Kommt endlich Schwung in die Sache? – E-Book-Handel und Verleger

Seit einigen Jahren, besonders seit Anfang 2009 ist das E-Book in aller Munde. Wie in Wellen rauschte der Hype über uns hinweg und doch hat man seit dem immer wieder etwas über E-Books gehört. Auch hier im Blog gab es zahlreiche Diskussionen dazu.

Trotz der Euphorie war der Start des E-Book in Deutschland sehr schleppend. Einen E-Book-Markt gibt es noch nicht wirklich in Deutschland. Nach dem zähen Start in Deutschland soll jetzt jedoch Schwung in den Handel mit E-Books kommen, wenn auch nur ein wenig. Das Umsatzvolumen mit Belletristik soll bis 2015 insgesamt 352 Millionen Euro erreichen. Außerdem soll es bis dahin einen Absatzmarkt für 2,5 Millionen E-Book-Reader geben.

Das ist noch ein weiter Weg bis dahin, solen doch bisher gerade mal 50 000 bis 80 000 Geräte verkauft werden. Außerdem werden in diesem Jahr Buch-Erlöse von lediglich bei 20 Millionen Euro erwartet werden. So lassen sich zwar hunderte Romane auf einem Reader speichern, was einem immens viel Platz im heimischen Buchregal und Schlepparbeiten beim Umzug erspart. Die Texte können in sekundenschnelle nach Stichwörtern durchsuchen, wobei sich hier auch die Frage stellt, ob diese Erschließung auf Dauer ausreichend für die Nutzer ist. Natürlich hat man mit 500 Gramm E-Book (mal pauschales, geschätztes Gewicht eines durchschnittlichen Lesegerätes) auch alle seine Bücher im Urlaub mit dabei. Dennoch gibt es noch viele Contras und Hemmschwellen. Zwar halten die Akkus der Geräte inzwischen lange, aber Strom wird dennoch benötigt. Die Haptik gefällt auch nicht jedem, weil sie eben dem Papierbuch nicht ähnelt.

Die Verleger dürfen nicht jammern, schließlich ist ein großes Problem auch das zu geringe deutschsprachige E-Book-Angebot, das mit dem internationalen Verlgeich nicht mithalten kann. Auch die Preisgestaltung ist dem Verkauf von E-Books nicht besonders förderlich:

Derzeit koste die digitale Ausgabe eines Hardcover-Bestsellers im Durchschnitt rund 15,50 Euro und damit lediglich drei Euro weniger als das gebundene Buch. Bei Taschenbuch-Bestsellern betrage der Preisvorteil des E-Books bei einem Durchschnittspreis von rund 9,20 Euro sogar nur etwa 40 Cent.

Aber auch die hohen Kosten der E-Book-Reader sind momentan nicht dazu angetan, die Konsumenten zum “Mintahme”-Kauf zu verführen, denn noch sind sie eine Investition. Das ist jedoch nicht alles, was als Hemmnis für den deutschen E-Book-Markt zu gelten hat. So besteht eine große Furcht vor E-Book-Piraterie, so dass viele Anbieter auf direkte oder versteckte Formen von Digitalem Rechtemanagement setzen. Dies ist für den Käufer häufig nicht unbedingt sichtbar und verunsicht diesen zusätzlich. Noch ist das Verlagswesen dabei, die Chancen und Risiken des Handels mit E-Books abzuwägen. Neben den Fragen des Schutzes der E-Books stellen sich für die Verwertung genauso Fragen wie bei der Buchpreisbindung.

Hier muss viel getan werden. Die Verlage müssen ihre Angst vor dem neuen Medium endlich überwinden. Hier nur Geschäftskalkullationen, den Aufbau neuer Workflows und rechtliche/technische Unsicherheiten als Hinderungsgrund bzw. Grund für das langsame Voranschreiten zu nennen, halte ich für Augenwischerei. Andere Verlage gerade im Ausland zeigen, wie es funktioniert. Das E-Books selbst ist spätestens seit 2000 immer wieder ein Thema. Was haben die Verlage (unabhängig von den Lesegeräten) in den letzen 10 Jahren im Bereich E-Books getan? Jetzt müssen sich die Verlage beeilen und einen Markt erobern, bevor dies ausländische Verlage oder branchenfremde Firmen tun.

