Umberto Eco: Die Bibliothek als Modell für Kultur

Die folgende Vorlesung vom 18. Oktober 2013 des am Freitag, den 19.02. verstorbenen Autors und Semiologen Umberto Eco, fand in der Yale University Art Gallery statt. Sie soll an einen der bedeutendsten Fürsprecher für Bibliotheken und Buchkultur erinnern. Der vollständige Titel des Vortrags lautet: „The Library as a Model for Culture: Preserving, Filtering, Deleting and Recovering“

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Zitat unkommentiert

[Zitat] Unkommentiert – 2006

[…] Wenn also die Bibliothek, wie es Jorge Luis Borges will, ein Modell des Universums ist, so sollten wir versuchen, sie in ein dem Menschen gemäßes Universum zu verwandeln, und dem Menschen gemäß, ich wiederhole es, heißt, auch fröhlich, auch mit der Möglichkeit, einen Kaffee zu trinken, auch mit der Möglichkeit, dass Studentenpärchen einen Nachmittag lang auf dem Sofa sitzen können, nicht um sich dort abzuknutschen, sondern um einen Teil ihres Flirts zwischen Büchern auszuleben, Büchern von wissenschaftlichem Interesse, die sie sich aus den Regalen holen und wieder zurückstellen. Mit einem Wort: eine lustvolle Bibliothek, in die man gerne geht und die sich allmählich in eine große Freizeitmaschine verwandelt, wie das Museum of Modern Art in New York, wo man ins Kino gehen, durch den Garten schlendern, die Statuen betrachten und eine komplette Mahlzeit einnehmen kann.
Ich weiß mich einig mit der Unesco: „Die Bibliothek… muss leicht zugänglich sein, ihre Pforten müssen allen Mitgliedern der Gesellschaft offen stehen, so dass jeder sie frei benutzen kann, ohne Ansehen von Rasse, Hautfarbe, Nationalität, Alter, Geschlecht, Religion, Sprache, Personen- und Bildungsstand.“ Eine revolutionäre Idee. Und der Hinweis auf den Bildungsstand postuliert auch eine gewisse Erziehung, Beratung und Vorbereitung. Und noch etwas: „Das Gebäude, in dem die öffentliche Bibliothek untergebracht ist, sollte zentral gelegen sein, auch für die Behinderten leicht zugänglich und zu vernünftigen Zeiten geöffnet. Das Gebäude und seine Einrichtung müssen ansprechend, bequem und freundlich sein; und es ist vor allem wichtig, dass die Leser direkten Zugang zu den Regalen haben.“
Wird es uns je gelingen, diese Utopie zu verwirklichen?“

Umberto Eco

[Leseempfehlung] Wir müssen uns mal wieder vom Buch verabschieden…

…, diesesmal aber eher vom E-Book. Dies prophezeien Umberto Eco und Jean-Claude Carrière in ihrem neuen Buch „Die große Zukunft des Buches“, erschienen im C. Hanser Verlag, München 2010 für 19,90 Euro. Der Philosoph und der Drehbuchautor glauben, dass das E-Book die gedruckten Bücher nicht ersetzen können als dauerhafter Wissens- und Erkenntnisspeicher? Sind die so gespeicherten Daten zu flüchtig?

Immer mehr Bücher stehen digital zur Verfügung. Ein dramatischer Preiskampf zeigt, dass so langsam der Zukunftsmarkt heiß umkämpft wird. Gerade Fachbücher aber auch zunehmend Belletristik wird auf entsprechenden Lesegeräten oder am PC gelesen. Ist das ein Zeichen dafür, dass das gebundene Buch durchs E-Book verdrängt werden? Carrière prophezeite sogar beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2008 ein Verschwinden der Bücher, wie wir sie kennen, innerhalb der folgenden fünfzehn Jahre.

In ihrem gemeinsamen Buch haben sich der italienische Medienwissenschaftler, Schriftsteller und Philosoph und der französiche Drehbuchautor – beide fast achtzigjährige Buchliebhaber und -sammler (40.000 – 50.000 Bände in ihren Privatbibliotheken) – Gedanken über die Geschichte des Buches, seine Zukunft und ihre Bedeutung für den Zustand unserer Kultur gemacht. Sie sind sich einig, dass das Buch noch eine große Zukunft vor sich hat.

Der französische Journalist Jean-Philippe de Tonnac animierte sie mit seinen Fragen, sich voller Esprit über das Buch als eine Art „Rad des Wissens und des Imaginären“ zu unterhalten, welches trotz technologischer Veränderungen in seiner Funktion nicht zu übertreffen sei. Teil des Gespräches war auch die persönliche Beziehung zu ihren Büchern, der damit verbundenen Sammelleidenschaft, ihren Lektürevorlieben und den Zukunftspläne für ihre Bibliotheken, wenn sie sterben.

Mit dem Buch verbunden ist auch der Akt des Lesens und des Vergessens, welches mit autobiografischen Erzählungen und Anekdoten durchsetzt ist und wobei sich beide nicht immer ernstnehmen. Auch sprechen sie interessant über die Veränderungen, welche das Gedächtnis durch die Verbreitung des Computers durchmache, wobei das Filtern zur Hauptaufgabe wird.

Auf den prognostizierten Siegeszug des E-Books reagieren die beiden älteren Herren gelassen – für sie ist es ein weiteres modernes Speichermedium, bald veraltet wie Floppy Disc, VHS-Kassette oder CD-ROM, also nichts von Dauer. Gedruckte Bücher sind ihnen immer noch die dauerhaftesten Wissens- und Erkenntnisspeicher, etwas Besseres ließe sich nicht erfinden.

Für Technikpessmisten gibt es ein beruhigend unaufgeregtes Zukunftsversprechen was die Kultur angeht, die durchs Buch geschaffen und transportiert wird. Für Technikjünger gibt es in dem Buch sicher genug Argumentationsstoff, der durchdacht werden sollte und mit Gegenargumenten versehen werden kann. Also, das ist eine Leseempfehlung der ich gern folgen werde.

Quelle:
Hueck, Carsten: Humorvoll, selbstironisch und erkenntnisreich, Buchbesprechung auf Deutschlandradio.de