Einen dritten Sektor um das Sterben öffentlicher Bibliotheken und anderer Kultureinrichtungen aufzuhalten

 “Die Bibliothek von Zuccotti Park ist in derseben Weise in den Müll gewandert, wie auch andere Bibliotheken in den USA verschwinden. Bibliotheken, deren Buchbestände aufgelöst werden, um jene „Technikzentren“ zu errichten, die man aufsucht, um auf Facebook und eBay zu gehen und das Netz nach Steuertipps und Pornographie zu durchstöbern – so wie das andere Bürger in den eigenen vier Wänden tun; und Bibliotheken, die man deshalb schließt, weil man sie bei der städtischen Budgetplanung nicht mehr berücksichtigt hat.“ Mark Greif

Im oben angefügten Video wird der Text “Take This Book: The People’s Library at Occupy Wall Street” vorgelesen. Es ist eine Geschichte über Freiheit, Gefahren und Bücher und basiert auf den Geschichten von BibliothekarInnen und NutzerInnen. Es ist nur der Anfang, denn die Idee der Occupy Wall Street Library hat sich mittlerweile auch über die USA hinaus verbreitet. In Amsterdam und London gibt es solche Einrichtungen und sicherlich auch anderswo.

Ben Kaden hatte kürzlich einen Artikel des Kultursoziologen Mark Greif im IBI Weblog der HU zum Anlass genommen, um dessen Überlegungen zum Fortbestand der “Public Library” aufzugreifen und einen Strukturwandel der Bibliotheks- und Medienöffentlichkeit zu konstatieren. Auch Robert Reich beklagte gestern in einem Artikel am Beispiel der USA, was geschieht, wenn das öffentliche Gut an Wert (-schätzung) verliert (Here’s What Happens To Countries That Stop Valuing The Public Good) und was eine Gesellschaft kennzeichnet:

“What defines a society is a set of mutual benefits and duties embodied most visibly in public institutions — public schools, public libraries, public transportation, public hospitals, public parks, public museums, public recreation, public universities, and so on.”

Eine der Konsequenzen ist die Privatisierung (oder die Umwandlung in PPPs), welche Hella Klauser im Aprilheft von BuB 2011 im Artikel “Auf dem Weg zu McBib / Die Privatisierung Öffentlicher Bibliotheken schreitet in den USA voran – Nicht nur klamme Kommunen greifen zu” genauestens beschrieben hatte. Ich halte die Einschätzungen und Vergleiche von Kaden der USA mit Deutschland für äußerst pessimistisch und teile dessen Auffassung nur bedingt. Die Behauptungen wie Stadtkämmerer denken, halte ich für sehr pauschal und einseitig. Er ist ebenso nur ein “Schreibtischtäter” und wenn jemand wie er die Wahl zwischen Pest und Cholera hat, dann kann er höchstens noch aus dem Fenster springen oder seinen Job kündigen. Entscheidungen in diesem Beruf sind schmerzlich und sicher hatte auch manche BibliotheksleiterIn in der Vergangenheit Bauchschmerzen, wenn es keine Möglichkeiten mehr gab als sich ökonomischen Zwängen zu unterwerfen und diese unumgänglich waren, um den eigenen Job zu behalten. Nicht nur der Stadtkämmerer “freut” sich, wenn er Kosten minimieren kann, es sind auch leitende BibliothekarInnen, die 400 € -Jobber (ungelernt, meist Famis) einstellen (wie z.B. in einer bayerischen Gemeindebibliothek), Bundesfreiwilligenhelfer, bis vor kurzem 1-Euro-Jobber nahmen und altgediente Senioren als Ehrenamtliche gewinnen. Die Gemeinschaft besteht in vielen Gemeinden dann eben an einem anderen Ort, in Stadtteiltreffs oder in Kirchengemeindesälen oder in Bürgerhäusern, in den Schach gespielt wird und sich Generationen begegnen. Wenn schon die Ökonomisierung der Bibliotheken und unserer Lebenswelten beklagt wird, warum wurde dies in der bibliothekarischen Ausbildung und im Studium nicht ausreichender reflektiert anstatt nur stur die ökonomisierte und neoliberale Wirtschaftslehre propagiert? MitarbeiterInnen im gehobenen Dienst, welche in Stadtverwaltungen tätig sind, haben oftmals ein Studium absolviert, das sich häufig nicht mehr nur öffentliche Verwaltung nennt, sondern sehr häufig Verwaltungsökonomie, wo New Public Management propagiert wird und ethisches Handeln in den Hintergrund rückt und Bürger Kunden sind. Auch Bücher zum Thema “Governing the commons” von der Wirtschaftsnobelpreisträgerin Ostrom wurden weder in diesem Berufsfeld noch in “unserem” thematisiert. Uns wurde dieses Wissen über die ökonomisierte Haushaltspolitik ja schließlich auch als hilfreich und relevant vermittelt. Eigentlich war mit der Einführung der Doppik in den Kommunalverwaltungen doch klar, dass die Einnahmenseite bei Bibliotheken immer geringer als die Ausgabenseite ausfallen würde. Die doppelte Buchführung hat das Problem um den Eigenwert der Bibliotheken nur noch verschärft, aber im Grunde gab es schon seit längerem den Trend zum Privatisieren von Staatseigentum und einen durch Mindereinnahmen vieler Kommunen herbeigeführten Sparzwang im kulturellen Bereich.