Quellen:
Umsatz mit E-Books in Deutschland erreicht 2015 über 350 Millionen Euro, börsenblatt.net
Wissenswertes zum Thema E-Book, Südkurier.de
Pluta, Werner: E-Books haben in Deutschland Startschwierigkeiten, golem.de

Interessantes Lesematerial zum Thema:
Romy Peemüller: ›Chancen und Risiken des Handels mit E-Books für die Verlagsbranche‹
(Stuttgarter Beiträge zur Verlagswirtschaft 2). Stuttgart: Hochschule der Medien 2009
URL: http://www.mediapublishing.org/index.php?option=com_content&view=
category&layout=blog&id=69&Itemid=129

Wissensstädte – Bibliotheken in Afrika: Eine Ausstellung über die Geschichte und die Gegenwart von Bibliotheken in afrikanischen Städten noch bis 31.07.10 im ZMO Berlin

Bereits seit dem 11. Januar und noch bis zum 31. Juli 2010 ist im Zentrum Moderner Orient in Berlin-Nikolassee die Ausstellung Wissensstädte – Bibliotheken in Afrika: über die Geschichte und die Gegenwart von Bibliotheken in afrikanischen Städten zu sehen. Sie wurde von  Brigitte Krause, Robert Liebscher und Tobias Mörike konzipiert. Ein Besuch der Ausstellung ist nur werktags zwischen 10 – 16 Uhr möglich.

Das ZMO (Zentrum Moderner Orient) ist übrigens die einzige Forschungseinrichtung Deutschlands, die sich interdisziplinär und in historisch-vergleichender Perspektive mit dem Nahen Osten, Afrika, Süd- und Südostasien auseinandersetzt. Im Fokus der Forschung steht die Interaktion überwiegend islamisch geprägter Gesellschaften sowie deren Beziehungen mit den nicht-islamischen Nachbarregionen. Momentan ist dort noch eine Stelle als Praktikant in der Bibliothek ausgeschrieben. Bei letzterer geht es um die wissenschaftliche Erschließung von Archivmaterialien aus dem Nachlass von Prof. Dr. Gerhard Höpp über ein elektronisches Findbuch.

Auf dem 72. PEN-Kongress 2006 in Berlin, an dem ich damals  im Berliner Ensemble teilnahm, meinte die südafrikanische Literaturnobelpreisträgerin von 1991, Nadine Gordimer, dass es in Afrika immer noch viel mehr Investitionen in Gewehre als in Bücher gibt. Ihrer Meinung nach kann das “Grundrecht auf Kultur” nur gewährleistet werden, wenn außer den Schriftstellern, der Literatur in afrikanischen Muttersprachen,  auch die Leser und das Lesen mehr gefördert werden würde. Über die Lese- und Buchkultur in ihrem Heimatland Südafrika äußerte sie sich damals  sehr kritisch:

“Bücher sind in Afrika unverhältnismäßig teuer, weil die meisten aus dem Ausland kommen. Es gibt etwa in Südafrika kaum öffentliche Bibliotheken und die Buchläden sind monopolistisch in der Hand einer einzigen Ladenkette. Lange Zeit war Mandelas Autobiografie “Der lange Weg zur Freiheit” in seinem Land doppelt so teuer wie in England oder Amerika. Nachdem die Freiheit der Meinungsäußerung gesichert ist, regiert nun der Markt. Wir haben immer wieder daran appelliert, die Importzölle auf Bücher abzuschaffen. Es ist uns nur für Sachbücher gelungen, nicht für Literatur und Poesie. Es bräuchte eine große Bewegung unter Schriftstellern und Erziehern.”

