Panzerung oder Mückennetz – Die DRM-Gretchenfrage von Matthias Ulmer

Die Ankündigung von libreka! in Zukunft auch hartes DRM anbieten zu können, hat wieder einmal die üblichen Milchtöpfe zum Überschäumen gebracht. Warum nur?

Warum sollten sich die Nutzer, die Leser, diejenigen, die damit arbeiten, nicht darüber aufregen? Warum sollen Menschen, die über ihren Tellerrand hinausschauen und gesehen haben, wie DRM gescheitert ist, nicht mit dem Kopf schütteln? Warum soll man nicht nach dem Geld fragen, dass da zum Fenster hinausgepulvert wird?

Ganz nüchtern betrachtet ist es doch ein Vorteil, wenn es bei DRM ein “mit” und ein “ohne” gibt. Dass also der, der “mit” DRM sein möchte “mit” sein kann, und der, der “ohne” sein möchte, “ohne”.

Das ist sicherlich von Vorteil für die Mutigen, die es wagen, sich ohne harte Panzerung den Mücken stellen. Die Panzerung wirkt ja oft abschreckend und ein Fliegengitter, z.B. in Form von forensischem DRM (personalisierte Wasserzeichen), hat auch einen schützenden Effekt. Es ist nur manchmal komfortabler. Eine Rüstung ist schwer, teuer und unflexibel. So ein Netzt stört wesentlich weniger, wenn das Ganze mal aus der Mode gekommen ist.

Wenn der, der “ohne” DRM sein möchte “mit” sein muss, ohne dass er eine Alternative hat, oder der, der “mit” DRM sein möchte “ohne” sein muss, dann ist das kein Fortschritt, sondern einfach nur eine Einengung der Wahlmöglichkeiten, weniger Freiheit eben.

Wer „muss“ den „mit“ DRM sein? Wer legt das fest? Die Autoren? Dann spricht das eher für fehlende Aufklärungsarbeit und Verunsicherung durch Informationen seitens der Verleger. Natürlich muss sich keiner von den Mücken stecken lassen, aber DRM ist nur eine scheinbare Sicherheit. Mücken werden immer einen Weg durch die engen Ritzen der Panzerung finden, wenn dahinter etwas lockt. Das Netzt ist da viel sicherer. Es passt sich Bewegungen an, engt den Träger (in diesem Fall das entsprechende Verlagswerk) nicht ein, lässt ihn flexibel (nutzbar auf verschieden Plattformen, etc.) und ist erfolgreich beim Abhalten der Mücken (wer möchte seinen Namen schon mit einem verbotenen Handeln direkt in Verbindung gebracht sehen?).

Herr Ulmer meint – ich muss ab jetzt auf das Zitieren verzichten, weil ich sonst sicherlich mehr “klaue”, als ich dürfte -, dass bei den ideologisch aufgeladenen Auseinandersetzungen um die Privatkopie es immer um Freiheit geht. Das ist eigentlich paradox, weil beide Seiten damit argumentieren. Freiheit für die eine Seite bedeutet aber i.d.R. Freiheitsentzug für den Gegner. Auch bei DRM ist das der Fall. Allerdings schlussfolgert der Verleger weiter, dass derjenige, der für eine ungehinderte Weitergabe von Daten ist, automatisch DRM verbieten möchte. Und wenn derjenige das schon nicht über eine entsprechende Gesetzgebung erreichen kann, versucht er es wenigstens durch Ächtung oder durch unheilvolles Orakeln mit Blick auf die gescheiterte Musikindustrie. Schwarzweißmalerei der übelsten Sorte! Leider zeigt das nur, dass Herr Ulmer nicht zuhört und hinschaut und sich auch nicht weitreichend genug informiert.

