Aktuelles zur interkulturellen Bibliotheksarbeit aus Italien (Südtirol) und Österreich
Der Bibliotheksverband Südtirol lädt am 24.04.2010 zu seiner 29. Jahreshauptversammlung ins Pastoralzentrum Bozen ein, deren diesjähriges Motto ganz im Zeichen der Interkulturellen Bibliotheksarbeit steht. Am 24. April wird es dazu am Vormittag einen Workshop mit vielen praktischen Tipps sowie am Nachmittag ein Referat zum Thema geben. Beide Veranstaltungen werden von Reinhard Ehgartner, dem Leiter des Österreichischen Bibliothekswerks geleitet, der schon einige viel beachtete Projekte auf diesem Gebiet initiiert hat. Er ist Leiter des Projekts „LebensSpuren, Begegnung der Kulturen“ und ehrenamtlicher Bibliothekar. Ausserdem hat das Bibliothekswerk vor kurzem eine 192-seitige Projektmappe veröffentlicht, welche in Kooperation mit vielen anderen Bibliotheken und Institutionen entstand (eine „Arbeits- und Impulsmappe für die bibliothekarische Praxis“). Sie ist zum Preis von € 20,- plus Versandkosten (in Österreich € 3,50) beim Österreichischen Bibliothekswerk (Telnr: 0043-662-881866 oder per E-mail: biblio@biblio.at) erhältlich. Darin enthalten sind Grundlagen zum Thema Migration und Integration, zentrale Dokumente zum Thema „Interkulturellen Bibliotheksarbeit“, Impulse zu den Themenbereichen „Mehrsprachigkeit“ und „Sprachwechsel“, zahlreiche Projektbeschreibungen und Konzepte aus der bibliothekarischen Praxis, Projektmaterialien der STUBE zum Thema „Fremdheit/Vielfalt“ und Buchrezensionen zum Thema „Interkulturelle Vielfalt“ der bn.bibliotheksnachrichten und des Vereins EFEU. Obwohl ich die Projektmappe noch nicht kenne, bin ich mir sicher, dass diese auch für Bibliotheken in anderen deutschprachigen Sprachräumen zusätzlich zum Webauftritt www.interkulturellebibliothek.de und der Checkliste „Wie interkulturell ist Ihre Bibliothek?“ eine gute Ergänzung darstellen könnte, da es meinem Kenntnisstand zufolge noch keine mehrseitigen Materialien zu diesem Thema in Deutschland gibt. Ehgartner betont am Schluss seines Aufsatzes die Bedeutung einer höheren medialen Aufmerksamkeit zu diesem Thema, eine stärkere Verankerung des Aufgabenfeldes in der Breite und die damit verbundene Lobbyarbeit in politischen Entscheidungsprozeßen. Aus diesem Grunde wäre eine einheitliche Projektmappe hierzulande ebenfalls wünschenswert, um mit einer Handreichung bei Multiplikatoren und bei politischen Entscheidungsträgern unterschiedlichster Couleur stärker um die interkulturelle Zukunft zu werben. Nach wie vor wird der abgrenzende Begriff der sogenannten „Mehrheitsgesellschaft“ verwendet. Die „Mehrheit“ – ob nun als Kunden einer Bibliothek oder als Bürger eines Stadtteils – wurde meines Erachtens noch nicht ausreichend auf diese interkulturellen Veränderungen von Seiten der Politik und der Zivilgesellschaft vorbereitet. In seinem Aufsatz „Die Bibliothek als Begegnungsort der Kulturen: Einige Überlegungen zur interkulturellen Bibliotheksarbeit“ benennt Reinhard Ehgartner unterschiedliche Aspekte der Interkulturellen Bibliotheksarbeit, wobei ich die drei Schritte, welche über die kulturelle Brückenfunktion von Literatur und von Bibliotheken hinausgehen an dieser Stelle zitiere:
Schritt 1: Vom Objekt zum Subjekt: Interkulturelle Bibliotheksarbeit nimmt Menschen aus anderen Kulturkreisen als Zielgruppe ihrer Arbeit ernst und entwickelt ihr Angebot nach den speziellen Wünschen und Bedürfnissen. Die große Gefahr hierbei liegt darin, die bereits bestehenden Angebote nur auf der Ebene der Sprachen zu ergänzen. In der Vergangenheit hat das bisweilen zu Frustrationen geführt, wenn der neu aufgebaute Bestand türkischer Bilderbücher, serbischer Romane oder russischer Klassiker nicht angenommen wurde. Jede Kultur hat ihre spezifischen Formen des Lernens und des Umgangs mit Medien. Bibliotheken müssen sich aufmachen, die jeweils spezifischen Kommunikations- und Lernformen zu erfassen und in ihren Angeboten zu berücksichtigen.
