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Zu „woke“ und unloyal – ein paar Gedanken welches Zeitzeichen die Entlassung von Frau Dr. Carla Hayden setzt

Abkürzung zur Petition gegen die Entlassung der Librarian of Congress

Wenn mich jemand fragt, würde ich mich als eigentlich sehr unpolitische bezeichnen, aber der heutige Tag hat mir gezeigt, dass ich vermutlich doch nicht so unpolitisch bin, wie ich dacht. Mich, als Bibliothekarin, als Mensch, beschäftigt der Rauswurf von Carla Hayden sehr. Es ist nur einer von vielen Punkten in einer Entwicklung in den USA, in Europa, in Deutschland, den ich aus den Erzählungen meiner Oma wiedererkenne, als sie mir vor vielen Jahren erzählte, wie für sie die Zeit vor der Machtergreifung Hitlers war, was sie damals in ihren Mittzwanzigern erlebt hat.

Feindbilder wurden geschaffen, die es vorher nicht gegeben hatte und die nun in ihre Familie einzogen, . Arbeitsplätze und Wirtschaftsaufschwung überzeugten und überblendeten, worauf die damalige Entwicklung hinauslief. Die Männer ihrer Familie begeisterten sich für die angebotenen einfachen Lösungen und Halbwahrheiten und wählten „Protest“. Dann, ganz plötzlich war es zu spät. Ferne Kindheitserfahrungen wiederholten sich auf einmal hautnah, denn die Geschwister hatten als Kinder den 1. Weltkrieg erlebt, fernab auf dem Land, aber er war Teil des Lebens gewesen. Nun waren diese Erfahrungen nicht mehr fern, sondern betrafen insbesondere die Brüder konkret: Krieg, nur wenige Jahre nach einem Krieg.

Warnzeichen waren:

  • Das Verhindern von starken, widerständigen Personen in wichtigen Personen. Schlüsselpositionen wurden entmachtet und linientreu besetzt.
  • Falsche Feindbilder wurden geschaffen. Die Berichterstattung zu bestimmten Personengruppen wurden selektiver, negativer, selbstbestätigender. Vergehen wurden als schwerwiegender für solche Personengruppen dargestellt.
  • Informationen wurden zurückgewiesen, diskreditiert (schwarze Listen, Zensur) oder propagandiert, wenn sie in das Weltbild der Machthaber passten.
  • politische Instabilität und Unsicherheiten (Weltwirtschaftskrise, eine gefühlte Unregierbarkeit des Landes, schwache und zerstrittene Politiker)
  • Loyalität wurde alles, nicht das kritisch, hinterfragende Denken und der gesunde Menschenverstand.
  • Für hohe Positionen war das Parteibuch und die Rasse wichtiger als die berufliche Qualifikation.
  • Mit der Dolchstoßlegende wurde das eigene Geschichtsbild vom Täter zum Opfer gewaschen (Beschönigung der eigenen Geschichte).
  • beschönigende oder diffamierende Sprachbilder („Nationalsozialismus“, „Drecksjude“), Sprachlenkung durch ein „Propagandaministerium„, das sehr schnell die Hoheit über Funk und Film hatte

Warnzeichen aktuell sind:

  • Umschreibung der Geschichte (Gulf of America – Whitewashing of History), in Konflikten eine Umkehrung der Verantwortung (Ukraine als Kriegstreiber und das arme Russland, das zum Krieg getrieben wurde)
  • Diffamierung und Verneinung von Minderheiten (Anpassung der Wahrheit an eigene Realitäten und Ausgrenzung von Personengruppen, z.B. Trans-Personen),
  • Book Bans (Zensur unliebsamer Themen und Autoren),
  • Bereinigung der Schlüsselpositionen in Recht, Wissenschaft und Exekutive von kritischen Personen, die nicht mit der oberen Landesführung einer Meinung sind (Loyalität als Qualifikationsmerkmal für einen Job)
  • Schaffung von Feindbildern (Emigranten, Minderheiten)
  • Diffamierende / diskreditierende Sprachbilder („Fake News“ für wissenschaftliche Fakten und unabhängige Medien, „Social Truth“ für das eigene Social-Media-Sprachrohr von Trump; Remigration im Parteiprogramm der AFD), Sprachlenkung (Verbot Erwähnung von Genderbegriffen, Trans*Personen)

