[Diskussion] – Buch oder E-Book – Fortsetzung
Das ist wieder ein sehr lesenswerter Beitrag bei Tobias Zeumer auf Veweisungsform.de. Eigentlich wollte ich diesen Post als Kommentar hinterlassen, habe aber festgestellt dass dieser dann aber viel zu lang ausgefallen wäre. Ich werde hauptsächlich auf ein paar Punkte eingehen, wo ich denke, dass es da in meiner Argumentation Unverständlichkeiten gab.
[…] kann aber nicht das paralle Lesen in verschiedenen Artikeln oder Büchern (es sei denn man hat mehrere Lesegeräte 😉 ) ersetzen.
Die bezog sich auf die Wahrnehmungmöglichkeit von Texten. Die technische Lösung, die Herr Zeumer vorschlägt, klingt machbar:
Vielleicht gibt es auch noch so eine Art Tab wie im Browser bzw. der Taskleiste bei Windows, damit ich schnell zwischen mehreren Dokumenten hin- und herschalten kann und damit so paralell lesen kann, wie es einem Menschen überhaupt nur möglich ist (es sei denn, dass man Speedreading mit dem Linken und Rechten Auge getrennt beherrscht) 😉
Technisch lässt sich das ein oder andere sicherlich lösen. Neulich habe ich bei einem Anbieter einen Bildschirm entdeckt der aus einem durchgehenden Display in der Länge von drei Bildschirmen bestand und auf dem man verschiedene Dokumente „nebeneinander legen“ konnte. Das wird bei den Displaygrößen derzeitiger Reader schwierig werden, aber vielleicht rollen wir ja demnächst den Reader wieder zusammen wie früher Papyrus und hätten somit ein größeres Display immer dabei, auf dem man zwei Seiten nebeneinander betrachten kann.
Die Fragen, die sich mir dabei stellen sind beispielsweise: Wie weit kann die Wahrnehmung und Wahrnehmungsphysiologie (des Gehirns) sich verändern? Wieviel hat Warnehmung auch mit dem zu tun, was wir fühlen? Dass Wahrnehmung sich ändern kann, zeigt das Wort „begreifen“. Mussten unsere Vorvorfahren die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes anfassen und befühlen, ist „begreifen“ heute eher im Sinne von verstehen aufzufassen. (Upps, das nächste haptisch-gelagerte Wort 😉 )
Die Begriffe Technikaffinität, Trend und Mainstream sind aus einer entwicklungsorientierten Sicht zu verstehen. Auch der Begriff „lohnen“ muss sich dieser Entwicklung anpassen.
In der Werbung läuft derzeit ein Spot für den Renault Megan, worin es heißt:
“Weißt du noch? Mädchen fandest du immer total blöd. Du dachtest Handys sind nur was für Angeber. Du wolltest niemals Kinder haben. Und du konntest dir nicht vorstellen, einen Renault zu fahren.” (Quelle)
Zuerst kommen die sehr technikaffinen Nutzer, die von den neuen Möglichkeiten eines Produktes begeistert sind. Für sie ist das Gerät eine Art Spielzeug und sie loten die Möglichkeiten aus, die eine Verbesserung des Produktes vorantreiben. Aufgegriffen werden die so entstehenden Trends von den Trendsettern, die bereit sind, richtig viel Geld dafür auszugeben, nur um an der Trendfront dabei zu sein. Sie nehmen zwar den hohen Preis in Kauf, haben aber auch entsprechend steigende Ansprüche an Bedienkompfort und Möglichkeiten. Erst wenn diese Punkte stimmen, wird das Produkt vom Mainstream aufgegriffen und hier werden dann andere Kriterien angesetzt (wie beispielsweise der Preis oder der Nutzen für den Einzelnen), um zu sehen, ob es sich „lohnt“. Ob iPod oder Handy dieser Weg lässt sich auch bei ihnen nachvollziehen. Der iPod ist ein Zusatzprodukt, welches sich trotz hohem Preis und z.T. eingeschränktem Nutzungsumfang im Vergleich zu anderen Angeboten sehr gut verkauft. Apple hat es geschafft, weil man aus ihm einen Trend gemacht hat und als Mehrwert für Otto-Normalverbraucher dieses exklusive Gefühl, ein Trendsetter zu sein, gleich mit verkauft.
Dieser Spot greift auf, was bei dieser Entwicklung vom zweiten zum dritten Punkt passiert. Etwas, was man abgelehnt hat wird zum Normal- und Gebrauchsgegenstand. Waren wir mit der ersten Generation der E-Books im Stadium der Technikaffinität, kommen wir nun zum zweiten. Zur Zeit wird das E-Book zums Trend aufgebauscht. Es ist chic, ein E-Book zu besitzen, man ist „up-to-date“ und es ist etwas, was noch nicht jeder hat. Wenn das E-Book und sein Reader jetzt den „Gebrauchstest“ übersteht, ist es bald ein Produkt, dass wir – d.h. der Mainstream – auch besitzen möchten. Clevere Werbestrategien wie beispielsweise beim iPod führen mit dazu, dass sich das E-Book-Lesegerät durchsetzt und eine Anschaffung mit rein subjektiven „lohnenden“ Werten wie einem guten „Bauchgefühl“ verknüpft werden. Das „Lohnend“ der Anschaffung liegt also sehr stark im Auge des Käufers und ist stark gefühlsabhängig.
