Meine erste besuchte Session war die „Bibliotheksethik„. Diese werde ich in einem etwas längeren Beitrag dokumentieren und auch noch mit eigenen Gedanken anreichern, weil es eine sehr komplexe Sache war.
Hier wurde von den TeilnehmerInnen gesagt, dass der Begriff sehr weit gefasst werden sollte (Berufsethik, Informationsethik). Es wurden verschiedene Gruppenbeziehungen identifiziert, bei denen Ethik eine Rolle spielt, z.B. BibliothekarIn – NutzerIn (eindeutig war man hier gegen den Kundenbegriff, der eine Verzerrung der Sichtweisen bedeuten würde), KollegInnen zu Kollegen, BibliothekarIn zu (Buch)HändlerIn, BibliothekarIn als Mittler zwischen NutzerIn und BuchhändlerIn. Festgemacht wurde die Diskussion an dem doch wahrgenommenen Problemfall Onleihe und Kaufbutton. Ausgegangen wurde von der Vorstellung eines Nichtbibliothekars, der Bibliotheken als neutralen Ort wahrnahm, der Serviceleistungen erbringt in verschiedene Richtungen, nämlich Literatur unter möglichst objektiven Gesichtspunkten aufkauft, Bestand kuratiert und dann an die Nutzer vermittelt (also Zugang auf Auffindbarkeit gewährleistet). In einer anderen Session wurde deutlich, dass Bibliotheken hierbei auch darauf achten sollten, Zugangsmöglichkeiten zu Informationen für alle Nutzergruppen (alt, jung, mit Migrationshintergrund, netzaffin und -fern, lesenah und -fern usw.) zu schaffen, insbesondere Öffentliche Bibliotheken.
Innerhalb dieser Diskussion wurde auch Transparenz innerhalb der Gruppenbeziehungen angemahnt. Nutzer vertrauen auf eine gute Auswahl der Informationen der Bibliotheken, die hier einen großen Vertrauensvorschuss genießen. Für den Kaufbutton hieße dies, dass sozusagen diesem Button mehr vertraut würde, zumal er nicht als Werbung gekennzeichnet ist, als solchen Buttons auf anderen Webseiten, da Bibliotheken hier als besonders bedacht und vertrauenswürdig wirken. Ein Vergleich, der Dank Phus Kommentar hier im Blog aufkam, war die Betrachtung des Kaufbuttons als versteckte Werbung. Wie gehen wir im Rahmen einer Aufmerksamkeitsökonomie mit Werbeangeboten um? Beispiele dafür waren z.B. die Kennenlernangebote von Datenbanken, die in wissenschaftlichen Bibliotheken groß beworben werden, Kennzeichnungen von Büchern, die über Finanzmittel bekannter Stiftungen von Großkonzernen finanziert werden ebenso mit aus drittmittelfinanzierten Forschungen entwickelten Beständen. In Öffentlichen Bibliotheken wäre hier auch eine Frage, wie man z.B. mit im Rahmen der Leseförderung gemachten Werbung durch einen Fastfood-Riesen umgeht. Also: Wie objektiv kann ein Bestandsaufbau noch sein, der durch privatwirtschaftliche Initiativen gesteuert wird?
Im Umgang miteinander ist die Frage: Wie legen wir Entwicklungen offen, die bisherige Grenzen verschieben? Wie identifizieren wir sie und schaffen eine Bewertung? Sollten wir hier nicht die gleichen ethischen Maßstäbe ansetzen wie in einer Printwelt oder können diese Maßstäbe nicht mehr angelegt werden? Wenn das so ist, warum? Eine ständige defensive Aufstellung jedoch ist wenig hilfreich. Aus dieser Situation kommen wir aber nur heraus, wenn wir (unser Berufsstand) anhand unserer Wertevorstellung (berufliches Selbstverständnis, Verständnis unseres Auftrages und einer kritischen Bewertung unseres Handelns) genau formulieren, was wir wollen. Ethisches Handeln innerhalb dieses Rahmens bedeutet auch, für die darin formulierten Hauptinteressen einzustehen, z.B. eben die Bibliothek als nichtkommerzieller Ort, aber auch die Grenzen dessen zu kennen und daher bewusste Entscheidungen zu treffen, z.B. Förderung einer bestimmten Nutzergruppe oder bei Kauf- und Anschaffungsentscheidungen. Dies heißt dann nämlich auch, Verantwortung für das eigene Handeln und das Handeln der eigenen Institution zu übernehmen. Dies stärkt aber auch die Verhandlungsposition gegenüber Verlagen und ihren Gewinninteressen. Handeln innerhalb eines ethischen Rahmens ist Orientierung und Sicherheit, die wir in einer sich ständig ändernden digitalen Welt immer stärker vermissen (rechtliche Unsicherheiten etc.)
Es kam die Frage auf, wie sich diese Ethikfrage in den Lehrveranstaltungen der Studierenden und im ganzen Ausbildungssystem manifestiert, aber auch im eigenen Berufsumfeld. Als einer der wichtigsten Experten wurde Hermann Rösch, ein langjähriges Mitglied in der IFLA Kommission, genannt, der zahlreich Schriften zu diesem Thema verfasst hat. Auch der Code of Ethics (von 2007) wurde erwähnt.
Es gab noch andere Aspekte, die ich mitgenommen habe, die aber an dieser Stelle jetzt den Rahmen des Beitrags sprengen würden und die sicherlich an der ein oder anderen Stelle als reflektierendes Argument auftauchen werden. Ergänzungen und andere Aspekte, Anregungen und Fragen sind in den Kommentaren gerne willkommen.
Weitere Informationen:
Code of Ethics (BID), 2007
Informationsethik und Berufsethik, Bibliotheksportal
BuB Themenheft „Bibliotheksethik“ – BuB 63(2011)4, S. 270-286
Leider etwas eingeschlafen: Ethik von Unten, Blog
IFLA-Literaturliste (dtspr.) zum Thema Ethik