Diversitätsorientierte Bibliotheksarbeit: Personalgewinnung und -entwicklung im Bibliothekssektor (Teil 2)

„Eine diverse und noch diverser werdende Stadtgesellschaft sollte sich auch unter den Mitarbeitenden widerspiegeln – nur so kann den Bedürfnissen aller Menschen entsprochen werden.“ YouTube-Kanal der Stadtbibliothek Bremen

Am 24. und 25. September 2020 fand in der Stadtbibliothek Bremen der Fachtag zu diversitätsorientierter Personalgewinnung und –entwicklung im Bibliothekssektor statt. Ist das wirklich so, dass nur, wenn sich die Diversität der Stadtgesellschaft in der Mitarbeiterschaft widerspiegelt, nur dann kann den Bedürfnissen von Menschen entsprochen werden? Ich bin ja durchaus ein Befürworter von Diversität im Personal und bei der Ausbildung/im Studium künftiger Bibliothekar*innen, aber diese Aussage trifft aus meiner Sicht nicht den Kern und das Argument von der Notwendigkeit einer Erhöhung der Diversität in der Mitarbeiterschaft. Der Mehrwertbegriff wird immer wieder in den Vorträgen und in den Texten zu Diversität genannt. Er hat natürlich seine Berechtigung, aber es darf nicht so klingen, als ob alle Maßnahmen, Ideen, Veränderungen und Einstellungen (von Mitarbeiter*innen/Azubis) nur deshalb geschehen, weil es einen Mehrwert bringt. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein und der Normalfall.

Ich machte mir die Mühe im Nachhinein zwei Videos zu diesem Thema zu sichten. Leider ist die Akustik nicht so gut. Der erste Vortrag (00:14:45 bis 01:20:20) Fragen zum Vortrag von Nicola Byok lautete „Und jetzt auch noch Diversity? – Warum ein vielfältiges Kollegium einen Mehrwert für Ihre Organisation bietet“ bot einen guten Überblick zu diesem Thema. Die Frage aus Vortragstitel wird zwar beantwortet, aber könnte für den Bibliothekskontext noch ausführlicher konkretisiert werden und kommt am Schluss fast zu kurz aus meiner Sicht. Der nächste Vortrag lautete „Die Irrungen & Wirrungen eines diversitätsorientierten Personalmanagements in der Stadtbibliothek Bremen“ und stammte Nora Neuhaus de Laurel (Stadtbibliothek Bremen). Die Stadtbibliothek Bremen verfügt über eine Fehlerkultur, zeigt(e) Mut, Pragmatismus und Offenheit für Veränderungen, was Erneuerungen in Form vom Service & Dienstleistungen zum Thema Diversity angeht.

Als nächstes sprach Hendrikje Brüning vom Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg über das „Gedankenexperiment: Wie Stellen schaffen, die Vielfalt ermöglichen?“ (02:00:05). Sie empfahl in ihrem Vortrag das Buch „Utopien für Realisten“ von Rutger Bregman. Das Thema Partizipation und die kreative Herangehensweise es zu schaffen (künftige) Mitarbeiter*innen dazu zu bewegen ihr volles Potential von Diversität, über das sie verfügen auszuschöpfen, war Teil ihrer Präsentation.

Sylvia Linneberg von den Bücherhallen Hamburg stellte die Fortbildungsreihe für Interkulturelle Öffnung und diversitätssensibles Agieren („Vielfalt@Bibliothek“) vor. Die Leitung der UB Erlangen (Konstanze Söllner) hielt anschließend einen Vortrag mit dem Titel „Das Gute liegt so nah – diversitätsorientierte Personalentwicklung von bibliothekarischen Allroundern“. Dabei ging es eher um die schlummendern/verborgenen Potentiale/Hobbys/Talente/Interessen/Motivationen von bereits bestehendem Personal für neue Aufgabengebiete der UB. Leyla Ercan sprach am Schluss über die Tücken und Hürden des Personalrecruiting in (hoch-)kulturellen Einrichtungen („Ja, aber warum bewerben die sich denn nicht bei uns?“).

