Besitzstandswahrung und fehlende Alternativen – Heidelberger und Augsburger Appell

Der Heidelberger Appell

Das Entsetzen über den Heidelberger Appell und seine Weltfremdheit brandete laut in die “heile” Welt urheberrechtsinteressierter Archivare, Bibliothekare, Internetnutzer, Verleger, Wissenschaftler und auch der Politiker (?). Letztere hat er sicherlich auch erreicht durch entsprechende Briefe, die der Mitverfasser Herr Reuß an Bundespräsident Köhler und Bundeskanzlerin Merkel versandt hat.

Fritz Effenberger schreibt in seinem Telepolis-Artikel “Geistiges Eigentum als Heidelberger Postkartenidylle” zurecht:

Der “Heidelberger Appell” mahnte Politiker, Medien und überhaupt die Öffentlichkeit, Widerstand gegen die (gefühlte) Zerstörung des Urheberrechts zu leisten. Eine gute Sache, meint man. Bevor man den Appell gelesen hat. Dann allerdings öffnet sich ein atemberaubender Blick auf einen Abgrund des Missverstehens: Was eigentlich macht Google da, was sind die Rechte eines Urhebers und was machen Autoren und Verlage, wenn niemand mehr Bücher und jeder nur noch Webseiten liest?

Ein wenig kommt mir diese Beschreibung aus dem Geschichtsunterricht bekannt vor. Mein Lehrer berichtete damals von der ersten Eisenbahn und ihrer atemberaubenden Schnelligkeit, weil die ersten Mitfahrer Angst vor der Geschwindigkeit und der neuen Wahrnehmung der Welt ums sie herum hatten1 und heute kann es in dem Land, wo die erste Eisenbahn 1835 zwischen Nürnberg und Fürth mit gemütlichen 40 km/h tuckelte, nicht schnell genug gehen und der ICE rast mit atemberaubender Geschwindigkeit von bis zu 280 km/h durch die Landschaft.

Erfinderland Deutschland beginnt sich wieder auszubremsen. Überfordert von der Schnelligkeit der Digitalisierung und den sich ändernden Gewohnheiten holt man das Stoppschild heraus und versucht sich dieser Gefahr zu entziehen. Politiker und Verantwortliche, Gestaltende und Betroffene analysieren nicht mehr mögliche Vorteile und ihre Möglichkeiten, sondern ziehen sich auf den Status Quo zurück. Besitzstandswahrung ist das, was aus jedem Wort des Heidelberger Appells mitklingt. Aber Besitzstandswahrung ist das, was in Zeiten des Umbruchs nur für das Verlieren dessen steht, was man hat.

Der Heidelberger Appell ist gefährlich, nicht nur wegen der verdrehten Argumente, die er enthält und der Vermischung von undifferenzierten Wahrheiten oder solchen Meinungen, die als Wahrheiten verkauft werden.

Der Appell richtet sich auf der einen Seite gegen “Open Access”, dem öffentlichen, kostenlosen Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten. Über die Rechnung, die hier aufgemacht wird, dass die Öffentlichkeit ja bereits dafür schon bezahlt hat mit öffentlichen Forschungsmitteln, Gehältern usw. und dass daher man nicht noch ein zweites Mal Mittel aufbringen sollte für Verlagspublikationen mit überzogenen Preisen ist eine Sache. Darüber mag man streiten. Wichtiger ist jedoch der Zugang zu den Ergebnissen (Publikationen) und den Forschungsdaten, was regelmäßig vergessen wird.

Der zweite Punkt, gegen den sich der Appell richtet, ist das Digitalisierungsprojekt von Google. Der Suchmaschinengigant möchte alles Wissen der Welt über das Internet zugänglich machen. Gerade beim Schreiben dieses Satzes fiel mir auf, dass dort ein kleiner wichtiger Zusatz fehlt, den aber der ein oder andere mit hineinliest – nämlich es fehlt: “allen Menschen”. Auch gibt es keine Aussage über die Form wie kostenfrei oder einfach… Google macht sich diese Arbeit des Einscannens möglichst aller Bücher der Welt nicht für Umsonst, sondern will damit Geld erwirtschaften. Urheber und Verlage erhalten dafür einen großen Anteil der erwirtschaften Werbemillionen. Nicht messbar ist, welches Buch nicht mehr verkauft wurde deshalb oder welches, gerade weil der Leser bei Google einen Einblick erhielt, letztendlich doch im meist digitalen Warenkorb landete.