Schritt 2: Vom Konsument zum persönlichen Gegenüber: Mit einem entsprechenden Medienangebot können Menschen mit Migrationshintergrund in Lernprozesse eintreten, wirkliches Lernen und Verstehen erfolgt jedoch immer in persönlicher Begegnung.[…]Zugleich gilt es, die Menschen mit anderem kulturellem Hintergrund auch handelnd in die eigene Veranstaltungskultur und, wenn möglich, sogar in das eigene Team hereinzuholen. Interkulturelle Bibliothekarbeit ist vor allem dort stark, wo sie nicht nur FÜR neue Zielgruppen Angebote entwickelt, sondern MIT ihnen.
Schritt 3: Vom individuellen Angebot zum vernetzten Handeln: […]Ein weiterer Grund für die Unverzichtbarkeit kooperativen Handelns liegt in der Komplexität des Themas. Wer schafft es, einen Bibliotheksflyer auf Serbisch zu verfassen, die Qualität eines arabischen Bilderbuches zu beurteilen, einen in kyrillischem Alphabet verfassten Roman zu katalogisieren oder ein gewünschtes Buch aus Tschechien zu besorgen?
Eine weitere Anregung aus Südtirol ist das Buch „Zwei Kulturen ins Spiel bringen“ von Abdelouahed El Abchi, das ich vor wenigen Tagen in der Mailingliste des Bibliotheksverbands Südtirols entdeckte. Der Autor stammt aus Marokko und arbeitet als interkultureller Mediator in Schulen, Jugendzentren und anderen Institutionen.Dabei handelt es sich um ein zweisprachiges Buch, dem Kartenspiele wie etwa Watt- und Rundakarten beigelegt sind. Watten wird ja auch in Bayern gespielt und ist mir durchaus bekannt. Bei Runda handelt sich offensichtlich um ein Kartenspiel, welches in arabischsprachigen Ländern z.B. in Marokko gespielt wird. In der Beschreibung heißt es weiter:
Das Buch bietet Erläuterungen zur arabischen und südtirolerischen Kultur und gibt Tipps für interkulturelle Begegnungen. Insbesondere wird auf die Möglichkeiten des Spiels zum Kennenlernen anderer Menschen und zum Abbau von Ängsten eingegangen. Somit ist der Weg frei, um aufeinander zuzugehen, miteinander zu spielen, zu reden und zu lachen und um neue Beziehungen zu knüpfen.
Auch wenn das 144 Seiten starke Buch für Bibliotheken hierzulande aufgrund der Spezifika über die südtirolerische Kultur nicht 1:1 übertragbar ist, enthält es mit Sicherheit Informationen, welche für andere Bibliotheken außerhalb der autonomen Provinz Südtirol adaptierbar wären. Sollte der Verlag in Zukunft weitere Bücher herausgeben, könnte dieser mit Ausgaben für die verschiedenen Bundesländer Deutschlands und Österreichs und deren regionaltypische Mentalitäten und Kulturen durchaus für einen größeren Absatz sorgen, wobei aber dennoch die Bilingualität beibehalten werden sollte (Dialekte, Sprachen und Kulturen). Zweifelsohne ist es eine gute Anregung mithilfe von Spielen aus anderen Ländern Kulturen zusammenzubringen und auch solche Menschen für die Bibliothek als Ort der Begegnung zu begeistern, die normalerweise nicht kämen oder andere Orte zum Gesellschaftspiel bevorzugen. Das Haus der Kunst in München tat dies an mehreren Abenden bis einschließlich dem 23.10.2009 anlässlich der Ai Weiwei – Ausstellung mit dem Mahjongspiel (aus China) unter Anleitung einer Sinologin und Kulturtrainerin. Besonders gewinnbringend wäre nicht nur ein interkultureller Austausch zwischen gleichaltrigen Menschen, sondern noch eine intergenerationale-interkulturelle Begegnung, welche durch verschiedene Gesellschaftsspiele erleichtert werden würde. Dadurch wäre es für viele Menschen einfacher den Kontakt zu finden, als sich mutig bzw.ängstlich ein „fremdes lebendes Buch“ auszuleihen.