[Nachtrag zum Bibliothekskongress 2010] Ulmer erklärt sein gerichtliches Vorgehen gegen Leseplatzangebote

Eigentlich sollte dieser Beitrag über den Vortrag von Herrn Ulmer auf dem Bibliothekskongress längst veröffentlicht sein. Aber er ist irgendwie untergegangen. Daher nehme ich die Anfrage von Kathrin als Anlass, ihn jetzt doch noch zu veröffentlichen.

Herr Matthias Ulmer hielt seinen Vortrag ohne Folien. Er machte deutlich, dass er die Gerichtsverfahren nicht aufrollen will und es ihm mit seiner Klage um eine Musterlösung ging. Er sei kein ideologischer Vertreter der Verlage, sondern er sähe sich als Rechteinhaber, der für so ein Musterverfahren den Kopf hinhält. Sein Ziel sei es, in die Diskussion einzutreten und um Verständnis für die Verlegerseite zu werben. Er könne viele Positionen nachvollziehen, aber häufig seien ihm gemachte Aussagen gerade seitens der Bibliotheken wenig produktiv. Er wolle nicht polemisieren sondern die Verlagssicht (er-)klären.

Als erstes definierte er dann die Aufgabe der Verlage / seines Verlages als Sicherstellung einer optimalen Nutzung von Lehrbüchern für Studierende. Prüfkriterien wären das geänderte Lern- und Leseverhalten der Zielgruppe. Für eine optimale Lösung bedürfe es technischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Prüfungen. Dazu mussten als erster Schritt die rechtlichen Grundlagen mit den Autoren geklärt werden. Dies ist seiner Meinung nach ein Grund für die verspäteten elektronischen Angebote der Verlage.

Um den Studierenden gerecht zu werden, hat sich der der Ulmer-Verlag am UTB E-Book-Angebot beteiligt. Bei den Gesprächen zu diesem Angebot hätten 50% der Bibliotheken für eine Copy&Paste-Option ausgesprochen und 50% wären strikt dagegen gewesen – so in der Art: Um Gottes Willen, der Studierende lernt ja sonst nichts mehr. Da habe ich mich natürlich gefragt, was das für gefragte Bibliotheken waren…

Der Ausdruck von Seiten aus dem „utb-studi-e-book“-Angebot sei auch deshalb ein Problem, weil über die Ausdruckoption nicht sichergestellt werden kann, dass nur ein Papierausdruck und kein PDF erstellt wird. Ein weiteres Problem sind auch die Metadaten gewesen, um die Bücher automatisch in den Katalog übernehmen zu können. Das nächste ist der aufzubauende neue Workflow. Neben der Belastung der Mitarbeiter gibt es einen hohen Bedarf an Investitionen. Der kann jedoch noch nicht aus den Einnahmen der E-Books gedeckt werden. Nach Ulmers Angaben betrugen die Einnahmen aus dem E-Book-Verkauf für den Ulmer-Verlag nur 5000 Euro im Jahr 2009. Der Aktualisierungsaufwand für Produktionssoftware usw. ist außerdem wesentlich höher als bei gedruckten Büchern.

Damit nicht genug. Die nächste offene Frage betrifft Nutzungsstatistiken, die nicht nur wichtig sind, um herauszufinden, was benötigt wird, sondern die auch für eine angemessene Vergütung (Honorierung) der E-Books notwendig sind. Hauptproblem für den Verlag sind fehlende Erfahrungen und die daraus resultierenden unterschiedlichen Angebotsmodelle. Um Erfahrungen zu sammeln, führt Herr Ulmer derzeit einen Hybridtest durch, auch um die Chancen und Risiken der E-Books besser ausloten zu können

Der Ulmer-Verlag ist im E-Book-Geschäft seit drei Jahren dabei. Ulmer sieht, dass einige Verlage bereits tragbare Modelle besitzen. Denen will man es im Verlag gleichtun und etwas an Potential abjagen. Doch wichtig ist, dass das Hauptgeschäft – der Print-Bereich – darunter nicht leidet. Zurzeit sieht man, dass die Einnahmen im Bereich der Printprodukte sinken, aber noch kann man nach drei Jahren keine mittelfristigen Aussagen treffen. Es führt jedoch zu einer Verunsicherung, da die Einnahmen aus dem Printbereich stärker sinken als sie im E-Book-Bereich steigen. Dabei waren elektronische Produkte eigentlich als zusätzliche Einnahmequelle gedacht. Zumindest bedarf es eines Ausgleiches, der nicht da ist.

