[Adventskalender] 15.12.2019 – Paul Zech

Paul Zech (* 19. Februar 1881 in Briesen, Westpreußen; † 7. September 1946 in Buenos Aires) gemeinfrei seit 2017.

Die Wunderwirkung der Weihnacht

Bundesarchiv Bild 183-70823-0003, Niepars, Kindergartenkinder beim Spielen im Schnee

Niepars, Kindergartenkinder beim Spielen im Schnee Zentralbild Martin 13.2.1960 Gut untergebracht sind die Kinder der Genossenschaftsbäuerinnen der LPG Niepars im Kreis Stralsund. Unter Aufsicht geschulter Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen verleben sie ihren Tag bei fröhlichem Spiel., vom Bundesarchiv, Bild 183-70823-0003 / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons


Daß nach den verklungenen Ernteglocken
eines Herbstes, der uns hell frohlocken
und erstarken ließ mit Allgewalt,
nun das Trübe der Dezemberstunden
schmerzlich rühren will an alte Wunden,
macht uns stumm und wunderlich und alt.

Aber noch sind Kinder in den Zimmern,
denen ein erträumtes Freudeschimmern
Wangen rötet wie mit Lenz betaut.
Und sie brechen wie ein Maigewitter
in das Schwere unsres Bluts, das bitter
auf Verschlossenes der Landschaft schaut.

Tausend Dinge, die ihr Hirn durchtoben,
müssen wir entkernen und beloben
zu der aufgestaunten Münder Lust.
Und was uns umschiente wie mit Eisen,
fällt zersplittert, und wir reisen, reisen,
in verlorne Reiche unsrer Brust.

Wunder kommen, die uns weiß umflocken,
und ein Hall von Eislauf, Weihnachtsglocken
jubelt totgeglaubte Zeiten wach.
Und was wir, umblaut vom Pfeifenschwälen,
wie ein Märchen träumerisch erzählen,
danken kleine Hörer mit Gelach.

Und dann sind uns Abende beschieden,
wo der rotverklärte Lampenfrieden
einem Opfersinn entgegenreift.
Wo selbst Frauen mit schneeweißen Scheiteln
ernsthaft sich bemühn, nichts zu vereiteln,
was um Enkelstirnen wünschend schweift.

Ist der Tag dann plötzlich groß erschienen,
spiegelt sich ein Glück in allen Mienen
und durchbraust wie Orgelton den Raum.
Und die Jungen tanzen mit den Greisen,
nach dem Rhythmus frommer Weihnachtsweisen,
um den festlich aufgeputzten Baum.

Quelle:

Zech, Paul: Die Wunderwirkung der Weihnacht, In: Die Rheinlande: Vierteljahrsschrift des Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein, Jg. 23, 1913, Heft 12, S. 474; Digitalisat: Heidelberger historische Bestände – digital, Zitierlink: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rheinlande1913/0496

[Adventskalender] 14.12.2019 – Ludwig Bechstein

Ludwig Bechstein (* 24. November 1801 in Weimar; † 14. Mai 1860 in Meiningen) gemeinfrei seit 1931.

Des Königs Weihnacht.