Dies sind zu viele Parallelitäten, um sie zu ignorieren. Zu sehen, wie unsere Regierung sich selbst mit ihrer eigenen Politik völlig unkritisch an die so geschaffene „Realität“ des blau verpackten braunen faschistischen Gedankenguts einer AFD „anbiedert“, also sich eigentlich freiwillig gleichschaltet, macht mir Angst. Man behauptet sich nicht gegen den unverholenen Faschismus, indem man sich ihn zu eigen macht (z.B. Abweisung von Asylsuchenden an den Grenzen), Freiheiten aus Angst beschneidet (Vorratsdatenspeicherung, Anonymitätsverbot, weil jeder ein potentieller Terrorist und Verbrecher ist), Scheingefechte inszeniert (z.B. Genderverbot an öffentlichen Einrichtungen) und dabei die eigene Geschichte vergisst (z.B. nationalsozialistische Sprachweisen ungefiltert wieder übernimmt oder imitiert, überlieferte Ereignisse verharmlost).

Was hat das mit der Entlassung von Carla Hayden zu tun, der Librarian of Congress? Viel. Es ist ein sichtbares Zeichen für die besorgniserregenden Entwicklungen in den USA, längst kein Symptom mehr, sondern der Ausbruch einer Krankheit, eines Krebsgeschwürs.

Am Dienstag wurde Frau Dr. Hayden die Möglichkeit gegeben, das angefragte Budget der LoC für 2026 zu verteidigen. In ihrer Rede vor dem Senat legte sie da, welche Aufgaben und Schwerpunkte sie in der Arbeit der Bibliothek sie als wichtig erachtet und wie das Budget verwendet werden soll. Es zeigt sehr gut, wofür Frau Hayden mit ihrer Arbeit einsteht: „The mission of the llibrary is to engage, inspire and inform the Congress and the American people with an universal and enduring source of knowledge and creativity.“

Dies gab konservativen Gruppen einen Anlass laut zu werden und der Librarian of Congress Hayden vorzuwerfen, Kinderbücher mit radikalen Absichten zu bewerben. Nur wenige Stunden vor ihrer Entlassung forderte die American Accountability Foundation ihre Entlassung auf X.com und diskreditierte Frau Dr. Hayden, sie sei „woke“ und Trump-feindlich. Dem folgte sehr schnell die Entlassung der Librarian of Congress.

Die Demokratin DeLaurio kritisiert diesen Schritt und konstatiert:

This is yet another example in the disturbing pattern of the President removing dedicated public servants without cause—likely to fill the position with one of his ‘friends’ who is not qualified and does not care about protecting America’s legacy.

Quelle: DeLauro on the Firing of the Librarian of Congress, Dr. Carla Hayden, Appropriations Committee Democrats

EveryLibrary, eine Organisation, die die Finanzierung von Bibliotheken unterstützt, macht sehr deutlich, wie gefährlich sie diese willkürliche Kündigung hält:

President Trump has crossed another dangerous line by abruptly firing Dr. Carla Hayden, the Librarian of Congress. This troubling and unprecedented action should alarm every American who values the independence of our cultural institutions and recognizes the role libraries play in a democratic society.

Quelle: STATEMENT: President Trump Fires the Librarian of Congress and Now Congress Must Push Back, EveryLibrary

Sollte es Trump gelingen, einen seiner loyalen, unqualifizierten Freunde auf die Stelle des Librarian of Congress zu setzen, wird ein weiter wichtiger Baustein der Demokratie der USA gefährdet, denn die Library of Congress ist mehr als eine Büchersammlung. Sie ist eine gesetzgebende und öffentlichkeitswirksame Unterstützungseinrichtung, zu der das Copyright Office, der Congressional Research Service und die Law Library of Congress gehören. Jede dieser Einrichtungen erfüllt wichtige, überparteiliche Aufgaben für unsere Regierung und die Öffentlichkeit. (Mehr Informationen: A Library for All : The FY2024 – 2028 Strategic Plan for the Library of Congress, LoC). Sie dient allen Menschen und nicht der Agenda eines Präsidenten, der in unvergleichlicher Manier es schafft, Medien, Menschen und darüber wichtige Einrichtungen gleichzuschalten oder auszuschließen.