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Diversitätsorientierte Bibliotheksarbeit: Ein Fazit aus aktuellem Anlass (Teil 1)

Als in der Schwarzen US-amerikanischen Frauen- und Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre der Diversity-Begriff erstmals fiel, ging es nicht um den Ruf nach marktkonformer Repräsentanz vielfältiger Identitäten und Erfahrungen. Stattdessen ging es um die Forderung nach einer Institutionalisierung umfassender Antidiskriminierungsrechte. Dieser politische Gehalt hat sich im aktuellen Diversity-Diskurs verloren. Ellen Kollender

Das obengenannte Zitat verweist auf die Entpolitisierung von Diversity, ob nun bei Germany’s Next Topmodel oder in Unternehmen/Organisationen, welche die Charta der Vielfalt unterzeichneten. Geht es wirklich um Chancengleichheit und gleichberechtigte Teilhabe oder gar Antidiskriminierung in der Bibliotheksarbeit? Kollender liegt vollkommen richtig mit ihrer Einschätzung, dass der „politische Gehalt“ im Diversity Diskurs verloren ging, leider auch im deutschsprachigen Diversity-Diskurs.

Am 18.05. fand der jährliche Diversity-Tag statt. Der Deutsche Bibliotheksverband gab hierzu sogar eine Pressemitteilung heraus. Der Titel lautete „Diversity 2021: Bibliotheken, Orte der kulturellen Vielfalt und Toleranz“. Bei der DBV-Kommission „Interkulturelle Bibliotheksarbeit“ lag bisher der Fokus hauptsächlich auf die Mehrsprachigkeit von Beständen, Dienstleistungen und der Einstellung von mehrsprachigem Personal. Auf deren Webseite heißt es:

„Gegenwärtig fokussiert sich die Arbeit der Kommission insbesondere darauf, Interkulturelle Kompetenz und Diversität in Bibliotheksteams zu fördern. „

Ab Juli soll nun der neue Schwerpunkt „Bibliotheken und Diversität“ sein. Alter Wein in neuen Schläuchen? Aus Riders wird jetzt Twixx? An dieser Stelle zitiere ich nur eine Frage aus einem Artikel der taz aus dem Jahr 2007: „Warum sehe ich hier nur weiße Gesichter?“

Die Zusammensetzung der Kommission ist nach wie vor auffällig weiblich und „weiß“. Bedingt durch eigene zahlreiche geknüpfte Kontakte, gelesene Abschlussarbeiten oder Kontakte ins benachbarte Ausland, gibt es durchaus Kandidat*innen, die nicht nur Expert*innen aufgrund ihrer (fachlichen) Qualifikationen oder Berufserfahrungen sind, sondern eben auch diverse Hintergründe, Erfahrungen, andere/neue Ideen und Herkünfte mitbringen. Ohne (sichtbare) Repräsentanz diverser Mitglieder in seiner solchen Kommission bzw. auch in den Bibliotheksverbänden, erscheint mir die Glaubwürdigkeit bzw. die viel gepriesene Vielfalt, nur bedingt authentisch, insbesondere, wenn nun wirklich echte Diversity-Arbeit geleistet werden will. Repräsentativität alleine ist keine Lösung, aber ohne Vielfalt im Verband und den Kommissionen, wirkt das Postulat von der Diversität und der Toleranz nur bedingt glaubwürdig. Den Berufsverbänden hierzulande würde es ebenso gutstehen, wenn man sich schon als tolerant und offent für Diversity „schmückt“. Im letzten Jahr verwies ich auf das Beispiel Schottland (über das CILIP BAME Network (CBN) in Bibliotheken und Rassismus, Teil 3):

Ferner gibt es ein sogenanntes BAME (Black, Asian, and minority ethnic) Network, das sich aus Angehörigen von Minderheiten des Berufsstandes zusammensetzt. Es bietet diesen Information Professionals die Möglichkeit des Austauschs und der Vernetzung untereinander, um sich gegenseitig zu unterstützen. Ziel ist es eine größere Vielfalt innerhalb der Profession, der Bibliotheksbestände des Wissens und der Informationen zu erreichen.“

In der Kommission sind auch keine Angehörigen des Berufsstandes vertreten, die im mittleren Dienst ihrer bibliothekarischen Tätigkeiten nachgehen oder eher Arbeiter*innen ohne bibliothekarische Ausbildung sind. Eine diverse Zusammensetzung ist ansatzweise nur schwer bzw. gar nicht erkennbar. Wie ist der Zugang zur Kommission? Kann man sich bewerben? Wer kann Mitglied werden? Wie exklusiv ist eine Mitgliedschaft? Schon damals, als ich einmal im Rahmen einer Reise „Gast“ wurde, hätte ich diese Frage durchaus stellen sollen. Der Austausch mit den englischsprachigen Kolleg*innen schlief damals größtenteils ein. Dabei leben internationale und interkulturelle Kooperationen von einem Austausch, um sich weiter zu entwickeln. Doch für eine fruchtbare und nachhaltige Zusammenarbeit ist die Formulierung eines Statements, welches auf dem Bibliothekartag 2011 präsentiert wurde, eben nur eine Geste bzw. ein schöner Akt der Öffentlichkeitsarbeit. Papier ist geduldig bzw. vergänglich. Mehr aber nicht.