Digitales Rechtemanagement ist in Zukunft unabdingbar. DRM gibt es in der Musikindustrie auch weiterhin – Stichwort personalisierte Wasserzeichen. Wogegen sich die Mehrheit der Leser jedoch wendet ist die Bevormundung, die mittels DRM oder besser gesagt „Digital Rights Enforcement“ (DRE) durch Verlage vorgesehen wird. Das hat die Musikindustrie zu spüren bekommen und sie hat daraus gelernt. Mehr oder weniger gut funktioniert DRE bei Pay-TV-Sendern, die aber hierzulande ziemlich um ihr Überleben kämpfen müssen. Vielleicht ist da das Scheitern auch nur eine Frage der Zeit (mal unken), aber zumindest haben sie viel Geld in eine vermeintliche Panzerung investiert, die dann doch regelmäßig versagt (Hacker, analoge Löcher, etc.)

Herr Ulmer, es spricht niemand den Verlagen das Recht ab, ihre Produkte zu schützen. Verwenden Sie hartes DRM (DRE) oder nicht und man wird sehen, wer in zwei Jahren das meiste Geld verbrannt und wer verdient hat. Ob man dafür allerdings gleich Gott mit heranziehen muss, wage ich ein wenig zu bezweifeln.

Angenehm zu machen heißt, seine Nutzer nicht zu verschrecken. Gerade wenn es um DRM in seiner harten Form geht haben die Musikverlage und die Unterhaltungsindustrie dafür gesorgt, dass allein das Wort DRM für Schrecken sorgt. Das hat wenig mit ideologisch geführten Kämpfen zu tun, sondern mit gespürten Folgen und Erfahrungen. Verkaufen Sie bitte die Käufer Ihrer Produkte nicht für dumm. Sie werden anfangs sowieso eher nur die Nutzer mit ihren E-Books erreichen, die sich im Umgang mit Technik und Internet sicherer fühlen. Diese Leser haben ihre Erfahrungen gesammelt. Solange DRM nicht für positive Wirkungen sorgt, sondern erwartete Nutzungsmöglichkeiten einschränkt, werden sie DRM nicht akzeptieren. Und damit werden sie auch das Angebot dieser Verlage nur ungern oder gar nicht in Kauf nehmen.

Es gab Zeiten, als die ideologischen Kämpfe das ruhige Nachdenken noch nicht verhindert haben, da sah man in DRM auch die ungeheuren Vorteile, die das dem Leser bietet: nur noch für das zahlen zu müssen, was man wirklich benutzt, nicht mehr für die Verfügbarkeit sondern nur für die effektive Nutzung.

Das Zitat musste ich jetzt doch einfügen, weil es hahnebüchend ist. Effektive Nutzung von Büchern – wer hat diese bestimmt? Nutze ich ein Buch nur dann effektiv, wenn ich den Ausschnitt, den ich benötige lese, ohne auf seine Einordnung zu achten? Von vielen Artikeln, die ich für mein Studium benötigt habe, waren es drei Zeilen, die effektiv gesehen, den Neuigkeitswert des Artikels ausmachten und die ich letztendlich zitiert habe. Effektiv wäre also gewesen, wenn ich die drei Zeilen erhalten hätte und mir den Rest des Artikels hätte sparen können. Aber dann hätte ich vielleicht Zusammenhänge nicht erfasst.

Bei einem E-Book-Bestseller-Roman stelle ich mir das bestimmen einer effektiven Nutzung noch schwieriger vor. Wie benutzen Leute so ein Buch effektiv? Eine Bevormundung würde mir fehlen. Manchmal zieht sich bei mir das Lesen eines solchen Bestsellerromans über Monate hin, Stückchen für Stückchen, und manchmal fang ich dreimal an, bevor ich das Buch zuende gelesen habe. Kann ich das E-Book bei Nichtgefallen gegen Erstattung der Kosten denn auch wieder zurückgeben oder beanstanden, dass das Buch, bevor ich damit fertig geworden bin, abgelaufen ist? Wie lese ich einen Roman effektiv? Ich möchte diesen verfügbar haben, aber nicht effektiv nutzen. (Ein Grund, warum ich immer wieder an Bibliotheksbüchern scheitere – mir reicht die Leihfrist in den seltensten Fällen.) Wo ist da als Zahlende mein Gewinn, Herr Ulmer?

