Rückschau auf den “Study Visit: Multicultural Libraries: practice makes perfect!” vom 2-3 November in Rotterdam (2. Teil)

Bibliotheek_RotterdamBevor ich vom zweiten Tag des Study Visit berichte, will ich kurz auf das von Herrn Benito vorgestellte Programm ESME – (European Strategy for multicultural Education) eingehen. Hierbei handelt es sich um eine Kooperation der Stadtbibliothek Frankfurt am Main, dem Multicultural Center in Prag, der Projektstelle für Zuwanderung und Integration in Dornbirn (Österreich) und dem Immigrant Institut in Borås (Schweden).  Das Hauptziel der genannten Einrichtungen ist es, den Aufbau eines multikulturellen Lerncenters voranzutreiben, das als Treffpunkt für formelles und informelles Lernen dienen soll.  Informationen über den Fortgang der Projektarbeit und klassische Best Practice Beispiele finden sich auf der folgender Webseite: http://www.librariesforall.eu. Hinzu kommen Literaturhinweise, Texte und Anregungen für die eigene Einrichtung, die es gilt mutikultureller bzw. interkultureller zu gestalten.

Der zweite Tag des Study Visit begann mit einem Vortrag zur Publikation “Diversity Management – Eine neue Managementkultur der Vielfalt – für eine neues Image der Bibliotheken” von W. Kaiser. Sie setzt sich mit dem Konzept Diversity Management näher auseinander. Kaiser plädiert für mehr Heterogenität innerhalb der Mitarbeiterschaft und innerhalb der Zielgruppen. Im Vordergrund steht der Umbau der Organisationskultur hin zu einer multikulturellen Organisation und dem Eingeständnis, dass der Beruf für Menschen mit Migrationshintergrund (aber auch für den “Ottonormalazubi” bzw. den Großteil der StudentInnen) sowohl in den USA, als auch in Deutschland nicht attraktiv genug ist. Es wurden Vorschläge gemacht wie eine mögliche Umgestaltung aussehen kann, mit dem Verweis darauf, dass die Bibliothek sich mehr als lernende Organisation verstehen sollte. Best Practice Beispiele, welche die Attraktivität der Bibliothek für die LGBT-Community, für MigrantInnen, Ältere und behinderte Menschen zum Ausdruck bringen, wurden kurz vorgestellt. Darüber hinaus wurden die Hochschulen und Ausbildunseinrichtungen (für FAMIs) als erste Diversity Recruiting -Adressen genannt, die den Gedanken der Wertschätzug von Vielfalt stärker fördern sollten, indem sie sich auf Ausbildungsmessen mit anderen Plakaten präsentieren, welche die Vielfalt der eigenen Gesellschaft stärker widerspiegelt.  Er hatte auch auf die Interkulturelle Kompetenzvermittlung und die sogenannten Diversity Trainings für die angehenden BibliothekarInnen und Fachangestellten für Medien und Information hingewiesen, die bisher an Hochschulen und Berufsschulen noch nicht im Curriculum verankert sind (fakultativ an der HAW Hamburg). Durch all diese genannten Maßnahmen, Forderungen und Ziele wäre  eine stärkere Identifikation und ein anderes Image  möglich, wenn sie (auch die Berufsverbände) Andersheit als Ressource wertschätzen anstatt die monokulturelle Norm aufrecht zu erhalten.

