BRaIn 6 ist online

Die studentische Zeitschrift ist jetzt in der Sechsten Ausgabe erschienen. Seit kurzem ist BRaIn auch im „Directory of Open Access Journals“ online verfügbar. Schwerpunktthema in dieser Ausgabe ist „Mit BRaIn on Tour“, über das Herr Büttner bereits im Vorwort informiert:

“Erklärtes Ziel war es, die Bibliotheken eines Landes sich „in Autopsie“ anzusehen und das Bibliothekswesen im Vergleich zu analysieren. Zielland für die erste Tour war Italien. Doch so einfach das klingt, so schwer war es umzusetzen. Natürlich sollten es bedeutende, wichtige Bibliotheken sein […] Lessons learned? Viel, vor allem, das es ausserordentlich wichtig ist über den Tellerrand von Deutschland hinauszusehen. Beindruckend war die Motivation der italienischen Bibliothekare, die trotz der Budgetkürzungen weiterhin mit Freude bei der Arbeit sind […].”

In der Spezialausgabe „Mit BRaIn on Tour“ berichtet Rebecca Krentz über “Bibliotheken in Italien” und untersucht dabei das Bibliothekswesen genauer, wobei sie eine Typologie vornimmt. Im zweiten Artikel berichtet Nicole Siegmann über die Bibliotheca Vaticana, deren Besuch Teil einer Rom-Exkursion  war. Der dritte Artikel wurde ebenfalls von Nicole Siegmann verfasst und handelt von der kunsthistorischen Bibliotheca Hertziana in Florenz. Weitere Artikel sollen an dieser Stelle nur kurz aufgelistet werden:

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“Bibliocylcle” in Gennevilliers: Leseförderung durch BibliothekarInnen auf Fahrrädern

Jeden Sommer gehen in Gennevilliers (Département Hauts-de-Seine) BibliothekarInnen  dreimal pro Woche mit speziellen Bibliotheksfahrrädern, die mit Büchern beladen sind, auf Spielplätze,  in Parks und an andere öffentlichen Orten, um dort in erster Linie Mütter und Kinder zu treffen. Die Initiative nennt sich “bibliothèques de rue” und existiert mittlerweile seit 2002. Gennevilliers ist eine klassische Vorstadt von Paris, in der Fußballer wie Diomansy Kamara, David N’Gog oder  Garra Dembélé aufwuchsen, aber auch Isabelle Adjani verbrachte hier ihre Kindheit. Einer Bevölkerungsstatistik von 2007 zufolge, stammten 27 % der Bevölkerung von Gennevilliers aus den Maghrebstaaten, 17 % aus den restlichen afrikanischen Staaten südlich der Sahara, 15 % aus Asien, 4 % aus der Türkei und 25 % aus der Europäischen Union. Während der Sommerzeit kümmern sich jeden Dienstag, Mittwoch und Freitag von 16:30 Uhr bis 18:30 Uhr BibliothekarInnen um die Leseförderung der Kinder, indem sie diese frühzeitig an das Medium Buch heranführen. Doch auch Erwachsene können die zur Verfügung gestellten Bücher und Zeitschriften vor Ort nutzen. Hierzu sind die BibliothekarInnen, wie in dem Videobetrag zu sehen ist, mit speziellen Bibliotheksfahrrädern unterwegs, aber auch zu Fuß (“Dans les squares ou en pied de cité“).

Ein Best Practice Beispiel aus New York: Schulbibliothekar im 21. Jahrhundert

Mehr als 90 % der öffentlichen Schulen in den USA verfügen über Bibliotheken. Allerdings beschäftigen weniger als 2/3 aller Schulen dort ausgebildete BibliothekarInnen. Ich vermute in Deutschland sind es wohl weniger als 1/4 der öffentlichen Schulen, die gut ausgebildete BibliothekarInnen beschäftigen.  Schulbibliothekare wie Stephanie Rosalie haben sich zu facettenreichen Informationsspezialisten gewandelt, die Schüler durch die Flut von Informationen leiten, mit welcher sie täglich konfrontiert sind. Besonders hervorzuheben ist der folgende Satz:

“Before Ms. Rosalia arrived, the library was staffed by a teacher with no training in library science. Some books in the collection still described Germany as two nations, and others referred to the Soviet Union as if it still existed.”

