Weimarer EDOC-Tage 2011: Verlagssicht auf E-Books

Begonnen hat Herr Prof. Dr. von Lucius1 das Thema E-Book und seine Auswirkungen auf Verlage kleinerer und mittlerer Größe zu betrachten. Er sprach über die Perspektiven der Verleger im digitalen Zeitalter, um einen Dialog darüber in Gang zu bringen und ein aktuelles Bild der Probleme der Verleger in seinen verschiedenen Faszetten zu zeigen.

Kernaussage und Einstieg war: WIR STEHEN GANZ AM ANFANG! Trotz jahrelanger Diskussionen hat man noch keine Lösungen und da wo Lösungen gefunden wurden, sind auch neue Probleme identifiziert worden. Galt bei gedruckten Medien noch CONTENT IS THE KING, ist dies bei digitalen Inhalten jetzt anders. Heute können Inhalte über viele Kanäle bezogen werden und es ist eher von einer Inhalteflut zu sprechen. Verlage müssen versuchen über angebotene Zusatzfunktionen konkurrenzfähig zu bleiben. Hier ist ein großes Problem, dass passende Geschäftsmodelle fehlen oder nur sehr zögerlich umgesetzt werden.

Verlage stehen z.B. vor der Frage, wie geht man mit den sozialen Netzwerken um, in denen momentan große Mengen an Informationen kursieren. Hier beschränken sich die Aktivitäten der Verlage eher auf eine neue Form der PR und des Marketing. Wenn ich an dieser Stelle einmal die Zuwächse betrachte, die bei uns in der Bibliothek im Bereich Marketing passieren, behandeln viele Bücher das Thema Multimediamarketing. Herr von Lucius konnte an dieser Stelle jedoch aus eigener Erfahrung und eigenen Gesprächen mit Verlagskollegen keine funktionierenden Geschäftsmodelle benennen, d.h. Verlage, die damit momentan Geld verdienen und nicht nur Geld investieren.

Die Verlage müssen sich daher auch einer Grundsatzfrage stellen in diesen unsicheren Zeiten. Wollen Sie E-Books überhaupt in ihr Programm aufnehmen. Fast 80 Prozent haben diese Frage für sich derzeit mit einem Ja beantwortet. Davon sind 2010 bereits 35 Prozent aktiv, 65 Prozent wollen noch aktiv werden. Diese Aussage sind geschönt, betrachtet man diesen Punkt unter dem Aspekt der Marktfähigkeit. Hier gibt es wesentlich weniger Verlage, die bereits marktfähige Produkte bieten und die Verlage sind auch zögerlich aufgrund der derzeit unendlich vielen Geräte, für die solche Produkte geeignet sein sollten.

Zukünftige Planungen bei den Verlagen sind hier auch zu betrachten. 35 Prozent der Verlage haben bereits 2010 E-Books im Angebot. 18 Prozent wollen E-Books noch in diesem Jahr anbieten, 7 Prozent im Jahr 2012 und weitere 18 Prozent planen dies in den folgenden Jahren zu tun. Ganze 22 Prozent haben keinerlei Absichten, zukünftig E-Books in ihr Verlagsangebot aufzunehmen.

Von Lucius machte deutlich, dass aus seiner Sicht die Kosten für E-Books aus Sicht der Verlage eher steigen als sinken werden. So sinken zwar die Vervielfältigungs- und Transaktionskosten gegen null, aber auf Grund der steigenden Anzahl geschlossener Systeme und Medienformen (print, online, mobile Endgeräte) , für die man auch das E-Book bereitstellen will/soll, steigen die Kosten für eine mediengerechte Anpassung der Inhalte. Diese Kosten werden zum Risiko, da aufgrund fehlender Erfahrungswerte unklar ist, was der Markt dafür hergibt, sowohl an technischen Möglichkeiten als auch bei der Zahlungsbereitschaft der Endkunden.

