Aus aktuellem Anlass: Kulturstreiks auch in den Bibliotheken von Paris

Bereits im April und Mai diesen Jahres gab es Streiks verschiedenster Bibliotheken – ob an der Universität in Marne-la-Vallée oder an der Universität Paris VIII (Vincennes Saint-Denis) oder auch anderswo. Hintergrund der Streiks, die sicherlich weiter fortgesetzt werden, ist das 2007 von Nicolas Sarkozy lancierte RGPP (Révision générale des politiques publiques). Das RGPP will vor allem eine Moderniersierung und Flexibilisierung der Verwaltung und des öffentliches Beamtenapparates erreichen. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es noch sehr viele beamtete BibliothekarInnen in Frankreich. Selbst in anderen Bereichen des öffenliches Dienstes gibt es in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund von (Teil-) Privatisierungen im öffentlichen Dienst und der Schröpfung von Beamtenstellen weitaus weniger Beamte als in Frankreich. Auf dem Bild unten ist das Nationalsymbol Frankreichs – die Marianne – abgebildet, wie sie aus einer Flasche gefüllt mit “RGPP-Reformen” trinkt. Das eigentliche Nationalsymbol ist die Trikolore, aber ebenso die Marianne, welche sehr häufig mit einer Jakobinermütze abgebildet ist. Die Mütze ist eine Allegorie der Freiheit und der Republik. Das Bild soll verdeutlichen wie die Generalrevision des öffentlichen Dienstes auf Gemeingüter übergreift, die zu Frankreich gehören wie die Trikolore oder die Marianne. Selbstverständlich ist es ohne Provokation in unserer globalen Mediengesellschaft immer schwerer auf Mißstände aufmerksam zu machen. Auf dem ersten Blick sind diese Ziele meiner Ansicht nach keineswegs “streikwürdig“. Es wird auch die mangelnde Informationspolitik beklagt, da viele BibliothekarInnen sich oftmals vor vollendete Tatsachen gestellt fühlen, obwohl die Webseite der Regierung über die RGPP versucht Transparenz und Aufklärung zu vermitteln. Die Verwaltungen sollen stärker an die Bedürfnisse der Benutzer angepasst werden, was mit der Reduzierung an öffentlichen Ausgaben einhergeht und gleichzeitig die Arbeit der Beamten bewerten soll, wie es in einem Artikel der Zeitschrift Archimag heißt. Die Umsetzung begann 2008 und wird bis 2012 dauern. Das Ministerium für Kultur und Kommunikation wird zukünftig seine zentralen Dienstleitungen neu ausrichten. Für den Bibliotheksbereich sollen die Magazinierer und die Bibliotheksassistenten mit den Technikassistenten und den “Recherchetechnikern“ in eine Gehaltsklasse integriert werden. Der aus der allgemeinen politischen Revision des öffentlichen Dienstes entstehende Druck, wird mit Sicherheit Stellenstreichungen zur Folge haben. Am 17. Dezember wurde auf Initiative der Gewerkschaften CGT, CNT, FSU und Sud eine allgemeine Kundgebung an der Nationalbibliothek François Mitterand (BNF) organisiert, um gegen den Prozess der sich durch die Umsetzung des RGPP ergibt, zu protestieren.

Am 25. November folgten die MitarbeiterInnen der 64  Stadtteilbibliotheken von Paris einem Aufruf der Gewerkschaften CFTC, CGT, FO, Supap-FSU  und UNSA und streikten. Hierbei ging es erstens darum gegen die seit zwei Jahren geplante Schließung der bibliothèque Vaugirard (15. Arrondisement) zu protestieren. Hierfür wurde auf Facebook eine Unterstützergruppe gegründet, die den langamen “Tod” dieser Bibliothek verhindern soll und eine breite Öffentlichkeit aufmerksam machen will. Zweitens streikte man gegen die Standortverlagerung des Transportsservice der Bibliotheken und drittens war man gegen eine Umorganisation des städtischen Bibliotheksverbundes. Der hierfür zuständige Kulturbeauftragte der Stadt Paris, Christophe Girard will den NutzerInnen der Bibliotheken die Ausleihe und die Rückgabe eines Buches in zwei verschiedenen Bibliotheken ermöglichen und zukünftig auch Sonntagsöffnungszeiten anbieten. Ferner ist geplant die öffentlichen Bibliotheken von Paris in vier Sektoren zu unterteilen, wodurch die Leitungskompetenzen der Bibliotheken auf vier Personen aufgeteilt würden. Doch bisher ist das nur ein sich in der Entstehungsphase befindendes Prozess. Außerdem wurden in den letzten vier Wochen auch andere Kultureinrichtungen in der Region Paris massiv von ihren