An ihrem ersten Arbeitstag stellte sich Stephanie Rosalie als “information literacy teacher” vor. Weitere Aufgabenfelder, denen sich Rosalie widmet, sind die Schüler zu ermutigen Buchrezensionen zu schreiben, die sie in den Bibliothekskatalog integriert. Außerdem half sie einem Mathematiklehrer ein Klassenblog zu erstellen. Jeden Freitag trägt Rosalie ein T-Shirt mit der Aufschrift “Don’t make me use my librarian voice”. 🙂

Interkulturelle Bibliotheksarbeit mal anders: Bibliomigra – eine fahrende und mehrsprachige Bibliothek in Turin

„Toleranz sollte nur ein vorübergehender Zustand sein, er muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ Johann Wolfgang von Goethe

Der am 21.05. jährlich begangene UNESCO-Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung bot Anlass mich eingehender mit dem Projekt  der Künstlergruppe Arteria mit dem Namen Bibliomigra zu beschäftigen. Der kreative Ideengeber von Bibliomigra heißt Davide Serra.

Doch zuerst sollen die politischen Voraussetzungen näher erläutert werden, welche diese Initiative erleichterten. Vor kurzem widmete sich der Courrier International in einer Übersetzung eines Artikels aus La Stampa der Stadt Turin. Seit Ende April 2010 hat sich mit Erringen der Mehrheit der Lega Nord bei den Regionalwahlen in Piemont, dessen Hauptstadt Turin ist, das politische Klima auch dort verändert. Francesco Jori zufolge, reicht es nicht aus den Wahlerfolg dieser Partei allein durch den von ihnen propagierten Rassismus und ihrer Intoleranz gegenüber EinwanderInnen und dem starken Populismus, sowie den antieuropäischen Ressentiments alleine zu begründen.

Turin ist aufgrund der politischen Machtverhältnisse im Stadtrat im Vergleich mit anderen italienischen Städten, gegenüber ZuwanderInnen viel freundlicher und integrativer und nähert sich dem Thema Migration anders als viele italienische Kommunen, die eigentlich eher durch Negativschlagzeilen in jüngster Zeit auf sich aufmerksam machten. Den Vereinten Nationen zufolge ist Turin ein Best Practice Modell für die Integration von Migranten. Die illegale und “unsichtbare” Einwanderung ist insbesondere in Turin in den letzten Jahren zu einem wachsenden Phänomen geworden. Im historischen Stadtteil, in Borgo Dora/Porta Palazzo, beträgt der Anteil der Migranten 50 %.  Kleine unabhängige Vereine und Gruppen, wie die Initiative von Arteria, nutzen die “Straße” als einen Ort der interkulturellen Kommunikation und Prozessen der aktiven Staatsbürgerschaft.  Bibliomigra, eine mehrsprachige fahrende Bibliothek, bietet – alleine durch seine Präsenz in verschiedenen Teilen der Stadt – Literatur unterschiedlichster Art an. Bei den beiden Fahrzeugen handelt es sich um zwei alte Apecars der Marke Piaggio, die so umfunktioniert wurden, wie auf dem Bild oben oder im Film unten zu sehen ist. Das Projekt läuft seit drei bis vier Jahren und MitarbeiterInnen von Arteria steuern vor allem Porta Palazzo an, der Platz für den größten Freiluftmarkt Europas bietet. Zweimal pro Woche in der Zeit von 18:30 Uhr und 21:30 Uhr kümmern sich die MitarbeiterInnen von Arteria vor allem um junge Migranten, die dort “abhängen”, wie es Antonella Aduso, die Vize-Präsidentin von Arteria, ausdrückte.

Aufgrund der Budgetkürzungen sind die beiden Fahrzeuge von Bibliomigra nur noch jeweils ein bis zweimal in der Woche unterwegs, statt wie früher drei bis viermal pro Woche.  Arteria ist die Nichtregierungsorganisation, welche diese kreativen Projekte durchführt. Ein weiteres vorbildliches Projekt nennt sich Una Finestra Sulla Piazza (‘A Window onto the Square’). Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von soziokulturellen Akteuren, welche sich um unbegleitete Migrantenkinder  kümmern. Darüber hinaus macht diese strategische Wieder-Aneignung des öffentlichen Raumes die Flüchtlinge und marginalisierten Gruppen, deren sozialer und kultureller Status ansonsten versteckt und vernachlässigt würde, sichtbarer gegenüber der sogenannten Mehrheitskultur.  Hierbei wird mit jungen Menschen gearbeitet, indem mit ihnen Fußball, Basketball, Badminton, Volleyball, Jenga, Schach und vieles mehr gespielt wird. Außerdem werden Flyer in den Rathäusern der Bezirke  und bei örtlichen Nichtregierungsorganisationen verteilt, um die Menschen über die Projekte zu informieren und die Kontakte und Begegnungen herzustellen.