Dies ist nur ein weiterer Schritt der Trump-Regierung gegen Bibliotheken, denn bereits am 14. März erließ Präsident Trump eine Durchführungsverordnung zur Auflösung des „Institute of Museum and Library Services“. ALA und AFSCME haben daraufhin Klage vor einem Bundesgericht eingereicht und scheinen damit Erfolg zu haben.
Im Artikel „Outrage and Calls to Action After President Trump Fires Librarian of Congress Carla Hayden“ des School Library Journal klingt der Schock über die Entlassung mit.

Her removal is the latest for the administration that is stripping federal agencies of women, people of color, and anyone whose work is believed to be in opposition to Trump’s agenda.

Quelle: Outrage and Calls to Action After President Trump Fires Librarian of Congress Carla Hayden, School Library Journal

Der Entlassungszweizeiler enthielt natürlich keine offizielle Begründung, warum die Librarian of Congress auf so rüde Art entlassen wurde, was sehr deutlich zeigt, wie kaltherzig und machtsicher diese Trump-Regierung handelt. Die Kündigung begründete die Sprecherin des Weißen Hauses dann später damit, dass sich Hayden für Diversität einsetze und „unangemessene Bücher“ in der Kinderabteilung ausgestellt habe, was Trump das Recht gäbe, seiner (unloyalen, Anm.d.Verf.) Bibliothekarin fristlos zu kündigen.

Cindy Hohl, die Präsidentin der American Library Association (ALA) äußerte sich zutiefst enttäuscht über die Entscheidung von Präsident Trump, Dr. Carla Hayden aus ihrem Amt als Bibliothekarin des Kongresses zu entlassen.

Dr. Hayden’s abrupt and unjust dismissal is an insult to the scope and breadth of work Dr. Hayden has undertaken in her role leading the Library of Congress.

Quelle: ALA praises service of Dr. Carla Hayden, decries „unjust dismissal“ of Librarian of Congress, ALA

Folgt man all den Aussagen der angesehenen Senatoren, Nachrichtensendern und bibliothekarischen Fachleuten, so kann man nur hoffen, dass genug Menschen in den USA aufwachen und laut werden. Aber auch für uns hier muss klar sein, dass dies mehr als ein Warnzeichen ist.

Einem Kollegen gegenüber äußerte ich, dass ich derzeit gerne mehr darüber wissen würde, wie die Kolleg*innen in der LoC und in anderen Bibliotheken mit diesem Schock umgehen? Ist das ein weiterer Tritt in den Hintern und bremst all das Engagement aus oder entsteht daraus eine Jetzt-erst-recht-Mentalität. Wie würden wir in Deutschland reagieren? Würden nur einzige laut, viele? Würden wir uns wehren oder wegducken, mitlaufen oder dagegen ankämpfen, offen uns positionieren oder heimlich? Mit Blick auf die diktatorischen Systeme des Nationalsozialismus oder der DDR wird es wohl einige Aktivisten, einige Mitläufer, viele Dulder und wenig laute Menschen geben. Wo würde ich mich da einordnen? Reicht mein Mut oder siegt die Angst?

Christine Espenshade, Board Chair der Enoch Pratt Free Library, deren Leiter Hayden früher gewesen war, äußert sich zur Entlassung:

„Our entire board and library community is in shock given the dedication that Dr. Hayden has shown to libraries across the country and obviously, the Library of Congress,“ Espenshade said. „We are really disappointed.“

Quelle: Former Baltimore colleagues react to abrupt firing of Librarian of Congress Carla Hayden, CBS News

Die Enoch Pratt Free Library hat auf ihrer Website ein Statement veröffentlicht, in dem es heißt:

We stand with Dr. Hayden with gratitude, respect, and admiration. 