Abschließend  forderte sie die Initiierung einer neuen Bewegung, die sich diesen Problemen stärker widmet. Weiterlesen

Besitzstandswahrung und fehlende Alternativen – Heidelberger und Augsburger Appell

Der Heidelberger Appell

Das Entsetzen über den Heidelberger Appell und seine Weltfremdheit brandete laut in die “heile” Welt urheberrechtsinteressierter Archivare, Bibliothekare, Internetnutzer, Verleger, Wissenschaftler und auch der Politiker (?). Letztere hat er sicherlich auch erreicht durch entsprechende Briefe, die der Mitverfasser Herr Reuß an Bundespräsident Köhler und Bundeskanzlerin Merkel versandt hat.

Fritz Effenberger schreibt in seinem Telepolis-Artikel “Geistiges Eigentum als Heidelberger Postkartenidylle” zurecht:

Der “Heidelberger Appell” mahnte Politiker, Medien und überhaupt die Öffentlichkeit, Widerstand gegen die (gefühlte) Zerstörung des Urheberrechts zu leisten. Eine gute Sache, meint man. Bevor man den Appell gelesen hat. Dann allerdings öffnet sich ein atemberaubender Blick auf einen Abgrund des Missverstehens: Was eigentlich macht Google da, was sind die Rechte eines Urhebers und was machen Autoren und Verlage, wenn niemand mehr Bücher und jeder nur noch Webseiten liest?

Ein wenig kommt mir diese Beschreibung aus dem Geschichtsunterricht bekannt vor. Mein Lehrer berichtete damals von der ersten Eisenbahn und ihrer atemberaubenden Schnelligkeit, weil die ersten Mitfahrer Angst vor der Geschwindigkeit und der neuen Wahrnehmung der Welt ums sie herum hatten1 und heute kann es in dem Land, wo die erste Eisenbahn 1835 zwischen Nürnberg und Fürth mit gemütlichen 40 km/h tuckelte, nicht schnell genug gehen und der ICE rast mit atemberaubender Geschwindigkeit von bis zu 280 km/h durch die Landschaft.

Erfinderland Deutschland beginnt sich wieder auszubremsen. Überfordert von der Schnelligkeit der Digitalisierung und den sich ändernden Gewohnheiten holt man das Stoppschild heraus und versucht sich dieser Gefahr zu entziehen. Politiker und Verantwortliche, Gestaltende und Betroffene analysieren nicht mehr mögliche Vorteile und ihre Möglichkeiten, sondern ziehen sich auf den Status Quo zurück. Besitzstandswahrung ist das, was aus jedem Wort des Heidelberger Appells mitklingt. Aber Besitzstandswahrung ist das, was in Zeiten des Umbruchs nur für das Verlieren dessen steht, was man hat.

Der Heidelberger Appell ist gefährlich, nicht nur wegen der verdrehten Argumente, die er enthält und der Vermischung von undifferenzierten Wahrheiten oder solchen Meinungen, die als Wahrheiten verkauft werden.

Der Appell richtet sich auf der einen Seite gegen “Open Access”, dem öffentlichen, kostenlosen Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten. Über die Rechnung, die hier aufgemacht wird, dass die Öffentlichkeit ja bereits dafür schon bezahlt hat mit öffentlichen Forschungsmitteln, Gehältern usw. und dass daher man nicht noch ein zweites Mal Mittel aufbringen sollte für Verlagspublikationen mit überzogenen Preisen ist eine Sache. Darüber mag man streiten. Wichtiger ist jedoch der Zugang zu den Ergebnissen (Publikationen) und den Forschungsdaten, was regelmäßig vergessen wird.

Der zweite Punkt, gegen den sich der Appell richtet, ist das Digitalisierungsprojekt von Google. Der Suchmaschinengigant möchte alles Wissen der Welt über das Internet zugänglich machen. Gerade beim Schreiben dieses Satzes fiel mir auf, dass dort ein kleiner wichtiger Zusatz fehlt, den aber der ein oder andere mit hineinliest – nämlich es fehlt: “allen Menschen”. Auch gibt es keine Aussage über die Form wie kostenfrei oder einfach… Google macht sich diese Arbeit des Einscannens möglichst aller Bücher der Welt nicht für Umsonst, sondern will damit Geld erwirtschaften. Urheber und Verlage erhalten dafür einen großen Anteil der erwirtschaften Werbemillionen. Nicht messbar ist, welches Buch nicht mehr verkauft wurde deshalb oder welches, gerade weil der Leser bei Google einen Einblick erhielt, letztendlich doch im meist digitalen Warenkorb landete.

