Bücher gegen Rassismus für Kinder und Jugendliche

Die Stiftung Lesen stellte vor wenigen Tagen eine Liste für Bücher gegen Rassismus ins Netz. Dabei handelt es sich in aller erster Linie um Bücher für Kinder und Jugendliche. Frau Prof. Wiesenmüller von der HdM Stuttgart wies am 17. Juli auf Twitter völlig zurecht darauf hin, dass die Kritik des Mitherausgebers der FAZ, Herrn Jörg Kaube, völlig wirr und und abgehoben ist:

“Ausgrenzung, Diskriminierung und Intoleranz – das kennen mitunter (leider) schon die Jüngsten. Bereits ab dem Kita-Alter und später auch in der Schule machen Kinder und Jugendliche Erfahrungen mit Rassismus, weil sie aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Sprache ausgegrenzt und abgelehnt werden. Bücher können helfen, diese Probleme bewusst zu machen. Sie können uns miteinander ins Gespräch bringen, für das Thema sensibilisieren und bei der Suche nach Lösungsansätzen unterstützen. […] Die Möglichkeiten, die Bücher zur Auseinandersetzung mit Rassismus bieten, sind ebenso vielschichtig wie das Thema selbst. Mit unseren Empfehlungen möchten wir Erzieherinnen und Erzieher, Eltern und Lehrkräfte bei der Auswahl von Geschichten unterstützen. Christine Kranz

Der Liste würde ich noch folgende Bücher hinzufügen, die ebenso Rassismus thematisieren. Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind ebenso Teil von Rassismus. Diese drei Bücher kenne ich aus der Kindheit und Jugend eigener Familienmitglieder:

1.) Papa, was ist ein Fremder? (Gespräche mit meiner Tochter) von Tahar Ben Jelloun. Rowohlt Taschenbuch. ISBN: 978-3499211454. 112 Seiten

2.) Mama, was ist Auschwitz? von Annette Wieviorka. List Taschenbuch. ISBN: 978-3548600888. 92 Seiten

3.) Als Hitler das rosa Kaninchen stahl von Judith Kerr. Ravensburger Verlag GmbH. ISBN: 978-3473584291. 576 Seiten

Natürlich gibt es noch weitere Bücher, mir scheint aber, dass in Frankreich, Großbritannien und den USA mehr Literatur zu diesem Thema für diese Zielgruppe existiert. Die drei Beispiele von mir machen es deutlich, da die drei Autor*innen aus den eben genannten Ländern kommen. Warum ist das so? Falls meine Vermutung richtig ist, dann scheint das zumindest in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur noch wenig thematisiert worden zu sein, vor allem im Hinblick auf Rassismus gegen Schwarze, Geflüchtete und aus Asien stammende Menschen. Ein Blick in die Leseliste der Stiftung Lesen genügt und es wird deutlich, dass von den acht Lesetipps, die auch Bücher für Jugendliche ab 14 Jahren enthalten, die Hälfte aus Übersetzungen englischsprachiger Werke besteht. Auch die Autorin des ersten Werkes, Lisbeth Kaiser, ist eine US-Amerikanerin. Die Thematik Rassismus, wie sie etwa Hans-Jürgen Massaquoi oder Theodor Michael Wonja erlebten, taucht in der Leseliste nicht auf. Gibt es zu wenig Kinder- und Jugendbücher von und über Afrodeutsche oder Afroösterreicher*innen und Afroschweizer*innen? Zumindest vermitteln das die Empfehlungen der Stiftung Lesen. Die beiden genannten afrodeutschen Autoren schrieben ja eher Autobiographien für Erwachsene.

Hätte die Literaturliste der Stiftung Lesen anders, diverser und vielfältiger ausgesehen, wenn interkulturelle Bibliothekar*innen, Community-Bibliotheken wie zum Beispiel die von Each one – Teach One e.V. und Audream aus Berlin mit einbezogen worden wären? Ich bin schon dieser Meinung und dass auch Bibliotheken, aber auch die Stiftung Lesung sich Beratung und Recherche leisten sollten, wenn es um bestimmte Thematiken geht. Die Liste der Stiftung Lesen erzählt viel zu wenig Geschichten über Rassismus in Deutschland. Entweder ist das eine Leerstelle im Bezug auf Kinder- und Jugendliteratur oder man hat explizit eher Bestseller/Klassiker ausgesucht, die zur Hälfte aus dem Ausland stammen und sich dort gut verkauften. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn die Stiftung Lesen Ihre Liste mit Empfehlungen überarbeitet und zum Beispiel mehr Schwarze Autor*innen aus dem deutschsprachigen Raum fördert und solche, die andere Geschichten über Rassismus erzählen und über Rassismus aus eigener Erfahrung aufgrund deren biographischer Herkünfte schreiben.

