Freiheit für Digitale Kopien

Mit dem § 52b UrhG ist es deutschen Bibliotheken seit 2008 erlaubt, ihre erworbenen Bücher zu digitalisieren. Im Ergebnis darf die digitalisierende Bibliothek diese digitale Kopien unhabhängig von (kostenpflichtigen) Ausgaben der Verlage dann den Nutzern der Bibliothek zugänglich machen. [Satz zwecks besserer Verständlichkeit überarbeitet, Anm. d. Verf., 21.04.2011] Inhalt und Umfang bestimmen sich dabei nach § 52b UrhG. Allerdings hat die Umsetzung dann zu juristischen Verwerfungen zwischen Bibliotheken und Verlagen geführt.

Die zwei einstweiligen Verfügungsverfahren und das Musterverfahren in erster Instanz zwischen der TU Darmstadt und Ulmer brachten keine rechtliche Klarheit, da die Urteilsbegründungen deutlich von unterschiedlichen Ansätzen ausgehen.

Mit dem sogenannten “3. Korb”, der seit einiger Zeit von der Bundesregierung vorbereitet wird, soll eine wissenschaftsfreundlichere Ausgestaltung des Urheberrechts vorangetrieben werden. Dies entstammt einer Forderung des Bundesrates bei der Verabschiedung des “2. Korbes” 2007. Anhörungen zu diesem neuen Gesetz fanden im Herbst 2010 statt.

Die TU Darmstadt hat nun vor diesem Hintergrund sich dazu entschieden, vor dem Bundesgerichtshof eine Sprungrevision gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Frankfurt (16.03.2011) zu beantragen. So erhofft man sich ein höchstrichterliches Urteil, welches Klarheit über die derzeit unsichere Rechtssituation zu schaffen. Durch diesen Musterprozess soll aus Sicht der TU Darmstadt die Freiheit von wissenschaftlicher Textarbeit unter den sich veränderten Bedingungen eines Digitalzeitalters gewahrt und verteidigt werden.

Was für die Print-Welt unstreitig anerkannt ist, muss auch in der digitalen Welt erlaubt sein: Wissenschaftliches Arbeiten mit Texten setzt – das wissen alle Beteiligten – die Möglichkeit voraus, Randnotizen zu machen, Hervorhebungen im Text vorzunehmen, Passagen wortwörtlich aus der Bibliothek mitzunehmen, um Quellen später verlässlich zu zitieren. Deshalb müssen Texte kopiert werden können.

Ein Verbot, Kopien anzufertigen und Textpassagen zu übernehmen, würde die heutige wissenschaftliche Textarbeit in die Zeit des Mittelalters zurückwerfen. Dort saßen Kopisten in den Skriptorien der Klöster und kopierten Texte durch Abschreiben, was immer wieder zu Fehlern führte. Seit einigen Jahrzehnten kann man nun auf Kopiergeräte zurückgreifen. Auch die Vergütung ist inzwischen geklärt, so dass die Autoren ebenfalls mittelbar am Erlös beteiligt werden können. Davon auszugehen, dass eine (digitale) Kopie eines digital vorliegenden Werkes (Interesse des Nutzers) den Interessen der Urheber (also der wissenschaftlichen Autoren) entgegensteht, ist falsch.

Hier möchte ich nochmal deutlich darauf hinweisen, dass es bei allein Streitigkeiten immer um wissenschaftliche Werke geht, nicht um Bestseller eines Dan Brown oder einer Hera Lind. Zu gern wird dies in einen Topf gesteckt. Neben der gesicherten finanziellen Beteiligung geht es wissenschaftlichen AutorInnen auch um Renomee und eine Sichtbarkeit und Nutzung ihrer Werke, die so sichergestellt werden kann. Aus Sicht der TU Darmstadt geht es den Verlagen vielmehr darum,

die versuchen, die Erstellung, Nutzung und Verwertung digitaler Medien aus vorhandenen Printmedien für sich zu monopolisieren: Statt der VG Wort-Tantiemen, welche an die Urheber gezahlt werden, sollen Zahlungen an Verlage der einzige rechtlich zulässige Weg zum digitalen Medium sein.