Doch was bedeutet eigentlich eine diversitätsorientierte Organisationsentwicklung?

Was sie nicht bedeutet ist Folgendes:

 „Die Mitglieder dieser Kommission werden Bibliotheken bundesweit dabei unterstützen, das Thema Vielfalt beim Aufbau ihrer Bestände, in ihrem Personal sowie in ihrer Veranstaltungsarbeit noch stärker zu fördern und umzusetzen. Damit setzt der dbv ein Zeichen für gesellschaftliche Vielfalt und Toleranz in Bibliotheken.“

Im Kern ist das weiterhin eine interkulturelle Öffnung insbesondere bezogen auf die Diversity-Dimensionen Herkunft und Nationalität. Nichts Anderes. Daran gibt es keinen Zweifel. Ich kritisiere nicht diese Tatsache, sondern, dass versucht wurde mithilfe von einem neuen Wording etwas Neues zu präsentieren, was es aber faktisch nicht ist. Es änderte sich also nur die Bezeichnung, aber es wurde nicht berücksichtigt, dass die Definition des neuen Begriffs „diversitätsorientierte Organisationsentwicklung“ eine andere Herangehensweise impliziert und Herkunft/Nationalität alleine keine Gradmesser für Diversität sein dürf(t)en.

Die Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) e. V. definierten eine diversitätsorientierte Organisationsentwicklung im Gegensatz zur Interkulturellen Öffnung bzw. dem Diversity Management mit einem ganzheitlichen Verständnis von Diversität:

Während „Diversity Management“ sich auf sechs Kerndimensionen (Alter, Behinderung, Ethnizität/Herkunft, Religion/Weltanschauung und sexuelle Orientierung) fokussiert und interkulturelle Öffnung sich mit nur einer Dimension (Herkunft und Nationalität) beschäftigt, geht die DO von mehrschichtigen Dimensionen aus, die miteinander verbunden sind, sich gegenseitig beeinflussen (Intersektionalität) und einer unterschiedlichen Gewichtung innerhalb der Gesellschaft unterliegen. Das Ziel der DO ist eine ganzheitlich-präventive Strategie zu entwickeln, um Diskriminierungen in allen Bereichen schon im Ansatz zu begegnen und Chancengleichheit in staatlichen Einrichtungen wie auch in Nichtregierungsorganisationen zu ermöglichen.

Es macht doch durchaus einen Unterschied, wenn Begrifflichkeiten, Definitionen und Bezeichnungen nicht durcheinander geworfen werden oder gar gleichgesetzt. Das floskelhafte Setzen auf Toleranz und gesellschaftliche Vielfalt wird als Errungenschaft gepriesen, aber warum denn auf diese phrasenhafte billige fast unglaubwürdige Weise? Es wäre nur allzu korrekt gewesen Interkulturelle Öffnung nicht mit Diversitätsorientierter Öffnung gleichzusetzen, denn das tat der Deutsche Bibliotheksverband leider. Ich dachte zuerst hier werden neue mehrschichtige Dimensionen berücksichtigt oder Intersektionalität in den Blick genommen. Leider ist das nicht der Fall. In einem weiteren Blogbeitrag werde ich mich dem Thema nochmals widmen, indem ich die diversitätsorientierte Personalgewinnung genauer in den Blick nehmen werde, die nun mit nahezu denselben Menschen und denselben Einrichtungen immer und immmer wieder neu beworben wird. Anscheinend sind nur die acht Bibliotheken, welche von der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Programms „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ finanziell bis 2023 unterstützt werden, professionell bei der Umsetzung von Diversity-Strategien beteiligt.

«Audream» – eine mobile antirassistische Bibliothek

Im Zusammenhang mit Schwarzer Literatur und Schwarzen Perspektiven wurde 2014 bereits die Kiezbibliothek des Vereins Each One Teach One (EOTO) e.V. vorgestellt. Einen anderen, aber ähnlichen Schwerpunkt setzt die Bibliothek AUDREAM, die es seit 2016 in Berlin gibt. Der Name steht für Audre Lorde & Our Dreams.