Leider hat Google eine Form des Umgangs mit Rechten gewählt, die zu vielen Unstimmigkeiten geführt hat. Die Beachtung des Urheberrechts und Copyrights wurde umgedreht. Verlage und Autoren müssen selbst tätig werden, um eine Nutzung ihrer Erzeugnisse zu untersagen. Dabei müssen Sie genau abwägen, ob das Untersagen des Einscannens und Nutzens nicht eher schädigend auf ihre Wahrnehmung durch den Leser ist. Eine entsprechende Aufklärung über die Folgen eines Neins erfolgte bei dem Protest deutscher Autoren gegen den amerikanischen Vergleich (<>Google Settlement<>) nicht. Ist Google nicht vielleicht auch eine kostenlose Plattform für kontextbezogene Werbung für das eigene Werk?

Gedanken über die Folgen, die bei der Durchsetzung der Forderungen des Heidelberger Appells entstehen, machen sich hoffentlich wenigstens die Politiker bzw. deren hoffentlich sachkundigere Berater.

Reuß fordert zusammen mit den bisher 1500 Unterzeichnern, zu denen neben Teilen der nationalen Schriftstellerelite auch Geisteswissenschaftler und Bibliothekare sowie Archivare gehören, von der Bundesregierung, dass der automatisierten Verbreitung geistigen Eigentums ein Riegel vorgeschoben wird und auch Privatpersonen hier nicht tätig werden dürfen. Oder interpretiere ich hier die Forderungen des Appells falsch, was zu hoffen wäre… Im Endeffekt kurzfristig gesehen bedeutet dies ein Verbot von “GoogleBooks”, YouTube und anderen Internetplattformen.

“Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation” sieht Reuß bedroht und erkennt nicht, dass seine Argumentation eine spiegelverkehrte Darstellung der Wirklichkeit liefert

Wer bis jetzt publizieren wollte, war auf einen Verlag angewiesen. Verlage besaßen ein gewisses Monopol. Sie entschieden über das Wohl und Wehe des geschriebenen Textes und stellten Forderungen auf. Fertig redigierte und formatierte Texte mit der Mindest- und Maximalanzahl von Seiten waren Forderungen in einer Publikationswelt der Wissenschaftler, wo in vielen Bereichen galt “publish or perish” und es auch darauf ankam, in der richtigen Zeitschrift zu veröffentlichen (“Impact-Factor”). Und gerade das Internet mit seinen freien Entfaltungsmöglichkeiten gerade für Berufseinsteiger im Bereich Wissenschaft ermöglicht eine viel freiere Wahl der Urheber, wo er seinen Text veröffentlichen möchte. Für jemanden, der sein Erstlingswerk gerne veröffentlicht sehen will und dafür einem Verlag 500,00 € und mehr zahlen soll bietet das Internet häufig die kostengünstigere Alternative. Druckreif formatiert kann er sein Werk für rund 50,00 € im Jahr (als teure Internet-Variante!) als PDF auf einer eigenen Internetseite anbieten.

Demontiert den Heidelberger Appell !!!

Matthias Spielkamp fiel es leicht, die Reuß’sche Argumentation dieses Heidelberger Appells auf iRights.info zu demontieren und klarzumachen, wie haarsträubend und vor allem gefährlich sie ist. Er zeigt auf, welche Ängste vor den neuen Technologien bestehen, die zunehmend nur noch als Risiko und potenzielle Bedrohung zu sehen ist. Schlägt an dieser Stelle die Generation zurück, die zu alt für die “elektronische Sozialisierung” ist und keine Bereitschaft mehr besitzt, Veränderungen mitzutragen, auch wenn man sie nicht mehr hundertprozentig versteht? Hier werden die der revolutionären 68’ger Generation zu Verfechtern des Status Quo. Wohl eine Ironie der Geschichte 😉

Das klingt bitter, hat aber durchaus empirische Grundlagen, wie man konkret in der Heidelberger Brandschrift nachlesen kann. Schwergewichtige Behauptungen werden aufgestapelt, gleich Sandsäcken gegen das Eindringen der modernen Welt in die liebgewonnene Überschaubarkeit der Gelehrtenstube.