MitarbeiterInnen bestreikt. Hierzu zählten unter anderem das Musée du Louvre, das Schloß Versailles, das Musée d’Orsay, das Musée Rodin, das Centre Pompidou und die Bibliothéque Mitterand, die Nationalbibliothek Frankreichs. Mehr Infos über die Streiks der BNF finden sich auf dem 2007 von der Gewerkschaft FSU (Fédération Syndicale Unitaire) eingerichteten Blog Bibliothéques en lutte (“Bibliotheken im Kampf”). Ironischerweise trägt der für die Einsparungen zuständige Minister für Kultur  Frédéric Mitterand den gleichen Nachnamen wie die nach seinem mittlerweile verstorbenen Onkel François Mitterand benannte Bibliothek. In der Regierungszeit von Jacques Chirac (2002-2007) wurden bereits im Bereich Kultur  1.000 Arbeitsplätze vernichtet und unter der Regierung Sarkozy werden noch weitere 2.000 Stellen abgebaut werden.Einer Untersuchung der französischen Online-Ausgabe des «Figaro» zufolge habe der Streik dem Centre Pompidou bereits täglich 300.000 Euro gekostet. Aufmerksam auf die Situation dort wurde ich durch die inoffizielle Facebook-Seite der Bibliothek des Centre Pompidou auf der nahezu täglich Informationen über die Öffnung bzw. vielmehr Verlängerung der Schließtage der Bibliothek eingingen. Am 18.12. wurde das Centre Pompidou einschließlich der Bibliothek nach 24 Schließtagen wiedereröffnet und für die Museen gab es zur Besänftiung der Museumsgäste freien Eintritt. Grund der Streiks waren angekündigte Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst – allen voran in Museen und Bibliotheken.  Das Centre Pompidou beschäftigt derzeit rund 1.100 Personen von denen 44 % über 50 Jahre alt sind. Nach dem Eintritt der Angestellten in den Ruhestand, soll in den nächsten 10 Jahre keine Wiederbesetzung stattfinden, sondern eine Streichung von 400 Stellen. Für zwei MitarbeiterInnen, die künftig in Rente gehen, wird nur jeweils ein neuer Posten wiederbesetzt. Der Streik sollte darauf aufmerksam machen, was langfristig auf die MitarbeiterInnen zukommt. Kurzfristig wird das Museum 26 Angestellte im nächsten Jahr und im Jahr 2011 23 verlieren.  Caroline Rositer schreibt in ihrem Beitrag “The Pompidou Center Versus “La Culture des Riches” in The Faster Times davon, dass es bei dem Konflikt um eine viel tiefsitzenden Malaise des kulturellen Sektors in Frankreich geht. Denn das Centre Pompidou ist ein Symbol für die Hoffnungen und Träume der sogenannten 68er Generation. Die Autorin machte in ihrem Artikel darauf aufmerksam, dass das Centre Pompidou sich mehr und mehr von seiner ursprünglichen Politik des freien Zugangs zu Kultur für alle entfernt hat. Hierauf wird auf der Webseite louvrepourtous.fr genauer Bezug genommen wird, wozu es ebenfalls eine Gruppe bei Facebook gibt. Was heißt das konkret für die MitarbeiterInnen der Bibliothek? Zurzeit sind bei der Bibliothèque de Beaubourg (BPI) 247 Angestellte beschäftigt. 40 Arbeitsplätz sind bedroht und gleichzeitig sind 90 befristete Halbtagsstellen geschaffen worden.  Das Bibliothekspersonal stellte in einem Flugblatt unter anderem folgende Frage: “Comment croire que nous pourrions offrir un meilleur service public avec moins de professionnels ?” Auf deutsch: “Wie glaubhaft ist es, dass wir mit weniger Personal einen besseren öffentlichen Service gewährleisten könnten?”  Der folgende Link BPI en grèves zeigt ein Video wie BibliothekarInnen des Centre Pompidou am 7.12. demonstrierten. Auf der folgenden Webseite kann eine Petition unterzeichnet werden. Die Sachverhalte und der genaue Anlass des Streiks werden hier nochmals erklärt. Bisher haben nahezu 4.000 Personen diese Petition unterzeichnet: http://sauvonslabpi.fr. Die Bibliothek zählt mit täglich mehr als 5.000 BesucherInnen zu den am meistgenutzten öffentlichen Bibliotheken Frankreichs . Der Zugang und die Nutzung sind wie auch in den meisten Stadtbibliotheken Frankreichs kostenfrei. Besonders erwähnenswert sind die Öffnungszeiten der Bibliothek des Centre Pompidou. Jeden Tag (außer montags, auch an Feiertagen) ist sie bis 22 Uhr geöffnet. Einen umfassenden Überblick über das von Renzo Piano und Richard Rogers entworfene Centre Pompidou und deren Bibliothek gibt ein Video des Institut National de l’Audiovisuel.