Wie ist jedoch nun die Haltung zur Schranke des § 52b UrhG? Erstmal ist diese demokratisch so gewollt und somit okay, aber Ulmer schränkte das auch gleich ein. Die Schranke ist okay, wenn sie vielleicht auch nicht gut ist. Die Anwendung ist gut, aber es geht um die Ausgestaltung der Umsetzung. Der Verlag hatte die betroffenen Autoren angeschrieben, als man auf das Angebot der TU Darmstadt aufmerksam wurde. Damals sprach man in diesen Briefen von einem „kriminellen Verhalten“ der Bibliothek. Dies hatte zu starker Kritik geführt. Anders als im Fazit der UB der TU Darmstadt hat das Verfahren Ulmer vs. TU Darmstadt zu mehr Rechtssicherheit geführt und das Hauptsacheverfahren sei deshalb nicht notwendig. Man müsste sozusagen durch die Gegenseite dazu gezwungen werden.

Die Ziele des Gesetzgebers, die dem § 52b UrhG zugrunde liegen, sind auch aus Sicht der Verlage sinnvoll, aber nur wenn seitens der Verlage keine Angebote oder nur Angebote zu inakzeptablen Bedingungen gemacht werden. In der Leipziger Verständigung hatte man auch den Ausdruck und eine campusweite Nutzung vereinbart. Die Priorität sollte dabei auf Verlagsangeboten mit annehmbaren Konditionen liegen. Nach Ulmers Meinung leg(t)en die Bibliotheken diese Vereinbarung zu weit aus.

Er sprach auch kurz die Verhandlungen um eine angemessene Vergütungsabgabe an, die an die §§ 52a und 52b UrhG gekoppelt werden soll. Der bisherige Schiedsspruch für § 52a UrhG wurde abgelehnt und man erhofft sich, durch die Kopplung einen zusätzlichen Ausgleich zu schaffen. Der Verlag selbst würde eine privatwirtschaftliche Lösung einer pauschalisierten Vergütung durch die VG WORT vorziehen.

Ulmer sieht es als gemeinsame Aufgabe von Verlagen und Bibliotheken an, Studierenden den Zugang zur Information zu ermöglichen. Derzeit stände man am Anfang, zumal die neue Technik auch neue Vernetzungsmöglichkeiten ermöglicht. Das Angebot von komplexen Datenbanken, die im Rahmen schwieriger Nutzungsmöglichkeiten, einen Schutz vor Urheberrechtsverletzungen bieten, geht seiner Meinung nach nur in der Zusammenarbeit mit Verlagen. Neben der Schaffung des Zugangs ist auch die Qualitätssicherung der Lehrmittel eine Aufgabe der Verlage.

Die Bedeutung der Bibliotheken als Einnahmequelle für Verlage wird größer werden. Bisher waren Bibliotheken nicht von direktem Interesse, da diese die Medien über den Buchhandel erworben haben. Aber durch die Lizenzierung elektronischer Medien wird der Kontakt zueinander direkter werden. Bei der Frage des Zugangs sieht Ulmer ein Scheitern, denn der Zugang wurde nicht verbessert, weil man nicht auf Basis der Leipziger Verständigung weitergearbeitet hat. Seit dem Sündenfall „Download“ bestand Ulmers Meinung nach keine Möglichkeit der Verständigung mehr.

Eine weitere Aufgabe sei die Finanzierung des Ganzen. Dies ist ein bildungspolitisches Thema. Sowohl bei der Qualitätssicherung, dem Zugang als auch bei der Finanzierung sei man derzeit gescheitert. Man hätte viele Chancen vertan. So hätte man beispielsweise die Bildungspolitik bei der Bundestagswahl gemeinsam wesentlich weiter nach oben puschen müssen. Die Politiker seien sogar froh, dass Bibliotheken und Verlage sich streiten. So hätte man bei den ständigen Kostendiskussionen derzeit keine schlagfertigen Gegner, wenn es um Kürzungspotentiale in diesem Bereich geht.

Aus Ulmers Sicht benötigen wir eine Einigung und einen Verzicht auf gegenseitige Brüskierung. Dies ist etwas schwer, da die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien zum Dritten Korb als eine solche Brüskierung angesehen werden. Deswegen ist es dringend, dass man jetzt auf Ideologien verzichtet und dem Pragmatismus bei den Lösungen Vorrang einräumt.

