Nach den Angriffen auf Charlie Hebdo – was öffentliche Bibliotheken tun sollten

Charlie und Bibliotheken, so lautete die heutige Überschrift einer Nachricht in der Mailingliste Forum-ÖB. Der Bereichsleiter Bibliotheken der Stadtbibliothek Schaffhausen (Schweiz), Oliver Thiele, regte (indirekt) an für über Abonnements der Zeitschrift Charlie Hebdo nachzudenken, da er über die ZDB herausfand, dass bislang nur eine Bibliothek in Deutschland Charlie Hebdo bestellte. Es handelt sich dabei um die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. Wie der Bibliothekar aus Schaffhausen richtig feststellte, sind allgemeine Solidaritätsbekundungen der Verbände vorherrschend, aber dieses Thema berührt den Kern unserer Tätigkeit in der Mitte der Gesellschaft, die wir immer so gerne betonen. Thiele stellte folgende Frage, um vermutlich die Angehörigen des Berufsstandes aus der Reserve zu locken: “Bibliotheken und Satire, kein Traumpaar?” Er forderte eine Diskussion, indem er folgende Pro- und Contraargumente an die Bibliothekare und Bibliothekarinnen sendete:

  • Pro: “Solidarität”, “Bibliothek als Ort der freien Informationen”, “Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte”
  • Contra: “Effekhascherei”, “kein mittelfristiges Interesse des Publikums an einer Randpublikation, keine französischsprachige Community”, “muslimische Communities nicht irritieren”, “Angst”

Durch seine Nachricht in der Mailingliste Forum-ÖB erhoffte sich Thiele eine breite Diskussion zum Thema. Es wäre wünschenswert, wenn Mailinglisten wie Forum-ÖB nicht nur zum Austausch fehlender Seiten, Beilagen und zur Verbreitung von Stellenanzeigen genutzt würden, sondern dort auch mehr Debatten und Diskussionen stattfinden würden. Ebenso verhält es sich mit dem Thema des “Umgangs mit Asylbewerbern” (12. Januar 2015). Eine Diskussion hierzu fand im Forum bis dato nicht öffentlich statt. Ein Blick ins Ausland macht deutlich, dass Großbritannien und andere Länder zu diesem Thema auch von Seiten der Verbände viel offener und leidenschaftlicher diskutieren. Der französische Bibliotheksverband (ABF) hat hierzu nach Auflösung seiner Mailingliste bibliofr vor wenigen Jahren Agora Bib geschaffen, ein Forum, in dem es auch um gesellschaftliche Themen geht, welche die Bibliotheksarbeit betreffen. Die aktuelle verbandseigene Zeitschrift “Bibliothèque(s) n°77 – Décembre 2014” befasst sich mit dem Thema Bibliotheken und Politik.

Richard David Lankes wurde vor wenigen Tagen via Twitter von der Brede Bibliotheek (https://twitter.com/bredebieb) gefragt, wie sich nun öffentliche Bibliotheken nach den schrecklichen Angriffen auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo verhalten sollten. Brede Bibliotheek steht für breite Bibliothek und setzt sich zum Ziel lokale Communities einzubinden. Er entgegnete, dass er nicht vor Ort in Paris ist (bzw. war) und sich nicht anmaßen würde zu wissen, wie sich Bibliotheken in Frankreich hierzu verhalten zu haben. Jedoch machte Lankes ebenso deutlich, dass es ein Ausdruck von Ignoranz oder gar Feigheit wäre nicht zu antworten und einfach nur zu sagen “help the communities have a conversation”. Auf die Anfrage hin, lieferte Lankes einige Ideen, die hier vom Blogautor so gut wie möglich übersetzt werden. Des Weiteren wird in diesem Blogbeitrag ein  großer Teil von Lankes Beitrag zwar nicht vollständig und wortwörtlich übersetzt, aber so gut wie möglich wiedergegeben:

  • Stellen Sie einen sicheren Ort zur Verfügung, um über den Anschlag gegen die Meinungs- und Pressefreiheit und die Gründe hierfür zu sprechen. Ermöglich Sie den offenen Zugang zur Zeitschrift Charlie Hebdo
  • Organisieren Sie Begegnungen und Foren zur Redefreiheit und der Demokratie. Veranstalten Sie ein “Human-Library-Event” mit Lebenden Büchern unterschiedlicher Glaubensrichtungen
  • Veranstalten Sie Events mit Eltern und Therapeuten zum Thema, wie Kinder stark gemacht werden können
  • Helfen Sie ihrer Community ein Narrativ zu erschaffen und verbreiten Sie dieses. Die Motti hierzu könnten “We shall overcame” oder “Wir sind auf Charlies Seite” lauten
  • alle Bibliotheken sollten sich als einen sicheren Ort positionieren und präsentieren, welcher der Erholung und als Werkzeug dient, diese Tragödie in Handlungen zu verwandeln und hierbei Verständnis erzeugen.