Dagegen möchte die TU Darmstadt vorgehen. Sie hält fest:

Den Universitäten geht es keineswegs um „Raubkopien“, wie öffentlich immer wieder von Verlagsseite behauptet wird. Es geht auch nicht um ein kostenloses Vermehren verfügbarer Exemplare, um Entlastung der Bibliotheksetats, gewissermaßen durch die Hintertür. Die Universitäten stehen für den verdienten Lohn der Urheber ein. Sie wehren sich allein gegen einen „Zweitmarkt“ mit Digitalbüchern mit einem – gesonderten, die wissenschaftliche Nutzung einschränkenden – Verlagsmonopol.

Für eine Stärkung der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit digitaler Medien wird die TU Darmstadt bei ihrem Musterprozess durch den Deutschen Bibliotheksverband unterstützt. Vorgegangen wird außerdem in Abstimmung mit der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz. Sollte sich durch den Prozess herausstellen, dass die jetzige Fassung des strittigen § 52b UrhG keine wissenschaftsadäquate Nutzung digitaler Medienformen zulässt, ist dies in Vorausschau auf den dritten Korb als eine Aufforderungen an den Gesetzgeber zu verstehen, den Paragrafen in der laufenden Novellierung des Urheberrechts zu korrigieren.

Anfang 2009 hatte die Bibliothek der TU Darmstadt etwa 100 ihrer erworbenen Lehrbücher zu digitalisieren und diese an den elektronischen Leseplätzen im Lesesaal ihren Nutzern digital zugänglich zu machen. Bei einem Ausdruck wurde der übliche VG-Wort-Anteil entrichtet. Der Ulmer Verlag mit Unterstützung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels erhob Klage mit dem Ziel, Bibliotheken, die den § 52b UrhG anwenden, sollten entgegen dem darin enhaltenen Recht eine zwar vergütungs-, aber nicht genehmigungspflichtigen Digitalisierung ihrer Bestandswerke nur mit Erlaubnis der Verlage nutzen dürfen. Nicht enthalten sei in dieser Nutzung, die Erstellung einer Kopie zum persönlichen Gebrauch. Damit ist der § 52b UrhG aber aus Sicht der deutschen Universitäten und ihrer Bibliotheken für die Wissenschaft praktisch wertlos.

Eine Abhängigkeit vom Goodwill der Verlage schränkt die Wissenschaft in einer bisher nie gekannten Weise ein. Zudem ist zu bedenken, dass man mit Materialien, die man nicht einmal auszugsweise kopieren kann, nicht wissenschaftlich arbeiten kann: Wie will man beispielsweise nur nach Bildschirmlektüre zuverlässig zitieren?

Die einstweiligen Verfügungen 2009 und das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 16.3.2011 sprechen den Bibliotheken eindeutig das Recht zur Digitalisierung ihrer Bestände auch ohne Genehmigung der Verlage zu, doch schränken Sie das Recht der Nutzer auf Privatkopie mit wechselnder Begründung ein. So hielt das Landgericht hielt in seiner einstweiligen Verfügung noch den Ausdruck auf Papier für zulässig. Dabei verneinte es eine Anwendbarkeit des § 53 UrhG verneinte, da im § 52b UrhG selber eine Erlaubnis zur Kopie sah, weil eine quasi analoge Nutzung vom Gesetzgeber intendiert sei.