Eine solche Forderung wirkt seltsam in einem doch immer wieder von Ideologien geprägten Vortrag, der an einigen Stellen an den Forderungen und Wünschen der Bibliotheksnutzer, denen die Bibliotheken verpflichtet sind, vorbeigeht. Eine erhoffte Erklärung des Kommunikationsverzichtes zwischen Bibliothek und Verlag, eine wirkliche Diskussionsbereitschaft und das damit verbundene Akzeptieren anderer Wünsche und Notwendigkeiten konnte ich in diesem Vortrag nicht finden.

[Update] Rechtschreib- und Grammatikkorrektur, 30.06.2010, 16.45 Uhr u. 01.07.2010, 17.00 Uhr

WuE-Books – führen wir den §52b UrhG ad absurdum

Würzburger Universitätsbibliothek startete ebenfalls auf Basis des §52b UrhG ein Angebot für digitale Lehrbücher „WuE-Books“. Referent Dr. Karl Südekum, Direktor der Universitätsbibliothek Würzburg, berichtete über seine Erfahrungen. Hier kam es zwar nicht zu einem Verfahren, aber auch bei Würzburg blieb die Reaktion eines namhaften Verlages nicht aus.
Südekum wies ebenfalls wie Herr Nolte-Fischer darauf hin, dass es viel Halbwissen gibt. Er machte deutlich, dass es beim Angebot von digitalisierten Büchern nach §52b UrhG nicht um eine Enteignung der Verlage oder rücksichtsloses Handeln von Bibliotheken geht, sondern um die praktische Umsetzung eines schlecht gemachten Gesetzes und um die Gewährleistung von Wissenschaftsinformation.

Bibliotheken reagieren damit u.a. auch auf das veränderte Nachfrageverhalten durch Bachelorstudenten, die auf einen bestimmten Bücherkanon festgelegt sind.Bibliotheken haben auch mit einem weiteren Problem gerade in Bayern zu kämpfen. Dort kommt durch das Gymnasium in acht Jahren ein doppelter Abiturjahrgang auf die Hochschulen und damit auf ihre Bibliotheken zu.

Zur Zeit befindet man sich in einer Phase der Neustrukturierung des Marktes auf beiden Seiten. Auf der einen Seite heißt dies einen notwendigen Verzicht auf bestimmte verwertungsmodelle und die Schaffung neuer Bewertungsmodelle.

In Würzburg hatte man den elektronischen Lesesaal der „WuE-books“ trotz der zu erwartenden Konflikte gewollt und die Reaktionen abgewartet. Die Reaktionen waren dann doch überraschend.
Würzburg ist eine mittelgroße Volluni ohne eine große technische Fakultät mit 22.000 Studenten. Die dazugehörige Bibliothek ist sehr dezentral und als zweischichtige Bibliothek mit starker Zentral- und 78 Teilbibliotheken organisiert. Das bringt für die Bibliothek aber auch Probleme mit. Neben der starken räumlichen Zersplitterung gibt es ein strukturelles Haushaltsdefizit mit bis zu 900.000 Euro im Jahr. Lücken im Bestand und gerade der Bedarf bei Lehrbuchsammlungen können in Bayern häufig durch Studiengebühren gedeckt werden, aber das Stellplatzproblem gerade bei Mehrfachexemplaren kann man damit nicht lösen. Daher besteht eine dringende Nachfrage nach E-Books. Die UB Würzburg zahl über 1 Million Euro für elektronische Medien im Jahr. Leider gibt es dort bei vielen populären Büchern häufig kein adäquates Angebot – entweder gar keines oder eine mit vielen Ladenhütern im Gesamtpaket oder nur Altauflagen.

Was die Digitalisierung von Büchern nach §52b UrhG angeht: Bibliotheken haben kein Interesse am Reverseengeneering! Wenn ein annehmbares Verlagsangebot vorhanden ist, dann bevorzugen Bibliotheken dieses. §52b macht für Bibliotheken nur Sinn, wenn kein Angebot seitens der Verlage vorhanden ist, da auch hier für die Bibliotheken erhebliche Kosten entstehen, Personal gebunden und Technik benötigt wird. Außerdem ist das so entstehende Angebot nicht konkurrenzfähig zum Angebot der Verlage, da eine Volltexterschließung nicht durch den §52b UrhG gedeckt wird.