Lankes räumte aber auch ein, dass Twitter nicht das richtige Medium bzw. der richtige Ort ist, um derat tiefgründige Diskussionen zu diesem Thema zu führen. Als nächstes versuchte Lankes drei Lektionen darzulegen, die er zu diesem Thema gelernt hatte.

Die erste Lektion ist, dass Gewalt durch Information und Verständnis bekämpft wird. Am 11. September 2001 war Lankes Direktor des ERIC Clearinghouse on Information & Technology. Er kam an diesem Tage an seinem Arbeitsplatz an, kurz nachdem das Flugzeug die Türme des World Trade Centers traf. Nachdem das  zweite Flugzeug in die Twin Towers crashte, kamen alle Clearinghouse-Mitarbeiter  in seinem Büro zusammen, um die Ereignisse im Fernsehen zu verfolgen. Entsetzt und sichtlich benommen, schickte ich alle nachhause. Das war ein Zeitpunkt, den man mit seiner Familie verbringen sollte.

In der darauffolgenden Woche, kamen Lankes und sein Team zusammen und stellten sich exakt dieselbe Frage, die auch von der öffentlichen Bibliothek in Breda kam: “Was sollen wir tun?”

Zu dieser Zeit betrieben er und seine Mitarbeiter einen Service, der AskEric genannt wurde und durch den sie Hunderte von virtuellen Auskunftsanfragen jeden Tag erhielten, sowie eine sehr häufig genutzte Webseite für Menschen aus dem Bildungssektor. Die Antwort, die sie schließlich dafür hatten war, dass nun sogenannte InfoGuides (think WebGuides/FAQs) zu den Anschlägen entwickelt wurden, welche ständig aktualisiert wurden, je mehr sie zu diesem, aber auch den anderen verwandten Themen hinzulernten. Sie posteten diese im Netz und versendeten sie als Email. Die am überwältigendste und am meisten gesehene/genutze Quelle war jene über den Islam.

Was Lankes nicht ausführlicher behandelte, war jene Episode als Folge dieser Tragödie, da die Menschen versuchten, das Unbekannte zu begreifen und zu verstehen. Deshalb mussten Bibliothekare und Bibliothekarinnen ihre Communties durch FAQs informieren, ein Archiv anlegen, um sorgfältig die Medenberichterstattung aufzubereiten, welche die Erinnerung an dieses Event wachhielt, sowie viele Möglichkeiten der Interaktion zwischen Kulturen, Ethnien und unterschiedlichen Ideen zu schaffen.

Eine weitere Lektion, die Lankes anführte, resultierte aus den Ereignissen in Ferguson im Bundesstaat Missouri, als Bibliothekare und Bibliothekarinnen während der Unruhen dort Menschen Unterschlupf und einen sicheren Ort anboten. Die öffentliche Bibliothek positionierte sich als Alternative zur Gewalt und schuf so ein neues Narrativ. Während die Medien damit beschäftigt waren, ihren Fokus auf die Polizei gegen die Black Community zu legen, nahmen sich Bibliotheken den sozialen, den traditionellen Medien an und vermittelten dies mithilfe von Schildern außerhalb der Gebäude, um Ferguson als eine (gemeinsame) Familie zu positionieren. […] Die Bibliotheken in Ferguson zeigten, dass dieser Ort aus Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkünfte besteht, die zusammen kommen, lernen und den (gemeinsamen) Wunsch für eine bessere Zukunft hegen. Die Bibliotheken konnten weder den Konflikt reduzieren, noch den institutionellen/systematischen Rassismus ignoren. […] Die Bibliotheken – nein, die Bibliothekare taten etwas und zeigten der Welt, das Ferguson nicht so viel anders als Syracuse oder Seattle oder andere Communties innerhalb des Landes ist. Sie sind mehr als nur (plumpe) Schlagzeilen. Sie humanisierten ein Narrativ. Die Lehre, welche Lankes aus dem Verhalten und den Reaktionen der Bibliotheken in Ferguson zog, war, dass Bibliotheken nicht nur konstruktive Räume zur Verfügung stellen; Sie tragen zu einem tieferen Verständnis über die Welt bei. Erst solle man seiner Nutzerschaft/Community die Möglichkeit geben zu atmen, zu trauern, nachzudenken und dann handeln und sprechen.