Auch die Vertriebswege ändern sich erheblich. In der Printwelt lief der Vertriebsweg über (Zwischenbuchhandel), den Buchhandel oder gleich direkt zum Kunden. Eventuell ist im Großkundengeschäft ein Aggregator zur Bündelung der Inhalte vorgeschaltet. In der digitalen Welt sehen sich die Verlage mit höheren Ansprüchen bzgl. eines zielgruppenorientierteren und somit differenzierteren Vertriebs konfrontiert. Es gibt nicht mehr den einheitlichen Vertriebsweg. Hinter den Verlegern stehen die Zwischenhändler für den Vertrieb, z.B. beam-ebooks, Aple, Libri, Amazon, Libreka, die widerum eine große Anzahl von Online-Stores betreiben. Jeder Store bietet die E-books in sehr unterschiedlichen Formaten zu sehr unterschiedlichen Lizenzen an. Hier eine geeignet Plattform, geeignete Formate und die richtigen Lizenzmodelle auszuwählen ist eine weitere Herausforderung, aber auf solche Angebote ist der Verlag angewiesen, wenn es darum geht, die Publikationen für den Autor zu vertreiben. Mit den neuen Zwischenhändlern sind weitere Mitspieler hinzugekommen, die ihre Bedingungen für den Handel über ihre Vertriebswege diktieren, z.B. Apple oder Amazon. Nicht abzustreiten ist hier auch die Gefahr von Zensur.

Ein Problem ist, dass die Verlage ihre Werke für derzeit unendliche viele Geräte und damit Formate verfügbar halten müssen. Kleine Verlage brauchen Hilfe bei der mediengerechten Anpassung. Diese outgesourcte Transformation muss natürlich bezahlt werden und verursacht Kosten. Von Lucius glaubt daher, dass E-Books eher teurer als billiger als das gedruckte Buch werden.

Ein weiteres bestehendes Problem für die Verlage ist die starke Differenzierung der Vertriebswege. Hier hat es erhebliche Veränderungen bereits gegeben. So wurde in der analogen Welt das Buch über den Buchhandel vertrieben oder direkt an den Kunden (meist größere Abnehmer) versandt. In der digitalen Welt ist der Verlag genötigt, zielgruppenorientiertere Vertriebswege zu schaffen. Einheitliche Vertriebswege gibt es nicht mehr: So besteht die Möglichkeit, Medien über Aggregatoren (Bündelung), an den Einzelkunden oder über den Buchhandel zu vertreiben, wobei der Endkunde zunehmend direkt angesprochen werden soll. Diejenigen, welche die Betriebswege zur Verfügung stehen werden immer Stärker und neigen auch zu einem Preisdiktat, so etwa Apple oder Amazon. Auch die Gefahr von Zensur steigt so.

Die Verlage – das sollten sie sich immer wieder verdeutlichen – bedienen derzeit mit E-Books zwei sehr unterschiedliche Märkte. Das eine ist der Business-to-Business, d.h. der B2B-Bereich. Dahinter versteckt sich der institutionelle Markt, bei dem die Verlagsprodukte an Universitäten, Firmen, Kliniken etc. vertrieben werden. Dieser Markt bereitet den Verlagen derzeit die wenigsten Sorgen, weil die Verlage ihre Vertragspartner als zuverlässig einschätzen und auch deren Bedarf gut einschätzen können. Für diesen Markt gibt es bereits zahlreiche Produkte und von Lucius bewertete die Ergebnisse für diesen Markt auch als zufriedenstellend. Der Markt selbst ist allerdings recht übersichtlich.

Problematischer hingegen ist der Business-to-Consumer-Mark (B2C). Hier gibt es noch viele Probleme insbesondere für den Vertrieb zu lösen, wie etwa das Micropayment, d.h. die Bezahlung für sehr kleine Einheiten, oder der Datenschutz. Den Verlegern zu schaffen macht die Freibier-Philosophie der Endkunden, die von Lucius‘ Meinung nach auch aus einer unreflektierten Open Access-Bewegung reflektiert. Hier wage ich zu widersprechen und verweise ohne weitere Erklärungen auf die Entstehungsgeschichte des Internets hin. Piraterie ist dort außerdem der wichtigste Knackpunkt für die Angebote der Verlage.

Andererseits haben Verlage auch die Entwicklung unterschätzt, die durch die Wikipedia in Gang gesetzt wurde. Wikipedia-Angebote haben bereits verschiedene Verlagsangebote gefährdet oder zum Erliegen gebracht. Hier seien stellvertretend der renommierte Brockhaus und Meyers Lexikon genannt.

