Meine persönliche Rückschau auf den BID-Kongress 2013 (Teil 2)

Eine weitere Session vom Montag, den 11.03., die ich teilweise besuchte, lautete “Migranten-Communities” besser kennenlernen. Im ersten Vortrag mache Martina Dannert von der Stadtbibliothek den Anwesenden Mut auf potentielle Migranten-Zielgruppen zuzugehen und dort präsent zu sein, wo sich diese aufhalten.

Susanne Schneehorst erzählte im anschließenden Vortrag von ihren Erfahrungen, wie Kontakte, Beziehungen und Freundschaften mit den entsprechenden Menschen entstehen können. Sie lieferte ein exzellentes Beispiel, wie sich über Jahre hinweg durch eine gute Beziehungs- und Kontaktarbeit ein Medienbestand und Veranstaltungen aufbauen lassen. Dabei erwähnte sie unter anderem die rumänische Community, die dem christlich-orthoxen Glauben angehört, die in Nürnberg so zahlreich vertreten ist, dass diese sogar über einen eigenen Bischof aus Rumänien verfügen. Auch die verschiendenen kulturellen Feste wie z.B. die griechischen Nationalfeiertage, den 25.03. und den 28.10. hob Schneehorst stellvertretend hervor, die ein prima Anlass sind, um als Bibliothekar_in sich zu präsentieren, für die eigene Einrichtung und deren Medien- und Veranstaltungsangebote zu werben. Ein Fest, das mir und auch Susanne Schneehorst noch gänzlich neu war, ist Masleniza (Butterwoche), das Russische Frühlingsfest, das in der Fastnachtswoche begangen wird. All diese Tipps und Vorschläge erfordern natürlich, dass sich der (die) einzelne Bibliothekar (Bibliothekarin) außerhalb seiner (ihrer) Arbeitszeit an Wochenenden und Abenden an Treffen von Kulturvereinen, dem Migrationsrat (Integrationsbeirat je nach Kommune trägt dieser eine andere Bezeichnung, in München heißt dieser immer noch Ausländerbeirat) und Stadtteilfesten einen Namen macht und seine bibliothekarische Einrichtung bekannter macht.

Der anschließende Vortrag “An Oppurtunity for Internationalization in Turkish Libraries with Retired Immigrants and International Students” von Frau Esin Sultan Oguz war sehr allgemein gehalten. Woran ich mich besonders erinnere ist, dass die Zahl der englischen Rentner, die ihren Lebensabend in der Türkei verbringen, dem der deutschen Rentner um etwa 10.000 übersteigt. Letztendlich erwähnte Oguz zwar, dass eine stattliche Anzahl an religiösen und ethnischen Minderheiten in der Türkei (z.B. Kurden, Tscherkessen, Armenier, Assyrer, Roma oder Aramäer) gibt, aber benannte die in der Klammer aufgeführten Beispiele nicht. Es scheint in der Türkei – ähnlich wie in Frankreich – keine “echte” interkulturelle Bibliotheksarbeit zu geben, wenn man von einigen touristischen Orten absieht:

In der Türkei sind derzeit ganze 18 Sprachen gefährdet, drei davon bereits ganz ausgestorben. Die Zahlen der UNESCO haben jetzt eine nicht-staatliche Gruppe in der Türkei auf den Plan gerufen. Sie beschuldigen die Regierung, die kulturelle Vielfalt des Landes mit ihrer „Nationalstaats“-Politik auszurotten.” Deutsch-Türkische Nachrichten

Dennoch war dieser Vortrag voller Optimismus und Enthusiasmus, so dass das Publikum den Eindruck hatte, in den nächsten Jahren wird es mehr Bibliotheksarbeit vor allem für Rentner aus dem Ausland, Deutsch-Türken und Touristen geben.

Der letzte Vortrag von Dr. Jan-Pieter Barbian “Eine Geschichte mit Zukunft”. Die Türkische Bibliothek in der Stadtbibliothek Duisburg”  ist nahezu identisch mit dem Artikel “Von der Türkischen Bibliothek zur Interkulturellen Bibliothek” in der Märzausgabe der Zeitschrift BuB S. 215-221.

