Session 1: Bibliotheksethik – Onleihe #bib7

Meine erste besuchte Session war die „Bibliotheksethik„. Diese werde ich in einem etwas längeren Beitrag dokumentieren und auch noch mit eigenen Gedanken anreichern, weil es eine sehr komplexe Sache war.

Hier wurde von den TeilnehmerInnen gesagt, dass der Begriff sehr weit gefasst werden sollte (Berufsethik, Informationsethik). Es wurden verschiedene Gruppenbeziehungen identifiziert, bei denen Ethik eine Rolle spielt, z.B. BibliothekarIn – NutzerIn (eindeutig war man hier gegen den Kundenbegriff, der eine Verzerrung der Sichtweisen bedeuten würde), KollegInnen zu Kollegen, BibliothekarIn zu (Buch)HändlerIn, BibliothekarIn als Mittler zwischen NutzerIn und BuchhändlerIn. Festgemacht wurde die Diskussion an dem doch wahrgenommenen Problemfall Onleihe und Kaufbutton. Ausgegangen wurde von der Vorstellung eines Nichtbibliothekars, der Bibliotheken als neutralen Ort wahrnahm, der Serviceleistungen erbringt in verschiedene Richtungen, nämlich Literatur unter möglichst objektiven Gesichtspunkten aufkauft, Bestand kuratiert und dann an die Nutzer vermittelt (also Zugang auf Auffindbarkeit gewährleistet). In einer anderen Session wurde deutlich, dass Bibliotheken hierbei auch darauf achten sollten, Zugangsmöglichkeiten zu Informationen für alle Nutzergruppen (alt, jung, mit Migrationshintergrund, netzaffin und -fern, lesenah und -fern usw.) zu schaffen, insbesondere Öffentliche Bibliotheken.

Innerhalb dieser Diskussion wurde auch Transparenz innerhalb der Gruppenbeziehungen angemahnt. Nutzer vertrauen auf eine gute Auswahl der Informationen der Bibliotheken, die hier einen großen Vertrauensvorschuss genießen. Für den Kaufbutton hieße dies, dass sozusagen diesem Button mehr vertraut würde, zumal er nicht als Werbung gekennzeichnet ist, als solchen Buttons auf anderen Webseiten, da Bibliotheken hier als besonders bedacht und vertrauenswürdig wirken. Ein Vergleich, der Dank Phus Kommentar hier im Blog aufkam, war die Betrachtung des Kaufbuttons als versteckte Werbung. Wie gehen wir im Rahmen einer Aufmerksamkeitsökonomie mit Werbeangeboten um? Beispiele dafür waren z.B. die Kennenlernangebote von Datenbanken, die in wissenschaftlichen Bibliotheken groß beworben werden, Kennzeichnungen von Büchern, die über Finanzmittel bekannter Stiftungen von Großkonzernen finanziert werden ebenso mit aus drittmittelfinanzierten Forschungen entwickelten Beständen. In Öffentlichen Bibliotheken wäre hier auch eine Frage, wie man z.B. mit im Rahmen der Leseförderung gemachten Werbung durch einen Fastfood-Riesen umgeht. Also: Wie objektiv kann ein Bestandsaufbau noch sein, der durch privatwirtschaftliche Initiativen gesteuert wird?

Im Umgang miteinander ist die Frage: Wie legen wir Entwicklungen offen, die bisherige Grenzen verschieben? Wie identifizieren wir sie und schaffen eine Bewertung? Sollten wir hier nicht die gleichen ethischen Maßstäbe ansetzen wie in einer Printwelt oder können diese Maßstäbe nicht mehr angelegt werden? Wenn das so ist, warum? Eine ständige defensive Aufstellung jedoch ist wenig hilfreich. Aus dieser Situation kommen wir aber nur heraus, wenn wir (unser Berufsstand) anhand unserer Wertevorstellung (berufliches Selbstverständnis, Verständnis unseres Auftrages und einer kritischen Bewertung unseres Handelns) genau formulieren, was wir wollen. Ethisches Handeln innerhalb dieses Rahmens bedeutet auch, für die darin formulierten Hauptinteressen einzustehen, z.B. eben die Bibliothek als nichtkommerzieller Ort, aber auch die Grenzen dessen zu kennen und daher bewusste Entscheidungen zu treffen, z.B. Förderung einer bestimmten Nutzergruppe oder bei Kauf- und Anschaffungsentscheidungen. Dies heißt dann nämlich auch, Verantwortung für das eigene Handeln und das Handeln der eigenen Institution zu übernehmen. Dies stärkt aber auch die Verhandlungsposition gegenüber Verlagen und ihren Gewinninteressen. Handeln innerhalb eines ethischen Rahmens ist Orientierung und Sicherheit, die wir in einer sich ständig ändernden digitalen Welt immer stärker vermissen (rechtliche Unsicherheiten etc.)