Im Blogeintrag “Bücher und Leselisten gegen Rassismus?” vom 13.06.2020, den ich mit einem Fragezeichen versah, war ich zu Beginn des Artikels noch der Auffassung, dass die Wirkung von Leselisten, die durch Bibliotheken oder andere Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, eher wenig Wirkung erzielen wird. Am Ende sah ich dies etwas nüchterner und kam zu dem Entschluss, dass es zumindest einen Versuch wert ist. Dabei bezog ich mich nur auf Erwachsene. Deshalb werde ich demnächst versuchen eine eigene Leseliste für Erwachsene zu erstellen, welche mehr Sachbücher enthält.

Book Power (1969) von Gwendolyn Brooks

Gwendolyn Brooks (1917-2000) schrieb dieses Gedicht anlässlich der National Children’s Book Week im Jahre 1969. Sie und zwei andere zählen zu den einzigen drei afro-amerikanischen Schriftsteller*innen, die je den Pulitzer Preis gewinnen konnten:

BOOK POWER
by Gwendolyn Brooks

BOOKS FEED AND CURE AND
CHORTLE AND COLLIDE

In all this willful world
of thud and thump and thunder
man’s relevance to books
continues to declare.

Books are meat and medicine
and flame and flight and flower,
steel, stitch, and cloud and clout,
and drumbeats in the air.

Bibliotheken gegen Rassismus (Teil 2)

Irene Blanco verfasste am 8. Juni auf biblogtecarios ihre Beobachtungen, Meinungen und Erkenntnisse über den Kampf gegen Rassismus in der US-amerikanischen Bibliothekswelt. Die Überschrift lautete “Libraries Against Racism – #BibliotecasAntirracistas”. Sie begann zunächst damit auf ihren Blogbeitrag aus dem vergangenen Jahr auf Infobibliotecas hinzuweisen. Darin erzählte sie die Geschichte zweier  schwarzer Bibliothekar*innen aus New York City, Regina Andrews und Jean Blackwell Hutson, Menschenrechtsaktivisten, Intellektuelle und Pioniere. Diese Geschichten wurden in Form einer Ausstellung am Schomburg Center for Research in Black Culture vermittelt, was auch zur NYPL gehört. Blanco bringt zum Ausdruck, dass diese Geschichten (“Black Power en Bibliotecas) einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, da diese Realitäten nun wiederkehren und nach wie vor andauern, das jetzt sogar inmitten einer weltweiten Pandemie.

Es wird deutlich, wie Rassismus das Leben so vieler Menschen beeinflusst. Blanco zeigte sich schockiert und überwältigt von diesen Tagen der Proteste nach dem brutalen rassistischen Mord an George Floyd, der diesmal als Videoaufzeichnung um die Welt ging. Dabei verwies sie auch auf den 40-jährigen Professor der Universität von Maryland, Rashawn Ray, dessen Geschichte in der Presse thematisiert wurde. Er wurde öfter von der Polizei verhaftet, als er seinen Geburtstag feierte: „Ich wurde während der Fahrt angehalten, ich saß im Park, ich ging mit Bus oder Bahn, ich ging, rannte, studierte, aß oder war in Bars. Ich wurde beleidigt, gegen die Wand geworfen und von der Polizei festgenommen. ”

Viele Medien berichteten über den Rassismus, gegen den nicht nur demonstriert wird und wurde, sondern wie es die New York Times ausdrückte “People Are Marching Against Racism. They’re Also Reading About It”. In einem gesonderten Blogbeitrag soll auf das Thema #BüchergegenRassismus und Leselisten diesbezüglich eingegangen werden.

Wie Rassismus in oder durch Bibliotheken bekämpft werden kann, wurde gestern in Teil 1 des Blogbeitrags schon versucht zu erläutern. Auch wenn hierzulande die Bibliotheksleitung das Hausrecht hat und in Rücksprache mit ihr die Security-Mitarbeiter*innen agieren dürfen, gibt es trotzdem Kooperationen mit ihnen und/oder der Polizei, die ggfs. wohlüberlegt werden könnten und Kooperationen mit Sozialarbeiter*innen/Streetworker*innen würden vermutlich manche Situationen schneller deeskalieren lassen.

In diesem Jahr fand in den USA die Konferenz der Public Library Association (PLA) in Nashville statt. Soledad O’Brien sagte auf dem PLA2020-Treffen in Nashville sagte: “Bibliotheken sind im Feld der sozialen Gerechtigkeit tätig.”