Warum hat die Gemeingüter- oder Commonstheorie nie Eingang in die bibliothekarische (und kaum in die kommunalpolitische Praxis) gefunden? Natürlich vollzieht sich ein solcher Strukturwandel, das will ich nicht Abrede stellen. Was es gibt, ist das Bibliothekssterben, das wie ein Artensterben sich weiter langsam ausbreitet, Opfer und gesellschaftliche Auswirkungen nach sich zieht (Verdummung, kulturelle Abstumpfung und Verlust von kulturellem und sozialen Kapital), doch leider gibt bis dato noch keine vergleichbare Organisation wie WWF oder Robin Wood. Als die letztgenannten Organisationen sich formierten, gab es diese Bewußtsein, welches auch die vor wenigen Jahren vom ehemaligen deutschen Greenpeace-Vorsitzenden Thilo Bode gegründete Organisation FOOD WATCH nun vermehrt verbreitete, auch noch nicht. Doch den Verlust von Kultureinrichtungen und Bibliotheken werden diejenigen, welche selbst kaum in den Genuss solcher Institutionen gekommen sind, am allerwenigsten vermissen. Ist also eine Gemeindebibliothek auch eine Allmende, ein Gemeingut, das erhalten und geschützt werden muss?

Dennoch entstehen immer noch neue öffentliche Räume (z.B. durch die Urban Gardening-Bewegung oder die Give-Away-Bewegung) oder alte Bibliotheken bleiben erhalten und werden von einem ehrenamtlichen Personal weitergeführt. Erneut will ich diesen Blogeintrag zum Anlass nehmen die Gründung einer parteiübergreifenden Organisation vorzuschlagen, die sich dem Schutz und der Erhalt öffentlicher Bibliotheken widmet und offen für Bibliotheksgesetze eintritt und aus Menschen unterschiedlicher beruflicher Richtungen besteht. Eine Lobby, die nicht nur aus BibliothekarInnen und PolitikerInnen besteht, sondern aus Einwohnern jeglicher beruflicher und sozialer Herkunft, um deutlich zu machen, dass Bibliotheken keine exklusiven Einrichtungen sind, die von wenigen “Buchfreunden” besucht und unterstützt werden.

Ich denke, dass das Verschwinden von öffentlichen Bibliotheken hierzulande nicht so schrecklich, wie in den USA ausfallen wird.

Theaterschaffende und RömerInnen haben kürzlich gegen die Schließung ihres Teatro Valle in Rom protestiert und dieses besetzt. Diese Bewegung hat auch PolitikerInnen und die Öffentlichkeit außerhalb Italiens aufhorchen lassen. Die Forderungen, wie sie die Schauspielerin Andrea Galatà formulierte, lauteten:

“There’s the public sector and there’s the private sector. We want to create a third sector that is controlled by no one and everyone. […] Over these three months, everyone who comes to the theatre says that it’s better run and in better condition than they’ve ever seen.”