Ein regulär erworbenes Buch würde für mich eher zu teuer bezahlt oder unbrauchbar, je nachdem wie die Regelung durch DRE erfolgt. Ich würde damit sicherlich zu einer Gruppe zahlender Kunden gehören, die durch DRM erheblich benachteiligt würde. Wollen Sie uns dann als „DRM-Verlag“ verlieren, bzw. können Sie sich das leisten?

Niemand hat gesagt, dass Sie Ihre Bücher verschenken müssen und niemand hat gesagt, dass Sie die Bücher ungeschützt freigeben sollen. Sie sollten aber einfach über die Methoden und Mittel nachdenken, die Sie verwenden. Sich von der aktuellsten Software abhängig zu machen, einem Rechte-Server, der wie oft gesehen, irgendwann abgeschaltet wird, ist da sicherlich von keiner Seite das gewollte Ziel, oder? Werden Sie sich klar, was Sie möchten und wie sie es „minimalinvasiv“ erreichen können! Hartes DRM ist keine Lösung.

Und am Ende sind wir alle schlauer. Vielleicht heißt es dann, dass “mit” für die einen, “ohne” für die anderen besser ist, sowohl als auch, nicht entweder oder. Viel spricht dafür. Denn “entweder oder” entstammt mehr den Sphären der Ideologie, während dem “sowohl als auch” der bunte Schmuck des wahren Lebens umhängt.

Wie schön, wenn Sie es sich so leicht machen können, Herr Ulmer in Ihrer Ansicht. Sie gehen am eigentlichen Problem vorbei. Die Frage, ob man rechts oder links an einem Stein vorbeigehen kann, der aber ihren motorisierten Wagen behindert, ist unnütz. Letztendlich bleiben Sie damit auf der Strecke. Sie können den Stein nach rechts oder links rollen, ihn auf Ihren Wagen laden und mitnehmen, aber letztendlich müssen Sie ihn aus dem Weg schaffen, um mit Ihrem Wagen vorbei- und voranzukommen und Fahrt aufzunehmen.

[Update]Habe in der Überschrift, dem Tag und in der Quelle den Namen des Autors des Libreka-Beitrags richtiggestellt und entschuldige mich bei Herrn Ulmer für den peinlichen Fehler. :), 13.07.2009[/Update].

Quelle:
Ulmer, Matthias: Mit oder ohne DRM via libreka! Blog

23 Kommentare

  • Dörte Böhner

    Sehr geehrter Herr Losehand,

    die Entwicklungen in Bezug auf CC-Lizenzen und ähnliche Lizenzen sind eine positive Entwicklung. Es sind vertragliche Regelungen, die ja immer neben dem Urheberrecht möglich sind und die jederzeit möglich waren. CC & Co schaffen es aber, diese Möglichkeit in den Focus einer größeren Menge zu bringen. Juristische Laien werden so auch in die Lage versetzt, ihren Willen in Bezug auf ihre urheberrechtlich schutzwürdigen Texte besser zu verdeutlichen.

    “Legitimationskrise” bedeutet also, daß das Paradigma, auf dem unser derzeitig geltendes Urheberrecht aufbaut, durch die Praxis von Urhebern und auch von Nutzern im und durch das Internet infrage gestellt wird.

    Reicht es eine “Legitimationskrise” anhand nur eines Pradigmas festzumachen? Es ist nur ein kleiner Teil der Autoren, der diesen Paradigmenwechsel offen sichtbar vollzieht. Was ändern diese Lizenzen an dem, was das Urheberrecht ausmacht? Zitate waren jederzeit möglich. Rechtliche Einigungen werden vereinfacht, aber waren auf vorher wie Zitate jederzeit möglich, genauso der Verzicht auf Entlohnung der eigenen Arbeit.

  • finder

    Fn. 6 Open Access senkt die Produktionskosten in der Freitag von Joachim Losehand

    Interessanter Beitrag zur Bedeutung von Open Access im Wissenschaftlichen Publikationswesen

  • finder

    Erwähnung bei Archivalia
    Diskussion über Bücher-DRM (04.08.2009)