Leider hat Google eine Form des Umgangs mit Rechten gewählt, die zu vielen Unstimmigkeiten geführt hat. Die Beachtung des Urheberrechts und Copyrights wurde umgedreht. Verlage und Autoren müssen selbst tätig werden, um eine Nutzung ihrer Erzeugnisse zu untersagen. Dabei müssen Sie genau abwägen, ob das Untersagen des Einscannens und Nutzens nicht eher schädigend auf ihre Wahrnehmung durch den Leser ist. Eine entsprechende Aufklärung über die Folgen eines Neins erfolgte bei dem Protest deutscher Autoren gegen den amerikanischen Vergleich (<>Google Settlement<>) nicht. Ist Google nicht vielleicht auch eine kostenlose Plattform für kontextbezogene Werbung für das eigene Werk?

Gedanken über die Folgen, die bei der Durchsetzung der Forderungen des Heidelberger Appells entstehen, machen sich hoffentlich wenigstens die Politiker bzw. deren hoffentlich sachkundigere Berater.

Reuß fordert zusammen mit den bisher 1500 Unterzeichnern, zu denen neben Teilen der nationalen Schriftstellerelite auch Geisteswissenschaftler und Bibliothekare sowie Archivare gehören, von der Bundesregierung, dass der automatisierten Verbreitung geistigen Eigentums ein Riegel vorgeschoben wird und auch Privatpersonen hier nicht tätig werden dürfen. Oder interpretiere ich hier die Forderungen des Appells falsch, was zu hoffen wäre… Im Endeffekt kurzfristig gesehen bedeutet dies ein Verbot von “GoogleBooks”, YouTube und anderen Internetplattformen.

“Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation” sieht Reuß bedroht und erkennt nicht, dass seine Argumentation eine spiegelverkehrte Darstellung der Wirklichkeit liefert

Wer bis jetzt publizieren wollte, war auf einen Verlag angewiesen. Verlage besaßen ein gewisses Monopol. Sie entschieden über das Wohl und Wehe des geschriebenen Textes und stellten Forderungen auf. Fertig redigierte und formatierte Texte mit der Mindest- und Maximalanzahl von Seiten waren Forderungen in einer Publikationswelt der Wissenschaftler, wo in vielen Bereichen galt “publish or perish” und es auch darauf ankam, in der richtigen Zeitschrift zu veröffentlichen (“Impact-Factor”). Und gerade das Internet mit seinen freien Entfaltungsmöglichkeiten gerade für Berufseinsteiger im Bereich Wissenschaft ermöglicht eine viel freiere Wahl der Urheber, wo er seinen Text veröffentlichen möchte. Für jemanden, der sein Erstlingswerk gerne veröffentlicht sehen will und dafür einem Verlag 500,00 € und mehr zahlen soll bietet das Internet häufig die kostengünstigere Alternative. Druckreif formatiert kann er sein Werk für rund 50,00 € im Jahr (als teure Internet-Variante!) als PDF auf einer eigenen Internetseite anbieten.

Demontiert den Heidelberger Appell !!!

Matthias Spielkamp fiel es leicht, die Reuß’sche Argumentation dieses Heidelberger Appells auf iRights.info zu demontieren und klarzumachen, wie haarsträubend und vor allem gefährlich sie ist. Er zeigt auf, welche Ängste vor den neuen Technologien bestehen, die zunehmend nur noch als Risiko und potenzielle Bedrohung zu sehen ist. Schlägt an dieser Stelle die Generation zurück, die zu alt für die “elektronische Sozialisierung” ist und keine Bereitschaft mehr besitzt, Veränderungen mitzutragen, auch wenn man sie nicht mehr hundertprozentig versteht? Hier werden die der revolutionären 68’ger Generation zu Verfechtern des Status Quo. Wohl eine Ironie der Geschichte 😉

Das klingt bitter, hat aber durchaus empirische Grundlagen, wie man konkret in der Heidelberger Brandschrift nachlesen kann. Schwergewichtige Behauptungen werden aufgestapelt, gleich Sandsäcken gegen das Eindringen der modernen Welt in die liebgewonnene Überschaubarkeit der Gelehrtenstube.