Damit komme ich wohl zum gleichen Ergebnis wie Herr Zeumer:
Nun, ich glaube, dass es nicht so unwahrscheinlich ist, dass es mit den Readern auch so kommen wird (und wenn nicht, dann klage ich bei Google, Archive.org etc. die Löschung dieses Beitrags aus dem Archiv ein!). Allerdings könnt ich mir gut vorstellen, dass am Ende eher Preis, Bauchgefühl und der Trend in der “Nachbarschaft” ausschlaggebend sind und weniger andere “objektive” (naja, auch sein Bauchgefühl versucht man meist spätestens beim Griff zum Portmonnaie zu rationalisiseren) Gründe entscheiden werden.
An der Stelle hier nun mein Fazit:
Ein Hype ums E-Book ist nicht das Schlechteste, was den Readern passieren kann. Im Vergleich zum E-Book-Hype um das Jahr 2000 ist etwas dazu gekommen. Die Modelle haben ihr Klobigkeit verloren, sie sind technisch weiterentwickelt, einige Formatprobleme konnten gelöst werden und wichtig und entscheidend meiner Meinung nach ist die Weiterentwicklung der Displays. Nicht alle der damals festgestellten Probleme konnten entgültig gelöst werden, aber jetzt besteht die reelle Chance „massenmarkt-tauglich“ zu werden.
Noch ein anderer Punkt, auf den ich gerne eingehen möchte. Ich habe mich dem Thema E-Books im Jahr 2000 aus einer rechtlichen Sicht heraus genähert. Nicht umsonst ist ein wichtiger Punkt in diesem Blog das „Digital Rights Management“:x: .
Sehr interessant finde ich daher die folgende Idee:
Dabei fällt mir (wieder einmal) mein altes Referat zu Digital Talking Books (DAISY) ein. Bei der Forderung nach einem einheitlichen Format (mit DRM bzw. rechtlicher “Sicherheit”) sind Frau Böhner von bibliothekarisches.de wahrscheinlich mit der Mehrheit zunächst einer Meinung. Vielleicht würden Bibliothekare sogar dazu neigen DAISY:engl: als einen solchen Standard zu empfehlen (insofern sie ja nicht unwesentlich daran mitgewirkt und darüber nachgedacht haben).
In der Spezifikation vn DAISY heißt es dazu:
14. Digital Rights Management
(This section is informative.)
Protection of intellectual property will continue to be an important issue for national libraries and other agencies serving people with print disabilities. How this responsibility is met in Digital Talking Book distribution programs, however, will vary from country to country due to differences in the legal environment surrounding the distribution of alternative format materials. It will also vary by item depending on whether the material is under copyright or in the public domain. When applicable, however, it is critical that agencies use reasonable administrative and technical measures to protect copyright holders‘ rights. It is equally important, though, that agencies ensure access to alternative format materials by their target populations. Thus, DTB producers and distributors that implement DRM systems must do so in a manner that does not limit or prevent access to compliant DTBs by eligible users.
Ob DAISY sich für den rechtlichen Schutz geistigen Eigentums wirklich eignet, kann ich nach den wenigen Informationen der Spezifikation nicht sagen, aber die damit verbundene Forderung, dass niemand aufgrund seiner Behinderung zusätzlich durch DRM-Maßnahmen ausgeschlossen werden darf, muss ich nochmal hervorheben.
Ich halte es nicht für eitel oder falsch, sollten Bibliothekare sich dafür aussprechen, DAISY als ein Teilstandard für E-Books zu etablieren, zumal E-Book-Reader wie der Kindle2 auch Vorlesefunktionen besitzen.
Persönlich hoffe ich und finde es wichtig, dass sich die Bibliothekare, egal ob sie sich bei DAISY beteiligt haben oder nicht, bei E-Books und ihren DRM-Bestimmungen stark machen.
Bibliotheken [sind] gefordert, an der Weiterentwicklung der Rechtebeschreibungssprachen und ihrer Standards mitzuwirken, um Lösungen zu finden, bei denen sich die Schranken des Urheberrechts in den durch Rechtebeschreibung eingeräumten Rechten widerspiegeln.1
Bezug genommen auf das Posting von
Zeumer, Tobias: Kindle 2 und noch ein paar E-Reader Gedanken auf Verweisungsform.de
- Böhner, Dörte: Chancen und Risiken Digitaler Rechtebeschreibung für wissenschaftliche Bibliotheken in Deutschland, 2008, S. 97. [↩]