Ludwig Bechstein 1843, gemalt von Ferdinand Diez, via Wikimedia Commons

Wo jetzt der Dom zu Frankfurt steht, stand schon zu König Ludwig des Deutschen Zeiten eine Kapelle, die hieß der Rudtlint, wie auch später zu St. Salvator, und war der heiligen Jungfrau Maria und Karl dem Großen geweiht. Ludwig der Deutsche feierte das Weihnachtfest in seiner Pfalz zu Frankfurt am Main, und berief dorthin eine Reichsversammlung. Da geschah es, daß der Teufel in Gestalt eines Priesters und guten Geistes zu Ludwigs Sohne, Karl, trat, und zu ihm sagte: siehe, du bist der jüngste unter deinen Brüdern, und dein Vater will das Reich deinem Bruder Karlmann geben, das doch dir von Gott bestimmt ist, und will dich verderben, solches will Gott nicht leiden. Karl aber entsetzte sich vor der Versuchung und eilte in die Kapelle– indem er rief: hebe dich weg Versucher! Du bist kein Bote von oben!– Der Teufel aber folgte ihm in die Kirche nach und sprach: wäre ich nicht ein Bote von oben, wie dürft’ ich mit dir eintreten in dieses Gotteshaus? Wie dürft’ ich das Sakrament des Altars, das heilige Meßopfer vollziehen?– Und so bethörte er Karls Sinn mit dem Trug der Hölle und las die Messe, und reichte ihm die gebenedeite Hostie, und mit der Hostie fuhr er in ihn, und besaß ihn.

Da nun die Reichsversammlung war, redete Karl unsinnig in ihr, riß sich das Wehrgehenk von der Seite, schleuderte es sammt dem Schwerte mitten in den Saal, riß den Gürtel sich ab und die Gewande vom Leibe, und ward heftig hin und her gerüttelt, so daß alle Anwesenden sich entsetzten. Die Bischöfe aber ergriffen den vom bösen Feind Besessenen und führten ihn in die Kapelle, und der Erzbischof begann die Messe über ihn zu singen. Da begann Karl laut zu klagen und Weh über Weh zu schreien in einem fort bis die Messe zu Ende war, aber die Priester ließen nicht ab mit Gebet, bis der Feind wieder von dem Königssohne wich, und Karl durch Gottes Barmherzigkeit geheilt ward. Hielt also König Ludwig gar eine trübe Weihnacht zu Frankfurt. Aber was des Teufels Bosheit des Königs Sohn eingeflüstert, erfüllte sich später dennoch, denn Karlmann und Ludwig starben beide vor ihm, und Karl erhielt des deutschen Reiches Krone, wenn auch nur auf kurze Zeit, denn er fiel in Schwermuth, und gab sich ganz in die Hände der Pfaffen. Da entsetzten ihm die Fürsten des Reiches und gaben das an Arnulf, einen natürlichen Sohn seines Bruders Karlmann.

Quelle:

Bechstein, Ludwig: Deutsches Sagenbuch. – Leipzig: Wigand, 1853, S. 60-61 als Digitalisat der Österreichischen Nationalbibliothek

[Adventskalender] 13.12.2019 – Emanuel Geibel

Franz Emanuel August Geibel (* 17. Oktober 1815 in Lübeck; † 6. April 1884 ebenda) gemeinfrei seit 1955.

Weihnacht


Wie bewegt mich wundersam
Euer Hall, ihr Weihnachtsglocken,
Die ihr kündet mit Frohlocken,
Daß zur Welt die Gnade kam.

Überm Hause schien der Stern,
Und in Lilien stand die Krippe,
Wo der Engel reine Lippe
Hosianna sang dem Herrn.

Herz, und was geschah vordem,
Dir zum Heil erneut sich’s heute:
Dies gedämpfte Festgeläute
Ruft auch dich nach Bethlehem.

Mit den Hirten darfst du ziehn,
Mit den Königen aus Osten
Und in ihrer Schaar getrosten
Muts vor deinem Heiland knien.

Hast du Gold nicht und Rubin,
Weihrauch nicht und Myrrhenblüte:
Schütt’ aus innerstem Gemüte
Deine Sehnsucht vor ihm hin!

Sieh, die Händchen zart und lind
Streckt er aus, zum Born der Gnaden,
Die da Kinder sind, zu laden,
Komm! Und sei auch du ein Kind!

Quelle:

Geibel, Emanuel: Gesammelte Werke, Band 3, Stuttgart J.G. Cotta, 1883, S. 169170. (Internet Archive)

[Adventskalender] 12.12.2019 – Johann Grässe

Johann Georg Theodor Grässe (* 31. Januar 1814 in Grimma; † 27. August 1885 in Niederlößnitz) gemeinfrei sei 1956.