Die Gegebenheiten ändern sich. Das Internet reißt nationale Grenzen ein und ist dabei seit über zwanzig Jahren mit dem WWW eine große Netzgemeinde zu schaffen. Menschen rücken sich unmittelbar näher und ihre Handlungen beeinflussen sich gegenseitig, obwohl sie sich nie persönlich begegnet sind. Wissen gerät schneller in Bewegung und wird von mehr Menschen betrachtet als dies in Formen eines Briefes möglich gewesen wäre. Leider hat das Gesetz bzw. die internationale Vertragsgestaltung mit den sich daraus ergebenden Notwendigkeiten nicht schritthalten können. Das Konzept muss international abgestimmt und angepasst werden nicht die Details und das ist, wie es scheint, momentan ein unerreichbares Ziel bei der überall vorherrschenden nationalen Politik des kleinsten gemeinsamen Konsenses.

Das traurigste an diesem Heidelberger Appell ist, dass man hier die Augen verschließt vor den Bemühungen, konzeptionelle Lösungen im Internet zu schaffen, die Urhebern zu ihren Rechten verhelfen. Der schutzlose Urheber hat Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen im Rahmen eines Urheberrechts, dass eigentlich im Netz genauso funktioniert wie in der papierenen Bleiwüste heute. Er kann aktiv Grenzen bestimmen und sich einzelne Rechte vorbehalten oder aus der Hand geben. Hier zu nennen wären z.B. die Creative Commons Lizenzen. Ganz klar werden hier die Rechte und Pflichten festgelegt. Natürlich ist es schwer, sich damit noch einen Lebensinhalt zu finanzieren, aber eventuell damit verbundene Spenden reichen aus, um den Server, auf dem die Werke zur Verfügung gestellt werden, zu finanzieren. Der erheblichste Einschnitt und vielleicht auch der beängstigendste ist die Tatsache, dass es zu einer Veränderung der Zahlmodalitäten kommt und gewachsene Strukturen sich entsprechend ändern. Hier ist eine große Lücke, die erst noch sinnvoll gefüllt werden müssen.

Wer allerdings weiterhin seine Auge vor dem stattfindenden Wandel verschließt, wir zu den Modernisierungsverlierern unserer Ära gehören. Blicken wir ins Auge, die ich [Fritz Effenberger, Anm.d.Verf.] im folgenden Apell […] zum “Tag des Geistigen Eigentums” am 26.04.zusammengefasst habe. Der Aufruf setzt sich bewusst zwischen Stühle: Weder fodert er das Verbot gegenwärtiger Medienformen, noch eine Revolution gegen die bestehende Urheberrechtsordnung, sondern eine Anpassung der Regeln an die Realität.

Der Augsburger Appell

In einer vorher nie gekannten Art hat der Buchdruck Gutenbergs und noch mehr die Rotationsdruckmaschine und die damit verbundene Massenproduktion zu einer Verbreitung geistiger Inhalte geführt, die eine Informationsgesellschaft zerstörte, in die wir uns nur ungern zurückversetzen möchten. Die Vervielfältigung mittels händisch erstellter Abschriften oder geringzahlige Druckexemplare konnten die mündliche Informationsweitergabe nicht ersetzen. Aber innerhalb weniger Jahrhunderter wurden diese Informationsstrukturen fast völlig verdrängt – nicht gänzlich zerstört aber in Randbereiche verdrängt. Allein wenn man betrachtet, wie rasch der (handschriftliche) Brief durch die E-Mail ersetzt wurde, kann man erahnen, welche Umbrüche jetzt auf uns warten. Wie bereit sind wir jedoch dafür?

Wir haben schon einmal eine Zunft erlebt, die durch technische Veränderungen so gut wie ausgestorben ist. Wer (in der Verlagsbranche) erinnert sich noch an die Setzer, die Type für Type in Reih und Glied setzten. Heute greift man auf Setzer und die dazugehörigen Druckverfahren nur noch bei ganz besonderen Druckaufträgen zurück, z.B. Glückwunschkarten in einem kleinen Auflagenumfang und sie zählen eher schon zu den Attraktionen auf Mittelaltermärkten und Museen.