Das OLG Frankfurt hingegen sieht zwar den § 53 UrhG anwendbar, begründet aber mit dem § 52b UrhG ein Verbot von Kopien, weil dort nur von einem “elektronischen Leseplatz” die Rede sei. Um bestehende Unsicherheit noch deutlicher zu machen, verneint das Landesgericht in seinem ersten Hauptsacheurteil, dass der Begriff “Leseplatz” mehr meine als nur das Lesen. Es sieht in der Absicht des Gesetzgebers, dass dieser nicht mehr als eine quasi “analoge” Nutzung des Digitalisats zulassen möchte und dass daher ein Ausdruck oder die Speicherung auf einem Datenträger untersagt sei. Damit geht es jetzt einen Schritt weiter als in seiner einstweiligen Verfügung, wo es einen einfachen Ausdruck noch als erlaubt ansah.

Das Gericht selbst hat den Streitparteien in einer mündlichen Verhandlung eine Sprungrevision zum Bundesgerichtshof nahegelegt und die TU Darmstadt ist dieser Empfehlung gefolgt. Der Ulmer Verlag hat ebenfalls eine Sprungrevision beantragt, denn beide Parteien wollen mit einem letztinstanzlichen Urteil Gewissheit über die Auslegung der derzeit gültigen Fassung des § 52b UrhG erreichen, um dann ggf. noch einmal mit ihren Forderungen an einen Gesetzgeber heranzutreten.

Quelle:

Feuck, Jörg: TU fordert Freiheit für digitale Kopien, IDW

Mehr dazu:
Vorherige Beiträge im Blog

7 Kommentare

  • Es mag dahinstehen, ob es seitens der TU Darmstadt förderlich ist, eine Pressemeldung zu verbreiten, die den Gegenstand ihres Musterrechtsstreits um § 52b UrhG verzerrt darstellt. Mindestens hätte man sich gewünscht, dass die Einrichtung bei der Wahrheit bleibt und nicht auch noch falsche Behauptungen aufstellt wie:

    “Statt der VG Wort-Tantiemen, welche an die Urheber gezahlt werden, sollen Zahlungen an Verlage der einzige rechtlich zulässige Weg zum digitalen Medium sein.”

    Weder werden die VG Wort-Tantiemen “an die Urheber gezahlt” (vielmehr stellen Urheber und Verlage in der VG Wort einvernehmlich Verteilungspläne für die verschiedenen Einnahmearten auf, nach denen die eingehenden Tantiemen zwischen Autoren und Verlagen aufgeteilt werden) noch geht es andernfalls um Zahlungen nur an die Verlage (denn natürlich rechnen diese ihre Einnahmen aus E-Book-Lizenzen vertragsgemäß mit dem Urheber ab, der ihnen seine Rechte übertragen hat).

    Und um der Wahrheit noch weiter die Ehre zu geben: Bis heute haben die Universitäten und Bibliotheken für Nutzungen unter § 52a UrhG keine und für Nutzungen unter § 52b UrhG an die VG Wort nur geringe Pauschalzahlungen geleistet und keine Nutzungsdaten gemeldet. Die Urheber und Verlage haben für Intranetnutzungen in Hochschulen unter § 52a UrhG seit Schaffung der Norm 2003 keinen Cent gesehen. Für Terminalnutzungen unter § 52b UrhG konnten den betroffenen Rechteinhabern mangels werk- und nutzungsbezogener Daten von der VG Wort ebenfalls keine “angemessenen” Vergütungen abgerechnet werden.

    Ist es da verwunderlich, wenn Autoren und Verlage durchsetzen wollen, dass Bibliotheken und Universitäten wie jeder ordentliche Nutzer Lizenzverträge abschließen, bevor sie ihren Lesern bzw. Studenten Inhalte zugänglich machen, die mit großer Mühe und Kosten erstellt worden sind?

    Schade, dass die TU Darmstadt wieder einmal auch verschweigt, dass sie das von ihr einfach so gescannte und in ihre Terminals eingestellte Buch vom Verlag als originäres E-Book zu angemessenen Lizenzbedingungen angeboten bekam, unter denen hunderte andere Bibliotheken es zu ihrer Zufriedenheit genutzt haben.