Die Weihnachtsfeier im Kloster Preetz

Während im Holsteinschen überall seit der Reformation die sonst von früher her üblichen Messe in der Christnacht abgeschafft war, blieb es im Kloster Preetz allein noch Sitte, in der Christnacht Gottesdienst zu halten und dabei ward das Christkind von den Klosterfräulein gewiegt. Als man zum ersten Mal diesen Gebrauch abschaffen wollte, ertönte dennoch die Orgel zur gewöhnlichen Zeit; ein Fräulein verwunderte sich darob und ging mit ihrer Jungfer in die Kirche, aber dort war ihr Alles so wunderbar. Kaum hatte sie sich in ihren Stuhl niedergesetzt, so kam ein weißgekleidetes Fräulein und sprach: »Sie solle hingehen und den Andern sagen, sie möchten Weihnachtabend halten, sonst würden sie (die Todten) es thun.« Das Klosterfräulein that, wie ihr befohlen, und alle gehorchten; sie selbst aber konnte nicht mehr mitgehen und drei Tage darauf war sie todt. Jetzt hat aber diese Weihnachtsfeier im Kloster längst aufgehört.

Quelle:

Grässe, Johann Georg Theodor: Sagenbuch des Preußischen Staats, Band 2, Carl Flemming, 1871,S. 1056; Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek, MDZ-Reader, Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11014118-2

[Adventskalender] 11.12.2019 – Ad. Bl.

New York City Hall Park – Ivailo Dochkov aus Lennoxille, Canada [CC BY 2.0] via Wikimedia Commons

Ein Weihnachtsbild

(Aus dem Leben.)
Der Abend war herabgesunken; die große Stadt hatte ihre tausend Lichter angezündet und strahlte in hellem Glanze.

Wie die Menge geschäftig durch einander wogte! Wie eilig sie es hatten, die winterlich gekleideten Leute auf allen Gassen! Es war ja Weihnachtsabend; die Liebe regierte; die Freude flog von Haus zu Haus; sie küßte die kleinen und großen Menschenkinder – und auf allen Wangen blühten ihre Rosen.

Ein hoher ernster Mann tritt in eine glänzende Passage. Sein Fuß stößt an; er bückt sich; da, etwas in das Dunkel gerückt, sitzt auf einem Schemel ein altes Mütterchen; sie streckt ihm bittend die welke Hand entgegen. Was spricht zu ihm aus diesem milden todesbleichen Angesicht? Nur langsam schreitet er weiter; mit unwiderstehlicher Gewalt zwingt es ihn, sich umzusehen. Und seltsam, die Alte beugt sich weit vor und winkt ihm lächelnd zu. Er schreitet weiter, weiter – verloren in das bunte gestaltenreiche Weihnachtsgedränge.

Weihnacht! – welch ein Zauber in dem einen Wort! Die Gegenwart versinkt ihm; die Vergangenheit öffnet ihr Grab, und mit unabweisbarer Gewalt drängt sich die Erinnerung an längst Vergessenes ihm auf.

War das eine glückliche Jugend!

Er war der einzige Sohn liebevoller Eltern; der Vater starb früh, [859] und der Mutter Herz schlug von da an nur für ihn. O, er wußte es wohl, und heute stand es wieder lebhaft vor seiner Seele: sie liebte ihn über Alles – sie liebte ihn wohl nur zu sehr. Und wie die Mutter, so hatten ihn Alle lieb, die ihn sahen, die auf der Lebensbahn eine Weile neben ihm hingingen. Und nun, nachdem so lange Jahre vergangen, nun in der festlichen Stimmung des Weihnachtsabends sah er im Geiste sein eigenes Bild aus jenen Tagen sonnigen Jugendglückes vor sich: die schlanke, elastische Gestalt, an der jedes Glied, jede Bewegung von selbstgewisser Kraft und thatenfreudiger Männlichkeit sprach, die helle und doch so kräftige Stimme, die ihm jedes Herz gewann, die hohe Stirn, die ein Wald von dunklen Locken umrahmte, und auf dieser Stirn ein Zug – „ein Zug stolzen Trotzes“, sagte die Welt. Aber es war mehr gewesen als Trotz, was auf dieser Stirn stand und das Schicksal seines Lebens geworden – heute verhehlte er es sich nicht mehr: ein brennender Durst war es gewesen, groß zu sein in der Welt und ihre Schätze zu gewinnen – Genußsucht, Eitelkeit, Ehrgeiz.