Es hat sich bereits jetzt sehr viel verändert. Geistige Inhalte (Bücher, Filme, Musik-Alben etc.) lassen sich dank der Entwicklungen der Computertechnik innerhalb weniger Jahrzehnte nahezu kostenlos speichern. Auf einer Festplatte lassen sich inzwischen ganze Bibliotheken, Film- und Musikarchive in digitaler Form lagern. Auch der Vertrieb ist nahezu kostenlos möglich – es bedarf nur eines Internetanschlusses (je nach Bedarf und Datenmenge von Call-by-Call-Angeboten, die nur kosten, wenn sie genutzt werden bis hin zu Flatrates für Dauernutzer). Derzeit sinken die Preise bei steigenden Kapazitäten, sowohl bei Speichermedien als auch bei den Datenraten der Internetleitungen. Diese Entwicklung macht die Weitergabe von geistigen Inhalten so einfach und grenzenlos wie noch nie zuvor möglich. Die Grenzen setzt eigentlich nur der zeitliche Rahmen und die Kapazität des eigenen Gehirns bei der Rezeption dieser Inhalte.

Problematisch zu sehen ist natürlich die illegale Verbreitung von Inhalten innerhalb dieser nahezu kostenlosen Distributionswege. Problematisch ist, dass bei allen Bemühungen bisher technisch eine solche Verbreitung nicht verhindert werden kann. Bisherige Bemühungen haben sich häufig als zu teuer und nicht lange durchsetzbar gezeigt, wie sich anhand der verschiedenen DRM-Lösungen der Musik- und Filmindustrie mitverfolgen ließ. Natürlich dürfen gerade im Bereich der Verbreitung von Angeboten zur Unterhaltung der Autor oder die an der Erstellung des Produkts beteiligten Menschen nicht leer ausgehen.

Effenberger vergleicht die Digitalisierung mit der Öffnung der Büchse der Pandora. Sie ist wie die Krankheiten der Büchse entfleucht und lässt sich nun nicht wieder darin verstecken. Die für Effizienzsteigerungen eingesetzte Digitalisierung in den Verlagen, erweist sich nun wie die gerufenen Geister des Zauberlehrlings, die sich nun nicht mehr loswerden lassen. Man kann sich nicht nur die Rosinen aus dem Kuchenstück picken. Das funktioniert nicht. Die Realität hat sich geändert und es kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Man muss damit lernen umzugehen.

Statt den Kopf in den Sand zu stecken, müssen neue Modelle geschaffen werden, die eine Bezahlung der Urheber in einem ubiquitären und egalitären Distributionsmodell sicherstellen können. Auch muss gesehen werden, ob es Verlage mit ihren heutigen Aufgaben zukünftig noch geben wird oder wie sie es schaffen, ihre Rolle in einer neuen Informationsgesellschaft neu zu definieren.

Ich [Fritz Effenberger, Anm. d. Verf.] fordere daher die politischen Kräfte in unserem Land auf, nicht weiter über naive, da technisch unwirksame Verbote nachzudenken, sondern über die aktive Gestaltung des Urheberrechts in einer Zeit des technischen Umbruchs: Jeder Bürger kann sich heute via digitaler Weitergabe jedes Buch, jeden Film, jedes Musikstück besorgen, ohne dass dies technisch verhindert oder mitverfolgt werden kann; der Preis für die Verhinderung oder Aufdeckung wäre die Zerstörung des Internet, wie wir es kennen. Die Gesetze müssen dieser Realität entsprechend reformiert werden, der Urheber muss die ihm zustehende Vergütung erhalten. Diese wird tatsächlich heute schon teilweise erhoben und ausgeschüttet: Geräte und Medien zur Herstellung von Kopien sind mit einer Abgabe belegt, die von den zuständigen Verwertungsgesellschaften an die Autoren, Komponisten, geistigen Schöpfer ausgeschüttet werden.

