Selbstverleger als ein Problem für Bibliotheken

Immer mehr Autoren verzichten auf den Weg über einen Verlag und nutzen die Möglichkeiten, ihre Werke selbst zu verlegen. Hier ist das Wachstum ungebremst, wie eine Studie für die USA belegt. Allerdings stellt dies Bibliotheken zunehmend vor große Schwierigkeiten. Als erstes fällt mir da das Einholen des Pflichtexemplars durch die Nationalbibliothek ein. Auf der anderen Seite fällt aber so auch den Bibliotheken die Auswahl schwerer. Es gibt bei den selbstverlegten Werken keine “Gütekontrolle” mehr durch den Verleger, der hauptsächlich aus wirtschaftlichen, aber auch aus künstlerischen Gründen auf die Qualität der durch ihn verlegten Werke achtet.

Warum verlegen Autoren ihre Bücher auch ohne Verleger? Ist der “Mehrwert”, den Verlage bieten so gering? Sind die Hürden, durch einen Verlag verlegt zu werden so hoch? Geht es einfach nur darum, den eigenen Namen auf einem Buch als Autor zu lesen? Was passiert mit den Büchern, die keinem Mainstream entsprechen und daher nie einen Verleger finden würden? Für die ist doch der Selbstverlag ein gute Lösung, oder? Doch wie wertvoll ist ein so verlegtes Buch, wenn es nicht dauerhaft in Bibliotheken archiviert wird? Denn ohne den Nachweis und die Archivierung durch Bibliotheken wird es dem Zufall überlassen sein, ob dieses Buch jemals die Geschichte überdauert. The Annoyed Librarian schreibt dazu:

But with almost 400,000 self-published books a year, the amount bought or preserved by libraries is going to be negligible. In the future, it will be like the vast majority of these books never existed. (…) If an ebook is published in the wilderness and nobody reads it, does it still count as a book?

Und ein Buch, das die Geschichte nicht überlebt, ist unwiederbringlich verloren, so als ob es das Buch nie gegeben hätte. Wie steht es da mit dem Wunsch vieler Autoren nach Unvergänglichkeit?

Warum haben nun Bibliotheken so große Schwierigkeiten mit den selbstverlegten Werken?

1. Bibliotheken müssen auf Bücher/E-Books aufmerksam werden. Dazu nutzen sie oft “Verlagsmaterialien”, Rezensionsorgane, Bibliographien, Buchempfehlungslisten usw. Aber dorthin müssen es die Bücher der Selbstverleger erstmal schaffen und dabei reicht es nicht unbedingt, wenn man nur als E-Book bei Amazon auffindbar ist. Bücher müssen beworben werden, um gefunden zu werden. Nur weil sie existieren, sind sie noch lange nicht sichtbar für Bibliotheken.

2. Die Auswahl durch Bibliotheken hat sicherlich nicht immer mit Qualität zu tun. Selbstverlegte Werke können eine bessere Qualität haben als Bücher, die durch einen Verleger auf den Markt kommen, aber sie müssen eben in der Masse auftauchen. Bei ihrer Auswahl werden BibliothekarInnen oft von der reinen Masse an Werken überfordert und sind daher auf Hilfsmittel wie in Punkt 1 angewiesen. Auch Indizien zur Qualität, egal wie gering diese sind, sind notwendig, um aus der Masse an möglichen Büchern herauszustechen. Wer glaubt, dass BibliothekarInnen noch in der Lage sind, jedes Buch, das sie anschaffen zumindest kurz querzulesen, täuscht sich erheblich.

3. Natürlich entscheidet auch der Geschmack der Leser. Aber Bibliotheken können es sich nicht erlauben, einzelne Bücher auf Verdacht zu kaufen, nur um zu sehen, ob das etwas für ihre Leser ist. Anders ist das natürlich, wenn bereits Leser auf das Buch aufmerksam geworden sind und finden, dies könnte eine sinnvolle Ergänzung des Bibliotheksbestandes ihrer Bibliothek sein. Aber auch diese müssen erstmal auf ein selbstverlegtes Werk aufmerksam werden.
Hinzu kommt, dass die meisten Leser einer (Öffentlichen) Bibliothek keine Nischentitel erwarten, sondern die Werke, die dem Mainstream entsprechen. Daher werden Bibliotheken die üblichen Wege der Beschaffung von Büchern beschreiten – Bestseller- und Empfehlungslisten, etc. So gehen sie auf Nummer sicher, die meisten für ihre Leser relevanten Werke im Bestand zu haben.

4. Rezensionen helfen wirklich. Deshalb sollten Selbstverleger zusehen, dass sie Rezensenten für ihre Werke finden. Dabei sind jetzt nicht die vielen Blogs gemeint oder die Rezensionen bei Amazon, Goodreads, LibraryThing und Co, sondern bei einschlägigen Rezensionsorganen. Hier kann auch eine Nachfrage bei Bibliotheken weiterhelfen, wo diese beispielsweise ihre Anregungne herholen. BibliothekarInnen arbeiten anders mit den Büchern, als dies Leser tun. So helfen ihnen Empfehlungen wie “Leser, die dieses Buch gekauft haben, haben auch diese Bücher gekauft” wenig weiter. Ihre Intention Bücher zu erwerben ist weiter gefächert und weniger spezifisch als persönliche Lesewünsche.