Es kam die Frage auf, wie sich diese Ethikfrage in den Lehrveranstaltungen der Studierenden und im ganzen Ausbildungssystem manifestiert, aber auch im eigenen Berufsumfeld. Als einer der wichtigsten Experten wurde Hermann Rösch, ein langjähriges Mitglied in der IFLA Kommission, genannt, der zahlreich Schriften zu diesem Thema verfasst hat. Auch der Code of Ethics (von 2007) wurde erwähnt.

Es gab noch andere Aspekte, die ich mitgenommen habe, die aber an dieser Stelle jetzt den Rahmen des Beitrags sprengen würden und die sicherlich an der ein oder anderen Stelle als reflektierendes Argument auftauchen werden. Ergänzungen und andere Aspekte, Anregungen und Fragen sind in den Kommentaren gerne willkommen.

Weitere Informationen:
Code of Ethics (BID), 2007
Informationsethik und Berufsethik, Bibliotheksportal
BuB Themenheft „Bibliotheksethik“ – BuB 63(2011)4, S. 270-286
Leider etwas eingeschlafen: Ethik von Unten, Blog
IFLA-Literaturliste (dtspr.) zum Thema Ethik

5 Kommentare

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  • Chukk Beslowair

    Hej!

    Wie in einigen Aspekten leicht angedeutet: Ethik und wirtschaftliche Belange können sich sehr schnell in die Quere kommen. Du kannst deine Berufsehre und -ethik nur in den Grenzen leben, welche dein aktueller Arbeitgeber bzw. der Markt auf dem Du arbeitest, es zulassen.
    Hast Du als Mitarbeiterin einer öffentlichen Bibliothek ein Problem mit der Kooperation deines Hauses, z.B. mit dem Komplex Bertelsmann, wird es sehr bald ein unangenehmes Personalgespräch geben.
    Denn die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person Bibliotheksleiter ist, welche engagiert gesellschafts- und marktkritisch arbeitet, halte ich für sehr gering.
    Gesetzt dem Fall Du arbeitest selbständig, um zum Beispiel dem Faktor „Personalgespräch“ aus dem Weg zu gehen, hast Du es trotzdem noch mit höchstwahrscheinlich einigen ethisch weniger hemmungslosen Mitbewerbern zu tun.

    Es läuft also auf mühevollste Kleinst- und Überzeugunsarbeit hinaus.

  • Chukk Beslowair

    Hej!
    Was mir soeben noch eingefallen ist: Selbst das Vorhaben auf Produkte aus dem Hause Bertelsmann zu verzichten wäre vorerst zum Scheitern verurteilt. Durch das kontinuierliche Sammeln von Marktanteilen (zuletzt Gruner+Jahr) würde, wenn ich aus einer durchschnittlichen, städtischen, öffentlichen Bibliothek alle Medienprodukte die direkt oder indirekt mit Bertelsmann zu tun haben, aus den Regalen zu 75 % Leere entgegenstarren.

    Wie soll es dazu kommen dass eine Verhandlungsposition gegenüber dem Konzern Bertelsmann entstehen kann – welche eigenverantwortliches, kritisches Handeln zulässt?
    Das würde ja meines Erachtens nach nur gehen wenn mindestens auf der Ebene des deutschen Bibliotheksverbandes und in noch höheren Ebenen Einigkeit über die ethischen Regeln des Handelns herrscht.

    Ich bin meistens ungerne pessimistisch, aber in diesem Fall fällt es mir vorerst etwas schwer davon zu lassen.