Das Leben lag vor ihm, so schön geschmückt; er vor Allen war geladen, an der reichbesetzten Tafel Platz zu nehmen, und mit rücksichtsloser Begehrlichkeit durchbrach er die Schranken der gegebenen Verhältnisse.

So hatte er in seiner Heimath eine zeitlang hingelebt – neben der Mutter, die ihn mit Entzücken geistig und körperlich wachsen und reifen sah. Mit ahnender Mutterliebe blickte sie in die Zukunft und schloß die Augen, geblendet von den glänzenden Bildern, die sich ihr im Leben des geliebten Sohnes enthüllten. Konnte sie ihm versagen, was er auch immer verlangt? Unmöglich! Und was er verlangte, das war viel, unendlich viel – Alles.

Und dann kam ein Tag – er zog hinaus in die Welt, die ihn so unwiderstehlich lockte, und ließ die Mutter zurück, hülflos und verlassen, arm und gebeugt von der Jahre Last.

Ihm aber blieb jenseits des Oceans das Glück getreu. Sein Blick hing unverwandt an den schönen Augen jener Göttin, die nicht nach Recht und Gerechtigkeit, nur nach Gunst und Laune ihre Gaben spendet, und die Erinnerung an die Heimath, an die Mutter starb allmählich. –

Seine persönlichen Vorzüge und Talente bahnten ihm überall den Weg, und schnell gelang es ihm, eine glänzende Stellung zu erringen. Genießen, in vollen Zügen genießen, das hieß bei ihm leben, und im grenzenlosen Leichtsinn verpflichtete er sich auf lange Jahre hinaus, nicht nach Europa zurückzukehren. Wohl zog zuweilen durch seine Träume die Erinnerung an die Heimath und rührte sein Herz durch die Erscheinung seiner Mutter, deren Antlitz ihm so bleich und traurig entgegenblickte. Wenn er aber erwachte aus den Träumen, dann lachte ihm die ewig junge, schöne Göttin alle düsteren Gedanken hinweg, und sein Gewissen beruhigte er mit dem festen Vorsatz, „einst“ Alles wieder gut zu machen.

Die Jahre schwanden, und längst war er zum Manne gereift. Aber wie das Leben uns auch packen und werfen, umschmeicheln und liebkosen mag, ganz kann sie doch niemals sterben, die Erinnerung an das süße Ehedem der Kindheit.

Als sich der erste Silberstreif in seinen dunklen Locken zeigte, ergriff ihn ein tiefes Weh; ein ungestümes Verlangen nach Glück trieb ihn hinaus in die Welt; ein stilles, heimliches Sehnen nach einem unsagbaren Etwas hieß ihn – heimwärts ziehn.

Da war er wieder in der Heimath, reuig und liebend die Mutter suchend, die ihn so unendlich geliebt, aber seiner Reue war der Friede versagt. Die alte Frau hatte lange, lange auf ihn gewartet – umsonst! Heute hatte er an der Mutter Grab gestanden.

Und wie er nun durch die menschenbelebten Gassen schreitet, da legt sich das bittere Gefühl der Schuld ihm schwer auf’s Herz. Fort aus diesen vom festlichen Licht der Weihnacht bestrahlten Märkten und Plätzen! Ihm blüht keine Freude.