Im Moment gibt es zwei Bibliomigra-Fahrzeuge, wobei eines im 7. Bezirk unterwegs ist und von der Stiftung Compagnia di San Paolo finanziert wird, wie mir Antonella Aduso verriet Das zweite Fahrzeug, wird hauptsächlich im 3. Bezirk von Turin eingesetzt. Bibliomigra ist sowohl für ZuwanderInnen als auch für Italiener wichtig. Die angebotenen Bücher gibt es nicht nur in Fremdsprachen, sondern auch in italienischen Dialekten.  Weiterlesen

Aus aktuellem Anlass: der 5. Geburtstag der Hannah-Arendt-Bibliothek in Hannover

Jeder Mensch braucht eine Heimat, eine Heimat, die Boden, Arbeit, Freude, Erholung, geistigen Fassungsraum zu einem natürlichen, wohlgeordneten Ganzen, zu einem eigenen Kosmos zusammenschließt. Die beste Definition von Heimat, das ist eine Bibliothek“. (Elias Canetti)

Dieses Zitat aus Canettis Roman “die Blendung” beschreibt sehr anschaulich, welche Bedeutung gerade die Hannah-Arendt-Bibliothek und viele andere Bibliotheken für Menschen haben, deren eigentliche “gefühlte” Heimat nicht Deutschland ist. Dennoch bezieht sich dieses Zitat auch auf uns BibliothekarInnen, da wir die Aufgabe haben/hätten den “geistigen Fassungsraum”, den Ort der Erholung und der Freude  anderen zu vermitteln und mehr Menschen teilhaben zu lassen an einer “zweiten Heimat Bibliothek”. Vor wenigen Tagen, am 06.05.  feierte die Hannah-Arendt-Bibliothek in Hannover ihren fünften Geburtstag. An dieser Stelle gratuliere ich nachträglich, indem ich etwas ausführlicher auf diese Einrichtung eingehe. In der Zeit zwischen 14 und 15 Uhr war die Bibliothek  gestern für BesucherInnen geöffnet. Die normale Öffnungszeit der Bibliothek ist Montag bis Donnerstag zwischen 14 und 18 Uhr. Als Dokumentationszentrum und Präsenzbibliothek können aber auch andere Zeiten vereinbart werden.

Auf Anfrage an Walter Koch, konnte ich die folgenden Einzelheiten über die Entstehungshintergründe in Erfahrung bringen:

“Am 6. Mai 2005 trug Oskar Ansull, Mitbegründer des Hannah Arendt Stipendiums für bedrohte Autoren, dazu bei, dem Ort und dem Ortsgeist einen Namen zu geben. Schon lange fügten sich im hannoverschen Universitätsviertel, aber auch im Stadtteil Linden Fluchtbibliotheken (Iranische Bibliothek, Nordafrika-Bibliothek, Kurdische oder Pontisch-griechische Bibliothek) zu Räumen babylonischer Kommunikation. Diese kaum bekannten Blüten der Vielsprachigkeit sollten durch das Angebot eines einigenden Bandes ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Eine Bibliothekslandschaft, die die Aura der Durchreise und der Vergeblichkeit nicht kaschiert. Kurz, am 6. Mai 2005 hatten wir eine hannoversche Hannah-Arendt-Bibliothek aus der Taufe gehoben, die vom Heimat- und Paradiesversprechen (J. L. Borges) des „Bibliothekstraumes“ nicht lassen kann.”

Einer der Hauptgründe,  weshalb die Bibliothek nach Hannah Arendt benannt ist, liegt in ihrer eigenen Biographie begründet und in ihrem Werk, in dem sie sich mit den Fragen der Identität, der  Zugehörigkeit, den Themen Flucht und   Nationalstaat auseinandersetzte. In ihrem 1943 erschienenen paradigmatischen Essay “Wir Flüchtlinge” (“We Refugees“), der erst 1986 auf deutsch veröffentlicht wurde und vom politischen Selbstverständnis von Flüchtlingen handelt,  schrieb sie unter anderem:

“Die Gesellschaft hat mit der Diskriminierung das soziale Mordinstrument entdeckt, mit dem man Menschen ohne Blutvergießen umbringen kann; Pässe oder Geburtsurkunden, und manchmal sogar Einkommensteuererklärungen, sind keine formellen Unterlagen mehr, sondern zu einer Angelegenheit der sozialen Unterscheidung geworden.“