Ein wichtiger Teil der Wertschöpfungskette ist bis jetzt noch unbeachtet: Trotz erheblicher Umsätze mit dem Verbreitungsmedium Internet durch Telekommunikationsunternehmen sind Urheber hier von Vergütung ausgeschlossen. Eine gesetzliche Regelung würde privatwirtschaftliche Anstrengungen wie die oben erwähnte Aktion der Suchmaschine Google ersetzen und die Urheber aus ihrer Verunsicherung angesichts der heutigen technischen Revolution befreien. Das ist die urheberrechtliche Herausforderung unserer Dekade.

Diese interessante Forderung würde auch eine Kulturflatrate ermöglichen, die hier parallel der Nutzung von Leitungskapazität eingenommen werden könnte. Pauschalisierte Ausschüttungen müssten allerdings durch weitere Anreizmöglichkeiten erweitert werden. Denn auch nur eine gesunde Konkurrenz kann hier zu einer höheren und qualitätsvolleren Vielfalt führen. Sollten hier nur Klickzahlen und geschriebene Worte für die Ausschüttung der finanziellen Mittel herangezogen werden, ist eine Verflachung in der Literaturbewegung zu befürchten. Beängstigend zu betrachten ist ja hier bereits die Entwicklung im Fernsehen, wo die Qualität der Sendungen von Einschaltquoten abhängig gemacht wird. Eine solche zu sehr egalitäre Lösung schadet mehr als dass sie die Kultur voranbringt und verhindert aus Provokation und Diskussion, die genauso Teil unserer derzeitigen Kultur ist wie der seichte Bestseller auf der Spiegelbestsellerliste. Der rechtlichen Anpassung muss auch eine ökonomische Anpassung zuarbeiten. Wir wollen wissen, wohin wir uns bewegen wollen, denn nur so ist eine sinnvolle Gesetzgebung möglich.

Vergessen wir nicht, das bisherige Urheberrechtssystem und die bestehenden Geschäftsmodelle sind nicht von heute auf morgen entstanden. Bis wir hier wieder ein Gleichgewicht finden, wird es eine Weile dauern.
Copyright-Gesetze schützen die finanziellen Aufwendungen derjenigen, die die Kopie aufwändig herstellen, während die den Moral-Rights sehr verbundenen Urheberrechtsgesetze sehr stark der Tradition des Geistigen Eigentums und den daraus bestehenden Verpflichtungen verbunden sind. Sie sind die verschiedenen Sichtweisen auf ein durch Buchdruck entstandenes Gewerbe. Was wir jetzt lernen müssen ist, uns aus diesem Rechtsgewebe zu befreien und uns einen unverstellten Blick auf die aktuelle Situation zu suchen.

Quelle:
Effenberger, Fritz: Geistiges Eigentum als Hedelberger Postkartenidylle, via telepolis

PS: Eine Diskussion zu diesem Thema ist herzlich Willkommen. Derzeit kann ich leider eine schnelle Reaktion meinerseits nicht versprechen, da ich zur Zeit keinen uneingeschränkten Zugang zum Internet besitze.

  1. Als der “Adler” seine erste Fahrt antrat, hatten ernsthafte Leute furchtbare Folgen eines derartigen Wagnisses vorausgesagt. Schwere Gesundheitsstörungen und Geistesverwirrung sollten durch die entsetzliche Geschwindigkeit des Eisenbahnzuges nicht nur bei den Fahrgästen, sondern auch bei den Zuschauern hervorgerufen werden! Dabei vermochte der “Adler” nur eine Geschwindigkeit von ganzen 40 Stundenkilometern zu erreichen.Quelle: 100 Jahre Deutsche Eisenbahn []

Open Access in Europa angekommen?

Im Rahmen des i2010-Initiative hatte die EU-Kommission bereits 2005 beschlossen, das kulturelle Erbe Gesamteuropas zu digitalisieren un allen Bürgern online zugänglich zu machen. Die erreichten Ergebnisse sind allerdings sehr dürftig.

Der Fehlstart der Europäischen Digitalen Bibliothek Europeana Ende 2008 dürfte den meisten noch lebhaft in Erinnerung sein. Sowohl die technische Ausstattung, d.h. Server,die dem ersten Ansturm nicht standhielten, als auch dürftige Inhalte. Seit ihrem Neustart im Dezember verharrt man in einem daueerhaften Beta-Status, auch wenn man das eigentlich immer von Web 2.0-Angeboten sagt 😉 Fraglich ist, ob sie das, was sie verspricht:

Das ist Europeana – ein Ort für Inspiration und Ideen. Durchsuchen Sie die kulturellen Sammlungen Europas, verbinden Sie sich mit den Suchwegen anderer und teilen Sie Ihre Entdeckungen.