Er will entfliehen – wohin, wohin? Wer wandelt da plötzlich an seiner Seite? Wer nickt ihm so mild lächelnd zu? Seltsam, da ist sie wieder, die alte Frau. Schweigend gehen sie neben einander hinaus in einsame abgelegene Gassen. Er ist wie in ihrem Bann.

„Wo geht Ihr hin?“ fragt er endlich.

„Nach Hause,“ antwortet sie.

„Wen habt Ihr dort?“

„Niemand!“

„Und wen erwartet Ihr?“

„Mein einziges Kind, meinen Sohn.“

„Und wenn er nicht kommt?“

„Er kommt!“ antwortet sie, und ein überirdischer Glanz blitzt in ihren Augen.

Sie traten in ein altes Haus, und der vornehme Mann, in den seinen Pelz gehüllt, folgt der Alten die schmale Stiege hinauf. Er fühlt: er muß. Sie treten ein in ein kleines Gemach; die Alte zündet ein Licht an. Er blickt um sich wie im Traume; auf dem Tisch steht ein Tannenbaum und darunter liegt die Bibel. Bald brennen die Kerzen; die Beiden sitzen sich gegenüber.

„Wie viele, viele Jahre warte ich nun schon auf ihn; heute, am heiligen Christabend, muß er doch endlich kommen, und ich darf nicht sterben, ehe ich ihn gesegnet.“

Wie schwer die Worte auf sein Herz fielen! „Und warum ging er von Euch?“ fragte er.

„Er war so schön und so klug; er brauchte Geld, viel Geld, und ich hatte keins mehr. Da zog er hinaus in die Welt. Gold wollte er erringen; auch für mich wollte er es; auch mich wollte er reich und glücklich sehen. Und als er fort war, da wurde es Nacht um mich her. – Das Elend zog bei mir ein, und die Krankheit warf mich auf’s Lager, meine Liebe aber war stärker als sie – ich muß leben, bis diese Hand auf seinem Haupte geruht.“

Er stöhnte laut auf.

„Mutter, denke, ich bin Dein Sohn! Siehe hier ist Gold, viel Gold; Alles ist Dein; segne mich!“ – Da lag es nun auf dem kleinen Tisch, das verführerische Metall, nach dem die Menschen so rastlos jagen und das noch keinen beglückt. Wie das funkelte und blitzte! Wie es lachte, das schöne Gold – umsonst; hier hat es seine Macht verloren; es ist todt. Lächelnd schiebt die alte Frau es zurück; sie winkt ihm: „Komm’, mein Sohn!“

Und der starke Mann kniet und beugt das Haupt tief herab. Ihre welke Hand streicht leise über sein volles Haar. Ein Zittern durchfliegt seinen Körper.

„Meine Liebe und mein Segen folgen Dir – gehe hin in Frieden!“

Die alte Frau lehnt sich in den Stuhl zurück; er erhebt sich. Seine Augen werden feucht, und ein heißer Thränenstrom wäscht alle Schuld von seiner Seele. Er fühlt sich frei werden, und ein nie gekanntes himmlisches Gefühl schwellt seine Brust. Das Glück konnte ihm die Welt, die ihm so viel, die ihm Alles gab, doch nicht geben; aus der Hand der Bettlerin sollte er es empfangen, das höchste Glück, die Ruhe seines Herzens, den Frieden seiner Seele.

Die Lichter sind verlöscht; der Mond und die Sterne scheinen in das Gemach; ihr bleiches Licht zittert in den dunklen Tannenzweigen. Von ferne tönt Gesang: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!“

Wie Himmelsklänge dringt das Lied in seine Seele.

Er tritt an das kleine Fenster, und sein Blick verliert sich in das Sternenmeer. Seine Seele hebt ihre Flügel und strebt dem Unendlichen entgegen. – Er blickt um sich; stolz hebt er das Haupt; er breitet die Arme aus; er ist so unaussprechlich reich und glücklich.

Ist denn Niemand da, mit dem er sein Glück theilen kann?