Lankes’ letzte Lektion bezog sich auf die Bibliothekare und Bibliothekarinnen während des (sogenannten) Arabischen Frühlings. Während der größten Aufstände und zivilgesellschaftlichen Unruhen schützten die Protestierenden die Bibliotheken. Als viele Regierungsgebäude beschädigt und geplündert wurden, beschützte man die Bibliothek. Warum? Trotz des Jahres des Aufstands und der Revolten  gingen die Bibliothekar_innen ihrer Arbeit nach. Sie wurden zu vertrauensvollen Quellen der Community, weil sie (auch) dem Durchschnittsbürger von Alexandria intellektuell anregende und ehrliche Dienstleistungen zur Verfügung stellten. Die Lehre daraus ist, die Bibliothek als Quelle für seine (potentielle) Nutzerschaft(Communitiy zu positionieren und die Werte des Bibliothekswesens weiter in den Mittelpunkt zu rücken: intellektuelle Ehrlichkeit, intellektuelle & physische Sicherheit, Offenheit & Transparenz, sowie die Bedeutung des Lernens hervorheben.

Was Lankes sich von den französischen Bibliotheken erhofft, ist, dass sie den Mut haben werden Folgendes zu tun: ein sicher Ort zu sein/werden, an dem man über kontroverse Streitpunkte sprechen und lernen kann. Er schlägt vor, Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen einzuladen, um darüber zu diskutieren, wie Gewalt verhindert werden kann, bzw. wie darauf reagiert werden soll. Ferner rät Lankes Charlie Hebdo und auch andere umstrittene Materialien für alle Nutzer_innen frei zur Verfügung zu stellen. Lankes plädiert dafür, Lesungen und Events zu veranstalten, welche die Bedeutung der Redefreiheit in einer freien Gesellschaft thematsieren. Zum Schluss kommt Lankes nochmals zu seinen Lehren & Folgerungen, indem er seine Thesen in Form von Fragen Forderungen unterstrich: Weiterlesen

Auf französischen Spuren: Ein Imagefilm des Stadtarchivs Speyer

Der Imagefilm (2013) wurde gemeinsam mit dem Offenen Kanal Speyer und dem MedienKompetenzNetzwerk Speyer hergestellt. Die „Spuren” beziehen sich auf die in Speyer stationierten französischen Soldaten unmittelbar nach 1945. Es handelt sich um „Graffiti”, also Schriftzüge und kurze Texte, die von französischen Soldaten damals in Speyerer Gebäude eingeritzt wurden und heute fast völlig vergessen sind. Das Stadtarchiv Speyer möchte mit diesem Film einerseits diese „Spuren”, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Films ziehen, dem Vergessen entreißen. Andererseits wird das Archiv als Dienstleister für Informationen und als Einrichtung, die das „Gedächtnis” der Stadt Speyer verwahrt, präsentiert.


Darsteller: Hans-Jürgen Herschel; Julian Weiler; Anna Wagner.
Regie: Ludwig Asal
Kamera: Wolfgang Schuch
Schnitt: Dennis Hüther
Musik: Klaus-Jürgen Frey, Projekt Individualdistanz (www.individualdistanz.de)
Drehbuch: Doreen Kelimes, Joachim Kemper, Oliver Bentz

Quelle: Entdeckt über den Facebook-Account von Christian Spließ

Eine Strandbibliothek an der Promenade des Anglais in Nizza

Inzwischen scheint es keinen Strand in Frankreich mehr zu geben, der während der Sommerzeit nicht auch über eine Urlauberbibliothek verfügt. Warum wurde bis dato diese Idee noch nicht am Bodensee (das schwäbische Meer), am Chiemsee (das bayerische Meer) oder an der Ost- oder Nordsee verwirklicht? Die Bibliothekarinnen bieten am Strand von Nizza auch Bücher in italienischer, englischer und deutscher Sprache an. Gibt es in den eben genannten deutschsprachigen Regionen eigentlich spezielle Bibliotheksausweise für Touristen, welche für die Dauer ihres Urlaubsaufenthaltes gültig sind?