Dort haben die Kulturschaffenden das Vertrauen des Staates verloren, der Kultur kläglich finanziert und begaben sich auf der Suche nach einem dritten Weg, um öffentliche Güter nicht von korrupten und sparwütigen PolitikerInnen zu alimentieren. Sechs Monate lang führten die Theaterleute und Schauspieler Stücke auf, hielten Konzerte, Lesungen, Filme, Poesieabende und Workshops ab, welche durch Spenden finanziert wurden. Sie versuchen nun mit den anderen den Besetzern eine Alternative zu entwickeln, um eine kulturelle Stiftung ins Leben zu rufen, mit dem Ziel der Öffentlichkeit das Theater zurückzugeben. Stefano Rodota, ein Juraprofessor und Ugo Mattei,der Autor des Buches “Plunder: When the Rule of the Law is Illegal”  unterstützen die Protestler dabei eine Charta für die sich im Entstehende befindende Stiftung zu verfassen. Ziel der Bewegung ist es, das Theater als öffentliches Gut zu verwalten.

“We are looking into a ‘third way’ of financing culture. Not private, not entirely public, meaning that it doesn’t have to rely entirely on public institutions’ money. This could imply corruption and go against the quality of cultural offers. We would rather have the citizens micro-financing the activities of theatre, at least for a part. We want to have shareholders that love the theatre but have a pro-active relation with it, too. It’s not a matter of paying an entrance free and watching a show anymore. We would rather address to a pro-active audience, who contributes financially but also artistically, by suggesting things to do, people to contact.”

Statt nur eine Person zu haben, welche die alleinige Entscheidungsbefugnis über das Theater hat, sollen künftig drei Personen aus unterschiedlichen Disziplinen gemeinsam diskutieren, bevor Entscheidungen gefällt werden. Bisher wechselten sich jede Woche die MitarbeiterInnen in der Leitung des Theaters ab.

Fulvio, ein Verleger und Fernsehdirektor, der ebenso zu den Theaterbesetzern zählt, drückte es so aus:

“We would always ask this ‘temporary art director’ not to bring only his/her play or songs, but to give back to the community by doing a daily training to share knowledge and skills with everybody. We would ask to develop not only an artistic concept, but also a new political philosophy throughout the week. What we are experimenting here is a new approach to politics. An idea of peer-producing culture, economy, law. Something which goes beyond the idea of just delegating others to take care of these fundamental sectors.”

Das Schlagwort, was hierzulande eher mit dem Politikstil einer partizipativ-basisdemokratisch(-sein-wollenden) Piratenpartei Ähnlichkeiten aufweist, lautet ‘Peer-producing culture’. Diese Form der Selbstverwaltung der eigenen Kulturproduktion, in der die SchauspielerInnen tätig sind steht erst am Anfang. Dadurch, dass dieses Theater sechs Monate ohne klassische finanzielle Hilfen des Staates (nur Gelder der “Fondo Unico dello Spettacolo“) bereits in jüngster bespielt wurde, konnte dies durchaus ein Lackmustest gewesen sein, wie künftig nicht nur in Italien Kultureinrichtungen von Bürgern selbstverantwortlich und demokratisch verwaltet werden.

Christian, Mitbegründer der politisch-literarischen Gruppe “Generation 30/40”, begründete sein Selbstverständnis, weshalb es in diesen Zeiten wichtig sei, Kultur als Gemeingut zu verteidigen:

“Es geht auch um die Bibliotheken, die Schulen, die Universitäten und das Verlagswesen, es geht darum, gegen die Demontage des kulturellen Lebens in Italien Widerstand zu leisten.”

Da es ein Prekarität im Kulturbereich auch bei uns in Deutschland  gibt, wären diese Probleme hier ebenso akut und bedürften einer Lösung.

Claudia, eine Aktivistin, sieht ihr Ziel und ihre Hoffnung darin, von Armut betroffene Menschen zusammenzubringen und die Hauptaufgabe “unserer Generation darin Konflikte zu kreieren und zu organisieren.”

Ein Kommentar

  • „Ich halte die Einschätzungen und Vergleiche von Kaden der USA mit Deutschland für äußerst pessimistisch und teile dessen Auffassung nur bedingt. Die Behauptungen wie Stadtkämmerer denken, halte ich für sehr pauschal und einseitig.”