“Für H. Arendt sind es die selbstbewussten Flüchtlinge, welche “ihre Identität aufrechterhalten”. Sie sind es, die Politik zur Angelegenheit der Bürger machen. Arendt kennt Gesellschaften, deren Verfassung bereits auf den Flüchtlings-schiffen verabredet wurde. Die Mayflower-Auswanderer und ihre Enkel sind die politischen Akteure, die sich Ihre Gesetze und Institutionen in völliger Demokratie selber geben. Auf diese Weise können Bibliothekare eines Einwandererlandes heute beobachten wie die Dienstleistungs- und Wissengesellschaft neue Impulse erhält. Nach ihrem Verständnis wird nicht Politik für die Flüchtlinge gemacht, sondern die Flüchtlinge handeln selber, indem die Politik zur Angelegenheit der Bürgerinnen und Bürger wird. Auf diese Art haben sich auch die fremdsprachigen Büchersammlungen durch Flüchtlinge und Migranten aus unterschiedlichen Teilen der Welt entwickelt, welche eine “zweite Heimat” für sie wurden. Dieser “Schatz” wird nun seit kurzem mithilfe des GBV zu einem internationalem Bibliotheksverbund ausgebaut und stärker vernetzt als bisher. Zusammen mit der Stadtbibliothek Hannover wurde vor einiger Zeit  ein “RunderTisch Internationale Bibliothek Hannover” ins Leben gerufen, der (auch im Netz) an der Öffnung unserer Lese-, Wissens- und Kommunikationsstrukturen arbeitet. Der nächste Runde Tisch findet am  Dienstag, den 15.06.2010 um 18.00 Uhr in der Chinesischen Leihbücherei,  Rotermundstrasse 27, 30165 Hannover statt (Der Haupteingang ist an der Redeckerstr.)

Auf der Internetseite der Bibliothek wird deren Anspruch und Selbstverständnis deutlich formuliert. Dieses Leitbild könnte so bzw. in ähnlicher Form für andere Bibliotheken als Best Practice Beispiel dienen:

Die Hannah- Arendt-Bibliothek versteht sich nicht nur als Bibliothek im herkömmlichen Sinne, sondern auch als Ort für persönlichen Austausch und Kommunikation, als Ort, an dem sich eine „zweite Aufklärung“ (Peter Brückner) ereignen kann. Wir fördern die Begegnung mit den Kulturen der Immigranten durch Gespräche, Arbeitskreise, Vorträge und Inszenierungen. Uns geht es um wechselseitige Wahrnehmungen und um interkulturelle Sensibilisierung für verschiedene Aneignungs- und Verarbeitungsformen des Wissens.

Hannover allein verfügt über 20 verschiedensprachige Sammlungen, die als community-, kirchen-, privat-Sammlungen schwer zugänglich sind. Heute ist die Hannah-Arendt-Bibliothek, sowie viele andere in Hannover, welche einst von ehemaligen Gastarbeitern und Flüchtlingen aufgebaut wurden, ein selbstverständlicher Teil der nun folgenden Auflistung fremdsprachiger Bibliotheken in Hannover: Weiterlesen

Aktuelles zur interkulturellen Bibliotheksarbeit aus Italien (Südtirol) und Österreich

Der Bibliotheksverband Südtirol lädt am 24.04.2010  zu seiner 29. Jahreshauptversammlung ins Pastoralzentrum Bozen ein, deren diesjähriges Motto ganz im Zeichen der Interkulturellen Bibliotheksarbeit steht. Am 24. April wird es dazu am Vormittag einen Workshop mit vielen praktischen Tipps sowie am Nachmittag ein Referat zum Thema geben. Beide Veranstaltungen werden von Reinhard Ehgartner, dem Leiter des Österreichischen Bibliothekswerks geleitet, der schon einige viel beachtete Projekte auf diesem Gebiet initiiert hat. Er ist Leiter des Projekts „LebensSpuren, Begegnung der Kulturen“ und ehrenamtlicher Bibliothekar. Ausserdem hat das Bibliothekswerk vor kurzem eine 192-seitige Projektmappe veröffentlicht, welche in Kooperation mit vielen anderen Bibliotheken und Institutionen entstand (eine „Arbeits- und Impulsmappe für die bibliothekarische Praxis“). Sie ist zum Preis von € 20,-  plus Versandkosten (in Österreich € 3,50) beim Österreichischen Bibliothekswerk (Telnr: 0043-662-881866 oder per E-mail: biblio@biblio.at)  erhältlich. Darin enthalten sind  Grundlagen zum Thema Migration und Integration, zentrale Dokumente zum Thema “Interkulturellen Bibliotheksarbeit”, Impulse zu den Themenbereichen “Mehrsprachigkeit” und “Sprachwechsel”, zahlreiche Projektbeschreibungen und Konzepte aus der bibliothekarischen Praxis, Projektmaterialien der STUBE zum Thema “Fremdheit/Vielfalt” und Buchrezensionen zum Thema “Interkulturelle Vielfalt” der bn.bibliotheksnachrichten und des Vereins EFEU. Obwohl ich die Projektmappe noch nicht kenne, bin ich mir sicher, dass diese auch für Bibliotheken in anderen deutschprachigen Sprachräumen zusätzlich zum Webauftritt www.interkulturellebibliothek.de und der Checkliste “Wie interkulturell ist Ihre Bibliothek?” eine gute Ergänzung darstellen könnte, da es meinem Kenntnisstand zufolge noch keine mehrseitigen Materialien zu diesem Thema in Deutschland gibt. Ehgartner betont am Schluss seines Aufsatzes die Bedeutung einer höheren medialen Aufmerksamkeit zu diesem Thema, eine stärkere Verankerung des Aufgabenfeldes in der Breite und die damit verbundene Lobbyarbeit in politischen Entscheidungsprozeßen. Aus diesem Grunde wäre eine einheitliche Projektmappe hierzulande ebenfalls wünschenswert, um mit einer Handreichung bei Multiplikatoren und bei politischen  Entscheidungsträgern unterschiedlichster Couleur stärker um die interkulturelle Zukunft zu werben. Nach wie vor wird der abgrenzende Begriff der sogenannten “Mehrheitsgesellschaft” verwendet. Die “Mehrheit” – ob nun als Kunden einer Bibliothek oder als Bürger eines Stadtteils – wurde meines Erachtens noch nicht ausreichend auf diese interkulturellen  Veränderungen von Seiten der Politik und der Zivilgesellschaft vorbereitet. In seinem Aufsatz  “Die Bibliothek als Begegnungsort der Kulturen: Einige Überlegungen zur interkulturellen Bibliotheksarbeit” benennt Reinhard Ehgartner unterschiedliche Aspekte der Interkulturellen Bibliotheksarbeit, wobei ich die drei Schritte, welche über die kulturelle Brückenfunktion von Literatur und von Bibliotheken hinausgehen an dieser Stelle zitiere:

Schritt 1: Vom Objekt zum Subjekt: Weiterlesen

Neuer Imagefilm der Stadtbücherei Stuttgart zur Interkulturellen Bibliotheksarbeit

Im Folgenden möchte ich auf den neuen Imagefilm der Stadtbücherei Stuttgart zur Interkulturellen Bibliotheksarbeit aufmerksam machen, auf den Franziska Ahlfänger bereits in dem von uns gemeinsam verfassten Artikel  “Das Fremde in uns und wir im Fremden – Berliner Konferenz gibt Impulse und Anregungen” in BuB 01/2010 hinwies. Er ist seit Anfang Februar auf You-Tube verfügbar. Betreut wurde dieses Projekt von Prof. Dr. Wolfgang Ratzek von der HdM Stuttgart. Weitere aktive Projektmitarbeiter waren neben Franziska Ahlfänger, Annika Hager, Simon Herm, Ronald Kaiser und Ute Zelch, die sich derzeit im letzten Jahr des Masterstudiengangs Bibliotheks- und Informationsmanagement befinden.

In dem Artikelteil, den Franziska Ahlfänger verfasste, ging es ihr vor allem um eine stärkeres Bewußtsein für die wachsende Zielgruppe “Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund”:

[..] dass es die junge Generation in Deutschland zu fördern und auch zu fordern gilt. Dies zeigen nicht nur die einschlägigen Untersuchungen wie PISA, Shell-Studien oder die JIM und KIM-Studien. Deutschlands Jugend liegt im Leseverhalten auf Platz 21 von 32 OECD-Mitgliedsstaaten. Das Statistische Bundesamt zählte 2007 immerhin noch ca. 2,3 Millionen Jugendliche mit Migrationshintergrund, die zwischen 15 und 25 Jahre alt sind. Zählt man die Älteren von 25 bis 35 Jahren hinzu, wären wir bei einer Zahl von 4,8 Millionen! Insgesamt gesehen hat Deutschland ca. 9,7 Millionen Jugendliche bzw. 19,3 Millionen junge Menschen von 15 – 35 Jahren! In Zukunft werden wir nicht nur ein kürzere Halbwertszeit für Normen haben, sondern auch eine Vielzahl an Werten, die aus Globalisierung, Kulturen-Vielfalt und Sozialsystemen entstanden sind. Viele Jugendbibliotheken und Jugendbereiche konzentrieren sich auf Jugendliche bis Anfang 20. Aufgrund der bereits erwähnten Tatsache sollte überlegt werden diese Lebensphase zu erweitern. Werden es die Jugendlichen einfacher haben oder werden sie zunehmend schwerer auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden? Medien und Informationen werden zunehmen, die Dinge werden sich schneller ändern, doch der Mensch wird sich nicht auf eine virtuelle Kommunikation beschränken wollen. Die Jugendlichen werden nicht auf Orte der Begegnung untereinander verzichten können. Dafür „können Jugendbibliotheken äußerst wertvolle und geschätzte Räume der Sicherheit und Störungsfreiheit, der Gewaltfreiheit und Geborgenheit werden, wenn sie denn entsprechend angelegt und ausgestattet sind“ (Göschel, BuB 61 (2009) 6, S.440). Es ist also nicht Aufgabe von Jugendbibliotheken und Bibliotheken mit Jugendbereichen Jugendliche zu beschützen, sondern sie zu lehren mit neuen Medien umzugehen, Lesekompetenz in jeglicher Hinsicht zu erlernen und sie in ihrem Fortschritt kompetent zu fördern. Diesen besonderen Ort können Jugendbibliotheken und Bibliotheken mit Jugendbereichen ausfüllen, wenn sie neue zielgruppengerechte Angebote bieten und diese den stetig veränderten Bedürfnissen der jugendlichen Nutzer anpassen. Bibliotheken müssen Anlaufstelle sein, wenn es darum geht, wie sich unsere zukünftige Gesellschaft gestalten lässt. Sie sollten vielmehr in und durch Öffentliche Bibliotheken die Möglichkeit haben Teil einer Gesellschaft zu sein, den man Wert schätzt und beachtet. Daher ist Partizipation von Jugendlichen ein Thema, das sich jede Bibliothek zu Eigen machen sollte. Mit Partizipation zeigt man der Jugend, wie wichtig sie für unsere Entwicklung und unseren Fortschritt sind. Sie sind die Zukunft und wenn wir nicht aufpassen, übertreffen sie uns nicht nur, sondern überrollen uns (im negativen Sinne gemeint). Die Partizipation der Zielgruppen wird im Zuge der Informations-, Wissens- und „Internet“gesellschaft immer mehr an Bedeutung zunehmen. Viele der Bibliotheken finden bereits jetzt keinen Zugang zu den Jugendlichen. Es fehlt an einer Struktur.

