Was soll sich in den nächsten fünf Jahren in Bibliotheken ändern?

Das Taiga-Forum hat eine ganze Reihe neuer provokativer Aussagen formuliert, die zu Diskussionen führen sollen anstatt ein Versuch zu sein, die Zukunft der Bibliothek vorauszusagen. Dabei geht es um eine mittelfristigige Zukunft und dafür zu treffende Planungen und zu findende Entscheidungen. Es geht gar nicht darum, umfassend alle Fragen zu klären, sondern Gespräche in Gang zu bringen. Daher sind Kommentare zu den einzelnen Punkten herzlich willkommen.

Zu den Thesen:

1. Organisatorische Strukturen werden flacher
Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden sich heutige universitäre Organisationsstrukturen auflösen und zu einer Abflachung der Organisationsebenen führen. Für Bibliotheken bedeutet dies einen Verlust an Autonomie. Bibliothekarische Aufgaben werden durch andere Teile der Universität übernommen.

2. Radikale Kooperationen
Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird die Verwaltung der Unis erwarten, dass Forschungsbibliotheken ihre Bibliotheksetats deutlich reduzieren, indem sie mit konkurrierenden Universitäten radikal kooperieren: durch gemeinsam besessene Sammlungen, starkes Outsourcing, geteilte Personalressourcen und gemeinsame Serviceangebote.

3. Gemeinsame Raumnutzung
Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden wissenschaftliche Bibliotheken sich Partner für die gemeinsame Nutzung aussuchen oder ihnen werden entsprechende Partner zugeteilt. Bibliotheken werden kaum auf die Karte “Bibliothek als Ort” setzen können, wenn sie ihre Räume nicht für ergänzende Angebote/Nutzungen öffnen.

4. Bücher als Deko
Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden Studierende mit einem akademischen Abschluss und Fakultäten ihre Informationsbedürfnisse online befriedigen und dafür nicht mehr in die Bibliothek kommen. Es wird sich von Bibliotheken ein idealisiertes Bild entwickeln als “heiliger Platz für die Zwiesprache mit Büchern”. Bibliotheken werden darauf reagieren, indem sie ihre “Bücherlager” in durchgestylte Leseräume umwandeln, in denen Bücher als Dekor verwendet werden.

5. Kein Bestandsaufbau
Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird der Informationsbedarf durch Kauf auf Anfrage gedeckt. Sogenannte “Big Deals” werden verschwinden und Bestandsaufbau wird nur noch für ein paar ausgewählte Bibliotheken von Bedeutung sein.

6. Neues Modell des Verbindungsbibliothekars
Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird es Fortschritte bei der Entwicklung des Forschungsdatenmanagements geben und Pflegeservices werden zu einem neuen Modell des bibliothekarischen Verbindungsbeamten führen, der auf die institutionellen Inhalte spezialisiert ist.

7. Umverteilung der Mitarbeiter, Stellenabbau und Umschulung
Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden Bibliotheken eine Bestandsaufnahme machen und sehen, welche Fähigkeiten nicht mehr benötigt werden und Lücken identifizieren und benennen. Erfolgreiche Bibliotheken werden Stellen- und Rollenpläne entwickelt haben, um ihre Mitarbeiter umzuverteilen, überflüssige Stellen abzubauen oder ihre Mitarbeiter umzuschulen. Erfolglose Bibliotheken werden es nicht geschafft haben, den Widerstand gegen Veränderungen besiegt zu haben und werden ihre besten und cleversten Köpfe verloren haben.

8. Bibliotheken in der Cloud/Wolke
Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden alle Bibliothekssammlungen, -systeme und -serves in der Cloud betrieben. Dies ermöglicht auch eine Zusammenarbeit, die über den “eignenen Campus” hinaus geht.

9. Bunter Stauß an Services
Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden Bibliotheken gezwungen sein zu erkennen, dass ihr bunter Strauß an Servies auf ihre Grundaufgaben beschränkt werden wird. Um gut aufgestellt zu sein, müssen Bibliotheken geplant auf bestimmte Aufgaben verzichten.