Die Gegebenheiten ändern sich. Das Internet reißt nationale Grenzen ein und ist dabei seit über zwanzig Jahren mit dem WWW eine große Netzgemeinde zu schaffen. Menschen rücken sich unmittelbar näher und ihre Handlungen beeinflussen sich gegenseitig, obwohl sie sich nie persönlich begegnet sind. Wissen gerät schneller in Bewegung und wird von mehr Menschen betrachtet als dies in Formen eines Briefes möglich gewesen wäre. Leider hat das Gesetz bzw. die internationale Vertragsgestaltung mit den sich daraus ergebenden Notwendigkeiten nicht schritthalten können. Das Konzept muss international abgestimmt und angepasst werden nicht die Details und das ist, wie es scheint, momentan ein unerreichbares Ziel bei der überall vorherrschenden nationalen Politik des kleinsten gemeinsamen Konsenses.

Das traurigste an diesem Heidelberger Appell ist, dass man hier die Augen verschließt vor den Bemühungen, konzeptionelle Lösungen im Internet zu schaffen, die Urhebern zu ihren Rechten verhelfen. Der schutzlose Urheber hat Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen im Rahmen eines Urheberrechts, dass eigentlich im Netz genauso funktioniert wie in der papierenen Bleiwüste heute. Er kann aktiv Grenzen bestimmen und sich einzelne Rechte vorbehalten oder aus der Hand geben. Hier zu nennen wären z.B. die Creative Commons Lizenzen. Ganz klar werden hier die Rechte und Pflichten festgelegt. Natürlich ist es schwer, sich damit noch einen Lebensinhalt zu finanzieren, aber eventuell damit verbundene Spenden reichen aus, um den Server, auf dem die Werke zur Verfügung gestellt werden, zu finanzieren. Der erheblichste Einschnitt und vielleicht auch der beängstigendste ist die Tatsache, dass es zu einer Veränderung der Zahlmodalitäten kommt und gewachsene Strukturen sich entsprechend ändern. Hier ist eine große Lücke, die erst noch sinnvoll gefüllt werden müssen.

Wer allerdings weiterhin seine Auge vor dem stattfindenden Wandel verschließt, wir zu den Modernisierungsverlierern unserer Ära gehören. Blicken wir ins Auge, die ich [Fritz Effenberger, Anm.d.Verf.] im folgenden Apell […] zum “Tag des Geistigen Eigentums” am 26.04.zusammengefasst habe. Der Aufruf setzt sich bewusst zwischen Stühle: Weder fodert er das Verbot gegenwärtiger Medienformen, noch eine Revolution gegen die bestehende Urheberrechtsordnung, sondern eine Anpassung der Regeln an die Realität.

Der Augsburger Appell

In einer vorher nie gekannten Art hat der Buchdruck Gutenbergs und noch mehr die Rotationsdruckmaschine und die damit verbundene Massenproduktion zu einer Verbreitung geistiger Inhalte geführt, die eine Informationsgesellschaft zerstörte, in die wir uns nur ungern zurückversetzen möchten. Die Vervielfältigung mittels händisch erstellter Abschriften oder geringzahlige Druckexemplare konnten die mündliche Informationsweitergabe nicht ersetzen. Aber innerhalb weniger Jahrhunderter wurden diese Informationsstrukturen fast völlig verdrängt – nicht gänzlich zerstört aber in Randbereiche verdrängt. Allein wenn man betrachtet, wie rasch der (handschriftliche) Brief durch die E-Mail ersetzt wurde, kann man erahnen, welche Umbrüche jetzt auf uns warten. Wie bereit sind wir jedoch dafür?