Um nicht zu pessimistisch über die Türkei zu berichten, möchte ich noch in diesem 2. Teil auf den Artikel in der Leipziger Volkszeitung mit dem Titel “E-Books – die Türken gehen voran” von Lisa Berins eingehen. Wer sich nicht gerade in Sessions begab, die auf Englisch waren, hatte nicht unbedingt das Gefühl, dass dieser Kongress so international war, wie ihn die Leipziger Volkszeitung am 14. März betitelte. Doch es gab Bibliothekare und Bibliothekarinnen aus 25 Ländern, die Teilnehmer/-innen waren. Neben dem Direktor des amerikanischen und des italienischen Bibliotheksverbands, war auch die Präsidentin der IFLA, Ingrid Parent anwesend und es hätte die Gelegenheit gegeben sie am BIB-Stand zu besuchen. Darüber hinaus war auch eine Kollegin aus den Niederlanden zu sehen oder eine Kollegin aus Russland, die ich traf. So meinte Michael Dowling (ALA-Präsident), dass sich die US-amerikanischen Kollegen und Kolleginnen etwas vom türkischen Bibliothekswesen abschauen können, denn dort werden ab nächstem Monat E-Books für jeden Bibliotheksnutzer frei zugänglich gemacht.

Es fällt aber leider auf, dass Jahr für Jahr nahezu dieselben BibliothekarInnen zum Thema Interkulturelle Bibliotheksarbeit auf den Bibliothekartagen vertreten sind, Vorträge halten oder in der Mailingliste ÖB-Multikulturell Beiträge versenden. Leider gibt es oftmals in vielen Kommunen keine “Extratöpfe” für die entsprechende Förderung der Mehrsprachigkeit der Einwohner im Einzugsgebiet der Bibliotheken und die Guidelines for “Library Services für multikulturelle Gemeinschaften” kennen sicherlich viele politische Entscheidungsträger und Geldgeber kaum. Im Gegensatz zu Österreich oder Schweiz, wo man sein Abitur in mehreren Sprachen ablegen kann und auch in manchen Bibliotheken ein mehrsprachiger Bestand nichts Besonderes ist, scheint es hierzulande noch häufig an Rechtfertigungsgründen gegenüber den Unterhaltsträgern zu mangeln. Das Bewußtsein Mehrsprachigkeit, Diversität und die Förderung des kulturellen Pluralismus mag ja bei den meisten BibliothekarInnen sicherlich vorhanden sein, aber die Ganzheitlichkeit, die oftmals mit einer interkulturellen Öffnung verbunden ist, die von der gesamten Stadtverwaltung getragen wird, scheint eher nur in Stuttgart, München, Berlin und Frankfurt und wenigen anderen Großstädten (und wenigen Kleinstädten) vorhanden zu sein. Ist es schon eine Innovationspreis wert, wenn jemand eine Bachelorarbeit zum Thema “Die Bibliothek als Ort der interkulturellen Begegnung” schreibt? Dennoch zeigt sich, dass die Einführung von Gesprächsgruppen für Migranten (SprachGartenInternational-Deutsch sprechen und Menschen treffen“) in der Stadtbibliothek Bremen sicherlich eine gutes Angebot der Bibliothek ist, aber warum der Defizitansatz “SiemüssendochDeutschlernen” als innovativ ausgezeichnet wurde, erschließt sich mir nicht. Ja, ich wundere mich sogar sehr, denn das Hamburger Projekt Dialog in Deutsch gibt es schon länger und “das Neue” in Bremen hat nur einen anderen Namen. Inwiefern werden die EU-Richtlinien 2000/43/EG (Antirassismusrichtlinie) und 2000/78/EG in diesen und vielen anderen Bibliotheken umgesetzt? Das “Language Café” in Nottingham bietet den Ureinwohnern (den Alteingeßenen Nicht-Migranten) die Möglichkeit die Sprachen der Herkunftsländer der Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber zu erlernen. In Nottingham gibt es auch Konversationskurse, bei den Flüchtlinge und Migranten Englisch lernen, aber das wurde nie als innovativ dargestellt bzw. niemand würde das ernsthaft als innovativ bezeichnen. Es war eher das “Language Café” oder die Themen des Konversationskurses, die innovativ und beeindruckend waren. Ein echtes “Language Café” wie das an der TU Berlin (Telquel) setzt aber vor allem Neugier der Biodeutschen voraus und macht zusätzlich Arbeit.

