Für einen Mann allein wohl eine unmöglich zu bewältigende Aufgabe, aber Brewester Brewster Kahle lässt sich davon nicht abschrecken. Mit großem Enthusiasmus geht er dran, eine Alexandrinische Bibliothek 2.0 zu bauen. Man könnte ihn schmunzelnd als Scherzkeks abtun, aber dazu ist er sich seiner Sache zu sicher. Er schafft es Menschen und Technologien so zusammenzubringen, dass auch die schwierigsten Aufgaben gelöst werden. Er ist ein Visionär, der auf die Probleme aus einem anderen Blickwinkel als andere schaut und sich zutraut, Probleme zu lösen, bei denen andere denken, die wären unmöglich zu schaffen.
Millionär Kahle gibt sein Geld nicht für Klamotten aus, sondern hinter dem einfach gekleideten Mann versteckt sich ein geübter Technologe und ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Er hat Firmen wie AOL und Amazon gegründet und sehr erfolgreich verkauft. Jetzt Zur Zeit setzt er seine Energie dafür ein, ein gemeinnütziges digitales Archiv mit freien Inhalten aufzubauen, seien es Bücher, Filme, konzerte usw. – ganz ähnlich der legendären Bibliothek von Alexandria. Dies bringt ihn in Konflikt mit dem Giganten Google, der ein ähnliches, aber doch eher kommerziell ausgelegtes Ziel verfolgt.
Kahle graduierte 1982 am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort studierte er mit dem artificial-intelligence guru Marvin Minsky. Er trat einer Gruppe von MIT Alumni bei, welche die Firma Thinking Machines gründete, die Parallele Supercomputer herstellten. Dort arbeitete er mit Größen wie Richard Feynman (Nobelpreis-Gewinner), Dr. Minsky and Daniel Hillis zusammen.
1989 gründete er seine eigene Firma WAIS Inc und baute dort auf die Suchtechnologie auf, die bei Thinking Machines entwickelt worden war. Zu seinen Kunden zählte das Wall Street Journal, welche die erste News-Site aus Subskriptionsbasis war oder die Zeitschriftenfirma CMP, die ein Pionier der Online-Werbung war. Da Kahle die Bedeutung von Bezahlsystem, Online-Privacy und Nutzer-Ratings begriffen hatte, lag er fast ein ganzes Jahrzehnt vor seinen Mitbewerbern. 1955 wurde seine Firma für wohl 15 Millionen Dollar von AOL erworben.
1996 liefen schon fast ein Dutzend Patente auf den Namen Kahle. In dem Jahr wendete er sich seinem nächsten Projekt zu, dem gemeinnützigen Internet Archive. Außerdem gründete er zusammen mit einem ehemaligen Kollegen eine neue Firma namens Alexa. Diese Firma verfolgt und analysiert die Wege, denen Menschen folgen, wenn sie sich im Web bewegen, um ihnen behilflich sein zu können, ähnliche Informationen zu finden. Alexa wurde 1999 von Amazon für geschätzte 250 Millionen Dollar erworben. Kahle arbeitete dort noch bis 2002, bevor er sich ganz dem Internet Archive widmete.
Der bekannteste Teil des Archivs ist die Wayback Machine. Auf diesem „Online-Dachboden digitaler Erinnerungen“ werden Kopien von Internetseiten aufgehoben, so dass man schauen kann, wie eine Website vor einigen Jahren ausgesehen hat. Man könnte auch sagen, das Archive ist das Museum des Internets. Das Internet heute ist für viele das erste Medium der Wahl für kulturelle Erzeugnisse und die Wayback Machine ermöglicht einen Zugang dazu zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Und es gibt an der Stelle mehr als nur wissenschaftliches Interesse, was mehr als 500 Zugriffe pro Sekunde bestätigen.
Zusätzlich zum Archiv von Webseiten gibt es eine Audiobibliothek mit mehr als 300.000 MP3-Dateien, ein Filmarchiv mit mehr als 150.000 Filmen und Videos und ein Livemusikarchiv mit Aufnahmen von mehr als 60.000 Konzerten. All diese Sammlungen sind kostenlos zugänglich.
Das ist ein guter Schritt in Richtung Ziel von Herrn Kahle, der die weltgrößte digitale Bibliothek aufbauen möchte. Dazu hat er auch welltweit 135 Bibliotheken für die openlibrary.org gewonnen. Ziel dieses Projektes ist es, einen Katalog zu jedem jemals erschienenen Buch zu schaffen und da, wo es möglich ist, zum Volltext zu verlinken. Um das zu erreichen, digitalisiert das Internet Archive in Zusammenharbeit für seine Bibliothekspartner täglich mehr als 1000 Bücher. Dafür zahlen die Bibliothek über 30 Dollar. Die digitalisierten Kopien dürfen dabei von beiden Parteien genutzt.
Über 200 Menschen arbeiten für das Internet Archive, welches ein jährliches Budget von 10 – 14 Millionen Dollar benötigt. Anfangs hat Herr Kahle dieses Geld gespendet, doch inzwischen kommen mehr und mehr Spenden von Stiftungen und Bibliotheken, die dafür bezahlen, dass ihre Bücher digitalisiert werden.
It also runs a variety of one-off projects, such as a collaboration with America’s space agency, NASA, to make available photos and films relating to the history of the space programme, and a “print on demand” system to turn digital files into physical books in minutes.
Herr Kahle wirkt mit seinem Stil unbekümmert und lässig, aber der 48-jährige steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden und weiß sich auch gegen starke Gegner zu wehren.
