SiDiM – Schwachsinn der zur Methode wird?

DRM war diese Woche aber auch aus einem anderen Grund Thema. Das Fraunhofer-Institut für sichere Informationstechnologie und Forscher der TU Darmstadt testen derzeit eine automatische Personalisierung von E-Books unter dem Projekttitel “SiDiM”. SiDiM steht für “Sichere Dokumente durch individuelle Markierung” und soll digitale Texte mit einem kommerziellen Wert oder anderen Gründen, z.B. Dokumente mit Betriebsgeheimnissen, vor unkontrollierter Verbreitung schützen, da diese ein Hindernis für die Verbreitung oder besser gesagt den Vertrieb auf digitalem Wege sei. Der Kopierschutz ist ein psychologischer: Nicht die Datei sondern deren Inhalte sollen individualisiert werden. Aus “unbrauchbar” wind z.B. in einem anderen Exemplar “nicht brauchbar”. So sollen Raubkopien verhindert werden.

Das Fraunhofer Institut SIT schreibt:

Eine Lösung dieses Problems ist die Individualisierung der Dokumente durch sichtbare und unsichtbare Markierungen, die einzelne Kopien unterscheidbar machen. Benutzer werden so zu einem verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Kopie angehalten und vor illegaler Weitergabe abgeschreckt, da die Kopien anhand der Markierung auf sie zurückverfolgt werden können. In SiDiM sollen daher als Kerninnovation effiziente und neuartige Individualisierungsmechanismen auf der Basis von Digitalen Wasserzeichen realisiert und als Anwendungsfall in die Wertschöpfungskette von Ebooks integriert werden.

Die Unveränderbarkeit von Text ist das derzeit größte Gut von gedruckten Büchern, wenn es um die wissenschaftliche Nutzung kennt. Über verschiedene Verfahren versuchen Bibliotheken und ihre Repositorien bei elektronsichen Werken nachweisen, das ihre Dokumente unverändert geblieben sind (Digitale Fingerprints aus einem Hashwert bestehend). Und die Buchbranche arbeitet nun daran, dies ein für alle Mal durch “Individualisierung” als Kopierschutz-Technologie zu zerstören.

Der Text wird automatisch verändert, was in der Wissenschaft, wo es darauf ankommt, gerade bei wörtlichen Zitaten, den Autor einer Aussage, Behauptung genau zu zitieren. Ein Wörtliches Zitat heißt, dass dieses Zitat Buchstabe für Buchstabe mit der Textfassung übereinstimmen muss. Da wird es schwierig, wenn in einem Exemplar im Vergleich zu einem anderen, plötzlich ein anderes Wort steht oder der Zeilenumbruch in einem Gedicht verändert wurde. Wird man zukünftig zitieren müssen “Autor, Titel des Werkes, zit. nach: Exemplar von Frau sowieso, 5. Exemplar der Bibliothek XY?”, nur damit der Wissenschaftler nicht mehr in Beweisschwierigkeiten kommt? Oder muss man das Buch mehrfach erwerben, um herauszufinden, welche Stellen dem Original entsprechen?

Kleine Textänderungen mögen auf dem ersten Blick harmlos und sicherlich auch vertragl. mit dem Autor regelbar sein. Auch Belletristik kann Gegenstand von Texteditionen, Literaturwissenschaftlichen Arbeiten etc. uns somit Teil von Forschung sein. Das verursacht Bauchschmerzen und Bibliothekare und Bibliothekarinnen sollten Stellung dazu beziehen, nicht dass dies ernsthaft wahr wird.

Haupt kommt in Bezug auf Autoren zum Fazit:

Vorweg: SiDiM ist als Entwicklung zunächst einmal kein Kurzwechsel in Sachen “hartes DRM”. Der Börsenverein beziehungsweise dessen Wirtschaftstochter MVB predigt schon seit Jahren den Verzicht auf harten Kopierschutz. Das Akezptanz-Problem liegt nicht bei Verband oder Händlern, sondern bei den Verlagen und (glaubt man Verlagsmenschen: vor allem) bei den Autoren, die teilweise ausdrücklich auf einem harten Kopierschutz bestehen sollen. Ob man diese Gruppe mit einer semantischen Veränderung ihrer Texte gewogen stimmen kann, muss doch sehr bezweifelt werden.

Auffallend ist, dass derzeit keine positiven Reaktionen auf diese Variante gibt.

Das Projekt läuft in Zusammenarbeit mit CoSee (Konsortialführung), 4Readers (EKZ), juni.com und Notos Rechtsanwälte sowie die MVB (Konzeption, Implementierung und Validierung einer Architektur). Finanziert wird die Forschung im Rahmen von KMU-innovativ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Der Börsenverein ruft derzeit zur Evaluierung der “sichtbaren Wasserzeichen” auf.