Ich habe im November ein Weiterbildungsseminar besucht und unter den Teilnehmern war eine Studentin mit türkischem Namen. Auf die Frage des Kursleiters, ob sie denn türkisch könne, entgegnete diese sehr schüchtern mit nein. Eine mir bekannte aus dem Iran stammende Deutsch-Kurdin kann kein Farsi (und will es gerne lernen), eine in Deutschland geboren Deutsch-Türkin schämt sich mit Türken aus der Türkei türkisch zu sprechen, da sie viele Fehler macht und die sich nicht immer verstehen. Ein Freund schämt sich zwar nicht Rumänisch zu sprechen, weiß aber das er viele Fehler macht und es langsam verlernt, obwohl es seine Muttersprache ist. Bekannte und Freunde von mir haben nie die deutsche Minderheitensprache Sorbisch gelernt, obwohl sie sorbischer Herkunft sind. Es geht viel verloren in Deutschland. Ein Bekannter, den ich letztes Jahr zufällig in der Nacht traf möchte gerne chinesisch lernen. Wollen wir Bibliothekare und Bibliothekarinnen Vielfalt erhalten oder sprachliche Homogenität fördern? Chinesisch und Türkisch erfreuen sich einem regelrechten Boom. Warum nicht voneinander und miteinander lernen anstatt gelehrt und belehrt zu werden von Mitgliedern der sogenannten Mehrheitsgesellschaft?  Mangelnde Deutschkenntnisse sind nicht allein der anderen Muttersprache geschuldet, sondern bei Deutsch-Türken und Deutsch-Deutschen gleichermaßen vorhanden, wenn diese eher einer bildungsfernen Schicht angehören und nicht aufgrund der ethnischen Herkunft zu erlären. Deshalb ist es dann ein soziales Problem. Experten des Berlin-Instituts beschreiben benannten neun Kernelemente für eine erfolgreiche Sprachförderung, darunter ist der systematische Einbezug der Erstsprache. Inwiefern können Bibliothekare und Bibliothekarinnen, deren Muttersprache meist Deutsch ist diese im Rahmen der Lese- und Sprachförderung leisten? Eine Schlagzeile Anfang des Jahres lautete: “Deutsche lernen begeistert Türkisch – die Deutschlandtürken nicht” und in der Tat besuchen derzeit mehr Deutsch-Deutsche Türkischkurse als Menschen türkischer Herkunft zur Festigung und dem besseren Erlernen deren Muttersprache:

Meine Befürchtung ist es, dass sich die Türken in Deutschland zu einer Gesellschaft entwickeln, die kein Türkisch spricht. Mit Bedauern beobachte ich eine Generation, die nicht in der Lage ist, die türkische Sprache wenigstens als Basis für das Erlernen der deutschen oder einer anderen Sprache nehmen kann […] Die zweite Generation ist in der Umgebung von Eltern aufgewachsen, die kein Deutsch konnten und nur Türkisch gesprochen haben. Dadurch ist das Türkisch der zweiten Generation relativ besser. Doch nun sind wir mit einer Generation konfrontiert, deren Eltern entweder nicht ausreichend Türkisch sprechen oder es vorziehen, ihren Kindern zu Hause gar kein Türkisch beizubringen – ein solches soziales Phänomen können wir momentan beobachten.” Kemal Basa

Die Preisträgerin der Bachelorarbeit “Die Bibliothek als Ort der interkulturellen Begegnung” zitierte in ihrer Schneehorst et al. und sprach davon, dass Integration nicht die „defizit- und differenzorientierte[n] Perspektive“ einehmen soll, aber diese Gesprächsgruppen scheinen eben gerade dies zu tun. Auch von Beidseitigkeit ist in ihrer Arbeit die Rede, was Integration ausmacht, dass ich anderen auch etwas von meiner Kultur und meinem Erfahrungswissen weitergebe und nicht nur Deutsch lerne. Letzlich gibt es ja schon “Dialog in Deutsch” in Hamburg und was soll denn der “innovative” Unterschied zwischen der neuen Deutschlerngruppe in Bremen im Vergleich mit dem Hamburger Beispiel sein? Serdar Somuncu kritisiert(e) ebenso dieses quantiative Erfassung “Integration” messbar machen zu wollen und die Wortwahl des Nationalen Aktionsplans, dessen Duktus und Intention von ihm durchaus kritisch gesehen wird. Die Autorin der Bachelorarbeit “Die Bibliothek als Ort der interkulturellen Begegnung” zitierte mehrfach in ihrer Arbeit diesen Aktionsplan, der eher etwas von Aktionismus hat und 50 Jahre zu spät kommt.