    • Dörte Böhner

      So, jetzt bin ich wieder mit einem gut funktionierenden Internet (DSL und nicht mehr Modem) versorgt, so dass das Online-Schreiben längerer Texte endlich wieder funktioniert. Hier erstmal die Antwort auf den älteren Kommentar:

      Sehr geehrter Herr Dr. Sprang,

      Ziel dieser Pressemeldung ist es wohl – und daher habe ich im Blog darauf hingewiesen, Aufmerksamkeit auf eine Problematik zu richten, die zwar viele Studierende spüren, die aber offensichtlich nicht als Grund für ein Überdenken der Politik der Verlage angesehen wird. Die Arbeit der Studierenden hat sich geändert. Studienarbeiten werden nicht mehr per Hand geschrieben, sondern am Computer. Und wenn man den Text nicht digital vorliegen hat – bevorzugt in dieser Form, weil man die Zitate gleich “fehlerfrei” kopieren und zitieren kann. Den Fall des unerlaubten Copy&Paste will ich hier mal ausschließen, der auch dann möglich ist, wenn man Texte per Hand schreibt und per Hand abschreiben muss… Die Arbeitswelt der Studenten von heute ist digital.

      Die VG-Wort-Tantiemen werden mittelbar an die Urheber ausgeschüttet. Da hier von Schätzwerten ausgegangen wird und pauschalisierten Verteilungsplänen, gibt es auch nur eine pauschal gerechte Vergütung, die, soweit ich es weiß, immer als zu gering angesehen wurde und immer ein Dorn im Auge der Verlage war, mit der man sich aber doch recht gut in der Zwischenzeit arrangiert hat. Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch damit liegen sollte. Doch jetzt sieht es so aus, als sähen die Verlage die Möglichkeit, diese pauschalisierte Ausschüttung durch (Micro-)Payment-Systeme ersetzen zu können, die vielleicht für die Verlage eine 1:1-Ausschüttung erlaubt und die den Verlegern als der neue Service für sie verkauft werden kann. Die Frage jedoch, die sich Bibliotheken und Hochschulen stellen ist, ob sie dann mit ihrer “Kaufkraft” noch ein ausgewogenes Angebot und damit einen gleichen Zugang zu Informationen für jedermann (d.h. auch die sozial nicht so gut situierten Studierenden z.B.) gewährleisten können.

      Dass die “angemessene Vergütung”, bisher streitet man sich ja noch vor Gerichten darüber (über 20 noch anhängige Verfahren) und wie zu erwarten gehen die Vorstellungen über die Höhe der Vergütung sehr weit auseinander. Nur soviel ist wohl nach dem Urteil des OLG München (Urt. v. 24.03.2011, Az.: 6 WG 12/09) sicher, dass nutzungsbezogen vergütet werden muss. Hier ist also Bewegung drinne, zumal aus den nun erhobenen Daten eine Rückberechnung für die Jahre bis 2008 erfolgt. Damit ist eine Zahlung für die Intranetnutzung von Verlagsprodukten an Hochschulen absehbar. Juristische Mühlen bei sehr auslegungsbedürftigen Gesetzen mahlen langsam. Leider weiß ich nicht, inwieweit mit den überarbeiteten Serviceangeboten zur Leseplatznutzung nun aus entsprechende Nutzungsstatistiken erfasst werden, da die Hochschulbibliothek an der ich arbeite in absehbarer Zeit keine entsprechenden Dienste geplant hat (rechtliche Unsicherheiten sind dabei ein Hauptgrund).

