Lesen in der Wüste
Khalif liebt Bücher, egal welche, Hauptsache ist, er kann lesen. Doch anders als deutsche 13-Jährige kann er nicht mal einfach an ein volles Bücherregal Zuhause oder in der nächsten Bibliothek gehen, denn er lebt in einer Nomadenfamilie in Kenia. Diese wandert als Viehhüter herum, um dort zu bleiben, wo das Vieh Futter findet. Für den Jungen heißt dies, dass er manchmal mehrere Monate häufig jedoch nur einige Wochen an einem Ort bleibt. Er besitzt kein Buch selbst und ist daher auf die Kamele angewiesen, das ihm alle zwei Wochen Nachschub bringen. Derzeit findet man die Familie von Khalif in der Nähe von Maramtu, einem kleinen Dorf im Osten von Kenia.
Auch andere Nomadenfamilien ziehen in dieser Region herum. Sie leben in runden Lehmhütten, die sie innerhalb eines Tages errichten können. Sie alle besitzen so wenig Geld, dass sie sich Bücher meistens nicht leisten können. Um den Nomadenkindern den Zugang zu Büchern zu ermöglichen, wurde in der Stadt Garissa vor inzwischen 15 Jahren eine ganz besondere “Fahrbibliothek” gegründet. Viermal die Woche ziehen Bibliothekare mit ihren Kamelen durch die Wüste und bringen ihre Buchstabenfracht den Nomaden.
Bestückt werden die Kamelbibliotheken durch Abdullahi Osman und Abdirahman Bashir, zwei Mitarbeiter der normalen Bibliothek von Garissa. Sie packen morgens eine Auswahl an Kinderbüchern in zwei große Holzkisten und beladen damit die Rücken eines der beiden Kamele. Die beiden Tiere wechseln sich während des marsches ab. Zur Zeit laufen auch drei Jungkamele mit, die an die Wüstentouren gewöhnt werden sollen. Auf den Kisten steht “Garissa Mobile Kamelbücherei” und “Lesen ist Wissen”. Osman und Bashir ziehen dann in einer richtigen kleinen Kamelkarawane mit den Kamelen und zwei Kamelführern los.
Nun könnte man sich fragen, warum die Bibliothekare auf die Kamele setzen und nicht einfach einen gut klimatisierten Geländewagen nutzen? Kamele sind ein vertrautes Transportmittel :video: für die Nomaden. Die Männer mit den Büchern sind daher keine Außenseiter, sondern kommen mit etwas Vertrautem.
So eine Wanderung durch Hitze und Staub zu den Nomadensiedlungen dauert mehrere Stunden. Ziel ist z.B. auch die Grundschule in Maramtu, welche Khalif in der vierten Klasse besucht. Fast 300 Kinder werden dort unterrichtet. Sie besuchen diese Schule, solange ihre Eltern dort in der Nähe wohnen. Die Kamele mit den Büchern werden von den Schülern heiß und ungeduldig erwartet.
Die Bücher werden von den Bibliothekaren auf drei Bastmatten unter einem Akazienbaum vor der Schule ausgebreitet. Ihnen sieht man die häufige Benutzung an. Viele der Exemplare sind zerlesen, einige vergilbt, einem fehlt der Einband, beim anderen ist ein Buchrücken wieder festgeklebt worden. Das beeindruckt die Kinder nicht, denn für sie sind alle dieser Bücher kostbar. Einige Geschichten sind auf Kisuaheli, ander auf Englisch, der zweiten Landessprache Kenias.