Wir haben schon einmal eine Zunft erlebt, die durch technische Veränderungen so gut wie ausgestorben ist. Wer (in der Verlagsbranche) erinnert sich noch an die Setzer, die Type für Type in Reih und Glied setzten. Heute greift man auf Setzer und die dazugehörigen Druckverfahren nur noch bei ganz besonderen Druckaufträgen zurück, z.B. Glückwunschkarten in einem kleinen Auflagenumfang und sie zählen eher schon zu den Attraktionen auf Mittelaltermärkten und Museen.

Es hat sich bereits jetzt sehr viel verändert. Geistige Inhalte (Bücher, Filme, Musik-Alben etc.) lassen sich dank der Entwicklungen der Computertechnik innerhalb weniger Jahrzehnte nahezu kostenlos speichern. Auf einer Festplatte lassen sich inzwischen ganze Bibliotheken, Film- und Musikarchive in digitaler Form lagern. Auch der Vertrieb ist nahezu kostenlos möglich – es bedarf nur eines Internetanschlusses (je nach Bedarf und Datenmenge von Call-by-Call-Angeboten, die nur kosten, wenn sie genutzt werden bis hin zu Flatrates für Dauernutzer). Derzeit sinken die Preise bei steigenden Kapazitäten, sowohl bei Speichermedien als auch bei den Datenraten der Internetleitungen. Diese Entwicklung macht die Weitergabe von geistigen Inhalten so einfach und grenzenlos wie noch nie zuvor möglich. Die Grenzen setzt eigentlich nur der zeitliche Rahmen und die Kapazität des eigenen Gehirns bei der Rezeption dieser Inhalte.

Problematisch zu sehen ist natürlich die illegale Verbreitung von Inhalten innerhalb dieser nahezu kostenlosen Distributionswege. Problematisch ist, dass bei allen Bemühungen bisher technisch eine solche Verbreitung nicht verhindert werden kann. Bisherige Bemühungen haben sich häufig als zu teuer und nicht lange durchsetzbar gezeigt, wie sich anhand der verschiedenen DRM-Lösungen der Musik- und Filmindustrie mitverfolgen ließ. Natürlich dürfen gerade im Bereich der Verbreitung von Angeboten zur Unterhaltung der Autor oder die an der Erstellung des Produkts beteiligten Menschen nicht leer ausgehen.

Effenberger vergleicht die Digitalisierung mit der Öffnung der Büchse der Pandora. Sie ist wie die Krankheiten der Büchse entfleucht und lässt sich nun nicht wieder darin verstecken. Die für Effizienzsteigerungen eingesetzte Digitalisierung in den Verlagen, erweist sich nun wie die gerufenen Geister des Zauberlehrlings, die sich nun nicht mehr loswerden lassen. Man kann sich nicht nur die Rosinen aus dem Kuchenstück picken. Das funktioniert nicht. Die Realität hat sich geändert und es kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Man muss damit lernen umzugehen.

Statt den Kopf in den Sand zu stecken, müssen neue Modelle geschaffen werden, die eine Bezahlung der Urheber in einem ubiquitären und egalitären Distributionsmodell sicherstellen können. Auch muss gesehen werden, ob es Verlage mit ihren heutigen Aufgaben zukünftig noch geben wird oder wie sie es schaffen, ihre Rolle in einer neuen Informationsgesellschaft neu zu definieren.

Ich [Fritz Effenberger, Anm. d. Verf.] fordere daher die politischen Kräfte in unserem Land auf, nicht weiter über naive, da technisch unwirksame Verbote nachzudenken, sondern über die aktive Gestaltung des Urheberrechts in einer Zeit des technischen Umbruchs: Jeder Bürger kann sich heute via digitaler Weitergabe jedes Buch, jeden Film, jedes Musikstück besorgen, ohne dass dies technisch verhindert oder mitverfolgt werden kann; der Preis für die Verhinderung oder Aufdeckung wäre die Zerstörung des Internet, wie wir es kennen. Die Gesetze müssen dieser Realität entsprechend reformiert werden, der Urheber muss die ihm zustehende Vergütung erhalten. Diese wird tatsächlich heute schon teilweise erhoben und ausgeschüttet: Geräte und Medien zur Herstellung von Kopien sind mit einer Abgabe belegt, die von den zuständigen Verwertungsgesellschaften an die Autoren, Komponisten, geistigen Schöpfer ausgeschüttet werden.