Nice: des bibliothèques gratuites sur la plage von niceazurtv

Eine Strandbibliothek im Département Hérault

Im Jahr 2010 wurde hier im Blog ein Beitrag veröffentlicht, in dem zahlreiche Strandbibliotheken aus Frankreich und der Schweiz aufgezählt wurden. Die, welche nun im folgenden Video vorgestellt wird, kam damals in der Auflistung noch nicht vor. An einem Strand im Département Hérault
beinhaltet die Strohhütte “Lire à la mer” 2.000 Bände, die für Urlauber bereitstehen.

Bibliothekstourismus zum Mitmachen

Nachdem Studenten der Fachhochschule Potsdam im Rahmen eines von Frau Jank betreuten Seminars dieses Thema im vergangenen Jahr auf einer Tagung aufgriffen und hierzu sehenswerte Bibliotheken in Berlin und Brandenburg vorstellten, hat dies nun der französische Bibliotheksverband (Association des Bibliothécaires de France = ABF) für das Jahr 2014 auf die Agenda gesetzt, wobei die Internationalität im Fokus steht.

Seit Ende Februar stellt die Association des Bibliothécaires de France auf ihrer Webseite eine interaktive Weltkarte zum Mitmachen zur Verfügung. Derzeit sind es etwas 47 Bibliotheken, die bisher eingepflegt wurden. Die Internutzer und Surfer aller Länder sind eingeladen zum Mitmachen und mit Hilfe des Geo-Tagging diese Weltkarte mit mehr Inhalt zu füllen. Aus Deutschland ist bislang nur die Stadtbibliothek Stuttgart verzeichnet. Alle Bibliothekare und Bibliothekarinnen auch hierzulande sind eingeladen ihre Einrichtungen bzw. sehenswerte ihnen bekannte Bibliotheken unter dem folgenden Formular mitaufzunehmen: http://www.abf.asso.fr/pages/carte_formulaire.php

Das Projekt wird auf der diesjährigen der IFLA– und ABF-Konferenz vorgestellt. Ziel ist es die Bibliothekare und Bibliothekarinnen aus der französischsprachigen Welt für die Internationalität zu sensibilisieren/zu öffnen und ihnen zu ermöglichen Bibliotheken mit ähnlichen Schwerpunkten und Dienstleistungen zu finden, um einen Fachaustausch zu erleichtern bzw. den Bibliothekstourismus zu fördern.

Die Internationale Kommission des französischen Bibliotheksverbands (ABF) bedankt sich bei allen, die bei diesem interaktiven Projekt mitmachen!

 

Aus aktuellem Anlass: “Toute la mémoire du monde” von Alain Resnais

Le film devait être un documentaire sur la Bibliothèque Nationale : c’est devenu une réflexion sur la culture. […] Ce lent cheminement de fichier en fichier, de service en rayonnage, orchestré en un mouvement continu, (…) aboutit à une impression d’étouffement progressif, celle d’un emprisonnement définitif.” François Porcile

Am Samstag, den 1. März starb der bekannte französische Regiesseur Alain Resnais.  Im folgenden Kurzfilm aus dem Jahr 1956 “Toute la mémoire du monde” von Resnais geht es um die Organisation und Arbeit in der Bibliothèque nationale de France. Der Film ist ein Zeitzeugnis darüber, wie damals in Bibliotheken gearbeitet wurde. Im Grunde genommen gibt es weiterhin Parallelen mit der heutigen Arbeit in großen Bibliotheken, wie etwa der Staatsbibliothek zu Berlin, was bestimmte Geschäftsgänge betrifft. Es gibt für alle nicht-frankophonen Zuseher und Zuseherinnen noch Untertitel auf Englisch.

Ein ganz normaler Tag in der Bibliothek

Ein interessanter Film zur Bibliothèque Sciences-STAPS der Université de Caen Basse-Normandie. Der hellfende Engel hat mir besonders gefallen, aber auch wie mit “typisch französischen Gewohnheiten” gespielt wird 🙂

Das Video ist auf Französisch, aber es gibt auch ein englischsprachiges, automatisch generiertes Transkript auf Youtube.