Weiterlesen

Mit- oder Gegeneinander – Die Bedeutung des §52b UrhG für Bibliotheken

In seinem Bericht sprach Herr Nolte-Fischer von der Universitätsbibliothek der TU Darmstadt über eine Sache, die er nur halb versteht. Einen entgültigen Bericht konnte er noch nicht geben, da der Prozess ist noch mitten im Gange ist. Fischer selbst ist kein Jurist, sondern wurde in eine juristische Auseinandersetzung hineingezogen. Es scheinen aber auch die Juristen die Sache nur halb zu verstehen und sind verunsichert, weil noch unklar ist, was gilt. Hier hilft nur reden und dieser Bericht ist ein Teil dieser Aufarbeitung. Es geht um die Schranke des Urheberrechts, welche im § 52b UrhG geregelt ist, die zum 1.1.2008 mit dem Korb2 gültig wurde.

Tatbestand
Die TU-Darmstadt hat probeweise ca. 100 (Lehrbuch.)Titel Dezember 2008 digitalisiert (tudigilehrbuch) und online gestellt. Ausgegangen war man von einer geringen Nutzung dieses Angebotes. Augerufen werden konnten diese Dateien an 15 PCs im Katalogsaalals rein graphische Datei. Damals war der Druck und der Download kapitelweise möglich. Die Nutzung selbst war gering. Diese digitalisierten Bücher wurden nur durchschnittlich 1,7fach genutzt. Bei normalen E-Books ist die Nutzung 20 – 30 Mal höher. Als Antwort auf das erste Urteil vom 13.05. wurde der Download unterbunden und nach dem zweiten Urteil wurde das Angebot komplett eingestellt, da man aufgrund der gerichtlichen Einschränkungen das Angebot für die wissenschaftliche Arbeit als unnutzbar einstuft („weil nicht zuverlässig daraus zitiert werden kann“).

Weiterlesen

Ein Blick zurück – mein persönlicher BID-Kongress 2010

Auch von mir ein paar Eindrücke zum gerade zu Ende gegangenen 4. Leipziger Kongress für Information und Bibliothek, bevor der allseits bekannte Alltagstrott wieder das Regiment übernimmt.

Was ist hängen geblieben? Ein paar (persönliche) Schlaglichter:

  • Nationallizenzen werden von Allianzlizenzen abgelöst
  • Allianzlizenzen werden ein Zweitveröffentlichungsrecht zwingend beinhalten
  • „Neues vom Urheberrecht“: gruppenbezogene Schrankenregelung soll Fragmentierung beenden
  • Der OPAC ist tot – es lebe der OPAC
  • Spieltheorie (homo ludens) bei der Vermittlung von Informationskompetenz

Ich hoffe, ich werde in den nächsten Tagen noch dazu kommen, ein wenig detaillierter auf diese Themen einzugehen. Insgesamt kann ich mich Dörtes Eindruck nur anschließen, dass aktuellen Themen (z.B. Open Data oder auch dem Social Web und seiner Bedeutung für Bibliotheken) wenig bis gar kein Raum (im wahrsten Sinne) gegeben wurde. So interessant und ehrenvoll die zahlreichen Aktivitäten der Zukunftswerkstatt (inkl. der Vereinsgründung) auch waren und weiterhin sind, sie machen eines deutlich: zwischen eingeschworenen „Traditionalisten“ und den gern als „Junge Wilde“ bezeichneten Akteuren besteht ein breiter Graben, den man gut und gerne auch als Digital Divide bezeichnen könnte. Gemeint ist hier nicht die generelle Debatte über die (Ir)Relevanz einzelner Dienste wie etwa Facebook oder Twitter, sondern die Botschaft, die viele dieser Diskussionen unter Bibliothekaren unterschwellig mittransportieren: die latente Angst des Kompetenz- und Bedeutungsverlusts, wenn man sich nur erstmal mit dem „Teufel“ eingelassen hat, verbunden mit der Überlegung, welches denn die Kernaufgaben der Bibliothek sind und wie und ob „digitale Angebote“ im weitesten Sinne überhaupt in das klassische Bibliotheksportfolio passen.

Ich persönlich denke, dass die nächsten Jahre richtungsweisend und spannend sein werden für die Bibliothek als Institution und auch als Prinzip. In sofern schließe ich den Kreis dieses Postings, indem ich mich jetzt schon mal auf den (hoffentlich mutigeren) 100. BibliothekarInnentag hier in Berlin freue!