Der Generaldirektor der New York Public Library, Anthony Marx, drückte  den Bibliotheksnutzer*innen seinen Schmerz über die Brutalität der Polizei und die Bereitschaft der Bibliothek aus, weiter gegen Unwissenheit zu kämpfen und will den New Yorker*innen Handlungshilfen zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen.“ Vom Schomburg Center for Research in Black Culture, einer Abteilung der NYPL, wurde eine Leseliste “Black Liberation Reading List” erstellt:

Schomburg Center Black Liberation Reading List

Blanco verweist ferner auf zahlreiche Bibliotheken in den USA, die sich mit dem Hashtag #BlackLivesMatter dieser Bewegung nun angeschlossen haben und solidarisch erklär(t)en. Auch durch diese Einrichtungen werden Leseempfehlungen weitergegeben, die interessant sind. Sie plädiert dafür, dass Bibliotheken über das Thema Leseempfehlungen hinausgehen sollten und überprüfen sollten, wie Bibliotheken ihre Dienstleistungen anbieten, damit sichergestellt ist, dass Bibliotheken auch wirklich inklusiv sind. Die Bloggerin Irene Blanco kommt in diesem Zusammenhang auf das IFLA /UNESCO-Manifest zu sprechen. Insbesondere betont die sie die Förderung des interkulturellen Dialogs und der kulturellen Vielfalt, wovon im Manifest die Rede ist.

Als nächstes wird auf das Statement von Tracie D. Hall, der geschäftsführenden Vorsitzenden der American Library Association eingegangen, das ich an dieser Stelle übersetzen bzw. in englischer Sprache zitieren werde. Blanco übersetzte es für ihre Community auf Spanisch:

 

“After an earth-shifting week that has brought into stark relief the experiences of racism and racial violence that many of us and our communities navigate every day as people of color, it is even more clear that the work of dismantling racism is overdue. It is overdue in our society, in library and information services, and at the American Library Association (ALA), which exists to ensure that libraries, learning, and information access are available to all.” […] All das sollte über reine Hashtags und Statements, sowie Komitees hinausgehen. Deshalb ist es dringend geboten sich in seiner eigenen Einrichtung und Community dem Thema Rassismus zu stellen. Die eigene Einrichtung sollte systematisch diese Thematik innerhalb der Mitarbeiterschaft hinterfragen. Ferner fordert Hall für ihren Verband: ”

At ALA that means our internal operations and decision making, as well as our external structure and engagement with membership, must bear out the goal of true racial equity and inclusion. To that end, I invited several ALA staffers and member leaders to reflect on this moment.”

Zu glauben, dass dies nur die USA betrifft, schlussfolgert Blanco richtig, ist zu kurz gedacht. Dieses Thematik betrifft in der heutigen globalisierten Welt eigentlich jedes Land und auch jeden Bibliotheksverband. Es existieren überall Ungleichheiten und Diskriminierungen, auch auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt. Irene Blanco kommt dann auf ihre eigene Community und deren Erfahrungen zu sprechen. Bezogen auf Deutschland, kann man mit Sicherheit von einem strukturellen und institutionalisierten Rassismus sprechen. Der Anti-Diskriminierungsausschuss des Europarates machte Deutschland im März diesen Jahres darauf aufmerksam Maßnahmen gegen Rassismus einzuleiten, nicht nur bei der Polizei, aber vor allem in Institutionen. Dazu zählen mit Sicherheit auch der öffentliche Dienst, worunter ein Großteil der Bibliotheken in Deutschland zuzurechnen ist. Wer von uns Bibliothekar*innen hat etwas dazu im Studium oder der Ausbildung vermittelt bekommen? Ich würde mich sehr wundern, wen sich das plötzlich geändert hat. Der Europarat forderte nämlich:

“Man muss mit verpflichtenden Kursen gegen Rassismus und Diskriminierung an die Unis gehen, von wo die meisten Mitarbeiter von Ministerien und Behörden kommen”

In jeder Gesellschaftsschicht ist dieser zu finden. Mit Recht stellt Blanco fest, dass sich der Rassismus natürlich auch an öffentlichen Orten (respektive Bibliotheken) widerspiegelt. Daraus schlussfolgert sie, dass “WIR” als Bibliothekar*innen, Leser*innen und Deutsche (ersetzt durch Spanier*innen) unsere Vorurteile infrage stellen müssen. Als nächstes wirft sie folgende Frage auf: “Wie viele Bücher von rassistischen Menschen haben wir gelesen? Sind es mehr als zwei oder drei? Sie kommt auf die Journalistin und Schriftsstellerin Lucía Asué Mbomio zu sprechen, die eine Leseliste schwarzer Autor*innen erstellt, die hauptsächlich aus Spanien und Äquatorialguinea stammen, erstellte. Diese Liste kann unter folgendem Link abgerufen werden. Für den deutschsprachigen Raum wird versucht werden durch den Autor in einem der nächsten Blogbeiträge eine ähnliche Liste deutschsprachiger Übersetzungen und Originale zu erstellen. Um Ergänzung wird gebeten.