    Welche Handlungsregeln sieht denn zum Beispiel der avisierte, bibliothekarische „Code of Ethics“ im Umgang mit Weltkonzernen vor?
    Und welche im Umgang mit unkritischen Trägern von öffentlichen Bibliotheken?

    • Dörte Böhner

      Hi Chukk,

      was wir hier gerade tun ist schon etwas, was Dinge in Bewegung bringen kann. Wir reden darüber – vermutlich sogar absolut bibliotheksunabhängig. Wir tauschen Meinungen aus und finden einen Nenner oder auch nicht. Wir machen uns klar, dass Dinge nicht in Ordnung sind, so wie sie uns als „in Ordnung“ verkauft werden sollen. Wir denken darüber nach. Wir hinterfragen. Es sind kleine Schritte oder leider inzwischen auch schon größere, aber es ist ein Beginn statt Stillstand und Verharren und warten, was andere diktieren.

      Gegen die Onleihe können wir einzeln oder manchmal auch als größere Einheit nichts unternehmen, weil sie eben eine gute Chance darstellt, E-Books auch in öffentlichen Bibliotheken anzubieten, aber wir können verstehen, wo die Grenzen dieser Chance sind und diese Grenzen ankratzen, verschieben, vielleicht auch einfach deutlich sichtbar machen.

      Gegen einen Kaufbutton kann man was sagen, kann zu verstehen geben, dass er aus der eigenen Sicht heraus verkehrt ist, immer mit einer Begrünung und einer eigenen Meinung. Das kann man auch seinem Chef sagen und wenn er einem daraus einen Strick dreht, dann läuft auf Arbeit mehr verkehrt als nur ein Kaufbutton. In der Regel wird er es zur Kenntnis nehmen und vielleicht insgeheim auch sagen: Ganz so unrecht liegen Sie damit nicht. Das Aber ist dann ein anderer Punkt.

      Den Kaufbutton kritisch zu betrachten, hat nichts, so wie es an einigen Stellen unterstellt wurde, damit zu tun, unsere Nutzer für unmündig zu erklären. Ich bezweifle nicht, dass die unterscheiden können, ob sie kaufen oder nicht kaufen wollen. Ich frage mich immer nur, ob sie gefragt wurden, was sie von einem Button dieser Art halten. Früher sprach man da von Schleichwerbung, denn in einem als „öffentlich-rechtlich“ gekennzeichneten Angebot muss Werbung gekennzeichnet werden.

      Unsere Berufsverbände müssen wieder lernen zuzuhören, Stellung beziehen und weniger zu lavieren – ich vergaß, sie müssen unter allen Umständen diplomatisch sein. – Vereinzelte Stimmen, die sich kritisch zu etwas äußern, kann man als „Einzelmeinungen“ abtun, als „pseudo-interlektuelles“ Gehabe. Je mehr mitmachen, je mehr ihre Meinung in irgendeiner Form verdeutlichen, desto lauter wird diese Stimme, desto mehr Gewicht erhält sie. Wenn die Bibliotheksverbände diese dann immer noch ignorieren, können sie schlecht meine Interessenvertretung sein. Dann lasse ich ihnen keine Unterstützung mehr zukommen, kein Geld und keine Ideen.

      Ehtik bekommt Gewicht, je mehr darauf achten, je mehr sagen, das ist so nicht in Ordnung oder das ist in Ordnung. Ethik ist ein Kompass, der der gemeinsamen und der eigenen (beruflichen) Orientierung dienen soll.

      Konkrete Handlungsanweisungen kann eine Ethik aus meiner Sicht daher nie geben. Aber Vorstellungen aus diesem Bereich, wie wir miteinander umgehen sollen und wollen, kann man täglich leben und für das eigene Handeln als Maßstab anlegen. Es geht nicht darum zu schauen, Bertelsmann z.B. komplett auszuschließen. Es geht darum zu schauen, wann Kompromisse ggf. nicht mehr gerechtfertigt sind oder wann man vielleicht auch besser einmal Verzicht übt oder üben kann oder üben sollte. Es geht um Ein Abwägen zwischen pragmatisch gerechtfertigt und ungerechtfertigt. (Ich höre jetzt schon wieder Stimmen, die das anders sehen, aber es ist ja nur ein Aspekt, sonst habe ich ein Roman geschrieben, bis ich hier alles bis ins Pünktchen auf dem i bedacht und dargelegt habe 😉 )

      Wie soll es dazu kommen dass eine Verhandlungsposition gegenüber dem Konzern Bertelsmann entstehen kann – welche eigenverantwortliches, kritisches Handeln zulässt?