Ein Veranstaltungstipp und eine Rückschau: Interkulturelle Kommunikation und der Umgang mit Vielfalt – ein Schlüssel zum besseren Verständnis von fremden Verhaltensweisen am 26.01.2010 in der Citybibliothek Berlin-Friedrichshain

Nach Gesprächen mit BibliothekarInnen, aber auch aus meiner eigenen Berufserfahrung heraus und durch die Bekanntschaft mit StudentInnen nicht-deutscher Herkunft vertrete ich nun mehr denn je die Ansicht, dass es mit der zunehmenden Internationalisierung von Hochschulen, aber auch mit der zunehmenden Teilhabe von Migranten am Aufstiegprozeß  eine größere Anzahl von StudentInnen geben wird, die künftig wissenschaftliche Bibliotheken aufsuchen werden. Hierbei wird verstärkt auch von MitarbeiterInnen wissenschaftlicher Bibliotheken Interkulturelle Kommunikation als Kernkompetenz verlangt: Wenn ab 2015 die geburtenschwachen Jahrgänge Abitur machen, könnten sich die Hörsäle leeren. Hochschulen entdecken daher neue Zielgruppen wie Migranten oder Studenten mit Kindern”, so Marion Schmidt in einem Artikel in der Financial Times Deutschland. Laut dem Statistischen Jahrbuch aus dem Jahre 2008 haben schon jetzt rund 21 % der BürgerInnen nicht-deutscher Herkunft Abitur im Gegensatz zu 18 % der übrigen Bevölkerung. Dieser Trend wird sich künftig weiter fortsetzen. Die Universität  Duisburg-Essen, sowie die RWTH Aachen, setzen seit kurzem vermehrt auf Diversity Management, um sich mehr für Berufstätige, für Kinder aus Migrantenfamilien und für internationale Studierende zu öffnen. Es wäre wünschenswert, wenn hiervon auch mehr Einrichtungen betroffen wären, die zukünftige BibliothekarInnen und InformationswissenschaftlerInnen ausbilden. Frau Klemm, die Prorektorin für Diversity Management an der Universität  Duisburg-Essen erwähnt die in der Gesamthochschulstrategie verankerten Perspektiven ihrer Öffentlichkeitsarbeit in ihrer Präsentation, um frühzeitig eine Vielfalt an StudentInnen zu gewinnen. Denn in den klassischen Großstädten oder auch in der Stadt Heilbronn (45% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund), bei der in der Altersgruppe zwischen 10 und 14  63% nicht-deutscher Herkunft sind, spiegelt sich diese Vielfalt einer pluralistischen Bevölkerung bei den MitarbeiterInnen einer städtischen Bibliothek kaum wider. Von den letzten Tagungen und auch im Gespräch mit BibliothekarInnen, die für Interkulturelles verantwortlich sind, erfuhr ich, dass es einen verstärkten Bedarf an Vielfalt unter den MitarbeiterInnen gibt.  Auch aus diesem Grund will  ich auf die Veranstaltung “Interkulturelle Kommunikation und Umgang mit Vielfalt – ein Schlüssel zum besseren Verständnis von fremden Verhaltensweisen” am 26.01.2009 in der Citybibliothek (Berlin-)Friedrichshain hinweisen und einige Zusatzinformationen liefern. Bisher habe ich in der Fachliteratur zum Thema der Interkulturellen Kommunikationsfähigkeit im Kontext wissenschaftlicher Bibliotheken (zumindest im deutschsprachigen Raum) kaum etwas gefunden. Darüber hinaus will ich einen Vorgeschmack auf die Veranstaltung geben, indem ich von einer  Fortbildung berichte, die ich selbst vom 31.08.-01.09. am Weiterbildungsinstitut der Freien Universität Berlin besucht habe. Inhatlich ging es hierbei ausführlicher und speziell nur um den Bibliotheksalltag und um das Konzept Managing Diversity, dass über eine bloße Interkulturelle Öffnung (IKÖ) hinausgeht. Beiden Veranstaltungen ist nicht nur die Dozentin Frau Dipl.-Psychologin Friederike Haar gemeinsam, sondern auch das Anliegen und die Kompetenzen, welche vermittelt werden sollen. Die Fortbildung am 26.01.2010 richtet sich neben BibliothekarInnen auch an ehrenamtliche LesepatInnen, ErzieherInnen und LehrerInnen.  Ein Verständnis für “fremde Lebenswelten” ist zentral für die Arbeit und den Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Das Seminar will erstens in Form von Wissensvermittlung und zweitens anhand von Übungselementen wie Rollenspielen eine tiefere Einsicht in Themen wie Fremdheitsempfinden, Umgang mit Vielfalt und Wertvorstellungen geben, um zukünftig achtsamer hinter die Kulissen bei sich selbst und den anderen zu blicken. Dabei bezweckt dieser Kurs, bei aufkommenden interkulturellen, geschlechtsspezifischen oder anderen auf Unterschiedlichkeit bedingten Missverständnissen mit mehr Offenheit und Toleranz für das Ungeahnte, noch nicht Bekannte, reagieren zu lernen. Unter dem folgenden Link kann die Anmeldung erfolgen: https://ssl.cms.fu-berlin.de/PM/fu-berlin/weiterbildung/PM/seite2.html?name=bib$lf_027-ws09_10