Zum Schluss macht Blanco darauf aufmerksam, dass es sich bei Rassismus um keine Meinung handelt. Es geht um Menschenrechte, Inklusion und um öffentliche Verantwortung keine Benutzer*innen der Bibliothek auszuschließen.
Sie fragt:
“Wie wird dies in der Realität umgesetzt? Hören wir rassistischen Nutzer*innen zu? Finden sich Referenzen zu Rassismus in unseren Sammlungen? Welche Bedürfnisse haben sie? Welche Beziehung haben wir zu den verschiedenen Gemeinschaften? Haben wir Ressourcen, um uns zu schulen? Wie werden sie empfangen, wenn sie die Bibliothek betreten? Kommen sie zu unseren Aktivitäten? Gibt es eine übersetzte Beschilderung?
Gibt es rassistisches Personal?”
Ich, der Diplom-Bibliothekar bin, zahlreiche Fort- und Weiterbildungen in Deutschland, aber auch in Frankreich besuchte (Gaststudent in Saint Cloud, ParisX) und Bibliotheksfachzeitschriften im deutschsprachigen Raum kennt und liest, auch Konferenzen besucht(e), glaubt, dass viele der von Blanco gestellten Fragen weder ausreichend von den deutschsprachigen Bibliotheksverbänden, noch von den Ausbildungseinrichtungen thematisiert werden, aber noch viel weniger von Bibliotheks- und Informationseinrichtungen innerhalb des Personals ausreichend besprochen und bearbeitet werden.  Das sollte sich doch endlich ändern und Gehör finden, auch wenn Schwarze hierzulande zwar auch durch Polizisten grausam schon zu Tode kamen, aber das Ausmaß und die historischen Hintergründe in den USA anders gelagert sind. Es ist kein Grund die Diskussion versanden zu lassen, indem einfach gesagt wird, wir hätten ja eine andere Situation, eine andere Geschichte oder einen andere strukturellen Rassismus in Deutschland.
Irene Blanco lädt alle Bibliothekar*innen ein, an Aktionen teilzunehmen bzw. selbst welche zu initiieren und Kommentare in ihrem Blog zu hinterlassen.
Bangel stellt in der Zeit vom 5. Juni folgende Fragen und kommt am Ende seines Artikels “Rassismus in Deutschland: Folgenlose Anteilnahme” zu einem nüchternen Fazit”:
“Wie viel Zeit brauchen wir noch – wir, die weißen Deutschen? Wie viel Zeit wird noch vergehen, bis der Rassismus in Deutschland auf allen Ebenen bekämpft wird, wie ein tödlicher Virus, der er ja auch ist? Darüber zu diskutieren, wann es vorbei sein wird, und nicht, ob das Problem überhaupt existiert – das wäre eine deutsche Rassismusdebatte. Eine, die diesen Namen verdient.”

 

Eine Zweigbibliothek für Wohnungslose während der COVID-19 Pandemie

Christian Schmidt machte im vergangenen Jahr mit seiner deutschsprachigen Veröffentlichung “Obdachlose Menschen als Bibliotheksbesucher: Aktuelle Herausforderungen im Spiegel der Agenda 2030 der Vereinten Nationen” deutlich, weshalb Bibliotheken für Wohnungslose bzw. “Obdachlose” essenziell sind.

Während der Ausgangsbeschränkungen bzw. -sperren aufgrund COVID-19 Pandemie waren alle Bibliotheken geschlossen. Alle Bibliotheken?

Nein, Ryan Dowd (Buchauter von “The Librarian’s Guide to Homelessness“), hat dank der Initiative von Bibliothekar*innen der Aurora Public Library erreicht, dass in seiner Notunterkunft eine Zweigstelle eröffnet wurde. Um den Menschen während des Tages eine Beschäftigung zu geben, werden in der Notunterkunft Filme gezeigt. Im folgenden Video sind Mitarbeiterinnen der Aurora Public Library zu sehen, die Medienspenden vorbeibringen und den Bewohner*innen Freude bereiten. Danke Aurora Public Library! 🙂

Es ist wie eine Zweigbibliothek geworden, auch wenn es in Zeiten von Corona keinen Lesesaal oder Ähnliches in der Notunterkunft gibt.