Die Bibliothek Sainte-Geneviève

Salle de lecture Bibliotheque Sainte-Genevieve n03

By Marie-Lan Nguyen (Own work) [CC-BY-2.0-fr], via Wikimedia Commons

Ich bin durch Zufall über die Sendung “Baukunst” auf Arte gestolpert. Dort gab es heute früh eine Reportage über die Bibliothek Sainte-Geneviève an der Place du Panthéon in Paris, nahe der Sorbonne. In dieser Dokumentation wird der Bau als Beispiel früher Eisenbaukunst “ein Meilenstein der Bibliotheksarchitektur” vorgestellt.
In den Jahren 1843 bis 1850 hat der Architekt Henri Labrouste die Errichtung der Bibliothek betreut. Unglaublich, wie detailverliebt Labrouste es schaffte, etwas Neues zu schaffen, dass man als den ersten Schritt auf dem Weg zur “modernen Architektur” bezeichnet.

Die fünfundzwanzigminütige Reportage ist einen Besuch der Mediathek auf jeden Fall wert.

Hier zum reinschnuppern ein Ausschnitt:

Weiterlesen

Der 80. IFLA World Library and Information Congress 2014 in Lyon

Vom 16. bis zum 22. August findet der Weltkongreß Information und Bibliothek 2014 in Lyon (Frankreich) statt. Zur gleichen Zeit gibt es auch die 80. IFLA Generalkonferenz und Ratsversammlung, Die Anmeldung ist seit kurzem online möglich. Für Buchungen, die bis zum 15. Mai 2014 erfolgen, gibt es einen Rabatt auf die Teilnahmegebühr. Informationen hierzu sowie zu den Fristen und Modalitäten für die Plazierung von Programmbeiträgen befinden sich auf den Internetseiten des IFLA-Nationalkomitees in Deutschland (IFLA-NK). Wie auch in den Vorjahren können für die aktive Teilnahme an der Veranstaltung (z.B. durch Vortrag, Posterpräsentation oder Gremienmitarbeit) beim IFLA-NK wieder Reisekostenzuschüsse beantragt werden. Informationen über dieses Stipendienprogramm und das entsprechende Procedere bietet. Um den Interessierten zuvor die Einreichung von Postervorschlägen usw. zu ermöglichen, wurde die Frist für Antragstellungen auf den 15. Februar 2014 verlegt.

Meine persönliche Rückschau auf den BID-Kongress 2013 (Teil 3)

Der zweite Tag begann unter anderem mit der Session “Was Ihr Wollt” – Nutzerforschung in Bibliotheken, die von Ulla Wimmer (HU Berlin) moderiert wurde. Dabei möchte ich eigentlich vor allem auf den Vortrag von der Ethnologin und Bibliothekarin Corinna Haas eingehen, die in einer Einführung Ethnographische Methoden in der Bibliotheksforschung vorstellte. Besonders bemerkenswert war, dass bereits Pierre Bourdieu als einer der ersten weltweit 1965 “The Users of Lille University Library” verfasste, was viele Jahre in der anglo-amerikanischen Welt und darüber hinaus wohl kaum jemand zur Kenntnis nahm. Er untersuchte die Bibliotheksbenutzung als Perfomance im Raum und griff als Vorreiter auch Fragestellungen um das Thema “Informationskompetenz” auf. Weitere Infos zum Originaltext hier:

Les utilisateurs de la bibliothèque universitaire de Lille, in Rapport pédagogique et communication, Bourdieu, Passeron, Saint-Martin (eds.) Mouton, Cahiers du Centre de sociologie européenne, 2, 1965, p.9-36; aussi, Les temps modernes, 232, septembre 1965, p.109-220

Doch nach einer kurzen Recherche, stelle ich schon fest, dass es noch mindestens ein weiteres ethnografisches Projekt an einer Universitätsbibliothek in Frankreich gibt, das Anthrolib nicht verzeichnet. 2008 wurde an der “Bibliothèque universitaire centrale de l’Université Toulouse Le Mirail” eine “enquête ethnographique” durchgeführt. Die Publikation hierzu ist “Du lecteur à l’usager”: Ethnographie d’une bibliothèque universitaire aus dem Jahr 2010, welche von der Soziologin Mariangella Roselli und Marc Perrenoud verfasst wurden. Ein 33-seitiger Fachartikel “Formes de réception et d’appropriation des ressources numériques en milieu étudiant” von Roselli zur ethnografischen Untersuchung in Toulouse findet sich unter folgendem Link. Eine lesenswerte Rezension zu diesem Buch findet sich auf der Internetseite von “La Vie des Idées”, wo auch erwähnt, welche Nutzertypen Roselli und Pernoud die B.U. in Toulouse frequentieren. Dabei wird auch auf die Feminisierung des Bibliothekspersonals eingegangen, was einer kritischen Betrachtung unterzogen wurde.