5. Trotz aller Hilfsmittel müssen BibliothekarInnen noch immer mit zu vielen Büchern handtieren, aus denen sie eine Auswahl treffen sollen, die die Leser benötigen, die aktuell interessante Themen aufgreifen und einen Überblick über die am Markt befindlichen Werke geben. Allein für das Jahr 2012 sprechen wir hier über ca. 80.000 Erstveröffentlichungen von Werken durch Verlage in Deutschland. Darin sind die selbstveröffentlichten Werke, Neuauflagen, etc. gar nicht enthalten. Dazu kommen dann die stagnierenden niedrigen Erwerbungsetats, so dass auch weiterhin die Bibliotheken im Grunde über jedes angeschaffte Buch “Rechenschaft” ablegen müsse: Ausleihzahlen, Sammelaufträge etc.

6. Bibliotheken sind das “Establishment“, d.h. sie richten sich nach althergebrachten Erfahrungen, halten sich an bewährte Auswahlkriterien, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden.

Welche Optionen bleiben nun Selbstverlegern letztlich, um in diese bewährten Mechanismen hinein zu kommen?
Organsieren Sie sich: Als Gruppe haben Sie mehr Möglichkeiten, Ihre Produkte zu bewerben.
Lassen Sie Ihre Bücher durch qualitativ gute Rezensionen bewerten (möglichst objektiv und nicht wohlgemeint).
Nutzen Sie möglichst viele Wege, um aufzufallen und in “tradierte” Auswahlmedien zu kommen.
Melden Sie ihre Literatur an die Nationalbibliothek und die regional für Sie zuständigen Pflichtexemplarbibliotheken und reichen Sie ihre Pflichtexemplare ein. Meist handelt es sich dabei um größere Stadt- und Landesbibliotheken.
Schaffen Sie bei E-Books Lizenzbedingungen, die es Bibliotheken erlauben, Ihre Werke zu archivieren und anzubieten.

Wie können Bibliotheken mit dem Problem umgehen?
Schaffen Sie sich einen Überblick über regional interessante Literatur und einen (kleinen) Etat, mit dem sie Autoren aus ihrer Region fördern können.
Vielleicht ist auch ein eigenes Repositority, auf dem regionale Autoren ohne große Hürden ihr Werk als E-Book hochladen können, eine positive Alternative. (Siehe dabei Idee 3 von Anna Zschokke zu ihrem Masterarbeitsthemen-Überlegungen).

Inspiriert durch:
Self-publishing and Libraries, The Annoyed Librarian
For the Self-Publishers, The Annoyed Librarian

7 Kommentare

  • Ich glaube, die meisten Autoren, die im Selbstverlag publizieren, denken gerade nicht an die eingefahrenen Vertriebswege Verlag oder Bibliothek, sondern wollen ausdrücklich ihre Leser direkt erreichen. Vielfach veröffentlichen sie open access und bieten ein gebundenes Exemplar oder pdf/epub für diejenigen an, die längere Texte lieber gesetzt gedruckt und gebunden oder für einen speziellen Reader haben möchten. Die Bibliothek kommt in diesem Konzept gar nicht mehr vor. Wenn die Nationalbibliotheken solche Texte also nicht sammeln, gehen sie tatsächlich langfristig immer mehr verloren.

    Ein konkretes Beispiel: Ich habe gerade ein eigenes wissenschaftliches Projekt begonnen, das in etwa fünf Jahren abgeschlossen sein wird, und ich gehe nicht davon aus, daß dieser Text in herkömmlichen Bahnen vermarktbar sein wird. Das wird, wenn überhaupt, ein print on demand werden. Ich habe auch gar kein Interesse daran, in die etablierten Zeitschriften oder Schriftenreihen hineinzukommen, die voller langweiliger Dissen und Habils und sonstiger Ergüsse sind, sondern sehe mich damit außerhalb des etablierten Wissenschafts- und eben auch Bibliotheksbetriebs.

    • Dörte Böhner

      Besser spät als nie, daher jetzt meine Antwort.

      Natürlich wollen nicht alle Autoren unsterblichen Ruhm, nicht alle unvergessen bleiben, nicht alle Teil eines gesellschaftlichen Erbes werden. Da kommen wir nicht nur schnell wieder in irgendwelche Schunddebatten vs. Wissenschaft, die auch solche Werke als Teil eines kulturellen Erbes sehen.

      Insgesamt hat das wenig mit eingefahrenen Publikationswegen zu tun, sondern es geht um eine gewisse “Aufmerksamkeitsökonomie”, die dabei eine Rolle spielen. Autoren, die nur für ihre Leser schreiben, brauchen das “Establishment” nicht mehr, weil ihre Leser (hoffentlich) durch Mundpropaganda, einschlägige Foren usw. das Werk “bewerben”. Hochachtung, dass der Autor dann seine Leserschaft so gut kennt, dass er sie erreicht (und schade für jeden nicht erreichten Leser, der vielleicht Interesse hätte, wenn er wüsste, dass es da was gibt).