Warum wurde die Bibliothek nach Audre Lord benannt? Die Gründerin, Chima Ugwuoke, beantwortete diese Frage wie folgt:

„Audre Lorde hat die Schwarze deutsche Frauenbewegung wesentlich inspiriert und Frauen dazu ermutigt, ihre Geschichten aufzuschreiben. Für mich steht die Zusammenstellung der Bibliothek in Kontinuität mit dieser Frauenbewegung. Das, was Frauen da geschaffen haben, das Wissen, was sie generiert haben, soll zugänglich sein. Leute sollen darauf aufmerksam gemacht werden, um sicherzustellen, dass dieses Wissen nicht in Vergessenheit gerät. Es ist also auf unsere Art die Fortführung der Kämpfe um Sichtbarkeit und Hörbarkeit von Schwarzen Frauen und Frauen of Colour.“

Das Ziel dieser Bibliothek ist es, Literatur und Wissen Schwarzen Frauen zugänglich zu machen. Es handelt sich um eine mobile antirassistische Bibliothek, die ihre Einsatzorte in Berlin hat. Die Initiatorin der Projektbibliothek ist Chima Ugwuoke. Die Gründerin machte in einem Interview 2017 darauf aufmerksam, die Bibliothek von Each One Teach One (EOTO) e.V. nur beschränkt zugänglich ist und aus diesem Grunde wollte sie etwas schaffen, was den Zugang zu dieser Art von Schwarzer feministischer Literatur öffnet. Finanzielle Unterstützung erhält die Bibliothek von der Kreuzberger Kinderstiftung, gleichzeitig ist diese aber auch auf Spenden angewiesen. Es besteht die Möglichkeit Kooperationsprojekte mit dieser Bibliothek einzugehen, indem Lesungen, Workshops, Veranstaltungen mit Kindern oder Ähnliches durchgeführt werden.

Die Bibliothek ist durchaus noch ausbaufähig und besteht aus etwa „150 Büchern, Zeitschriften und DVD‘s, die mit anti-rassistischen und Schwarzen feministischen Ansprüchen in Form von Kinder- und Jugendbüchern, Biografien und Theoriewerken, marginalisiertes Wissen“ zugänglich machen will. Es gibt die Möglichkeit Bücherkisten zu bestellen. Die Ziele der Einrichtung sind die „Hör-und Sichtbarkeit Schwarzer feministischer Perspektiven, Positionen, Gedanken, Fragen und Forderungen“ zu erhöhen. Mehr Infos gibt es auf der Homepage: https://audream.org/

Der Titel des folgenden Videos „eine Kinder-Bibliothek mit schwarzen Helden“ wird der Bibliothek nicht ganz gerecht, da sie mehr als nur Kinder erreichen will.

Ein Erklärvideo zu Charles Dickens

Charles Dickens war einer der beliebtesten englischsprachigen Schriftsteller im 19. Jahrhundert.

Die umstrittenen Ursprünge der ersten Enzyklopädie

Die erste Enzyklopädie enthielt 70.000 Einträge und über 20.000 Wörter.Sie bestand aus 35 Bänden, die innerhalb von drei Jahrzehnten verfasst wurden. Diese wurde von König Louis XV und Papst Clemens XIII.verboten- Aber warum war diese Enzyklopädie so umstritten?

Gelesen von Addison Anderson, Animation von Patrick Smith.

Bibliothek – ganz anders als du denkst!

Ganz nach dem Motto, „schon gewusst?“ wollen junge, regelmäßig die Stadtbibliothek Spandau besuchende Jugendliche mit einigen Vorurteilen bezüglich Bibliotheken aufräumen.

Bibliotheken sind weder nur was für Bücherwürmer, noch ist es dort total langweilig. (…) Denn man kann in einer Bibliothek zum Beispiel auch Spiele & Videos ausleihen, gemeinsam das WLAN nutzen und sich zum lernen oder Spaß haben treffen. Es gibt sogar eine gemütliche Sofaecke, wo man gechillt sein Lieblingsbuch genießen kann. Vielleicht bekommen ja durch den Film noch mehr Kinder & Jugendliche Lust, mal wieder ihre Bibliothek zu besuchen.

Ein Film vom Medienkompetenzzentrum Cia Spandau – computer in action für BerlinImPuls

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