Weitere Erkenntnisse aus dem Vortrag waren, dass es bislang erst insgesamt etwa 60 Projekte ethnografischer Forschung in bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Einrichtungen gab, wovon sehr viele in den USA an der Universität von Rochester durchgeführt wurden, wie auf der Webseite von Anthrolib der eben genannten Einrichtung zu sehen ist.  Dabei waren das sehr unterschiedliche Herangehensweisen von Untersuchungen zur “Information infrastructure in rural libraries in Romania” bis hin zu “How children are using computers”. Hierbei fielen für mich neue Fachausdrücke wie “Participatory Design” oder Space Design, die im bibliothekarischen Bereich bei der Anwendung ethnografischer Methoden einen Schwerpunkt bilden. Werden ethnografische Methoden außer am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der HU Berlin auch an Hochschulen gelehrt? Aufgrund der Tatsache, dass die Vortragsfolien nun schon online sind, will ich nur noch auf die letzte Folie eingehen. Dabei warf Haas einige Fragen auf, die für die weitere Bibliotheksarbeit und -forschung zukünftig eine Beantwortung verlangen: “Brauchen wir mehr Bibliothekare, die ethnographische Methoden in ihrer Einrichtung anwenden oder mehr Ethnografen ( wie Corinna Haas oder Frank Seeliger)? Wer ist überhaupt in der Lage solche Studien durchzuführen? Wie ist bislang hierzu die Interessenlage oder die Finanzierung?”

Sie plädierte dafür ethnografischen Methoden auch in Schulbibliotheken und öffentlichen Bibliotheken auszuprobieren, was bislang noch zu wenige weltweit “wagten”. Warum eigentlich?

Der anschließende Vortrag “Von der Ethnography zum Participatory Design: Qualitative Nutzerstudien als integraler Bestandteil in der (Weiter-)entwicklung bibliothekarischer Services von Kerstin Schoof & Frank Seeliger ist leider noch nicht online. Schorf benannte des Dialog und die teilnehmende Beobachtung als zentrale Elemente, um Rückschlüsse auf neue und geforderte Dienstleistungen der eigenen Einrichtung zu ziehen. Participatory Design wurden in dern 1970er und 1980er Jahren in Skandinavien entwickelt und sieht vor, User/Nutzer systematisch in Planungs- und Gestaltungsprozesse mit einzubeziehen. So wurde bei der Planung des Urban Media Space in Aarhus (Dänemark) die Bürger und Mitbürger (Nutzer- und Nicht-Nutzer von Bibliothek) integrativ mit eingebunden. Dies geschah z.B. mittels Medthoden wie dem World Café und Village Square, aber auch Befragungen. Diese partzipatorische und demokratische Element wäre sicherlich auch für den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek unbedingt von Nöten, da viele die Entscheidung für die Errichtung in Tempelhof als autoritativ bezeichnen und deshalb einen Bau mehr um Zentrum der Hauptstadt fordern.

All research is problematic, because it’s historical. It’s like looking out the back of a car.” Terry Leahy

Beim letzten Vortrag dieser Session, den ich sah, ging es um die Neubauplanungen der UB Marburg insbesondere durchgeführte Benutzerumfragen, deren Ergebnisse exakt die einer geisteswissenschaftlich geprägten Universiät widerspiegeln. Begonnen wurde mit dem oben genannten Zitat eines früheren Tesco-Mangers, wenn ich mich richtig erinnere. Der Direktor Hubertus Neuhausen berichtete von 3 Benutzerumfragen, die er im Laufe mehrere Jahre von Mitarbeitern am IBI der HU Berlin durchführen ließ, deren Service er ausdrücklich lobte und weiterempfahl.  Anschließend bewertete deren Ergebnisse, die durchaus Unterschiede aufwiesen, wobei er Interpretationen und Deutungsmöglichkeiten benannte. Für die Nachmittagssessions, welche ich besuchte, werde ich einen weiteren vierten Blogeintrag verfassen.

1 2 3 4 7