Die Vertriebsstrategien waren bereits mehrfach ein Thema in diesem Bericht. Hier müssen Verlage neue Wege gehen und differenziertere Produkte anbieten (von kostenlos über Standard bis hin zu Premiumangeboten). Heute schon weit verbreitete kostenlose Angebote kann man zum anfüttern als Teaser nutzen. Die Standardprodukte sind für Endkonsumenten mit einem kleinen Geldbeutel geeignet und das Premiumangebot ermöglicht z.B. einen Volltextzugriff auch auf besonders wichtige Texte, wie dies beispielsweise im Produktsortiment von Beck-online passiert. Das erfordert jedoch eine tiefgehende Analyse der Verbraucherwünsche. Oftmals sind sehr verschiedene Zielgruppen zu bedenken, z.B. Studenten, Bibliotheken, Praktiker, Industrie. Für Fachbereich ist die Frage sehr gut zu lösen. Auch hier ist ein gut geeignetes Beispiel Beck-online. Zu erwarten ist, dass sich dabei die Kosten für die differenzierten Produkte stark verunheitlichen werden. Ein heute bereits stark verbreitetes Schlagwort für maßgeschneiderte Angebote ist „Freemium“.

Neben den veränderten Vertriebsstrategien werden auch die Produktstrategien sich ändern müssen. So werden beispielsweise unbearbeitete PDF-Dateien bei Bündelungen in Datenbanken zu relativ geringen Kosten vertrieben. Enhanced (angereicherte) Angebote werden in der Premiumklasse vertrieben, aber die Verlage müssen sich auch auf Produkte konzentrieren, die „beyond publishing“, d.h. welche Servicedienstleistungen können Verlage um den Inhalt herum anbieten, z.B. Kundeninformationen, Symposien oder Auskunftsdienste. Hier sind noch viele Entwicklungen denkbar.

Dass die Entwicklung dieser Geschäftsmodelle schwierig ist, zeigt das Beispiel der New York Times, die bereits vor sechs Jahren mit Paid Content den digitalen Markt erobern wollten. Dieser Vorstoß ist als gescheitert anzusehen. Seit drei Monaten bieten Sie ein Modell an, bei dem Nachrichten-Apps für das iPad kostenlos sind. Auch 20 Artikel können pro Monat kostenlos im Volltext gelesen werden. Ein voller Zugang über Internet oder Smartphone kostet 15 Dollar, über Internet und iPad 20 Dollar und für alles zusammen 35 Dollar im Monat. Das Problem der New York Times ist, dass sie anders als das Wall-Street-Journal, bei dem viele die Zeitung beruflich lesen, den B2C-Markt anspricht.

Was derzeit die Preispolitik angeht, so gilt derzeit hohe Preise für große Bündelungen, was aber geringe Preise für die enthaltenen Einheiten bedeutet. Diese werden vor allem für den Bibliotheksmarkt angeboten. Für Einzelprodukte sind die Verlage sich noch unklar. Sollen diese höher, gleich teuer oder niedriger als der Preis des Printproduktes sein. Dabei ist das elektronische Produkt anspruchsvoller als das gedruckte, so dass aus von Lucius‘ Sicht die Preise eher höher ausfallen werden. Bei hybriden Produkten wird es noch schwieriger. Vermutlich wird hier eine Lösung über sehr differenzierte Nutzungsrechte zu finden sein. Derzeit problematisch für die Verlage ist gerade bei E-Books die als Apps angeboten werden, die Tatsache, dass die Herstellung noch teurer ist als das, was sie aufgrund des Preisdiktats von Apple damit verdienen dürfen. Zurzeit zahlt man aber eher für die Form der Darreichung als für den Inhalt, was aus Sicht der Verleger und vermutlich auch Bibliothekare ein wenig paradox wirkt.

Eine zunehmende Granularität der Produkte stellt sich für die Verlage zugleich als Chance als auch als Gefahr dar. Wie will man seine Produkte sehen? Besteht nicht die hohe Wahrscheinlichkeit hier Verluste einzufahren? An dieser Stelle fehlen eindeutig Erfahrungen seitens der Verlage, Bibliotheken und Nutzer. Wie wirkt sich die Granularität auf die Aggregation von Wissen und die Wissensaneignung aus? Hier sind noch viele Fragen hinsichtlich Versionierung, Entscheidungen der Konsumenten und Verlage aus ökonomischer Sicht aber auch in Bezug auf Lerntechniken zu klären.

  1. Inhaber von Lucius & Lucius, einem kleinen Fachverlag für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Soziologie []