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Zum Nachhören auf Inforadio am 6.12.09: Podiumsdiskussion "Ein Ort der Integration? Migranten und Bibliotheken – von Versäumnissen, Vorbehalten und Chancen" vom 12. November in der Philipp-Schaeffer-Bibliothek

Am 12.11. fand im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche “Deutschland liest. PodikumsdiskussionTreffpunkt Bibliothek” eine Podiumsdiskussion in der Bezirkszentralbibliothek Philipp-Schaeffer in Berlin statt. Die Bibliothek zählt mit 13 anderen zur Citybibliothek Berlin, in der die Bibliotheken der Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg zusammengefasst sind.

Frau Hübner-Gepp, die Leiterin der Bibliothek am Luisenbad in Berlin-Wedding,  die bereits an der Veranstaltung  “Das Fremde in uns und wir im Fremden” (vom 07.10.09) teilnahm und hierfür den Puttensaal ihres Hauses zur Verfügung stellte,  war als Podiumsgast dabei und vertrat vermutlich  Frau Reintjes.

Anbei ein Auszug aus dem Programm der Diskussion:

Ein Ort der Integration? Migranten und Bibliotheken – Von Versäumnissen, Vorbehalten und Chancen

Über die Integration von Zuwanderern wird vermehrt gesprochen. Fragen der Bildungschancen, der Gewaltprävention, der gesellschaftlichen Teilhabe überschneiden sich dabei. Starke Provokationen wechseln mit Forderungen nach einem eigenen Ministerium ab. Im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche „Deutschland liest. Treffpunkt Bibliothek“ fragt Forum – Die Debatte im Inforadio zum Schwerpunktthema Migration nach den Möglichkeiten und Grenzen, die ein Informationsort wie die Bibliothek für die Verständigung zwischen der Zuwanderer- und der Mehrheitsgesellschaft hat.

Ist es ein Ort des persönlichen Austausches verschiedener Bevölkerungsgruppen? Werden migrantenspezifische Angebote gemacht? Werden sie von den Zielgruppen auch abgefragt? Was hemmt, was fördert die Nutzung? Und wie unterscheidet sich der Gebrauch von Medien in den verschiedenen Generationen und Geschlechtern? Kann eine Bibliothek zur Werkstatt werden, an dem man sich über die gesellschaftlichen Brüche verständigt?
Es diskutierten:

  • Günter Piening, Beauftragter des Berliner Senats für Integration und Migration
  • Birgit Lotz, Vorsitzende der Kommission für interkulturelle Bibliotheksarbeit des dbv
  • Ingrid Reintjes,  Sachgebietsleiterin Interkultur Stadtbibliothek Mitte
  • Dilsad Budak, Kulturpolitische Sprecherin und Mitglied im Bundesvorstand der Türkischen Gemeinde Deutschland

Moderation: Harald Asel, Inforadio (rbb)
Die Podiumsdiskussion wurde aufgezeichnet und wird am Sonntag, den 6. Dezember um
11:05 Uhr (Wdhl. 16:05 Uhr) im Programm von Inforadio (93,1 MHz) gesendet
.

