Nicht-binäre Geschlechtsidentität in einer binären Welt
Gastbeitrag von Nik (sie, they/them), 31, Kolleg:in aus Bayern
“Ich werde nicht versuchen eine allgemeingültige Definition für den Begriff nicht-binär zu erstellen”
Normalerweise beginne ich solche Essays oder Artikel gerne mit einer Definition.
Allerdings ist die nicht-binäre Geschlechtsidentität so schwierig zu definieren, dass es dafür keine einheitliche Definition gibt. Manchmal fällt nicht-binär sein unter den Begriff Transgender, andere sehen ihn davon komplett separat. Manche Leute bezeichnen sich als nicht-binär, während andere es wiederum lieber als einen Oberbegriff für ganz viele unterschiedliche Identitäten sehen.
Ich werde nicht versuchen eine allgemeingültige Definition für den Begriff nicht-binär zu erstellen, dies ist immerhin keine wissenschaftliche Arbeit. Eigentlich finde ich es auch ganz nett, dass es gerade für diesen Begriff keine eindeutige Definition gibt, denn in meinen Augen sagt das schon viel über diese Geschlechtsidentität aus.
Kurz zu mir: Mein Name ist Nik, 31 Jahre alt, genderqueer, meine Pronomen sind they/them oder auch weibliche Pronomen im Deutschen und ich arbeite in einer kleinen öffentlichen Bücherei in Bayern. Als ich mich neulich in einem Twitter-Rant über ein paar Dinge, die mich als genderqueere Person in meinem Berufsumfeld nerven aufgeregt habe, hat das auf wesentlich mehr Interesse gestoßen als ich dachte. Vor allem da sich viele noch sehr unsicher sind, wenn sie auf Personen treffen, welche sich als nicht-binär identifizieren.
Dieser Artikel soll der Versuch einer Annäherung, einer Erklärung, einer Hilfestellung sein, allerdings spreche ich nicht für das gesamte nicht-binäre Spektrum und wir sind alle sehr divers in unseren Ansichten.
Aber was ist denn nicht-binär jetzt eigentlich und was bedeutet genderqueer? Meiner Ansicht nach, ist das wichtigste, daran nicht-binär zu sein, dass man sich außerhalb des sozialen Genderkonstrukts männlich-weiblich sieht. Ich persönlich verwende für mich noch den Begriff “genderqueer.” Dieser hat wiederum keine eindeutige Definition, aber bedeutet generell (wie gesagt, für mich persönlich), dass ich mich außerhalb des ganzen weiblich-männlichen Spektrums sehe.
Für mich hat sich das so manifestiert, dass nur noch meine Eltern meinen Geburtsnamen verwenden und der Rest der Welt mich als Nik kennt. Ich bevorzuge neutrale Pronomen, wobei das im Deutschen sehr schwierig ist und ich daher auch das weibliche Pronomen “sie” verwende. Ich lehne das Gendern von Klamotten, Verhaltensweisen und einfach allem grundsätzlich ab. Ein Beispiel: ich trage keine “Jungs-Klamotten”, und das Tragen von Kleidern macht mich nicht zum Mädchen, ich trage Klamotten die ich mag, ohne dass diese mich labeln.
In Deutschland nicht-binär zu sein ist immer noch mit vielen Hürden verbunden. Auf die legalen werde ich jetzt nicht wirklich eingehen, sondern mich erstmal auf die Interaktion mit cis Personen (also Personen, die sich größtenteils mit ihrem zugeteilten Geschlecht identifizieren) fokussieren.
“Ich empfehle jeder/jedem, die/der das erste Mal mit etwas Neuem in Kontakt kommt zunächst einmal Offenheit.”
Viele von uns werden in diese Welt und Umwelt geboren, ohne jemals groß die weiblich-männliche Einteilung zu hinterfragen. Da kann es etwas verunsichern, wenn man auf jemanden wie mich trifft. Das führt häufig dazu, dass Menschen versuchen mich verzweifelt in eine dieser Kategorien zu stecken, egal ob ich das möchte oder nicht, nur damit sie nicht ihre eigenen Ansichten hinterfragen müssen. Also, zumindest fühlt es sich für mich so an.