Quelle: In Support of Dr. Carla Hayden, Enoch Pratt Free Library

EveryLibrary hat eine Petition eingerichtet:

PETITION: Stop Trump’s Attack on the Library of Congress

Hier können auch internationale Unterstützer von Frau Hayden ihre Stimme hinterlassen. Ich habe es getan und kann nur hoffen, dass sich viele aufraffen können, zumindest auf diesem Wege dieser Ungerechtigkeit zu widersprechen und die Demokratie in einem Land zu stärken, dessen Agieren so starke Auswirkungen auf die gesamte Welt und somit auch auf unser Leben hat.

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Ein Nachtrag: BRain 12 ist online

Auch diesmal ist uns leider entgangen, dass seit dem 11. Februar die aktuelle Ausgabe von BRaIn erschienen ist. Liebes BRain-Team, Ihr könnt uns, dem Bibliothekarisch-Team gerne nächstes Mal rechtzeitig Bescheid geben, damit uns das nicht wieder entgeht. In diesem Jahr war die Truppe um Prof. Stephan Büttner in Spanien. „BRain was in Spain“. In der Einleitung macht Prof. Stephan Büttner, dass es bis dato immer noch keine vergleichbaren Projekte auf internationaler/europäischer Ebene gibt und die Bobcatsss-Tagung deshalb eine Zukunft hat.

Eva May stellte in einem weiteren Artikel die Thematik Library (R)evolution: Promoting sustainable information practices. der diesjährigen Konferenz vor. Sie ging auf das Besondere an der ”Studierendenkonferenz” ein und die zahlreichen Herkunftsländer der TeilnehmerInnnen. Dabei hob sie folgende Fragen hervor: „Sind e-books wirklich weniger umweltbelastend als gedruckte Bücher? Wie können Bibliotheken sich nachhaltiger einrichten, als Gebäude, als Dienstleister? Und was ist die Rolle der Bibliothekare bei der Aufklärung von Fragen der Ökologie und Nachhaltigkeit?“

Neben den klassischen Sehenswürdigkeiten in und rund um Barcelona, beschrieb der folgende Artikel die Besuche der katalanischen Nationalbibliothek, der katalanischen Filmothek oder auch der Bücherei und des Archivs des zeitgenössischen Kunstmuseums Barcelonas, dem Dokumentationszentrum des FC Barcelonas und der Bücherei des katalanischen Kunstmuseums oder der Bücherei der Sagrada Familia.. Melanie Klotz ging auf die Social Events ein, unter anderem dem Gala-Dinner im Restaurant „1881“.

Anna  Palme schrieb in „Barcelona: Von Zafón und den Bibliotheken der Stadt“ über die Spezialbibliotheken, welche den autonomen Charakter Katalaniens deutlich werden ließen.

In einem letzten Artikel befasste sich Anna Smuda ausführlich mit dem Bibliothekswesen in Spanien. Zu diesem Thema interessiert mich vor allem noch die Schwierigkeiten und Widrigkeiten für eine Neuorientierung des Bibliothekswesens durch den bis 1975 andauernden Franco-Faschismus bis heute ergeben. Gab es hierzu Vorträge? Welche Nachwirkungen sind durch diese lange Zeit bis heute spürbar? Habt Ihr hierzu etwas bemerkt? Ein weiterer Aspekt: Welche Folgen hat(te) die Wirtschaftskrise in Spanien auf das dortige Bibliothekswesen und die Studienwahlentscheidung/Berufsaussichten bei Schülern für den Beruf des Bibliothekars/der Bibliothekarin? Leider war ich nicht vor Ort.

Ein winziges Detail wäre in dieser Zeitschriftenausgabe noch anzufügen: In diesem Jahr, am 9. November 2014 stimmen 7,5 Millionen Katalanen über die Unabhängigkeit und ihre Selbstständig von Spanien ab. Ähnlich wie in Bayern werden auch dort Zahlungen an wirtschaftlich weniger starke Provinzen beklagt.Gab es auf der Bobcatsss-Tagung hierzu schon Vorträge über Szenarios, welche sich auf mögliche Veränderungen des Bibliothekswesens dort bezogen? Das hätte mich im Speziellen noch interessiert. Es sei noch auf den YOU-TUBE-Kanal verwiesen, in dem einige Vorträge der Tagung zu sehen sind.