Und hier noch eine kleine Erinnerung aus Sicht von Mela Eckenfels, einer Autorin, warum DRM sterben muss (2011):

Einige Reaktionen aus dem Netz:
Meier, Steffen: Projekt SiDiM: DRM bei E-Books und Unmut im Netz, Meier meint
Pachali, David: Kopierschutz: Forscher wollen E-Books individualisieren, irights.info
Haupt, Johannes: DRM der Zukunft: Individualisierte E-Books. Ernsthaft?, Lesen.net
Holzhauer, Steffen: Neue Posse des Börsenvereins: inhaltsverändernde Wasserzeichen in eBooks, Phantanews
Eckenfels, Mela: Kopf sucht Tischplatte: Wasserzeichen-DRM, Schreibsucht
Warner, Ansgar: “Vorsicht, Buchfälscher”: Börsenverein plant automatische Textmanipulation als DRM-Variante, E-Book-News.de
Kim: SiDiM vs. DRM: Neuartiger Kopierschutz schreibt eBooks um, E-Book-Fieber.de
Hoffelder, Nate: New DRM Promises to Ruin a Good eBook in the Name of Protecting It, The Digital Reader

3 Kommentare

  • CH

    Danke für dieses Posting! Meins liegt angefangen und unvollendet in den Entwürfen und harrt der Veröffentlichung. Dein Posting wird diesen Prozess nun enorm beschleunigen.

  • Ich meine auf heise vor ca. 6 Jahren gelesen zu haben, dass Amazon für ein ähnliches Verfahren ein Patent beantragt und erhalten hat. Finde die Quelle im Moment nicht mehr oder die Patentnummer.

    Was mich aber noch mehr fasziniert ist die Einfachheit eines möglichen Angriffes. Wenn es um die individuelle Markierung von Texten geht, bekomme ich mit diesem Verfahren vermutlich nicht mehr als ein paar Bit pro Satz durch. Wenn ich also eine 40-bit-Nachricht einflanschen will, läuft das über viele viele Wiederholungen über einen Text mit einer Wiederholung alle paar Seiten.

    Wie sieht der Angriff aus? Ich besorge mir das Dokument einfach zweimal (bzw. n-mal) und lasse mir dann einen diff anzeigen. Die unterschiedlichen Stellen lassen sich dann herausstreichen oder mixen. Ich muss ja nicht wissen, welche Daten hinterlegt wurden, es reicht, die Nachricht hinreichend zu zerstören, damit die meisten Anwendungsfälle für solche Signaturen ins Leere gehen.

    Ein übrigbleibender Anwendungsfall ist dann nur noch das Auffinden von Leaks in Behörden, bei denen es nur wenige infrage kommende Quellen gibt, die untereinander keinen Zugriff auf andere Versionen eines geheimen Dokuments haben. Taucht dann in der öffentlichkeit die geheime Folteranweisung auf, kann der Leaker zielsicher ausfindig gemacht werden, wenn die verfolgende Stelle sich das Dokument aus der Redaktion beschafft.

    • Dörte Böhner

      Ich vermute mal, bei dem Patent von Amazon handelt es sich um dieses hier: United States Patent:7,610,382 ; System and method for marking content

      Ein erschreckendes Szenario, dass man dadurch auch sehr leicht “undichte Stellen” ausfindig machen kann. Einerseits sollen Firmengeheimnisse Firmengeheimnisse bleiben, aber wenn Missstände aufgedeckt werden, wird diese Art der Kennzeichnung sehr schnell zu einem zweischneidigen Schwert. Quellenschutz ist so kaum möglich und das macht dann doch Angst.

      Bei allem, was SiDiM ausmacht, macht es eines wohl besonders aus: Es ist nicht zuende durchdacht, zwingt zu Verstößen gegen andere Rechte und macht die so geschützten E-Books für Bibliotheken unbrauchbar. Stelle man sich vor, eine Bibliothek lizensiert aufgrund der Bestimmungen mehrere Exemplare eines Buches. Die Lizenzen reichen nicht aus und es muss ein neuer Auftrag ausgestellt werden und es werden weitere Lizenzen erworben, sagen wir für die zweite unveränderte Ausgabe. Nur unverändert ist die Ausgabe dann nicht mehr…

      Es gibt vermutlich mehr Argumente gegen SiDiM als für SiDiM…

      Das Patent von Amazon habe ich über folgenden Beitrag gefunden, der schon damals recht hatte:
      Scalzi, John: Stupid Ideas Are Still Stupid Even When Amazon Does Them, Whatever