Ein wichtiger Teil der Wertschöpfungskette ist bis jetzt noch unbeachtet: Trotz erheblicher Umsätze mit dem Verbreitungsmedium Internet durch Telekommunikationsunternehmen sind Urheber hier von Vergütung ausgeschlossen. Eine gesetzliche Regelung würde privatwirtschaftliche Anstrengungen wie die oben erwähnte Aktion der Suchmaschine Google ersetzen und die Urheber aus ihrer Verunsicherung angesichts der heutigen technischen Revolution befreien. Das ist die urheberrechtliche Herausforderung unserer Dekade.

Diese interessante Forderung würde auch eine Kulturflatrate ermöglichen, die hier parallel der Nutzung von Leitungskapazität eingenommen werden könnte. Pauschalisierte Ausschüttungen müssten allerdings durch weitere Anreizmöglichkeiten erweitert werden. Denn auch nur eine gesunde Konkurrenz kann hier zu einer höheren und qualitätsvolleren Vielfalt führen. Sollten hier nur Klickzahlen und geschriebene Worte für die Ausschüttung der finanziellen Mittel herangezogen werden, ist eine Verflachung in der Literaturbewegung zu befürchten. Beängstigend zu betrachten ist ja hier bereits die Entwicklung im Fernsehen, wo die Qualität der Sendungen von Einschaltquoten abhängig gemacht wird. Eine solche zu sehr egalitäre Lösung schadet mehr als dass sie die Kultur voranbringt und verhindert aus Provokation und Diskussion, die genauso Teil unserer derzeitigen Kultur ist wie der seichte Bestseller auf der Spiegelbestsellerliste. Der rechtlichen Anpassung muss auch eine ökonomische Anpassung zuarbeiten. Wir wollen wissen, wohin wir uns bewegen wollen, denn nur so ist eine sinnvolle Gesetzgebung möglich.

Vergessen wir nicht, das bisherige Urheberrechtssystem und die bestehenden Geschäftsmodelle sind nicht von heute auf morgen entstanden. Bis wir hier wieder ein Gleichgewicht finden, wird es eine Weile dauern.
Copyright-Gesetze schützen die finanziellen Aufwendungen derjenigen, die die Kopie aufwändig herstellen, während die den Moral-Rights sehr verbundenen Urheberrechtsgesetze sehr stark der Tradition des Geistigen Eigentums und den daraus bestehenden Verpflichtungen verbunden sind. Sie sind die verschiedenen Sichtweisen auf ein durch Buchdruck entstandenes Gewerbe. Was wir jetzt lernen müssen ist, uns aus diesem Rechtsgewebe zu befreien und uns einen unverstellten Blick auf die aktuelle Situation zu suchen.

Quelle:
Effenberger, Fritz: Geistiges Eigentum als Hedelberger Postkartenidylle, via telepolis

PS: Eine Diskussion zu diesem Thema ist herzlich Willkommen. Derzeit kann ich leider eine schnelle Reaktion meinerseits nicht versprechen, da ich zur Zeit keinen uneingeschränkten Zugang zum Internet besitze.

  1. Als der “Adler” seine erste Fahrt antrat, hatten ernsthafte Leute furchtbare Folgen eines derartigen Wagnisses vorausgesagt. Schwere Gesundheitsstörungen und Geistesverwirrung sollten durch die entsetzliche Geschwindigkeit des Eisenbahnzuges nicht nur bei den Fahrgästen, sondern auch bei den Zuschauern hervorgerufen werden! Dabei vermochte der “Adler” nur eine Geschwindigkeit von ganzen 40 Stundenkilometern zu erreichen.Quelle: 100 Jahre Deutsche Eisenbahn []
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