Es ist stark davon auszugehen, dass die oben genannte Veranstaltung inhaltlich ähnlich wie “Das Fremde in uns und wir im Fremden” gelagert war. Vor allem die Formulierung in der Ankündigung “Verständigung zwischen der Zuwanderer- und der Mehrheitsgesellschaft”  stört mich sehr, da ja die meisten, um die es in solchen Debatten geht,  schon in der zweiten, dritten oder gar vierten Generation  hier leben und hier geboren sind.  Zuwanderer im klassischen Sinne gibt es kaum mehr – zumindest bei den Bevölkerungsgruppen um die es in solchen Debatten geht.  Eine gezielte und gesteuerte Zuwanderungspolitik wie in Schweden gibt es in Deutschland nicht. Weiterlesen

Rückschau auf den “Study Visit: Multicultural Libraries: practice makes perfect!” vom 2-3 November in Rotterdam (2. Teil)

Bibliotheek_RotterdamBevor ich vom zweiten Tag des Study Visit berichte, will ich kurz auf das von Herrn Benito vorgestellte Programm ESME – (European Strategy for multicultural Education) eingehen. Hierbei handelt es sich um eine Kooperation der Stadtbibliothek Frankfurt am Main, dem Multicultural Center in Prag, der Projektstelle für Zuwanderung und Integration in Dornbirn (Österreich) und dem Immigrant Institut in Borås (Schweden).  Das Hauptziel der genannten Einrichtungen ist es, den Aufbau eines multikulturellen Lerncenters voranzutreiben, das als Treffpunkt für formelles und informelles Lernen dienen soll.  Informationen über den Fortgang der Projektarbeit und klassische Best Practice Beispiele finden sich auf der folgender Webseite: http://www.librariesforall.eu. Hinzu kommen Literaturhinweise, Texte und Anregungen für die eigene Einrichtung, die es gilt mutikultureller bzw. interkultureller zu gestalten.

Der zweite Tag des Study Visit begann mit einem Vortrag zur Publikation “Diversity Management – Eine neue Managementkultur der Vielfalt – für eine neues Image der Bibliotheken” von W. Kaiser. Sie setzt sich mit dem Konzept Diversity Management näher auseinander. Kaiser plädiert für mehr Heterogenität innerhalb der Mitarbeiterschaft und innerhalb der Zielgruppen. Im Vordergrund steht der Umbau der Organisationskultur hin zu einer multikulturellen Organisation und dem Eingeständnis, dass der Beruf für Menschen mit Migrationshintergrund (aber auch für den “Ottonormalazubi” bzw. den Großteil der StudentInnen) sowohl in den USA, als auch in Deutschland nicht attraktiv genug ist. Es wurden Vorschläge gemacht wie eine mögliche Umgestaltung aussehen kann, mit dem Verweis darauf, dass die Bibliothek sich mehr als lernende Organisation verstehen sollte. Best Practice Beispiele, welche die Attraktivität der Bibliothek für die LGBT-Community, für MigrantInnen, Ältere und behinderte Menschen zum Ausdruck bringen, wurden kurz vorgestellt. Darüber hinaus wurden die Hochschulen und Ausbildunseinrichtungen (für FAMIs) als erste Diversity Recruiting -Adressen genannt, die den Gedanken der Wertschätzug von Vielfalt stärker fördern sollten, indem sie sich auf Ausbildungsmessen mit anderen Plakaten präsentieren, welche die Vielfalt der eigenen Gesellschaft stärker widerspiegelt.  Er hatte auch auf die Interkulturelle Kompetenzvermittlung und die sogenannten Diversity Trainings für die angehenden BibliothekarInnen und Fachangestellten für Medien und Information hingewiesen, die bisher an Hochschulen und Berufsschulen noch nicht im Curriculum verankert sind (fakultativ an der HAW Hamburg). Durch all diese genannten Maßnahmen, Forderungen und Ziele wäre  eine stärkere Identifikation und ein anderes Image  möglich, wenn sie (auch die Berufsverbände) Andersheit als Ressource wertschätzen anstatt die monokulturelle Norm aufrecht zu erhalten. Weiterlesen

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