Mit- oder Gegeneinander – Die Bedeutung des §52b UrhG für Bibliotheken

In seinem Bericht sprach Herr Nolte-Fischer von der Universitätsbibliothek der TU Darmstadt über eine Sache, die er nur halb versteht. Einen entgültigen Bericht konnte er noch nicht geben, da der Prozess ist noch mitten im Gange ist. Fischer selbst ist kein Jurist, sondern wurde in eine juristische Auseinandersetzung hineingezogen. Es scheinen aber auch die Juristen die Sache nur halb zu verstehen und sind verunsichert, weil noch unklar ist, was gilt. Hier hilft nur reden und dieser Bericht ist ein Teil dieser Aufarbeitung. Es geht um die Schranke des Urheberrechts, welche im § 52b UrhG geregelt ist, die zum 1.1.2008 mit dem Korb2 gültig wurde.

Tatbestand
Die TU-Darmstadt hat probeweise ca. 100 (Lehrbuch.)Titel Dezember 2008 digitalisiert (tudigilehrbuch) und online gestellt. Ausgegangen war man von einer geringen Nutzung dieses Angebotes. Augerufen werden konnten diese Dateien an 15 PCs im Katalogsaalals rein graphische Datei. Damals war der Druck und der Download kapitelweise möglich. Die Nutzung selbst war gering. Diese digitalisierten Bücher wurden nur durchschnittlich 1,7fach genutzt. Bei normalen E-Books ist die Nutzung 20 – 30 Mal höher. Als Antwort auf das erste Urteil vom 13.05. wurde der Download unterbunden und nach dem zweiten Urteil wurde das Angebot komplett eingestellt, da man aufgrund der gerichtlichen Einschränkungen das Angebot für die wissenschaftliche Arbeit als unnutzbar einstuft (“weil nicht zuverlässig daraus zitiert werden kann”).


Ablauf
Das Angebot ging im Januar 2009 online. Ende März erfolgte ein Abmahnung durch den Ulmer mit dem Vorwurf krimineller Handlungen. Außerdem hatte der Verlang ein Rundschreiben an seine Autoren gesandt. Im April begann die einstweilige Verhandlung und das Urteil erfolgte am 13.05.2009. Im Juni bat der DBV und die TU Darmstadt den Verlag um Gespräche. Dieses Angebot wurde nicht wahrgenommen und der Ulmer-Verlag ging in Berufung. Das 2. Urteil im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wurde am 24.11.2009 gefällt. Die TU Darmstadt erkennt diese Entscheidung jedoch nicht im Sinne eines Hauptsacheverfahrens an. Es ist nun am Ulmer-Verlag dieses Hauptsacheverfahren zu eröffnen. Der Verlag sieht dieses Verfahren aber nicht als “der Sache dienlich” an und sucht nun das Gespräch.

Streitpunkte
Unstrittig an der Digitalisierung nach § 52b UrhG ist, dass Werke aus dem Bestand der Bibliothek entsprechend der vorhandenen Exemplarzahl in den Räumen der Bibliothek zugänglich gemacht werden dürfen und dass die Bibliothek dafür eine angemessene Vergütung zu zahlen hat. Dies ist schon ein Kompromiss, da Nutzer auf digitale Medien von überall zugreifen möchten im Rahmen des Netzes. Das digitale Angebot ist dadurch bereits entscheidend eingeschränkt. Der Versuch der TU Darmstadt war daher erstmal auf ein Jahr beschränkt und sollte dann evaluiert und neu überacht werden.

Strittig ist jedoch das Recht auf zustimmungsfreie Digitalisierung gewesen. Auch eine öffentliche Werbung (bekanntmachen im Rahmen des Bibliotheksangebotes), ein Recht auf Privatkopie wurde ebenso in Abrede gestellt. Zudem ging der Ulmer-Verlag von einem Vorrang des Verlagsangebotes aus.

In erster Instanz wurde eine zustimmungsfreie Digitalisierung bestätigt, “Werbung” erlaubt (Hinweis auf Homepage) und ein Vorrang des Verlagsangebotes abgelehnt. Dabei wurde bewusst ein Unterschied zwischen §52b und §53a UrhG gemacht. Der Download wurde als verboten, der Ausdruck aber als zulässig angesehen. In der zweiten Instanz kommmt das Landesgericht Frankfurt mit anderer Begründung zu gleichen Ergebnissen aber der Ausdruck wurde als nicht mehr zulässig angesehen.