      Warum schließen Bibliotheken und Universitäten keine Lizenzverträge ab? Ich glaube, die Gründe sind tiefliegender. Ein Grund aus meiner Arbeitserfahrung ist, dass es für die Vorstellungen meiner Bibliothek keine geeigneten Lizenzmodelle gibt. Große E-Bookpakete, die für eine kleine Hochschulbibliothek nicht in Frage kommen, kleiner E-Book-Pakete mit veralteten Auflagen von Lehrbüchern, keine Einzeltitelauswahl für Lehrbücher, reine Lizenzen ohne Archivkopie, E-Books nur für den privaten Endverbraucher… Können wir uns nicht leisten, wollen wir uns nicht leisten, dürfen wir uns nicht leisten. Für einen entsprechenden Bestandsaufbau ist da nichts vorhanden. Warum sich eine große Unibiblitohek gegen ihre Lizenz entschieden hat, kann ich nicht beantworten, kann da nur Vermutungen anstellen. Die Gründe sind mir nicht bekannt. Doch wird es sicherlich Gründe haben, warum die Bibliothek diese Kosten und Mühen auf sich genommen hat, die Bücher einzuscannen und an Terminals verfügbar zu machen, die darauf hinweisen, dass die Lizenzbedingungen vielleicht nicht mit den Wünschen und Aufgabenstellungen der Bibliothek übereinstimmen, so dass eben kein Vertrag zustande gekommen ist. Das Scheitern eines Vertrages ist in den meisten Fällen beidseitig bestimmt.

  • Matthias Ulmer

    Liebe Frau Böhner, diese Darstellung ist Ihnen doch sehr fehlerhaft geraten. Es ist in manchen Passagen schwer, die Sätze zu verstehen, weil sie so unbearbeitet zusammengestoppelt sind. Wie haben wir beim Fall Guttenberg gelernt: das Wichtigste beim Erstellen von Texten mit Copy-Paste ist die Bearbeitung der Übergänge.
    Bedauerlich ist vor allem, dass SIe sich in ihrem Text auf eine Pressemeldung von Herrn Nolte-Fischer beziehen, die zwar ausgesucht sorgfältig erstellt wurde, nichts desto trotz aber inhaltlich haarsträubende Fehler aufweist. Herr Sprang hat auf zwei der sorgfältig platzierten Falschinformationen der Pressemeldung bereits hingewiesen.

    Ein weiterer Klops ist natürlich die erneute Falschinformation, beim 52b ginge es um Wissenschaftliche Publikationen. Es geht um Lehrbücher, das müssten Sie schon aus dem Angebotsnamen “tudigilehrbuch” der TU Darmstadt und aus der Ankündigung, dass man die 100 meistgenutzten Lehrbücher digitalisiert habe ersehen. Der Vergleich mit Hera Lind ist also viel naheliegender, als Sie behaupten. Im übrigen sollte es für Bibliothekare doch aus der Sache heraus klar sein, dass die Digitalisierung wissenschaftlicher Monografien unter 52b Unsinn ist, dass der 52b nur bei Lehrbüchern echte Wirkung entfaltet.

    Und auch der Hinweis auf das Recht auf Privatkopie ist Nonsens. Es gibt kein Recht auf Privatkopie. Es gibt eine Schranke, nach der die Privatkopie vom Rechteinhaber toleriert werden muss, da ein Verbot technisch kaum durchsetzbar wäre und eine Einholung einer Genehmigung im Einzelfall ein unangemessener Aufwand wäre.

    Ein letztes zur immer wieder netten, nichts desto trotz sehr dummen Behauptung, man würde die Wissenschaftler wieder zurück ins Mittelalter zwingen, wo man mit Hand abschreiben musste. Es geht um die Frage, wie weit durch den 52b das wissenschaftliche Arbeiten weiterentwickelt wird, nicht darum, ob etwas zurückentwickelt wird. Oder wollen Sie behaupten, dass vor dem 52b alles Mittelalter war, alle in Skriptorien saßen? Auch vorher hat Wissenschaft schon weitgehend aus Copy-Paste bestanden, wie wir bei Guttenberg gelernt haben. Die Welt des Copy-Paste wird also nicht erst durch den 52b erschlossen. Und sie wird durch das Urteil des LG Frankfurt deshalb auch nicht verschwinden.