Ob sie das je halten können wird?

Die EU-Kommission will endlich Forschritte sehen. Deshalb hat man das Ende 2008 abgelaufene Mandat hochrangier Experte zu Digitalen Bibliothken um ein weiteres Jahr verlängert. Die hochrangige Expertengruppe die Kommission berät, wie man von europäischer Seite den organisatorischen, rechtlichen und technischen Herausforderungen besser begegnen kann.

Die rechtliche Betrachtung ist sehr wichtig für die erfolgreiche Digitale Bibliothek.

Insbesondere geht es der EU-Kommission um Schrankenbestimmungen im Urheberrecht, um einen verbesserten Onlinezugriff auf urheberrechtlich geschützte Inhalte auf freiwilliger Basis, um nutzergenerierte Inhalte und um Verbesserungen beim “freie[n] Zugang zu wissenschaftlichen Informationen sowie […] zu Forschungsdaten”.

Zu dieser Fragestellung zählt auch der Umgang mit verwaisten und vergriffenen Werken.

Die rechtliche Seite wird eine schwere Nuss für die Expertengruppe. Sie soll in einer Zeit beraten, wo in den USA und in Europa heftig über den Umgang mit wissenschaftlichen Publikationen (z.B.) und urheberrechtlich geschützten Büchern (z.B. Google Books) gestritten wird. Gerade die Angst vor einem Monopolisten Google für digitale Publikationen macht die Runde im Publikationswesen.

In Deutschland ist die Diskussion zur Zeit sehr aktiv. Hier ziehen Verlage und prominente Geisteswissenschaftler in den Kampf gegen Open-Access-Pläne. Man spricht gerne von Enteignung und einem Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Man gibt sich nichteinmal die Mühe zwischen Open Access und Googles Vorgehen zu unterscheiden. Die Forderung, mit Steuermitteln finanzierte Forschungsergebnisse frei zugänglich zu machen, wird als Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit bezeichnet.

Innerhalb kurzer Zeit haben mehr als tausend Unterzeichner sich dem vom Germanisten Roland Reuß initiierten Heidelberger Appell “Für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte” angeschlossen. Erste Unterzeichner haben ihre Unterschrift aber auch bereits zurückgezogen.

Gerade heute hat der Konstanzer Bibliothekar Uwe Jochum und Unterzeichner des Heidelberg Appells noch einmal nachgelegt und die großen deutschen Forschungsorganisationen, die sich für Open Access stark machen, in der Frankfurter Rundschau scharf kritisiert:

Wenn die Allianz nun also meint, sie könne den Wissenschaftlern vorschreiben, unter welchen Bedingungen sie zu veröffentlichen haben, dann zwingt sie die Wissenschaftler zur Preisgabe eines Verfassungsrechts. Im Detail geht das so: Im ersten Schritt fordert die Allianz im Namen der Leser einen entgeltfreien Zugang zu den wissenschaftlichen Publikationen. Im zweiten Schritt erwartet die Allianz von den Wissenschaftlern, “dass die Autoren der Gesellschaft, die ihre Forschung durch Steuermittel möglich macht, einen einfachen Zugang zu ihren Publikationen eröffnen”, indem die wissenschaftlichen Autoren ihre Veröffentlichungen auf Open-Access-Servern bereitstellen.

Ist das nun wirklich der direkte Angriff auf die verfassungsrechtlich geschützte Wissenschaftsfreiheit? Eric Steinhauer hat sich dazu heute in seinem Blog “Wissenschaftsurheberrecht geäußert und auf die zwei Seiten der Medaille hingewiesen.

Die Publikationsfreiheit, deren genauer Inhalt – rechtswissenschaftlich jedenfalls – noch nicht in allen Facetten ausgeleuchtet ist, ist aber nur die eine Seite der Wissenschaftfreiheit. Freie Forschung heißt auch, ungehinderte Recherche. Das ist die andere Seite.