Einschätzung
Das erste Urteil ist nicht toll, aber man kann damit noch leben. Es ist “ist okay”, wurde positiv durch die Presse aufgenommen, aber vom Börsenvereins abgelehnt. Die Kommentierung ist nach wie vor diametral. Das zweite Urteil hinterließ Ratlosigkeit bei den Bibliotheken. Der Börsenverein klang eher zufrieden und die TU Darmstadt hat daraufhin Angebot eingestellt, weil es keinen Sinn mehr machte – auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht (Kosten für Vergütung, Kosten für Herstellung eines Digitalisats und ZurVerfügungStellung). Es sorgte für eine “Verumständlichung der heutigen Welt” (Rückschritt).

Eine falsche Einschätzung der Rolle von Bibliotheken seitens der Verlage beruht dabei auf einem Missverständnis: Die Arbeit in Bibliotheken war nie nur lesen, sondern auch Abschreiben und Schreiben, so gesehen waren Bibliotheken immmer schon Kopierstuben, denn nur so war (ist) Wissenschaft möglich.

Bibliothek der TU-Darmstadt – ein paar Zahlen
Als Bibliothek einer mittelgroßen Technischen Universität steht der Bibliothek ein Haushalt von 2-2,5 Mio Euro pro Jahr zur Verfügung. Davon gibt sie ca 60% für elektronische Medien (15.000 elektron. Titel) aus. Seit 2007 übersteigt die Nutzung der elektronischen Medien die der gedruckten, aber erstaunlich ist, dass die Nutzung gedruckter Medien sich seit dem verdoppelt hat. Dies spricht für eine komplimentäre Nutzung und zeigt, dass elektronische Medien rasant genutzt werden, gedruckte aber dennoch nicht ins Abseits gedrängt werden. Elektronische Medien sind heute ein Hauptgeschäft der Bibliothek und die wenigen selbstdigitalsierten Medien machen dabei ein sehr kleines, komplimentäres Angebot aus.

Ausblick
Die digitale Verfügbarkeit erhöht auch dessen Sichtbarkeit. Studierende haben inzwischen für ihre Arbeiten einen digitalen Workflow entwickelt und alles was in diesen nicht hineinpasst wird weniger genutzt. Digitalität macht diese Medien leichter auffindbar, leichter verfügbar, leichter kopierbar – all das, was die Wissenschaft heute benötigt. ein Problem ist nur, dass dies die Kontrolle der Medien und Informationen durch die Verlage erschwert. Nolte-Fischer macht deutlich, dass dies ein Problem der Verlage ist, nicht jedoch eines der Bibliotheken. Es ist auch nicht unbedingt eines der wissenschaftlichen Autoren, denn diese wollen viele Leser. Es gibt auch viele Leser, die Autoren sind und die wollen möglichst viele Dinge einfach lesen können. Die Verlage selbst müssen den Zugang erschweren “bei Strafe ihres Untergangs”, um weiter existieren zu können. Sie werden – wie die Nutzung der “echten” E-Books zeigt – benötig, um die Qualität der Bücher (Peer Review) und ihren Vertrieb usw. zu machen. Bibliotheken übernehmen für sie die Rolle des “Scharniers für den erschwerten Zugang”. Nolte-Fischer sprach bei dem, was die Verlage derzeit mit der Erschwerung des Zugangs tun, von “Maschinenstürmerei” im Kampf gegen die Herausforderungen der Digitalisierung. Dadurch könnten sie nur verlieren. Sie unterhöhlen einerseits die Aufgabe der Bibliotheken und auch ihre eigene. Wenn sie keine Lösung finden, würden sie dadurch ihre Autoren verlieren.

Problematisch ist, dass derzeit die Entwicklung eines wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts stockt. Der 3. Korb ist zwar Teil des Koalitionsvertrags geworden, aber der Zusatz “wissenschaftsfreundlich” wurde gestrichen, da manche Länder sehr auf seiten der Verlage stehen. Paragraph 52b UrhG ist besonders für die Verlage eine Chance auf Sichtbarkeit, die nur gedruckte Werke herausbringen. Sie können so auch im digitalen Raum sichtbar sein. Für Verlage, die eh digitale Angebote haben, ist dieser Paragraph von geringerem Interesse, da die Nutzung nachweislich gering ist.

Die Digitalisierung nach §52b UrhG war ein Ausloten der Möglichkeiten, die sich für Bibliotheken ergeben. Durch das zweite Urteil muss man dieses Angebot als gescheitert ansehen.

Vortragsfolien des 4. Bibliothekskongresses 2010:
Nolte-Fischer, Georg : Mit- oder Gegeneinander. Digitalisierungsstrategien von Verlagen und Bibliotheken. Der Streit um den § 52b UrhG

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