10. Überangebot an einem Master of Library and Information Science
Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden durch entsprechende Ausbildungsprogramme mehr Master of Library and Information Science als geisteswissenschaftliche Doktoranden produziert und der damit dauerhaft kleinere Arbeitsmarkt übersättigt.

Diese zehn Aussagen mögen in den USA in den nächsten fünf Jahren zutreffen und einige Punkte werden sicherlich auch relativ schnell in Deutschland zu bedenken sein. Eine ausführliche Diskussion sind sie auf jeden Fall wert.

Zum Taiga-Forum:

The Taiga Forum is a community of AULs and ADs challenging the traditional boundaries in libraries. The Taiga Forum meets annually. […] Taiga 7 will be held in conjunction with the Digital Library Federation (DLF) Fall Forum, October 21-November 2, 2011

PS: Ich habe versucht die Thesen aus dem Englischen zu übertragen. Eine Diskussion ist natürlich auch hier im Blog jederzeit willkommen. Ich habe aber auf die Originalbeiträge direkt verlinkt, da an dieser Stelle bereits eine Diskussion begonnen wurde.

6 Kommentare

  • Alex

    Ui, davon wird sicherlich einiges eintreten (bspw. die Sättigung des Marktes).
    Die Entwicklung zu beobachten und zu begleiten wird spannend.

  • Dörte Böhner

    Hallo Alex,

    ich persönlich sehe die Sättigung des Marktes etwas später kommen, denn gerade in der Wirtschaft ist der Bedarf zur Zeit und wohl auch in den nächsten Jahren sehr hoch. Eher sehe ich Tendenzen, dass die “Bibliothek als Ort” auch im wissenschaftlichen Bibliothekswesen eine andere Bedeutung bekommt, zunehmend als Ort für Lerngruppen, Seminare, Präsentationsfläche für Studien- und Forschungsergebnisse und persönlicher Treffpunkt.
    Was unsere Services angeht sind wir momentan eher in der Phase, wo wir unseren Strauß munter erweitern, z.B. durch Bestrebungen, Suchräume zu verbessern, Angebote des Teaching Librarian etc. Hier wiederum ist eine Tendenz zu beobachten, diese als Shared Services anzubieten, z.B. gemeinsames Hosting von Bibliothekskatalogen, Ask-a-Librarian-Services, EZB, DBIS etc.

    Für uns als Bibliothekare ist es wichtiger zu verstehen: Wir sind ein Teil dieser Entwicklungen und müssen unser bestes tun, nicht nur zu beobachten, sondern das ganze auch aktiv zu begleiten. Wir müssen nicht blinden Auges in die bevorstehenden Veränderungen hineinrennen und nur reagieren. Wir können jetzt bewusst agieren und die Entwicklungen ein Stück weit mitbestimmen. Daher sollte Punkt 7 momentan maßgeblich sein für die Aufstellung der eigenen Personaldecke.

  • Pingback: Gelesen in Biblioblogs (27.KW’11) « Lesewolke

  • Ria

    Hallo, was ist denn ein AUL?

  • Dörte Böhner

    AUL steht für Associate University Librarians. Die Abkürzung AD kann man mit Associate Deans und Assistant Directors auflösen.

  • Dörte Böhner

    Sehe ich die bibliothekarische Welt jetzt genau wie sie ist, ganz ohne sentimental gefärbte Brille? Habe ich jetzt das supergeheimisvolle Kennwort, das alle Türen öffnet? Haben wir stellvertretende Bibliotheksdirektor [sic!] den Untergang der modernen wissenschaftlichen Bibliothek sowie die Entlassung sämtlicher Bibliothekare sorgfältig geplant?

    Über das Taiga-Forum und seine Bedeutung für ein kritisches Bibliothekswesen schreibt Dale Askey in den Stimmen von Plan3t.info.