„Mutter!“ ruft er leise.

Schläft sie?

„Mutter,“ ruft er noch einmal und erfaßt ihre Hand. Sie ist kalt – die alte Frau ist todt. Da wird es klar in seiner Seele: bis über das Grab folgte ihm die Liebe seiner Mutter; in der Gestalt der alten Frau war sie ihm erschienen, um ihm das zu geben, was er überall umsonst gesucht. – – –

Und draußen auf dem Friedhof, da ruhen sie neben einander, die beiden Mütter; eine Linde streut ihre Blüthen auf die Hügel; in ihren Zweigen singt eine Nachtigall das alte, ewig junge Lied von Glück und Liebe. Und der ernste Mann, der an des Baumes Stamme lehnt, versteht das Lied.

Bald erscheint er nicht mehr allein; sie begleitet ihn – sein junges Weib. Am Weihnachtsabend aber da kommt er allein; in Schnee und Eis gehüllt ist die Natur, und der kalte Nord tobt in den Aesten der alten Linde. Das Herz des ernsten Mannes, der gedankenvoll an den Gräbern steht, schlägt warm, und voll heißen Dankes gedenkt er jener Stunde, da er den Frieden, da er sich selbst gefunden.

Ad. Bl.

Original-Scan: Die Gartenlaube [1879], S. 858, S. 859 bei Wikimedia Commons

Quelle

Ad. Bl. : Ein Weihnachtsbild. – aus: Die Gartenlaube, 1879, Heft 51, S. 858-859, entn. Ein Weihnachtsbild, Wikisource

[Adventskalender] 09.12.2019 – Ludwig Thoma

Ludwig Thoma (* 21. Januar 1867 in Oberammergau; † 26. August 1921 in Tegernsee) gemeinfrei sei 1992.

Erleben eigentlich Stadtkinder Weihnachtsfreuden?

Ludwig Thoma von Karl Klimsch, 1902 via Wikimedia Commons

Erleben eigentlich Stadtkinder Weihnachtsfreuden? Erlebt man sie heute noch?

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Ich will es allen wünschen, aber ich kann nicht

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glauben, daß das Fest in den engen Gassen der Stadt, in der wochenlang die Ausstellungen der Spielwarenhändler die Freude vorwegnehmen, Vergleiche veranlassen oder schmerzliche Verzichte zum Bewußtsein bringen, das sein kann, was es uns Kindern im Walde gewesen ist.

Der erste Schnee erregte schon liebliche Ahnungen, die bald verstärkt wurden, wenn es im Haus nach Pfeffernüssen, Makronen und Kaffeekuchen zu riechen begann, wenn am langen Tische der Herr Oberförster und seine Jäger mit den Marzipanmodeln ganz zahme, häusliche Dienste verrichteten, wenn an den langen Abenden sich das wohlige Gefühl der Zusammengehörigkeit auf dieser Insel, die Tag um Tag stiller wurde, verbreitete.

In der Stadt kam das Christkind nur einmal, aber in der Riß wurde es schon Wochen vorher im Walde gesehen; bald kam der, bald jener Jagdgehilfe mit der Meldung herein, daß er es auf der Jachenauer Seite oder hinterm Ochsensitzer habe fliegen sehen.

In klaren Nächten mußte man bloß vor die Türe gehen, dann hörte man vom Walde herüber ein feines Klingeln und sah in den Büschen ein Licht aufblitzen. Da röteten sich die Backen vor Aufregung, und die Augen blitzten vor freudiger Erwartung. Je näher aber der heilige Abend kam, desto näher kam auch das Christkind ans Haus, ein Licht huschte an den Fenstern des Schlafzimmers vorüber, und es klang wie von leise gerüttelten Schlittenschellen.

Da setzten wir uns in den Betten auf und schauten sehnsüchtig ins Dunkel hinaus; die großen Kinder aber, die unten standen und auf einer Stange Lichter befestigt hatten, der Jagdgehilfe Bauer und sein Oberförster, freuten sich kaum weniger.