Die derzeit dürftigen Ergebnisse im Rahmen der EU-i2010-Strategie sind sicherlich auch einem sehr restriktiven und für digitale Werke unzureichend angepassten Urheberrecht geschuldet. Die politische Diskussion in Deutschland ist leider in den letzten Monaten sehr ruhig geworden. Doch das Vorgehen der EU-Kommission dürfte nun auch die deutsche Politik zu einer Stellungnahme zwingen. Die Lobbyisten bringen sich derzeit in Position und versuchen auch durch eine heftige Debatte ihren Einfluss geltend machen. Auf welche Seite sich die Politik schlägt, auf die der Verlage und Geisteswissenschaftler oder auf die der Open Access-Bewegung und den Natur- und Technikswissenschaftlern, ist derzeit nicht abzuschätzen. Verhärtete Fronten in diesem Bereich sind auf jeden Fall zu erwarten.

Ist Open Access in Europa angekommen? Das ist momentan nicht zu sagen. In Deutschland spaltet es derzeit zumindest die Lager in Bibliotheken, Verlagen und Wissenschaft.

Quelle
Gehring, Robert A.: EU-Kommission will Open Access fördern via golem.de

P.S. Lesenwert ist auch der Schwerpunkt Open Access und Geisteswissenschaften der aktuellen Ausgabe von LIBREAS

Die Wissenschaftsorganisationen reagieren auf den Heidelberger Appell

Die Allianz-Initiative “Digitale Information”, bestehend aus den im Heidelberger Appell als “Urheberenteigner” geschmähten Wissenschaftsorganisationen, hat endlich reagiert. Die Autoren der Gemeinsamen Erklärung der Wissenschaftsorganisationen bekräftigten nochmal, dass sie genau das Gegenteil der Vorwürfe verfolgen. Ihr Ziel ist es, Studierende und Forschende mit der “bestmöglichen Informationsstruktur” auszustatten, die für ihre Forschung notwendig ist.

Autoren und Verleger lehnen alle Versuche und Praktiken ab, das für Literatur, Kunst und Wissenschaft fundamentale Urheberrecht, das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre sowie die Presse- und Publikationsfreiheit zu untergraben.

In der Reaktion dern Wissenschaftsorganisationen wird klargestellt, dass Open Access nur für Schriften gefordert werden, die durch öffentliche Gelder finanziert werden, d.h. belletristische und künstlerische Literatur an dieser Stelle überhaupt nicht von dieser Forderung und dem Open Access-Gedanken betroffen ist. Dies wird eigentlich schon deutlich, wenn man die Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen gelesen hätte. Joachim Eberhardt stellt im 1. Kommentar zu Ben Kadens Beitrag im IBI-Weblog zurecht fest: Hier zeigt sich gerade das perfide an Reuß’ diversen Äußerungen: er wirft alles in einen Topf, auch Belletristik und Wissenschaft.

In der Open Access-Bewegung ist auch kein Rechtsbruch zu sehen. Die OA-Politik belässt die Urheberrechte bei den Autoren, die den Anbietern ihrer Werke i.d.R. im Rahmen des Urhberrechts einfache Nutzungsrechte einräumen. An dieser Stelle werden allein Verlagsinteressen nicht in den von Verlagen gewohnten Umfang berücksichtigt. Hier sehen sich Verlage in ihrer Existenz bedroht. Allerdings kann man sagen:

Die Förderung der Umstellung des wissenschaftlichen Publikationswesens geht mit der Umschichtung von Mitteln einher, die neue, Open-Access-kompatible Geschäftsmodelle ermöglichen.

Hier bieten sich genug Möglichkeiten für Verlage. Immer wieder zeigt es sicht, dass OA auch für Verlage ein funktionierendes Geschäftsmodell sein. Die klaren Regelungen in der Berliner Erklärung sind an das geltende Urheberrecht angepasst, die Erklärung selbst fordert aber auch eine entsprechende Anpassung geltenden Rechts an neue Erfordernisse der Wissensgesellschaft. Der erhobene Vorwurf einer “Enteignung der Urheber” ist haltlos, denn die Wissenschaftler bleiben weiterhin alleinige Urheber ihrer Werke.

Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation ist derzeit massiven Angriffen ausgesetzt und nachhaltig bedroht.