      Bei einer wissenschaftlichen Abhandlung ist es heute ja nicht mehr unbedingt notwendig, dass diese gedruckt werden (übrigens werden Selbstverlagbücher in der Belletristik häufig e-first oder sogar e-only publiziert, wenn man mal so bei Amazon stöbert). Es macht ggf. sogar Sinn, solche Abhandlungen unabhängig von Schriftenreihen, Zeitschriften und eingefahrenen Wegen zu publizieren, weil durch Multidisziplinarität die Grenzen oft viel zu eng sind. Dennoch gerade bei wissenschaftlichen Werken sollten sie ihren Weg ins ‘Establishment’ der Bibliotheken finden. Es gab mal den wunderbaren Gedanken, alles Wissen der Welt in einer Bibliothek zugänglich zu machen 🙂 – Oh, ich höre jetzt: Dafür gäbe es Google. Tatsächlich? Dann aber viel Spaß dabei, für Relevanz zu sorgen. 😉

      Stichwort Langzeitarchivierung: Ganz so schlecht wäre das nicht, oder, wenn vielleicht auch nicht als vorranginges Ziel. Wir schreiben, um gelesen zu werden, lesen, um Input zu bekommen und neues Output zu produzieren. Wir müssen an Input gelangen, um unsere Erkenntnisse zu vertiefen und da schadet es nicht, wenn wir relevantes Material gerade im wissenschaftlichen Bereich auf möglichst breiter Basis Zugang bekommen. Bibliotheken wären eben nur ein Baustein in einer breiten Palette.

      Diesen Beitrag habe ich aber auch deshalb verfasst, um Bibliothekare auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Ich verfolge über Social Media eine Autorin, die über Crowdsourcing ein Buch über ein sehr spezielles Thema verfasst, was sicherlich für einige wenige von Interesse ist, aber auch Erkenntnisse oder eine Herangehensweise enthalten wird, die andere Werke nicht haben. Sie schreibt für einen spezifischen Leserkreis und zu einem sehr spezifischen Thema auf Ebene eines Sachbuches (keine wissenschaftliche Abhandlung). Solche Werke können leicht untergehen, wenn man eben nicht auch andere Kanäle nutzt oder sich bewusst macht, dass es einen Buchmarkt außerhalb der eingetretenen Wege gibt. Und doch sollte dieses Buch letztlich den Weg in Bibliotheken finden, weil es ein Thema aufgreift, dass mit großen Unsicherheiten belegt ist und auch ganz gerne in einer Gesellschaft der “Gesunden und Leistungsstarken” gerne verschwiegen wird.

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  • Tilo Müller

    Ich habe lange Privatforschungen betrieben und möchte mein wissenschaftliches Werk gerade nicht den Universitätsbibliotheken zum kostenlosen Ausleihen und Kopieren zur Verfüung stellen, da somit meine finanzielle Lebensgrundlage zerstört würde. Das Verwertungsrecht des Urhebers wird zum Wohle Informationsfreiheit ad absurdum geführt. Man arbeitet Jahre, um dann zu sehen, wie sich anderen kostenlos die so schwierig erkämpften Forschungsergebnisse kostenlos unter den Nagel reißen, um selbst im Rahmen wissenschaftlicher Arbeit Karriere zu machen und letztlich evt. damit Geld zu verdienen. Hätte ich ein Stipendium und andere staatlichen Förderungen bekommen, wäre es evt. etwas anderes. Mein Problem ist also eher, wie ich das Pflichtexemplarabgabegesetz umgehe. Informationsfreiheit kontra Urheberrecht, ein typisches Problem privatkapitalistisch organisierter “Demokratien”

    • Dörte Böhner

      Vielen Dank für Ihren Kommentar. Da kann ich Ihnen nur wünschen, dass Ihr Werk die entsprechende Aufmerksamkeit bekommt, die es Ihnen erlaubt, davon zu leben.
      Bei Ihren Privatforschungen werden Sie allerdings wohl auch auf Beiträge anderer Wissenschaftler aufgebaut haben. Vermutlich haben Sie dafür Archive und Bibliotheken genutzt und somit Werke anderer kostenlos für Ihr Fortkommen verwendet? Wenn nicht, mussten Sie vermutlich viel Geld in die Hand nehmen. Klar, dass das wieder rein muss.
      Schade nur, dass Sie Ihr Werk aus meiner Sicht, der Unsichtbarkeit und dem Vergessen anheim geben und es anderen Wissenschaftlern schwer machen, Ihr Buch zu finden und zu verwenden, um auf den Schultern eines Giganten ein Stück weiter nach oben zu klettern in der Erkenntniskette. Die Pflichtexemplare, die Sie zu umgehen versuchen, helfen nämlich, Ihr erworbenes Wissen für lange Zeit zu bewahren und auch sichtbar zu machen. Ist damit Ihre Mühe, Forschung zu betreiben und etwas Dauerhaftes zu schaffen, dann nicht eigentlich vergebene Liebesmüh?