    Dass Wissenschaft heute ohne Copy-Paste nicht mehr möglich ist, scheinen manche zu glauben. Ob das Niveau der Wissenschaft durch Copy-Paste wirklich gestiegen ist, das kann man mit gutem Grund auch bezweifeln. Egal wie man darüber denkt: die Frage, ob man aus den wichtigsten Lehrbüchern für das Bachelorstudium durch 52b digital zitieren kann oder händisch, hat auf die Entwicklung der deutschen Wissenschaft mit Sicherheit keinen Einfluss.

    • Dörte Böhner

      Sehr geehrter Herr Ulmer,

      danke für Ihren Kommentar. Im zweiten Satz fehlt tatsächlich einmal “die Bibliothek”, wodurch die Lesbarkeit leidet. Sie haben in dem Punkt recht, dass ich besser Lehrbücher als wissenschaftliche Arbeiten geschrieben hätte. Ausführlich auf die Kommentare von Ihnen und Herrn Sprang werde ich nach Ostern eingehen, da meine derzeitige Internetverbindung leider zu wünschen über lässt.

      Ihnen frohe Ostern

      D. Böhner

    • Dörte Böhner

      Sehr geehrter Herr Ulmer,

      wieder einmal ein kleines Gefecht hier im Blog. Mal schauen, ob ich wenigstens argumentativ an einigen Stellen dagegen halten kann.

      Ich räume ein, dass ich statt wissenschaftlichen Publikationen Lehrbücher hätte schreiben sollen, da es schließlich um die Zugänglichmachung von Lehrbüchern geht, wenn die Stückzahlen nicht mehr ausreichen, den Belastungsspitzen bei der Nutzung gerecht zu werden. Auf die von Ihnen nochmals erwähnten “Falschinformationen” in der Presse-Mitteilung von Herrn Nolte-Fischer bin ich bereits in der Kommentarantwort zu Herrn Dr. Sprang eingegangen. Ah ja, Lehrbücher als Bestseller … Da vermischen Sie jetzt aber zwei Bereiche, bei denen Bibliotheken und Hochschulen aus sehr gutem Grund darauf achten, dass sich diese Argumentation nicht vermischt. Die entsprechende Diskussion, die sehr stark auch mit dem Open Access-Gedanken zu tun hat, möchte ich hier nicht wiederholen und zusammenfassen. Ich setze sie als bekannt, wenn auch umstritten, voraus.

      Das “Recht auf Privatkopie” verstehe ich auch als eigentlich hinlänglich diskutierte Floskel, aber es ist natürlich eine Ungenauigkeit. Sie haben recht,es gibt da eine urheberrechtliche Schranke, die im § 53 UrhG geregelt ist und das Anfertigen von privaten Kopien für den wissenschaftlichen Gebrauch erlaubt. (Hm, vielleicht sollte man diese Floskel zukünftig durch das “Recht auf die wissenschaftlich zu nutzende Arbeitskopie” ersetzen…) Technische Verbote (DRE) haben sich häufig als technisch unwirksam und für die Verleger als Geldverbrennungsmaschine und werbetechnische Katastrophe entpuppt.

      Nett, aber dumm? Die Frage ist doch eher so zu verstehen, wieviele Rechte sind Verlage bereit, den Nutzern (Lesern) ihrer Bücher einzuräumen, wenn die Verlage daran nicht mitverdienen (höchstens pauschal, statt nutzungsbezogen).

      Ein letztes zur immer wieder netten, nichts desto trotz sehr dummen Behauptung, man würde die Wissenschaftler wieder zurück ins Mittelalter zwingen, wo man mit Hand abschreiben musste. Es geht um die Frage, wie weit durch den 52b das wissenschaftliche Arbeiten weiterentwickelt wird, nicht darum, ob etwas zurückentwickelt wird.