Eines meiner Lieblingsbeispiele für eine gelungene interkulturelle Bibliotheksarbeit wurde bereits Besuchern des Bibliothekartages in Erfurt vorgestellt. Es geht um die Stadtbibliothek Belfer in Ramla, Israel, welche mit den örtlichen arabischen und jüdischen Kindergärten Kooperationen einging, die großen Anteil daran hatten Fremdheitserfahrungen und Berührungsängste abzubauen.  Die Stadt hat ungefähr 70.000 Einwohner und gilt als eine der mixed cities im Kernland Israels, wo Menschen muslimischer, jüdischer und christlicher Religion zusammenleben. Nachdem ich mich nochmals bei der Leiterin Frau Levkovits erkundigt hatte, ist dies die einzige Bibliothek, die Israelis muslimischen und jüdischen Glaubens zusammenbringt und gleichsam einen Service anbietet. In einem gemeinsamen Projekt zwischen arabischen und jüdischen Kindergärten wurde die sogenannte “book parade” entwickelt, bei der die Kinder lernen ein Buch in ihrer eigenen Muttersprache zu präsentieren. Das Endergebnis war laut der Leiterin in keinster Weise vorhersehbar, ebenso die enstandenen Synergieeffekte, die dazu beitrugen, dass sich nicht nur zwischen den Kindern, sondern auch zwischen den arabischen und jüdischen Eltern Freundschaften entwickelten.  Ein simples Projekt, bei dem es “nur” um das (Vor-) Lesen bzw. Vortragen von Geschichten geht, das viele Türen öffnet und  Barrieren der Sprache, der Vorurteile und der Kultur abbaut. Ein Best Practice Beispiel wie ich es mir auch für deutsche Bibliotheken vorstellen könnte, um mehr Deutsche frühzeitig mit Migranten zusammenzubringen, da es hierzulande ebenfalls tief verankerte Vorurteile und Berührungsängste zwischen Juden, Muslimen und Christen gibt, insbesondere zwischen sogenannten Einheimischen und Hinzugezogenen vornehmlich aus Osteuropa, der Türkei und arabischen Ländern. Die kürzlich vom Bielefelder Institut für Konflikt- und Gewaltforschung und der Amadeu Antonio Stiftung vorgestellte repräsentive Studie  zur “Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Europa”, untermauert einen Bedarf an solchen Projekten in Deutschland und anderen Ländern Europas (Für das Projekt wurden acht Länder ausgewählt: Großbritannien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Italien, Portugal, Polen und Ungarn). 54 % der europäischen Befragten halten den Islam für eine Religion der Intoleranz und knapp 25 % äußerten antijüdische Ressentiments. Der Studie zufolge sind in den untersuchten Ländern 50 % der Europäer der Auffassung, dass in ihren Ländern zu viele Migranten leben. Selbst wenn manch einer nun argumentieren mag, dass die Ergebnisse für Deutschland verzerrt sind, will ich auf die deutschlandbezogene durchgeführte Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit verweisen, die in unterschiedlichen Bevölkerungsschichten jährlich Vorurteile gegenüber Anderen untersucht, wobei die Ergebnisse auch hier keineswegs erfreulich sind. Die Belfer Library in Ramle mit ihrem wegweisenden Projekt des Diaologs der Kulturen und Religionen wäre ebenso für europäische Bibliotheken geeignet, die ihre Communities zusammenbringen wollen. Meines Erachtens gibt es zwar Projekte wie die der Mensenbib bzw. Living Library, aber bei dem Projekt aus Ramle wäre der sogenannte Outcome größer, wenn sich Eltern bereits frühzeitig über ihre Kinder kennenlernen.  Später habe sich Vorurteile oftmals manifestiert und es ist meiner Meinung unwahrscheinlich, dass  sich Eltern jemals auf ein “Lebendes Buch” einlassen bzw. es ausleihen.

Als letzten Vortrag des Study Visit stellte Mirjam Wolfrum vom Goethe-Institut Brüssel  Mittel und Wege vor, wie Bibliotheken auf eurpäischem und internationalem Niveau zusammenarbeiten können. Sie machte auf bestehende Möglichkeiten aufmerksam und rief die Teilnehmer auf, ihre Erfahrungen zu teilen und sprach von zukünftigen weiterführenden Austauschmöglichkeiten. Es ging um Projekte, die im Rahmen des Internationalen Jahres 2010 gegen Armut und sozialer Exklusion gefördert werden. Schwerpunktmäßig geht es darum, wie Bildungseinrichtungen (Bibliotheken, Lernzentren und Kulturinstitutionen) durch die Entwicklung innovativer und nachhaltiger Ansätze ihren Beitrag leisten können,  die digitale Spaltung und die soziale Exklusion zu bekämpfen. Es sollen Programme initiiert werden, die den Erwerb von Medienkompetenz, von Informationskompetenz und der Digitalen Kompetenz für heranwachsende Jugendliche aus bildungsfernen Schichten durch die eben genannten Institutionen fördern.  Ziel ist es ein Tool,  z.B. ein Computerspiel, das Jugendliche anspricht, zu entwicklen, um den Erwerb Digitaler Kompetenzen zu ermöglichen. Im Vordergrund steht die Entwicklung neuer Lernformen innerhalb der digitalen Welt.  Bereits im Dezember finden erste Partnertreffen statt, was bei manchen Gästen auf Verwunderung aufgrund des zu gerinen Zeitbudgets zur Vorbereitung einer möglichen Teilnahme, stieß. Mehr Informationen sind unter dem folgenden Link zu finden. Am Ende des StudyVisit gab es eine letzte Abschlussdiskussion, in der Guidelines zur IFLA-Konferenz bekanntgegeben wurden, das Grundtvig Programm nochmals erwähnt wurde und auf das neu von der UNESCO verabschiedete Multicultural Library Manifesto eingegangen wurde. Jeder der Teilnahmer gab ein Abschlusskommentar und wir gingen danach gemeinsam in die Bagel Bakery von Rotterdam, wo der Study Visit einen würdigen Ausklang fand. In einem dritten Blogeintrag will ich vom Lezersfeest und Nederland Leest, dem Pendant zu Deutschland liest, kurz berichten. Darüber hinaus möchte ich kurz auf den Besuch im Library Concept Center in Delft eingehen, der gemeinsam mit den Kolleginnen aus Spanien erfolgte. Der Study Visit war durchaus ein Erfolg und es wäre wünschenswert, wenn sich mehr Bibliotheksverbände in Europa zusammenschließen würden, um jährlich in einer anderen Stadt einen Study Visit zu organisieren, der Best Practice Beispiele multi- und interkultureller Bibliotheksarbeit ein Forum des Austauschs und der (interkulturellen) Verständigung bietet.