    Da ich kein Stadtkämmerer bin und auch wenige in meinem Umfeld habe, weiß ich natürlich, wie diese tatsächlich denken. Ich habe aber eine Vorstellung davon, was die professionelle Ausübung so einer Rolle verlangt. Mein gesamter Text – wie auch der Mark Greifs – setzt natürlich auf Zuspitzungen und ich freue mich sehr, wenn mal jemand sagt: „Moment, so leicht kann man es sich nicht machen.“

    Insgesamt sehe ich mich sehr auf einer Linie mit dem oben geschriebenen. Wenn Wolfgang schreibt:

    „Wenn schon die Ökonomisierung der Bibliotheken und unserer Lebenswelten beklagt wird, warum wurde dies in der bibliothekarischen Ausbildung und im Studium nicht ausreichender reflektiert anstatt nur stur die ökonomisierte und neoliberale Wirtschaftslehre propagiert?“

    dann fühle ich mich nicht angesprochen.

    Ein erstrebenswertes Merkmal der Bibliotheks- und Informationswissenschaft wäre für mich, dass sie sich gerade nicht auf das Konzept einer zweckrationalen Organisation von Kommunikationen beschränkt, also quasi-technik-, -natur- und verwaltungswissenschaftlich operiert. Sondern sich als Gesellschaftswissenschaft und somit als kritisches Fach positioniert. Jedoch bleiben meine Einflussmöglichkeiten, wenigstens derzeit, auf das Engagement im Diskurs beschränkt und so sehr ich die Hegemonie bestimmter Tendenzen bedauere, sowenig kann ich daran etwas ändern. Dort liegt dann mein Sachzwang.

    Die Commons-Bewegung wird allerdings gerade über den Creative Commons-Bereich und Aspekte wie Open Educational Resources (OER) und nicht zuletzt auch Open Access zum Thema in bestimmten Bereichen des Bibliothekswesens. Wer die Diskurse beobachtet, weiß jedoch, dass eine konkrete Thematik immer auch ihre Multiplikatoren benötigt, um in einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft (z.B. den Bibliotheken oder den Stadtverwaltungen) wahrgenommen zu werden. In der Vergangenheit erlebten Konzepte wie PPP und das Wettbewerbsdenken ihre Hausse. Ein kommerzieller Consulting-Dienst wird in den seltensten Fällen Gemeingüter orientierte Konzepte transportieren. Und die Schule des Bibliotheksmanagement und auch des Bibliotheksmarketings sind, wie zutreffend bemerkt wurde, ebenfalls nicht immer sehr differenziert hinsichtlich möglicher Alternativen angetreten.

    Dennoch halte ich meine Ausführungen überhaupt nicht für pessimistisch. Ich betone sogar, dass der Strukturwandel, den Mark Greif für die USA beschreibt, in der Bundesrepublik bisher nur in einer schwächeren Form wenngleich oft mit gleicher Ausrichtung spürbar ist. Nicht ohne Wohlwollen stelle ich nun fest, dass vermehrt Gegenbewegungen und Widerspruchsgeist entstehen. Ziel meines Beitrags im IBI-Weblog war es, deutlich herauszustellen, wogegen die Gegenbewegung opponiert:

    „Das Verschwinden öffentlicher Räume, von denen öffentliche Bibliotheken eine Variante sind, steht immer auch für das Verschwinden einer Alternative zum rein Ökonomischen. Nach der Erosion von Tradition und Glauben bleibt uns dahingehend nicht mehr viel.“

    Vielleicht bin ich dahingehend auch ein wenig Berlin-Mitte geschädigt. Mir ist bewusst, dass in Orten wie Zell am Harmersbach zwar ein Stück Berliner Mauer im Stadtpark steht, ansonsten aber Tradition und sicher auch der Kirchgang noch zum Lebensalltag gehören. Das, was mir aber in meinem Lebens-, Medien- und auch Arbeitsalltag begegnet, rotiert aber in eine völlig andere Richtung. Wenn ich schreibe, dann habe ich vor allem diese vor Augen.