Gibt es hierzulande ebenso Bibliotheken oder ehrenamtliche Initiativen, die während der Ausgangsbeschränkungen obdachlose Menschen mit Literatur und anderen Medien versorgten?

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Bibliotheken gegen Rassismus (Teil 1)

Durch Zufall stieß ich am Dienstag auf Twitter auf den BiblogTecarios und die Bloggerin Irene Blanco, welche den spanischen Hashtag #BibliotecasAntirracistas verwendete. Sie gibt den spanischsprachigen Leser*innen einen Gesamtüberblick über die Situation in den USA, die nach dem Mord an George Floyd eine große Bewegung auslöste.

Im zweiten Blogbeitrag zum selben Thema, der morgen erscheint, wird versucht einen Teil des durchaus sehr gelungenen Beitrags von Blanco auf Deutsch zu übersetzen. Zahlreiche Bibliotheken und deren Verbände, sowie Mitarbeiter*innen in den USA  solidarisieren sich aktuell mit den Opfern von Rassismus, indem Statements gegen Rassismus und Polizeiwillkür abgeben. So arbeitet die Bibliothek des Davidson College an einer Handreichung im Umgang mit Rassismus. Das ist nur eines von sehr vielen Beispielen:

Auch die IFLA solidarisiert sich mit der nun weltweit entstandenen Bewegung:

Das Library Freedom Projekt ist der Auffassung, dass es nicht ausreicht “Black Lives Matter” zu sagen/zu posten oder allgemein nur als Position zu vertreten. Die Initiatoren des Projekts gehen einen Schritt weiter, der nach den zahlreichen Ereignissen um die Gewalt gegen People of Color verständlich und nachvollziehbar ist:

“The current global uprisings for Black Lives have made it clear that police power is enormous, deadly, and unaccountable. […] Now is the time for libraries to divest from police. Police and their surveillance technologies do not belong in libraries, and they inhibit our ability to promote our values of intellectual freedom, privacy, and access.”

Das Projekt ruft dazu auf, dass Bibliothekar*innen die Macht der Polizei im öffentlichen Bibliotheken beschneiden, um Minderheiten zu unterstützen und die ethischen Werte der Profession zu verteidigen. Begründet wird dieser Aufruf wie folgt:

“Black, Indigenous, and POC librarians have repeatedly expressed how police presence in libraries threaten their safety and that of their communities.”

Die durch Polizeikräfte verursachte Eskalation und Brutalität geschah schon des Öfteren in Bibliotheksgebäuden. Statt eigene Deeskalationsstrategien zu fahren und alternative Wege zu gehen, wurde riskiert, dass Polizeigewalt insbesondere gegen schwache und verwundbare Menschen stattfindet. Darüber hinaus besteht die Profession Bibliothekar*in in überwältigender Mehrheit aus weißen Frauen, die aus historischer Sicht heraus eine beispiellose Beihilfe/Mitschuld an der Gewalt gegen Schwarzen geleistet haben.

Es werden zahlreiche Vorschläge gemacht, wie die Zusammenarbeit mit der Polizei vermieden werden kann:

  • Untersuchen Sie wie die Polizei in ihrer Bibliothek Macht ausübt?
  • Sind diese im Gebäude? Teilen Sie Aufnahmen aus der Überwachungskamera mit der Polizei?
  • Wird die private Sicherheit des Bibliotheksgebäudes durch die Polizei garantiert? Tragen private Sicherheitsmitarbeiter*innen Waffen mit sich?
  • Inwiefern findet eine Kommunikation oder Kooperation von Polizist*innen/Sicherheitsmitarbeiter*innen und dem Bibliothekspersonal statt? Treffen diese gar Entscheidungen alleine ohne Rücksprache zu halten?  […]
  • Vom Bibliotheksetat könnten anstatt Polizeipersonal, Investionen getätigt werden, um Sozialarbeiter*innen zu engagieren oder eine größere Kooperation innerhalb der Netzwerke der Community erreicht werden.

Die auf der Webseite genannten Vorschläge sind sehr ausführlich. Im Grunde genommen geht es darum eigene Ressourcen zu verwenden, das Personal weiterzubilden, wie z.B, durch Deeskalationstrainings. Es sollte keinesfalls zu einer Kriminalisierung von Jugendlichen kommen, die im Teenageralter einem Gruppenzwang ausgesetzt sind. Ferner soll davon abgesehen werden Überwachungstechnologien (z.B. CCTV) genutzt zu werden. Als Zeichen der Verpflichtung zu diesen Hinweisen und Vereinbarungen sollte jede Bibliothek eine Email an die Organisation Library Freedom Project senden. Auf der Webseite befinden sich weiterführende Links und Lesehinweise zum Thema.