Abschließend will ich einen kulturinstitutionsübergreifenden Blick auf die Bedeutung der Zusammenarbeit von Museen, Archiven und Bibliotheken wagen und für die Schaffung eines Museums der Einwanderungsgeschichte in Deutschland plädieren. All diesen Institutionen ist gemeinsam, dass sie vor interkulturellen Herausforderungen stehen bzw. bereits damit konfrontiert sind.  Zumindest habe ich den Eindruck, dass in den Massenmedien (außerhalb der Bibliotheks- und Museumswelt) und in der Wahrnehmung der Bevölkerung noch zu wenig von den Kulturorten als interkulturelle Lernorte die Rede ist, die sowohl die Arbeit der Bibliotheken, als auch der der Museen mehr Wertschätzung und  eine stärkere Bedeutung bei der interkulturellen Bildungsarbeit zukommen lassen. Die bisher noch dürftig genutzten Synergieeffekte der Kultureinrichtungen (Bibliothek, Archiv und Museum), könnten ähnlich wie in Großbritannien stärker genutzt werden. Dort wird institutionenübergreifend von kulturellen Dienstleistungen für die Communities gesprochen. Bei einer im Jahr 2008 abgehaltenen Konferenz in Berlin ging es um die interkulturellen Herausforderungen für Museen, bei der der Integrationsbeauftragte von Berlin kritisierte, dass das Museum als kulturelle Institution MigrantInnen nicht erreichen würde und es zu wenig MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund gäbe. Weiter forderte er eine interkulturelle Öffnung und sprach von der Institution Museum, die Partizipation zulassen sollte. Der Bericht dieser Tagung las sich stellenweise wie eine Beschreibung der Situation der meisten Bibliotheken in Deutschland.  Städte wie z.B.  Stuttgart, München, Hamburg, Frankfurt, Nürnberg und Berlin, welche bei der  interkulturellen Öffnung, stets als  “Leuchtürme” genannt werden,  bilden dennoch gesamtgesellschaftlich eine Ausnahme – auch für Bibliotheken. Eine interkulturelle Sensibilisierung und interkulturelle Kompetenzen für Menschen ohne Migrationshintergrund, die weder in der Stadtverwaltung noch bei anderen sich interkulturell öffnenenden Arbeitgebern tätig sind, forderte unlängst Prof. Dr. Peter Nick am 7. Internationalen Tag an der Hochschule München. Ein erster Ansatz hierzu, wäre die Schaffung eines Museum der Einwanderungsgeschichte für Deutschland.  Es gibt hierzulande bereits ein Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. in Köln.  Langfristiges Ziel dieses Museums ist die Errichtung eines nationalen Migrationsmuseums – als Zentrum der Geschichte, Kunst und Kultur der Migration.  Ähnlich wie in Frankreich, wäre es auch angemessen für die Bundesrepublik Deutschland ein nationales Museum zu haben, dass die Geschichte der Einwanderung der Bundesrepublik abbildet und dabei alle Formen der Einwanderung integriert (Asylanten, (Spät-)aussiedler,  Kontingentflüchtlinge, Gastarbeiter und Vertriebene). Für die Verankerung im kollektiven Gedächtnis eines  Großteils der “Deutschen” und natürlich für “Neulinge”, würde eine solches Museum sicherlich sehr hilfreich sein. Denn, wie Mark Terkessidis in seinem neuen Buch Interkultur anmerkt, gibt es kaum Bilder, welche die deutsche Einwanderungsgesellschaft als etwas Positives entwerfen. Er stellte in seinen Untersuchungen fest, dass in den Ländern und Kommunen die Migration an den historischen Orten, den Museen und bei Erinnerungsereignisse gänzlich abwesend ist. Wenn man von Austellungen des DHM in Berlin,  einer im Gasteig München und der Stadt Nürnberg absieht, sind mir persönlich, kaum solche Austellungen in letzter Zeit aufgefallen. Dass Migration als ein erheblicher Beitrag beim Aufbau und der Entwicklung der BRD zu sehen ist, bleibt im kollektiven Gedächntnis der Mehrheitgesellschaft oftmals ausgeblendet.