man in: Stuart A.P. Murray: The Library. An Illustrated History. Chicago: ALA, 2009, pp. 97-102.

  • Erbärmlich genug, dass der sonst so informative Beitrag mit einer unkritischen Erwähnung von ALUKA (lizenzpflichtig!) schließt, ohne mit einer Silbe zu erwähnen, dass die überwiegende Mehrheit der akademischen Institutionen sich weder ein JSTOR-Abo noch ein ALUKA-Abo leisten kann (einschließlich der in Afrika).

  • Wolfgang Kaiser

    Danke für den Hinweis Herr Dr. Graf. Das war keinesfalls meine Absicht diese wichtige Zusatzinformation „unter den Tisch“ fallen zu lassen. Zudem hätte ich noch erwähnen können, dass nur 20 % der Bevölkerung in Mali überhaupt einer festen Beschäftigung nachgehen, die durchschnittliche Lebenserwartung nur bei etwa 50 Jahren liegt, die Desertifikationsgefahr sehr groß ist und es weltweit zu den 25 ärmsten Ländern gehört. Ferner hätte ich auch um dies genauer erklären können, die Rolle des IWF und der Weltbank in Entwicklungsländern wie Mali genauer analysieren können. Sehr anschaulich hierzu ist der Film Bamako von Abderrahmane Sissako . (http://www.dvdoutsider.co.uk/dvd/reviews/b/bamako.html)

  • Dörte Böhner

    Die Sankoré-Schriften und ihre Bedeutung werden von Joe Dramiga in einem aktuellen Artikel vorgestellt. Auch die Bedeutung der Bibliothek wird darin hervorgehoben.

    Die meisten Handschriften von Timbuktu (Schätzungen gehen von 300 000 bis 700 000 aus) gehören allerdings nicht der Universität Sankoré sondern waren und sind zu einem großen Teil im Besitz eingesessener Familien oder privater Sammlungen. Um die wichtigsten Bestände vor der Vergessenheit und dem Zerfall zu retten und öffentlich zugänglich zu machen wurde das Ahmed-Baba-Institut gegründet. Es platzt jedoch aus allen Nähten. Vor 40 Jahren für die Archivierung von 5000 Manuskripten erbaut, beherbergt es mittlerweile über 30 000 Schriften; 5000 davon wurden bereits restauriert und archiviert.

    Dramiga, Joe: Die Sankoré-Schriften, WissensLogs