Das ist der falsche Ansatz. Ich empfehle jeder/jedem, die/der das erste Mal mit etwas Neuem in Kontakt kommt zunächst einmal Offenheit.
Häufig, wenn ich mich vorstelle, kommt die Frage “Für was steht denn der Name?”, gefolgt von einer Auflistung sämtlicher Namen die mit Nik anfangen, oder “Was ist denn dein richtiger Name?”
Absolut irrelevante Fragen, die in Teilen auch sehr verletzend sein können, vor allem wenn die Person gegenüber nicht aufhört zu versuchen meinen “wahren” Namen herauszufinden. Wenn ihr in eurem Arbeitsumfeld auf jemanden trefft, dessen Namen ihr seltsam oder unpassend findet, dann ist das euer Problem.
Hinterfragt euch selbst, warum das so ist, welche Gründe gibt es für die direkte Ablehnung? Und tut das bitte ohne die betreffende Person mit einzubeziehen. Bei nicht-binären Personen ist der Grund häufig: “Ich sehe eine Person vor mir, die ich als männlich/weiblich kategorisiere, und der Name passt nicht zu dieser Kategorisierung.” Das Verwenden eines neuen Namens ist übrigens aus meiner Erfahrung heraus bei nicht-binären Personen nicht so häufig, ich bin in dem Aspekt also auch wiederum nicht repräsentativ.
Da ich meinen Namen noch nicht legal geändert habe, steht mein Geburtsname häufig noch auf irgendwelchen Dokumenten, oder kann allgemein leicht herausgefunden werden. Reaktionen die ich häufig bekomme, wenn das passiert sind: “Der Name ist doch so hübsch, warum verwendest du den nicht?”, oder wenn es ganz schlimm ist: “Ich finde diesen Namen so viel besser, ich nenne dich jetzt nur noch so.” Während das immer noch verletzend für mich ist, habe ich inzwischen gelernt, dass das meist wiederum nichts mit mir zu tun hat, sondern mit der Person mir gegenüber, und der Tatsache, dass ich zum kritischen Hinterfragen von einem sozialisierten Weltbild, in das ich nicht passe, anrege und nicht alle reagieren darauf mit Begeisterung. Also behaltet solche Ausdrücke bitte für euch. Wenn ihr irgendwo den Geburtsnamen (Häufig nicht ohne Grund auch Deadname genannt. “Der Name ist tot, hört auf ihn wiederbeleben zu wollen.” wie eine Freundin von mir zu sagen pflegt) von nicht-binären aber auch trans Personen seht, ignoriert das einfach, der Name spielt in dem Leben der Person keine Rolle mehr.
Nicht alle haben die Kraft, nicht alle den Mut dazu, sich dann hinzustellen und die Ansichten zu konfrontieren.”
Wie vorhin erwähnt, trage ich mal Klamotten, die zu meinem vermeintlichen Geschlecht passen oder nicht, weil es mir einfach egal ist, solange ich diese Klamotten mag. Was es schwierig für mich macht, ist wiederum mein Umfeld. Mir ist bewusst, dass wenn ich Klamotten trage, die vermeintlich zu meinem Geschlecht passen, mich Leute häufig in die “weibliche” Kategorie einteilen. Das macht es für mich manchmal etwas schwierig diese zu tragen, da ich das nicht möchte. Allerdings will ich mich davon nicht einschränken lassen. Was es noch schwieriger macht sind Kommentare wie: “Oh, du siehst heute hübscher aus als sonst!” oder “Du solltest öfters Kleider tragen, die passen so viel besser zu dir!”, oder “Du kannst dich also doch wie ein Mädchen anziehen!”. Im gegenteiligen Spektrum habe ich schon mitbekommen, dass nicht-binäre Personen, die als männlich wahrgenommen werden, häufig Kommentare wie “Du kannst doch keine Röcke tragen, die sind für Frauen!”, oder “Nagellack ist nichts für Männer, das solltest du nicht tragen.” zu hören bekommen. Wiederum hat das nichts mit uns zu tun, sondern mit der Unsicherheit der Personen mit denen wir in Kontakt treten und dem verzweifelten Versuch uns in eine Geschlechterkategorie zu zwängen, die für sie Sinn ergibt.