Es gab natürlich in den kleinen Verhältnissen kein Übermaß an Geschenken, aber was gegeben wurde, war mit aufmerksamer Beachtung eines Wunsches gewählt und erregte Freude.

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Als meine Mutter an einem Morgen nach der Bescherung in das Zimmer eintrat, wo der Christbaum stand, sah sie mich stolz mit meinem Säbel herumspazieren, aber ebenso froh bewegt schritt mein Vater im Hemde auf und ab und hatte den neuen Werderstutzen umgehängt, den ihm das Christkind gebracht hatte.

Wenn der Weg offen war, fuhren meine Eltern nach den Feiertagen auf kurze Zeit zu den Verwandten nach Ammergau.

Ich mag an die fünf Jahre gewesen sein, als ich zum ersten Male mitkommen durfte; und wie der Schlitten die Höhe oberhalb Wallgau erreichte, von wo aus sich der Blick auf das Dorf öffnet, war ich außer mir vor Erstaunen über die vielen Häuser, die Dach an Dach nebeneinander standen.

Für mich hatte es bis dahin bloß drei Häuser in der Welt gegeben.

Quelle:

Thoma, Ludwig: Erleben eigentlich Stadtkinder Weihnachtsfreuden?, aus: Erinnerungen, in: Gesammelte Werke. Erster Band: Autobiographisches und ausgewählte Gedichte., München, Albert Langen, 1922, S. 33-35 – Auf: Wikisource

Auch zu finden unter “Christkindl-Ahnung im Advent

[Adventskalender] 08.12.2019 – Walter Benjamin

Walter Bendix Schoenflies Benjamin (* 15. Juli 1892 in Charlottenburg; † 26. September 1940 in Portbou) gemeinfrei seit 2011.

Ein Weihnachtsengel

Walter Benjamin von Wilhelm Niederastroth, viaWikimedia Commons

Mit den Tannenbäumen begann es. Eines Morgens, als wir zur Schule gingen, hafteten an den Straßenecken die grünen Siegel, die die Stadt wie ein großes Weihnachtspaket an hundert Ecken und Kanten zu sichern schienen. Dann barst sie eines schönen Tages dennoch, und Spielzeug, Nüsse, Stroh und Baumschmuck quollen aus ihrem Innern: der Weihnachtsmarkt. Mit ihnen aber quoll noch etwas anderes hervor: die Armut. Wie nämlich Aepfel und Nüsse mit ein wenig Schaumgold neben dem Marzipan sich auf dem Weihnachtsteller zeigen durften, so auch die armen Leute mit Lametta und bunten Kerzen in den besseren Vierteln. Die Reichen aber schickten ihre Kinder vor, um denen der Armen wollene Schäfchen abzukaufen oder Almosen auszuteilen, die sie selbst vor Scham nicht über ihre Hände brachten. Inzwischen stand bereits auf der Veranda der Baum, den meine Mutter insgeheim gekauft und über die Hintertreppe in die Wohnung hatte bringen lassen. Und wunderbarer als alles, was das Kerzenlicht ihm gab, war, wie das nahe Fest in seine Zweige mit jedem Tage dichter sich verspann. In den Höfen begannen die Leierkasten die letzte Frist mit Chorälen zu dehnen. Endlich war sie dennoch verstrichen und einer jener Tage wieder da, an deren frühesten ich mich hier erinnere.