      An welcher Stelle arbeiten hier Verlage denn mit, diese Frage zukunftsweisend zu beantworten? Die Frage beinhaltet doch auch, welche Möglichkeiten besitzen denn die Leser und “Autoren”, die auf den Zugang zur Information innerhalb des Rahmens von Bibliotheken angewiesen sind?

      Oder wollen Sie behaupten, dass vor dem 52b alles Mittelalter war, alle in Skriptorien saßen?

      Nein, das behaupte ich nicht, da ich weiß, dass der Vergleich eine Zuspitzung ist. Diese Zuspitzung bezieht sich auf die Frage, wie effektives, wissenschaftliches Arbeiten auch für Studierende in der Zukunft aussehen soll. Das Urteil des LG Frankfurt bestimmt mit darüber, wie dies aussehen könnte und daher wird von vielen auch das Ergebnis der Sprungrevision mit Spannung erwartet. Sicherlich ist es günstiger, ohne rechtliche Waffen gemeinsam an einer Vision des wissenschaftlichen Arbeitens der Zukunft zu arbeiten. Aber Open Access, Kollaboration von Wissenschaftlern / Studierenden im Erkenntnis- und Veröffentlichungsprozess, zeitnaher, unmittelbarer und kostengünstiger Inforamtionszugang auf der einen Seite stehen dem Ziel der Gewinnoptimierung (bewusst habe ich hier auf den Begriff der Gewinnmaximierung verzichtet, der bei einigen Verlagen sicherlich zum Tragen kommt), der Informationsverknappung und -kontrolle, sowie der Profilierung der Verlage auf der anderen Seite gegenüber.

      Egal wie man darüber denkt: die Frage, ob man aus den wichtigsten Lehrbüchern für das Bachelorstudium durch 52b digital zitieren kann oder händisch, hat auf die Entwicklung der deutschen Wissenschaft mit Sicherheit keinen Einfluss.

      In Fragen der Motivation, des Zeitgewinns, um sich mit Inhalten auseinander zu setzen, des “verlustfreien” Zitieren, der Nutzung von unterstützenden Literaturverwaltungsprogrammen hat es sicherlich Einfluss. Und vielleicht sollte man, wenn man alles auf händisch umstellt, auch wieder die händische Plagiatskontrolle und das manuelle Auffinden von Urheberrechtsverletzungen einführen, um hier ein Gleichgewicht zu schaffen? Mit dieser nicht ganz erst gemeinten Frage beende ich meinen Kommentar mit der Gewissheit, dass wir hier nicht auf einen Nenner kommen mit unseren “festgefahrenen” Meinungen.

  • Pingback: Gelesen in Biblioblogs (16.KW’11) « Lesewolke

  • Dörte Böhner

    Auch der Deutsche Bibliotheksverband begrüßt die Sprungrevision.

    In der Presseerklärung dazu heißt es:

    In erster Instanz hat das Landgericht in Frankfurt geurteilt, die Digitalisate seien zwar auch ohne Genehmigung des Verlags erlaubt, eine Textübernahme – zum Beispiel im Rahmen eines Zitats – sei aber nur durch Abschreiben per Hand gestattet. Das hat nicht nur bei Monika Ziller, der Vorsitzenden des Deutschen Bibliotheksverbands, für Verwunderung gesorgt: „Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter! Damals gab es Skriptorien, in denen Texte durch Abschreiben vervielfältigt wurden. Heute gibt es Kopiergeräte, Drucker und moderne Speichermedien. Wenn der Gesetzgeber mit der neuen Regelung ausdrücklich die Medienkompetenz der Bevölkerung stärken wollte, ist völlig unverständlich, wieso die Verwendung zeitgemäßer Arbeitsgeräte gerade verboten sein sollte. – Wir brauchen jetzt dringend eine höchstrichterliche Entscheidung, die Klarheit schafft. Eine Sprungrevision zum Bundesgerichtshof ist dazu der schnellste und kostengünstigste Weg.“