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Ein Nachtrag: Das Video zur Eröffnung der Peter-Sodann-Bibliothek in Staucha

Durch Zufall wurde ich gestern im niederländischen Bibliotheekblaad auf das Video zur Eröffnung aufmerksam. In dieser Bibliothekszeitschrift gibt es eine Rubrik, die sich mit Aktualitäten des Bibliothekswesens im Ausland befasst. Wie am 12.05. bereits berichtet, wurde die Peter-Sodann-Bibliothek in Staucha eröffnet. Das folgende 22-minütige Video, in dem viele Laudationes gehalten werden, machte deutlich, dass diese Bibliothek keinesfalls nur „ostalgische“ Gründe hat. Ernst Röhl fragte ähnlich wie es manch einer von alten Radio-Eriwan-Witze kennt, warum in der Bildungsrepublik Deutschland so viele Bibliotheken geschlossen werden. Die Antwort lautete, weil „Lesen bildet“. Dies soll an dieser Stelle nicht weiter kommentiert werden, weil es Satire ist, welche die Gründe vereinfach darstellt. Es kommt unter anderem der Sohn von Peter Sodann zu Wort, Eberhard Gönner, Elmar Faber, Walter Niklaus und Gregor Gysi. Am deutlichsten zeigt Christoph Links vom gleichnamigen Verlag auf, was verschiedene Institutionen, Bürger und die Wissenschaft an dieser Bibliothek an Mehrwert haben. Er verweist auf die Buchwissenschaften, Historiker und der historischen Kommission des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler in Frankfurt, die künftig in der Peter-Sodann-Bibliothek arbeiten wird, um die Geschichte der DDR-Verlagslandschaft zu erforschen. Leider tauchen in diesem Video keine Bibliothekar_Innen als Laudatoren und Redner auf. Ob die Crème de la Crème der Bibliothekar_Innen aus Verbänden, Hochschulen und Forschungsbibliotheken aus dieser Region in Sachsen dem Ereignis fernblieb und/oder eben auch „Westdeutsche“ unter den Gästen waren, geht aus dem Video nicht hervor. Mittlerweile verfügt die Bibliothek über eine eingängige URL (http://www.psb-staucha.de) und einen OPAC (http://psb.allegronet.de), der auch extern für Neugierige und potentielle Ausleiher verfügbar ist. Die zahlreichen 850 Spender werden im rechten Bereich der Webseite aufgelistet.

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Die Peter-Sodann-Bibliothek wurde heute eröffnet

„Bibliotheken sind Orte, in denen die Menschen „die Chance bekommen, das Leben und sich selbst zu erkennen“ Peter Sodann

Spätestens nach dem Bibliothekartag in Berlin 2011 wußte jeder aus der Bibliotheks- und Informationswelt, wer Peter Sodann ist und was er vorhatte. Heute wurde nun seine Bibliothek im sächsischen Staucha unweit von Riesa eröffnet.

Anläßlich der Eröffnung der DDR-Bibliothek, welche selbst die „BILD“-Zeitung ohne Anführungszeichen schrieb, ließe sich das W. Ulbricht in den Mund gelegte Zitat „niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen“ auf „niemand hatte die Absicht eine Bibliothek mit DDR-Literatur zu errichten“ umformulieren. Denn niemand hatte 22 Jahre die Absicht, die Idee, die Courage und das Durchhaltevermögen eine frei zugängliche und nicht-institutionelle Bibliothek über die Literatur aus der ehemaligen DDR aufzubauen. Die Deutsche Bücherei in Leipzig, welche diese Literatur sammelt, verfügt vermutlich nicht über die Benutzungsoffenheit einer Ausleihe, sondern nur eine Präsenzbestandsregelung, wobei die Bücher dort meist von BibliothekarInnen nach bestimmten Kriterien selektiert wurden. Mehrere Jahre suchte Sodann vergeblich Mitstreiter, Räumlichkeiten und Aufmerksamkeit, um all den gesammelten Büchern ein würdevolles Zuhause zu ermöglichen. Wer hätte gedacht, dass das doch so schnell ging und tatsächlich verwirklich werden konnte? Große Print- und Onlinemedien wie BILD, Focus, Spiegel, Welt und diverse Zeitungen und das Fernsehen (ARD, MDR usw.) berichteten seit geraumer Zeit über Sodanns Vorhaben. Auch auf bibliothekarisch.de entbrannte eine Diskussion mit mehreren Kommentaren im Februar 2011. Ein ehemaliger Bundespräsidentenkandidat und Tatortdarsteller hat nun eine Bibliothek ins Leben gerufen, die von vielen anfangs belächelt wurde. Zu Unrecht. Sollten nicht auch andere ehemalige Bundespräsidenten oder Tatortdarsteller sich ein neues Wirkungsfeld suchen? Könnten diese nicht schon allein aufgrund ihres Gehalts als Rentiers oder ihres Bekanntheitsgrads auch Bibliotheken aufbauen, fördern oder Fürsprecher für ein Bibliotheksgesetz werden?