      Wie? Wer deutlich seine Grenzen zieht und deutlich sagt, bis hier hin, der Stellung bezieht und hinterfragt, handelt eigenverantwortlich. Bertelsmann will an das Geld der Bibliotheken und je mehr auch einmal Verzicht üben bei besonders „tollen“ Produkten, weil er mit den daran verknüpften Bedingungen nicht einverstanden ist und das auch deutlich sagt und entsprechend dazu argumentiert – erst im Haus, dann vielleicht auch Dank guter Argumente mit dem eigenen Haus – der stärkt seine eigene Position auch gegenüber Bertelsmann. Wer deutlich sagt, ich nehme das Angebot an, weil ich derzeit keine Alternative habe, sich aber aktiv nach Alternativen umsieht, der macht ebenfalls deutlich, dass er nicht alles hinnimmt, oder sehe ich das falsch?

      Es ist immer ein Abwägen und hat nichts mit Schwarz-weiß-Entscheidungen zu tun. Was wäre meine Idealvorstellung? Wie komme ich dieser Idealvorstellung von einer Sache am nächsten? Ab wann mache ich es mir zu bequem oder laufe in eine fachlich/ethisch/idealistisch völlig falsche Richtung? Wo liegt meine (Schmerz)Grenze oder wo verletze ich Grenzen anderer dabei? Darüber miteinander zu reden – offen, hierarchienunabhängig und über Gartenzäune hinweg (z.B. Bibliothek mit Schule und Geldgeber mit Geldnehmer) – soll helfen, hat meine Oma immer behauptet.

      • Chukk Beslowair

        Hej Dörte!

        Danke für deine ausführliche Antwort.
        In seinem „Code of Ethics“-Entwurf weist Herr Rösch sehr oft darauf hin wie wichtig es ist neutral
        zu sein und sich diplomatisch zu verhalten. Das mag zielführend sein wenn alle Teilnehmer des
        Spiels nach den gleichen Regeln spielen.
        Da das aber nicht der Fall ist heisst es für mich: eine neutrale Position zum Thema
        „Informationsfreiheit“ (als Beispiel für ein wichtiges Thema) kann es nicht geben.
        Entweder Du bist dafür und schaust welche Schritte Du dann ergreifen musst oder Du bist
        dagegen.
        Wenn Du dich aber für eine neutrale Position entscheidest, gibst Du einfach nur das Heft aus
        der Hand und lässt machen.
        Ich finde daher der Verweis auf die Wichtigkeit der Neutralität sollte durch Hinweise und
        Ergänzungen derart reguliert sein, dass die Neutralität nicht erst dann aufgegeben wird
        wenn das besagte Kind schon im Brunnen liegt.

        Eine Quelle für ausgewogene und qualitative Texte zum Bereich Gesellschaftskritik
        stellt diese Präsenz dar: nachdenkseiten.de

        Dort befindet sich unter anderem auch einiges zu Konzern und Stiftung Bertelsmann.
        Wie zum Beispiel dieser bereits etwas ältere Text, der aber trotzdem eine gute Einführung in das
        System „Bertelsmann“ bietet:
        http://www.nachdenkseiten.de/?p=3514

        Wie schwer sich viele Bibliotheken mit dem Aufzeigen von Grenzen tun ist derzeit gut verfolgbar
        im Verhalten von den wenigen Bibliotheken welche ihre vertraglichen Verbindungen zu Elsevier
        massiv überarbeiten bis einstellen und die damit noch relativ alleine da stehen.
        Nicht zuletzt deshalb weil es durch die massiven Monopolbildungen schwer ist das naheliegende
        zu tun: Alternativen nutzen.
        Denn wenn es fast keine mehr gibt, gibt es da auch nichts zu nutzen, sondern es müssen erst einmal
        wieder welche geschaffen werden.