Dem Grundrecht der Urheber gegenüber steht die Freiheit der Wissenschaft, als ebenfalls ein hohes im Grundgesetz verankertes Gut. Die im “Heidelberger Appell” aufgestellte Behautptung einer “Nötigung zur Publikation in einer bestimmten Form” zeigt das Verkennen der eigentlichen Situation: Die Wissenschaftsorganisationen überlassen ihren geförderten Wissenschaftlern durchaus die freie Wahl ihrer primären Publikationformen. Allerdings knüpfen sie an durch Steuermittel finanzierte Forschungen und ihre Ergebnisse die berechtigte Forderung, eine weitere Belastung der öffentlichen Hand zu vermeiden und anderen einen einfachen Zugang zu den so entstandenen Publikationen zu ermöglichen. Die Empfehlung der Wissenschaftsorganisationen lautet:

Wo dies primär nicht durch die Veröffentlichung in einem Open-Access-Medium geschehen kann, sollen die Autoren ihre Publikationen über Open-Access-Repositorien verfügbar machen, wo immer dies rechtlich möglich ist. Der Großteil gerade der international agierenden Verlage gestattet dies schon heute.

Eigentum verpflichtet, und es verpflichtet besonders, wenn die bereitgestellten Mittel zum Erwerb des Eigentums von der öffentlichen Hand stammen. Bei öffentlich geförderter Forschung bestreiten die Partner der Allianz die Kosten für die gesamte Kette der Wissensverwertung, d.h. von der Informationsbeschaffung über die erste Lektüre und Laborversuche bis hin zum Kauf der mit öffentlichen Mitten erstellten Veröffentlichungen. Verlagsdienstleistungen, die dazu dienen, primär in OA zu publizieren, werden auch entsprechend aus dem dem für Publikationen vorhandenen Budget der Allianzorganisationen vergütet. Hier gibt es für die Verlage auch weiterhin Möglichkeiten Einnahmen zu erzielen.

[Update]

Das Aktionsbündnis wird mit seinen Forderungen genauer:

Das Aktionsbündnis fordert daher, dass Wissenschaft und Öffentlichkeit ungehinderten Zugang zu den mit öffentlichen Mitteln produzierten Werken haben. Im Urheberrecht sollte daher verankert werden, dass Wissenschaftler, die in öffentlichen Einrichtungen arbeiten, grundsätzlich nur einfache Nutzungsrechte an die kommerziellen Verwerter (Verlage) abtreten dürfen. Das Recht der Autoren an einer freien Selbstpublikation und/oder einer Bereitstellung in einem Open-Access-Repository oder z.B. bei Google bleibt somit erhalten. 1

[Update Ende]

Die unglückseelig gestartete Diskussion, die durch den Heidelberger Appell angestoßen worden ist, wird inzwischen auch im Ausland wahrgenommen.

The most surprising – and annoying – aspect of the current debate in Germany is the intermixture of Open Access and Google Books. These two issues are simply unrelated. Google is neither explicitly nor implicitly pursuing an Open Access agenda with its Google Books project. It does not provide its scanned books openly or for free.

Die Diskussion verfehlt hier an dieser Stelle von beiden Seiten den wichtigsten Punkt, wenn es um Open Access geht. Die Wissenschaftsorganisationen lassen sich hier auf die Diskussion ein, ob Open Access notwendig ist und gegen Urheberrechte verstößt oder nicht. Wichtiger ist doch in zwischen nicht mehr Frage ob und überhaupt, sondern in welcher Form und mit welcher Finanzierung.

Quellen
Hübner, Andreas: Gemeinsame Erklärung der Wissenschaftsorganisationen Helmholtz Gemeinschaft – Geschäftsstelle
Dobusch, Leonard: The German Open Access Uproar: Missing the point?:engl: via governance across borders
Kaden, Ben: Im Geklüfft der Debatte: Die Entgegnung der Wissenschaftsorganisationen zum Heidelberger Appell ist da. via IBI Weblog

P.S. Hervorhebung in den Zitaten durch die Autorin.

  1. Kuhlen, Rainer: Was ist uns Wissenschafts- und Publikationsfreiheit wert? Verlieren wir den Gedanken der Sozialpflichtigkeit von Wissen, verlieren wir unsere Zukunft., Aktionsbündnis “Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft” []