Bibliotheken gegen Rassismus (Teil 2)
Irene Blanco verfasste am 8. Juni auf biblogtecarios ihre Beobachtungen, Meinungen und Erkenntnisse über den Kampf gegen Rassismus in der US-amerikanischen Bibliothekswelt. Die Überschrift lautete „Libraries Against Racism – #BibliotecasAntirracistas“. Sie begann zunächst damit auf ihren Blogbeitrag aus dem vergangenen Jahr auf Infobibliotecas hinzuweisen. Darin erzählte sie die Geschichte zweier schwarzer Bibliothekar*innen aus New York City, Regina Andrews und Jean Blackwell Hutson, Menschenrechtsaktivisten, Intellektuelle und Pioniere. Diese Geschichten wurden in Form einer Ausstellung am Schomburg Center for Research in Black Culture vermittelt, was auch zur NYPL gehört. Blanco bringt zum Ausdruck, dass diese Geschichten („Black Power en Bibliotecas) einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, da diese Realitäten nun wiederkehren und nach wie vor andauern, das jetzt sogar inmitten einer weltweiten Pandemie.
Es wird deutlich, wie Rassismus das Leben so vieler Menschen beeinflusst. Blanco zeigte sich schockiert und überwältigt von diesen Tagen der Proteste nach dem brutalen rassistischen Mord an George Floyd, der diesmal als Videoaufzeichnung um die Welt ging. Dabei verwies sie auch auf den 40-jährigen Professor der Universität von Maryland, Rashawn Ray, dessen Geschichte in der Presse thematisiert wurde. Er wurde öfter von der Polizei verhaftet, als er seinen Geburtstag feierte: „Ich wurde während der Fahrt angehalten, ich saß im Park, ich ging mit Bus oder Bahn, ich ging, rannte, studierte, aß oder war in Bars. Ich wurde beleidigt, gegen die Wand geworfen und von der Polizei festgenommen. “
Viele Medien berichteten über den Rassismus, gegen den nicht nur demonstriert wird und wurde, sondern wie es die New York Times ausdrückte „People Are Marching Against Racism. They’re Also Reading About It“. In einem gesonderten Blogbeitrag soll auf das Thema #BüchergegenRassismus und Leselisten diesbezüglich eingegangen werden.
Wie Rassismus in oder durch Bibliotheken bekämpft werden kann, wurde gestern in Teil 1 des Blogbeitrags schon versucht zu erläutern. Auch wenn hierzulande die Bibliotheksleitung das Hausrecht hat und in Rücksprache mit ihr die Security-Mitarbeiter*innen agieren dürfen, gibt es trotzdem Kooperationen mit ihnen und/oder der Polizei, die ggfs. wohlüberlegt werden könnten und Kooperationen mit Sozialarbeiter*innen/Streetworker*innen würden vermutlich manche Situationen schneller deeskalieren lassen.
In diesem Jahr fand in den USA die Konferenz der Public Library Association (PLA) in Nashville statt. Soledad O’Brien sagte auf dem PLA2020-Treffen in Nashville sagte: „Bibliotheken sind im Feld der sozialen Gerechtigkeit tätig.“
Der Generaldirektor der New York Public Library, Anthony Marx, drückte den Bibliotheksnutzer*innen seinen Schmerz über die Brutalität der Polizei und die Bereitschaft der Bibliothek aus, weiter gegen Unwissenheit zu kämpfen und will den New Yorker*innen Handlungshilfen zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen.“ Vom Schomburg Center for Research in Black Culture, einer Abteilung der NYPL, wurde eine Leseliste „Black Liberation Reading List“ erstellt:
Schomburg Center Black Liberation Reading List
Blanco verweist ferner auf zahlreiche Bibliotheken in den USA, die sich mit dem Hashtag #BlackLivesMatter dieser Bewegung nun angeschlossen haben und solidarisch erklär(t)en. Auch durch diese Einrichtungen werden Leseempfehlungen weitergegeben, die interessant sind. Sie plädiert dafür, dass Bibliotheken über das Thema Leseempfehlungen hinausgehen sollten und überprüfen sollten, wie Bibliotheken ihre Dienstleistungen anbieten, damit sichergestellt ist, dass Bibliotheken auch wirklich inklusiv sind. Die Bloggerin Irene Blanco kommt in diesem Zusammenhang auf das IFLA /UNESCO-Manifest zu sprechen. Insbesondere betont die sie die Förderung des interkulturellen Dialogs und der kulturellen Vielfalt, wovon im Manifest die Rede ist.