Der US-Amerikanische Soziologe Alex Vitale, ein Polizeiforscher und Autor des Buches “The end of policing” kritisiert die Militarisierung der Polizei in seinem Land und auch die damit einhergehenden Erwartungen:

“Wir haben die Polizei damit beauftragt, die sozialen Probleme zu lösen, Massenobdachlosigkeit, die Verbreitung von psychischen Krankheiten, den Drogenschwarzmarkt und so weiter, was den Zweck hatte, sich nicht mit den zugrunde liegenden Strukturen dieser Probleme zu beschäftigen. So ist die Polizei in immer mehr Bereiche unseres Lebens vorgedrungen.”

Hierzulande hat sich in den letzten Jahren, nicht erst seit dem PAG (Polizeiaufgabengesetz)  in Bayern die Tendenz gezeigt, dass die Polizei bzw. deren Mitarbeiter*innen immer mehr ähnliche Rollen einnimmt. Im Gespräch mit einem Bekannten aus der Jugendzeit, der heute bei der Polizei tätig ist, hörte ich die Klage heraus nicht für alles “Elend” zuständig zu sein und nicht die Rolle des Sozialarbeiters spielen zu wollen.

Sind also private Sicherheitsdienste die “bessere” Alternative? Ich glaube diese Frage lässt sich nicht pauschal mit ja oder nein beantworten.

Wie sollten sich Bibliotheken verhalten, wenn es Ereignisse von einer solchen Tragweite gibt, die mittlerweile eine weltweite Bewegung ausgelöst haben?

Gibt es hierzulande Bibliotheken, die mehr mit der Polizei zusammenarbeiten anstatt selbst zu deeskalieren und eigene Lösungswege zu gehen? Inwiefern gibt es eine Offenheit von Seiten des Bibliothekspersonals jedweder Einrichtung Vorgehensweisen und Strategien zu hinterfragen?

 

[Adventskalender] 02.12.2019 – Egon Erwin Kisch

Egon Erwin Kisch (29. April 1885 in Prag; gestorben 31. März 1948) wurde 2019 gemeinfrei.

TAGEBUCHAUFZEICHNUNGEN WEIHNACHTEN 1939

Egon Erwin Kisch, 1931 via Wikimedia Commons

Samstag, den 23. Dezember 1939. – Bin wieder Gefangener auf dem Schiff. Meine Kabine ist abgesperrt. Durchs festgeschraubte Bullauge sehe ich die Neue Welt, der ich vierzehn Tage, Kriegstage lang auf der “Pennland”, Holland-Am.-Line, entgegenfuhr, langsam durch Minenfelder, rasch einem gesunkenen torpedierten Griechenkargo “Germaine” zu Hilfe, und schaukelnd in einer besonders stürmischen See. Das ärgste war die Kontrolle durch die englischen Behörden in Southampton, die freilich nur mich betraf. Sie verpatzten mir den Paß durch ein ostentatives Landungsverbot, obwohl ich weder landen wollte noch konnte, und erhöhten die Wahrscheinlichkeit dessen, was bisher nur leichte Möglichkeit war: Landungsverbot in Amerika. Dennoch ließ ich mir’s gut gehn, “verlobte” mich mit der Bochumerin Hilde Markus und spielte mit Kindern. Daß mein Koffer aus unerfindlichen Gründen nicht an Bord gekommen war, focht mich wenig an. Erst heute, als die Freiheitsstatue und die Felsenlandschaft der Wolkenkratzer an uns vorüberschwamm, meldete sich die Krankheit wieder, die ich vor jeder Grenze zu überstehen habe: die Grenzenkrankheit. Mit dem Pilotenschiff kamen die Reporter und Leonard Mins namens der Guild of American Writers. Der Immigration Officer sagte, mein Paß sei nicht in Ordnung, denn ein chilenisches Visum aus Paris genüge nicht für ein Durchreisevisum nach Amerika, obwohl es dem Amer. Generalkons. in Paris genügt hatte. Ich müsse eines vom chilenischen Konsulat in N. York haben. Während er mit mir sprach, zeigte ihm ein Beamter einen Zettel, ohne Zweifel etwas über mich. “Ich weiß”, sagte er. Ich muß also aufs “Island” -.Euphemismus für EIlis Island, die Insel der Tränen. Aber die EIlis Island ist komplett, die Mannschaft des deutschen Passagierdampfers “Columbus”, der sich vor drei Tagen in die Luft sprengte, ist dort untergebracht, 1000 Mann. Deshalb müssen wir auf der “Pennland” bleiben, aber das ist die “Pennland” nicht mehr. Bis jetzt waren Sie unsere Gäste, jetzt sind Sie unsere Gefangenen – sagte ein Steward, und sie ließen es uns fühlen. Außer mir sind ihrer acht Personen da, und sie haben gebeten, morgen soll kein Fleisch serviert werden. Die Mehrheit deshalb, weil morgen Assarah Betewet ist, ein jüdischer Festtag, die verschwindende Minderheit, weil morgen Weihnachtstag ist. Aus der versperrten Kabine sehen wir die Hoboken Docks der Holland-America und der Gdynia-Am.-Line, 6 street, ferner rechts die Skyscrapers. Zeitungen haben wir bekommen, Weihnachtsnummer optimistischen Inhalts, auch daß ich gestern gelandet bin, steht darin. Brief von Weiskopf, Paket von Joris Ivens, Grete und F. F. c., Telegramme von Klaus und Erika Mann aus Princeton.