In meinem Zimmer wartete ich, bis es sechs werden wollte. Kein Fest des späteren Lebens kennt diese Stunde, die wie ein Pfeil im Herzen des Tages zittert. Es war schon dunkel; trotzdem entzündete ich nicht die Lampe, um den Blick nicht von den Fenstern überm Hof zu wenden, hinter denen nun die ersten Kerzen zu sehen waren. Es war von allen Augenblicken, die das Dasein des Weihnachtsbaumes hat, der bänglichste, in dem er Nadeln und Geäst dem Dunkel opfert, um nichts zu sein als nur ein unnahbares und doch nahes Sternbild im trüben Fenster einer Hinterwohnung. Doch wie ein solches Sternbild hin und wieder eins der verlassenen Fenster begnadete, indessen viele weiter dunkel blieben und andere noch trauriger im Gaslicht der früheren Abende verkümmerten, schien mir, daß diese weihnachtlichen Fenster die Einsamkeit, das Alter und das Darben – all das, wovon die armen Leute schwiegen – in sich faßten.

Dann fiel mir wieder die Bescherung ein, die meine Eltern eben rüsteten. Kaum aber hatte ich so schweren Herzens, wie nur die Nähe eines sichern Glücks es macht, mich von dem Fenster abgewandt, so spürte ich eine fremde Gegenwart im Raum. Es war nichts als ein Wind, so daß die Worte, die sich auf meinen Lippen bildeten, wie Falten waren, die ein träges Segel plötzlich vor einer frischen Brise wirft: „Alle Jahre wieder, kommt das Christuskind, auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind“ – mit diesen Worten hatte sich der Engel, der in ihnen begonnen hatte, sich zu bilden, auch verflüchtigt. Doch nicht mehr lange blieb ich im leeren Zimmer. Man rief mich in das gegenüberliegende, in dem der Baum nun in die Glorie eingegangen war, welche ihn mir entfremdete, bis er, des Untersatzes beraubt, im Schnee verschüttet oder im Regen glänzend, das Fest da endete, wo es ein Leierkasten begonnen hatte.

via: WikiSource

Ein Weihnachtsengel-Vossische Zeitung-1932

Quelle:

Walter Benjamin: Ein Weihnachtsengel. In: Das Unterhaltungsblatt der Vossischen Zeitung, Nr. 357, vom 24. Dezember 1932, Seite 1; Online: Walter Benjamin [Public domain], via Wikimedia Commons, Wikisource

[Adventskalender] 07.12.2019 – Ernst Moritz Arndt

Ernst Moritz Arndt (* 26. Dezember 1769 in Groß Schoritz; † 29. Januar 1860 in Bonn), gemeinfrei seit 1931.

Weihnachtsfreude


Steh auf! die Sonn’ ist aufgegangen,
Es scheint das Licht der Herrlichkeit –
O Seele, klinge dein Verlangen,
Hell kling herein die neue Zeit!
Laß heut die frohe Kunde schallen
Weit übern Erdenball ringsum!
Erklinge, singe, künde allen
Der Menschheit Evangelium.

Dies ist das Licht, dies ist der Morgen,
Der Vorwelt dünner Dämmerschein,
Oft leuchtend auf und oft verborgen,
Nun scheint er hell zur Welt herein,
Das Liebesrätsel ew’ger Güte,
Der Frommen Hort, der Weisen Lust –
Der Sehnsucht süße Rosenblüthe
Erblüht nun voll in jeder Brust.

Drum sollst du, frohe Liebe, klingen,
Daß alle Welt in Wonne sey,
Mit allen Himmelschören singen:
Ihr dunkle Menschen eilt herbei!
O eilet euch im Licht zu baden!
Der Glanz des Himmels strahlt herein,
Und jeder Jammer, jeder Schaden
Der Nacht soll weggeleuchtet seyn!

Kommt alle, die ihr lieft verloren
In freudenvoller Finsterniß!
Denn Jesus Christus ist geboren,
Es scheint das lichte Heil gewiß.
O Liebesglanz! o Lebensmorgen!
O wunderbarer Gottesschein!
Weg Sünden, Schmerzen, Zweifel, Sorgen!
Denn Jesus Christ will unser seyn.

Quelle:

Arndt, Ernst Moritz : Gedichte, Leipzig : Weidmann, 1850; – In: Digitale Bibliothek Mecklenburg-Vorpommern, S. 257-258 (267-268)

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