“Come back when you have a warrant,” reads the floor mat underneath his office recliner. It was a gift from the Electronic Frontier Foundation (an activist group on whose board Mr Kahle sits) after Mr Kahle refused to hand over information about one of the Internet Archive’s users to the Federal Bureau of Investigation in 2007.
Dieser Aktivist für Online Privacy ist auch ein überzeugter Befürworter der Offenheit. Er bestand auf einer extra für das Internet Archive entwickelten Open-Source-Suchmaschine (Scribe). Auch die „PetaBox“, die eine Million Gigabyte Daten speichern kann, ist auf Open-Source-Basis entwickelt worden.
“Everything Brewster does is open. He personifies openness,” says John Seely Brown, who sits on Amazon’s board of directors and was previously the chief scientist at Xerox, and the director of its Palo Alto Research Centre. Being open “is the right way to have a thriving industry,” says Mr Kahle. “I have been much more successful when letting people know what I want to do. I get much more help that way.”
Dieser große Enthusiasmus Kahles für eine solche Offenheit enhält implizit auch eine Kritik an dem viel größeren Buchdigitalisierungsprojekt von Google. Auch die Googlegründer haben ein ähnliches Ziel wie Herr Kahle, auch sie wollen das Wissen der Welt organisieren und es allen zugänglich und nutzbar zu machen. Da das meiste Wissen immer noch in Büchern enthalten ist, scannt man sie.
Während für das Internet Archive den Focus auf gemeinfreie Werke legt, um sie im Volltext zugänglich zu machen, so scannt Google mehr als 7 Millionen neuere Werke, von denen die meisten noch urheberrechtlich geschützt sind. Diese werden in kleinen Auszügen zugänglich gemacht.
Auch wenn Google bisher behauptete, man würde nicht das ganze Werk zugänglich machen und damit weder eine Copyrightverletzung begehen noch die Erlaubnis der Verlegerbenötigen, zwangen die Verleger den Suchmaschinengiganten zu einer Vereinbarung Oktober 2008. Eine endgültige gerichtliche Entscheidung wird Juni dieses Jahres erwartet.
Under the terms of the settlement, Google will put copyrighted works online only with the permission of publishers, who can also decide whether to make a preview available or not. Google will also be allowed to sell access to entire books online, sharing the proceeds with publishers. It has, in other words, struck a deal that will allow it to go on scanning books and make money providing access to them online.
Die Herangehensweise von Herrn Kahle, die Anzahl der verfügbaren Bücher zu erweitern, ist anders. Wenig erfoglreich verklagte er die die amerikanische Regierung (Kahle vs. Gonzales), übermäßig restriktive Copyyrightregelungen rückgängig zu machen. Eine Verkürzung des Schutzzeitraumes hätte die Zahl der gemeinfreien Werke dramatisch gesteigert und die Zahl der digitalisierbaren und damit frei zugänglichen Online-Werke erheblich erhöht. Davon hätte jeder profitiert.
Googles rechtliche Einigung hat eine Kontroverse verursacht. Die Einigung bedeutet, dass Google jetzt die einzige große Firma ist, die eine bedeutende digitale Sammlung copyrightgeschützter Bücher ist. Einige Bibliothekare befürchten, dass dies der Internetfirma riesige Macht gibt. Nicht umsonst heißt es „Wissen ist Macht“ und nicht umsonst wird viel Geld für Informationen bezahlt.
“This is a more powerful monopoly than we’ve ever seen for access to 20th-century material,” says Ms Moore of the University of Toronto. “We do not have a good track record in negotiating good prices with monopolies.” Similar concerns led Harvard University to reduce its participation in Google’s project.
Die Meinung ist nicht eindeutig. Andere Bibliothekare begrüßen das Google Settlement als einen guten Kompromiss, aber nichts ist perfekt und betrifft nicht die Kritikpunkte, die Herr Kahle und andere Internetanbieter am Copyright-Gesetz äußerten. Herr Kahle möchte alles frei haben. Darin wird er auch von Bibliothekaren unterstützt, aber Bibliotheken müssen große Abstriche machen bei dem was sie sammeln und archivieren und dem, was sie zugänglich machen können.
Obwohl beide Projekte sehr verschiedene Ansätze wählen – eines einen idealistischen, das andere einen pragmatischen – kann es sein, dass sich beide eigentlich gut ergänzen. Bibliotheken können mit beiden Projekten zusammen arbeiten. Und falls die Dinge bei Google schief laufen, können Bibliotheken immer noch woanders hingehen. Wenn die Preise bei Google zu hoch werden, können und werden sich andere Mitspieler finden, die die Werke erneut scannen. Es gibt noch genug Originalquellen. Auch den Nutzern ist es freigetellt, ihren Service zu wählen, um Zugang zu erhalten, wie das bei den gemeinfreien Büchern nachvollziehbar ist.
It may be that a lack of library funds, rather than Google, poses the biggest short-term threat to Mr Kahle’s dream. Google covers the cost of scanning libraries’ books. But to get into Mr Kahle’s archive, libraries must either do their own scanning or pay the archive to do it. And, like everyone else, libraries are feeling the financial squeeze at the moment.
Herr Kahle ist sehr vorausschauend. Universeller Online-Zugang zu allem Wissen ist ein Ziel, dass wohl während unser Lebensdauer nicht erreicht wird, aber wenn man ein solches weitentferntes Ziel wählt, kann man viele Leute darauf einschwören. Kahle will kein Imperium aufbauen, seine Idee ist es, die Zukunft zu schaffen.
Quelle:
The internet’s librarian :engl: in The Economist, 05.03.2009
Aufmerksam geworden über:
Robes, Jochen: The internet’s librarian :engl: bei Weiterbildungsblog
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