Die DDR ist heute nur noch ehemalig, für manche gar einmalig oder eben mit dem Zusatz Ex auszusprechen, als wenn eine gesamte Bevölkerung von heute auf morgen mit ihrem Staate Schluss macht. Doch verschwanden all die publizierten, produzierten und verfassten Bücher und Theaterstücke von heute auf morgen in Mülltonen oder nur im neuen Gedächtnis einer gar westdeutschen ignoranten Öffentlichkeit? Oder nahm der im Stich gelassene Staat diese mit ins Grab? Was bleibt von alledem? Laut Volker Schlöndorff, der hierzulande als „einer der großen deutschen Regisseure“ gilt, waren DEFA-Filme furchtbar und hauptsächlich Mittelmaß.

Ich stehe dazu, dass es neben großartigen Defa-Filmen wie ,Ich war 19’, ,Spur der Steine’, ,Jakob der Lügner’, ,Der geteilte Himmel’ oder ,Solo Sunny’ doch hauptsächlich Mittelmaß gab und dass diese Filme im Westen ganz allgemein nicht wahrgenommen wurden und nicht nur von mir nicht.“

Doch waren die Filme im Westen Deutschlands zwischen 1945-1990, wenn man von einigen wenigen Regisseuren und Filmen (deren Zahl mit Sicherheit unter 10 liegt) absieht, denn wirklich so viel besser? Genauso verhält es sich mit der Literatur, die in jüngster Zeit sehr häufig von westdeutschen „Experten“ diffamiert wurde. Dennoch wäre es sicherlich von Nöten auch im Deutschunterricht in jeder Schule etwas mehr Wissen hierüber zu vermitteln. Neben Christa Wolf, Jurek Becker, Christoph Hein und Volker Braun, gab es sicher noch andere wie Wolfgang Hilbig, Stefan Heym oder Werner Bräunig, die ebenso einen Platz in der Literaturgeschichte verdient haben.

Ich maße mir hier keinesfalls ein Urteil an wie andere sogenannte „Experten“, da ich weder in der ehemaligen „DDR“ lebte und auch deren Literatur und Filme nicht gut genug kenne. Doch bei den westdeutschen Experten habe ich ebenso meine Zweifel, ob diese so gut informiert sind, wie diese sich nach außen hin darstellen. Im folgenden Kurzbeitrag „Die DDR wohnt in Staucha bei Riesa“ wird aktuell über die Aufbauarbeit der Bibliothek berichtet.

Zukünftig sind Führungen durch die Bibliothek geplant, die 800 Quadratmetern umfasst und sich auf dem Heuboden eines umgebauten Kuhstalls befindet. Es handelt sich um etwa eine halbe Million Bücher, die Sodann aus DDR-Zeiten in mühevoller Kleinstarbeit sammelte. Bislang sind aber „erst“ 180.000 Bücher frei zugänglich. Dabei haben Bibliotheken, Professoren und Privatleute mit dazu beigetragen, dass diese Sammlung stetig wuchs. Außerdem plant Sodann ein kleines Kulturzentrum, ein Antiquariat, Scheunen-Theater und ein Café auf dem alten, aber sanierten Rittergut zu errichten. Das Haupthaus, in dem das Gemeindehaus untergebracht ist, will Sodann zu einem Hotel umgestalten lassen.

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