Als nächstes wird auf das Statement von Tracie D. Hall, der geschäftsführenden Vorsitzenden der American Library Association eingegangen, das ich an dieser Stelle übersetzen bzw. in englischer Sprache zitieren werde. Blanco übersetzte es für ihre Community auf Spanisch:
„After an earth-shifting week that has brought into stark relief the experiences of racism and racial violence that many of us and our communities navigate every day as people of color, it is even more clear that the work of dismantling racism is overdue. It is overdue in our society, in library and information services, and at the American Library Association (ALA), which exists to ensure that libraries, learning, and information access are available to all.“ […] All das sollte über reine Hashtags und Statements, sowie Komitees hinausgehen. Deshalb ist es dringend geboten sich in seiner eigenen Einrichtung und Community dem Thema Rassismus zu stellen. Die eigene Einrichtung sollte systematisch diese Thematik innerhalb der Mitarbeiterschaft hinterfragen. Ferner fordert Hall für ihren Verband: “
At ALA that means our internal operations and decision making, as well as our external structure and engagement with membership, must bear out the goal of true racial equity and inclusion. To that end, I invited several ALA staffers and member leaders to reflect on this moment.“
Zu glauben, dass dies nur die USA betrifft, schlussfolgert Blanco richtig, ist zu kurz gedacht. Dieses Thematik betrifft in der heutigen globalisierten Welt eigentlich jedes Land und auch jeden Bibliotheksverband. Es existieren überall Ungleichheiten und Diskriminierungen, auch auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt. Irene Blanco kommt dann auf ihre eigene Community und deren Erfahrungen zu sprechen. Bezogen auf Deutschland, kann man mit Sicherheit von einem strukturellen und institutionalisierten Rassismus sprechen. Der Anti-Diskriminierungsausschuss des Europarates machte Deutschland im März diesen Jahres darauf aufmerksam Maßnahmen gegen Rassismus einzuleiten, nicht nur bei der Polizei, aber vor allem in Institutionen. Dazu zählen mit Sicherheit auch der öffentliche Dienst, worunter ein Großteil der Bibliotheken in Deutschland zuzurechnen ist. Wer von uns Bibliothekar*innen hat etwas dazu im Studium oder der Ausbildung vermittelt bekommen? Ich würde mich sehr wundern, wen sich das plötzlich geändert hat. Der Europarat forderte nämlich:
„Man muss mit verpflichtenden Kursen gegen Rassismus und Diskriminierung an die Unis gehen, von wo die meisten Mitarbeiter von Ministerien und Behörden kommen“
In jeder Gesellschaftsschicht ist dieser zu finden. Mit Recht stellt Blanco fest, dass sich der Rassismus natürlich auch an öffentlichen Orten (respektive Bibliotheken) widerspiegelt. Daraus schlussfolgert sie, dass „WIR“ als Bibliothekar*innen, Leser*innen und Deutsche (ersetzt durch Spanier*innen) unsere Vorurteile infrage stellen müssen. Als nächstes wirft sie folgende Frage auf: „Wie viele Bücher von rassistischen Menschen haben wir gelesen? Sind es mehr als zwei oder drei? Sie kommt auf die Journalistin und Schriftsstellerin Lucía Asué Mbomio zu sprechen, die eine Leseliste schwarzer Autor*innen erstellt, die hauptsächlich aus Spanien und Äquatorialguinea stammen, erstellte. Diese Liste kann unter folgendem Link abgerufen werden. Für den deutschsprachigen Raum wird versucht werden durch den Autor in einem der nächsten Blogbeiträge eine ähnliche Liste deutschsprachiger Übersetzungen und Originale zu erstellen. Um Ergänzung wird gebeten.
„Wie wird dies in der Realität umgesetzt? Hören wir rassistischen Nutzer*innen zu? Finden sich Referenzen zu Rassismus in unseren Sammlungen? Welche Bedürfnisse haben sie? Welche Beziehung haben wir zu den verschiedenen Gemeinschaften? Haben wir Ressourcen, um uns zu schulen? Wie werden sie empfangen, wenn sie die Bibliothek betreten? Kommen sie zu unseren Aktivitäten? Gibt es eine übersetzte Beschilderung?Gibt es rassistisches Personal?“
„Wie viel Zeit brauchen wir noch – wir, die weißen Deutschen? Wie viel Zeit wird noch vergehen, bis der Rassismus in Deutschland auf allen Ebenen bekämpft wird, wie ein tödlicher Virus, der er ja auch ist? Darüber zu diskutieren, wann es vorbei sein wird, und nicht, ob das Problem überhaupt existiert – das wäre eine deutsche Rassismusdebatte. Eine, die diesen Namen verdient.“