Weihnachten und Sonntag, 24. 12. 1939. Nachts in der versperrten Koje, tags in der Lounge, Langeweile und Sorge. Draußen denken Freunde an mich, aber dürfen mich nicht besuchen. Hanns Eisler und Reni telegrafieren, sie erwarteten mich mit Ungeduld. Was ist das aber gegen die meine, [die hoffnungslos ist.] – Abends gibt der Purser eine Runde Bier aus für uns, my turn ist Trude Klare.
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Bibliotheken und bezahlbarer Wohnraum am Beispiel der Stadt Chicago

“Healthy neighborhoods are not simply collections of houses. They also require things like decent transit, parks, stores, playgrounds and libraries.” Rahm Emanuel (Ehemaliger Bürgermeister von Chicago)

Das Schlagwort in Chicago lautet Co-location. Damit ist die Kombination der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und öffentlichen Bibliothekszweigstellen meist im selben Gebäude mit getrennten Eingängen gemeint. Die Idee ist nicht erst in Chicago entstanden. Doch der Artikel in der New York Times im Mai diesen Jahres brachte dieses Thema erneut auf die Agenda. Bereits im Jahr 2017 gab es darüber einen Artikel in der Zeitschrift American Libraries mit dem Titel “Bringing the Library Home” .

Zudem bin ich der festen Überzeugung, dass diese Konzepte in ähnlicher Form schon länger in Frankreich umgesetzt werden. Es handelt sich eher um die Wiederentdeckung bzw. der Übertragung dieser Idee aus Frankreich auf Großstadtbibliotheken in den USA. Wobei das Design in den Sozialsiedlungen Frankreichs, die Bibliotheken beherbergen, damals sicherlich modern war und heute einer Revision bedarf. Ob es sich nun um die Médiathèque Hélène Oudoux (inmitten einer Sozialsiedlung mit hohen Wohngebäuden) in Massy oder auch in anderen Teilen Frankreichs handelt, die Umsetzung bezüglich der Details (Kostenträger und Umsetzungsformalitäten) scheint sicherlich Unterschiede aufzuweisen.

Die Synergieeffekte der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum durch sogenannte “shared-use” Spaces sind unübersehbar:

Es werden Kosten eingespart und auf der anderen Seite profitiert die Einwohnerschaft von den Serviceangeboten der Bibliotheken. Oftmals gab es vorher keine Bibliotheken bzw.  existierten nur renovierungsbedürftige Zweigstellenbibliotheken in der Nähe. Die einstige Unterversorgung mit einer Bibliothek im ehemaligen Armenviertel Cabrini Green wird behoben bzw. erneuert. Das Video unten stammt aus dem Jahr 2017 und darin wird gezeigt, was die Chicago Public Library (CPL) und die Chicago Housing Authority (CHA) an Bibliotheken und öffentlich gefördertem Wohnraum planten.

Insgesamt handelt es sich um drei Wohnprojekte mit angeschlossener Bibliothek (separater Eingang):

  1. Independence Library and Apartments,
  2. Northtown Affordable Apartments and Public Library
  3. Taylor Street Apartments and Little Italy Branch Library

 

Im Grunde genommen vergrößert die Bibliothek dadurch Ihre Nutzerschaft und erhöht somit auch ihre Legitimität im gesamten Stadtgebiet. Die Wohnungsbaugesellschaft trägt hierbei die Baukosten und den Unterhalt. 2013 kam die erste Kooperation der Stadtbibliothek Los Angeles mit einer lokalen Wohnungsbaugesellschaft zustande. Seitdem entstanden insbesondere in Milwaukee, San Francisco, Chicago und New York weitere Zweigbibliotheken in Mietshäusern, die sozial gefördert werden.