All dies sind Aspekte die mir mein Leben, und vermutlich das von anderen nicht-binären Personen, etwas verkomplizieren. Zum einen wird damit immer wieder verständlich gemacht, dass man nicht in seine Umwelt passt, etwas anderes ist. Zum anderen ist die Frage dann immer wie man darauf reagiert. Nicht alle haben die Kraft, nicht alle den Mut dazu, sich dann hinzustellen und die Ansichten zu konfrontieren. Und das ist vollkommen in Ordnung. Ich gehöre inzwischen zu den Personen die meist etwas aggressiv darauf reagieren, was einfach damit zu tun hat, dass ich es langsam satt habe, dass meine Identität so häufig einfach ignoriert, hinterfragt und kommentiert werden muss.
“Aktzeptiert uns wie wir sind!”
Was kann man also als cis Person machen, um nicht-binären Personen zu helfen und sie zu unterstützen?
Akzeptiert uns wie wir sind!
Benutzt unsere Namen und die Pronomen die wir auswählen. Ich weiß, dass im Deutschen einige nicht-binäre Personen so genannte Neopronomen verwenden, also ausgedachte Pronomen, die einem sehr fremd vorkommen können. Aber wir haben in der Sprache der Dichter und Denker einfach keine andere gute Alternative. Wenn ihr Fragen habt, fangt erstmal an eure Motivation zu hinterfragen, benutzt Google und dann sucht gerne auch das Gespräch mit einer nicht-binären Personen, die ihr gut kennt.
Und unterstützt uns aktiv, vor allem auch wenn wir nicht anwesend sind. Lasst Kommentare wie “Dein echter Name ist viel hübscher” oder “Du solltest öfters Kleider tragen” nicht einfach im Raum stehen. Korrigiert euch gegenseitig, wenn falsche Pronomen oder Namen verwendet werden. Fehler passieren, aber wir sehen auch die Leute, die sich dann selbst korrigieren und ihr bestes geben, oder die Leute die einfach so weitermachen wie bisher.
Und gebt eure Pronomen an. Ich steche so häufig aus der Masse heraus, wenn ich in Vorstellungsrunden meine Pronomen mit angebe. Ich mache das nicht um als besonders da zu stehen, ich mache das um zu verdeutlichen, dass wir existieren, dass nicht-binäre Personen überall sind, aber nicht alle von uns können so offen und so aggressiv damit umgehen wie ich. Wenn wir das Angeben von Pronomen normalisieren schaffen wir etwas sicherere Räume für alle, allerdings müssen diese dann natürlich auch respektiert und nicht hinterfragt werden.
Ein paar Links
- Das Nichtbinär-Wiki https://nibi.space/
- Das Queer Lexikon https://queer-lexikon.net/
- Das Gender Unicorn https://transstudent.org/wp-content/uploads/2017/08/genderunicorn2.jpg
hi nik,
es freut mich so sehr, einen blogpost zu diesem thema zu lesen! was das thema geschlecht im bibliotheksumfeld betrifft, hängen die gespräche leider noch so unfassbar weit hinterher bzw. eigentlich finden sie überhaupt nicht statt. es wird höchstens mal darüber gesprochen, wie denn mehr (cis) männer der beruf schmackhaft gemacht werden könnte, weil gleichberechtigung und so, und dabei wird völlig übersehen, dass die bereits angestellten cis männer durch die bank weg besser verdienen bzw. die höheren positionen inne haben. es liegt noch so viel arbeit vor uns 🙁
ich find’s toll, dass du auf der arbeit auch out bist. ich bin es nicht (als binärer trans mann), weil ich nicht mit dem ständigen misgendern und deadnaming klarkäme (was du ja auch beschreibst) und es weniger weh tut, wenn leute es nicht absichtlich tun. da passieren trotzdem so dinge wie im thekendienst gefragt werden, “was” eins denn sei, oder dass der einzige cis mann im team geht und plötzlich kein mensch außer mir mehr e-mails gendert…
ich hoffe ja, dass dein post etwas dazu beisteuern kann, dass wir überhaupt einmal über das thema sprechen. vielleicht wäre auch eine fortsetzung deines posts hier denkbar? würde mich z.b. sehr interessieren, wie das nicht-binär-sein deine arbeit beeinflusst. danke jedenfalls und alles gute für dich!!