Sind es in Deutschland bislang nur Discounter, die auf ähnliche Weise “bezahlbaren” Wohnraum schaffen, konnte ich bislang noch nichts über gemeinnützigen Wohnungsbau und den Bau von öffentlichen Bibliotheken in bestimmten Stadtteilen entdecken. Doch bei den Discountern ist Vorsicht geboten, da es doch vielmehr um den betriebswirtschaftlichen Nutzen geht.

So sind nur 30 % der Wohnungen, die beispielsweise Aldi herstellt Sozialwohnungen. Der qm-Preis einer Sozialwohnung soll bei 6,50 € liegen und bei den 70 % der restlichen Wohnungen wird der Quadratmeterpreis von 10 € nicht überstiegen werden. Bei der Firma Norma in Nürnberg erhöhten sich durch ein solch gemischtes Wohn- und Einkaufsmodell die Umsätze. Vermutlich würden sich auch hierzulande Win-win-Situationen für öffentliche Bibliotheken ergeben. Falls es unter den Leserinnen und Leser dieses Beitrags Menschen gibt, die Beispiele aus der Praxis kennen, bei denen Wohnungsbaugenossenschaften/-gesellschaften nicht nur vergleichsweise günstigen Wohnraum schufen, sondern auch gleichzeitig Zweigbibliotheken errichteten, wäre ich dankbar für jeden Hinweis. Im Fazit des New York Times Artikels spricht der Autor von einem Problem des mangelnden bezahlbaren Wohnraums in den USA. Nicht nur dort, sondern auch bei uns in Deutschland ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zur sozialen Frage, ja für viele sogar zur Existenzfrage geworden. Deshalb wäre die Umsetzung solcher Ideen und Konzepte auch für Städte hierzulande mehr als wünschenswert, sondern dringend auf die Agenda von Lokalpolitikern und dem Leitungspersonal in Bibliotheken zu setzen.

 

Online-Ausleihe der Open Library des Internet Archive in der Kritik

Dank Digitalem Rechtemanagement und der Rechtstheorie des sogenannten “Controlled Digital Lending” (CDL) entleiht die Open Library des Internet Archive seit 10 Jahren eingescannte Bücher aus eigener Digitalisierung bzw. der Digitalisierung durch Bibliotheken. Die Ausleihe erfolgt wie bei haptischen Werken 1:1 für 14 Tage.

Das Internet Archive sieht sich durch das CDL auf der rechtskonformen Seite, ohne dass im Einzelnen dafür Rechte bei Autoren und Verlagen eingeholt werden müssten (Genehmigung der Digitalisierung). Dies sehen Autorenverbände aus den USA, Kanada und Großbritannien naturgemäß anders und fordern daher das Internet Archive auf, “das von den Rechteinhabern nicht erlaubte Ausleihen von E-Books in der Open Library zu unterbinden”, zumal keine Bezahlung erfolgt.

Die Authors Guild (USA) und die Society of Authors (Großbritannien) sowie die Writer’s Union of Canada haben offene Briefe an das Internet Archive verfasst und ihre Unterstützer darum gebeten, diese zu unterzeichnen.
Bei der Society of Authors heißt es im Aufruf, den offenen Brief zu unterzeichnen:

Internet Archive’s Open Library calls this practice Controlled Digital Lending, and wrongly claim that it is lawful in the US under the US doctrine of ‘fair use’. […] This practice is definitely unlawful in the UK, where the fair use exception does not exist.

If widely adopted this form of ‘lending’ could destroy the e-book market and make it even harder for authors to make a living from their work.

In Deutschland gilt:

Prinzipiell erinnert das Vorgehen des Internet Archive an die Onleihe der deutschen Bibliotheken, jedoch gibt es gravierende Unterschiede: So werden Rechteinhaber beziehungsweise Autoren hierzulande über die sogenannte Bibliothekstantieme für Ausleihen vergütet und das System basiert auf deren Zustimmung.

Die Rechteinhaber fordern eine Unterbindung der Entleihung der Bücher aus der Open Library oder eine angemessene Vergütung der Verleihung durch entsprechende Lizenzen.

In Bezug auf verwaiste Werke gibt es in Deutschland genaue Regelungen. Aktuelle Werke wird man auf diese Weise nicht in Deutschland verfügbar machen können.

Quellen:
Holland, Martin: Open Library: Autorenverbände kritisieren Online-Ausleihe des Internet Archive, heise.de
Kohse, Petra: „Rechtswidrig und kulturschädigend“ Streit um kostenlose E-Books in der Open Library, Berliner Zeitung

Weitere Informationen:
An Update on Open Library, Authors Guild (01/2018)
The Internet Archive’s OpenLibrary project violates copyright, the Authors Guild warns, TeleRead (12/2017)

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