Dem US-amerikanischen Soziologen Rogers Brubaker zufolge ist seit dem Jahr 2000 in vielen Ländern Europas einschließlich Deutschland ein Return on Assimilation festzustellen. Ob nun Sprachcafé Deutsch oder Dialog in Deutsch (in Hamburg), das mag soziale oder assimilative Bibliotheksarbeit sein, aber strenggenommen ist das nicht die inter-kulturelle Bibliotheksarbeit, wie sie andernorts (z.B. in den USA, Spanien oder anderswo) so genannt wird. Dialog Deutsch erinnert an ein Buch des Goethe-Instituts oder an Dialogpunkte in der arabischen Welt der Robert-Bosch-Stiftung. Das Label “Inter-kulturell scheint hier hier zwar heterogene Migranten aus verschiedenen Herkunftsländern anzusprechen, aber eigentlich hat der Rest des Ureinwohner-Bibliothekspublikums von dieser kulturellen Vielfalt herzlich wenig. Auch in vergangenen Gesprächen mit einem mir bekannten Migrationsforscher hat dieser andere ähnliche Projekte wie das eben genannte nicht als inter-kulturell und innovative Bibliotheksarbeit klassifiziert. Diese Entwicklung macht mich nachdenklich und traurig. Mit der Förderung des Interkulturellen Dialogs hat dies herzlich wenig zu tun.

Die IFLA ist besorgt über ACTA

Gestern fand im Europäischen Parlament ein Anhörung für Interessenvertreter statt. Stuart Hamilton, der “IFLA-Director of Policy & Advocacy” brachte seine Besorgnis gegenüber der Verabschiedung des Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) zum Ausdruck. Viele Bibliotheken sind ebenso in Sorge über die intransparenten ACTA-Verhandlungen, die eine Gefahr für das Gleichgewicht zu Copyright-Fragen darstellen. Die Ziele und Methoden von ACTA stehen im Widerspruch zum Bekenntnis der Bibliothekscommunity einen gleichberechtigten Zugang zu Informationen und kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten zu garantieren. Derzeit wird die Entscheidung über die endgültige Abstimmung zu ACTA im Juli diesen Jahres erwartet. Im Folgenden eine Video-Nachricht von Stuart Hamilton an die IFLA-Community:

ACTA: Concerns of IFLA from IFLA HQ on Vimeo.

“IFLA is gravely concerned by the extreme secrecy surrounding the ACTA negotiations, the potentially chilling effects of targeting intermediaries, and the continuing focus on enforcement at the expense of flexibility”, he said. “We have made far less progress in creating flexibility in copyright – particularly in the digital age. ACTA compounds the problem by limiting flexibility going forward – at this point we have no ideas what technologies are going to emerge in the next decade and ACTA will lock us into an approach that is not suitable for now, let alone the future.”

ACTA-Infografik: Werden und Vergehen?

ACTA, das umstrittene Anti-Piraterieabkommen, wurde bereits von vielen EU-Staaten unterzeichnet. Bevor es in Kraft treten kann, ist die Zustimmung des EU-Parlaments nötig. Unsere Infografik erklärt den komplizierten Verhandlungs- und Ratifikationsprozess. Eine Zeitleiste zeigt die wichtigsten Etappen der vergangenen Jahre.
Die EU-Kommission will ACTA an den Europäischen Gerichtshof verweisen, um zu prüfen, ob der Vertrag EU-Recht verletzt. Der britische Sozialdemokrat David Martin, der als Berichterstatter die ACTA-Debatte im Handelsausschuss des EU-Parlaments leitet, will ebenfalls den EU-Gerichtshof anrufen. Doch anstatt sich der Anfrage der EU-Kommission anzuschließen, fordert Martin eine eigenständige Anfrage des EU-Parlaments. Da die Richter sich nicht allgemein zu ACTA äußern, sondern immer unter Bezug auf eine spezifische Fragestellung, könnte die Formulierung der Fragen die Entscheidung der Richter für oder gegen ACTA beeinflussen. Nachdem nun Dörte kürzlich ein Video von Explainity postete und wir beide in den Wochen seit Ende Januar immer wieder Videos und Infos zu ACTA veröffentlichten, soll diesmal eine Infografik des Europäischen Parlaments zeigen, wie der Umsetzungsprozess begann und wie er womöglich am Ende torpediert werden könnte.

 

IPRED2: Zielsetzungen

April 2007 hieß es noch aus dem EU-Berichterstatterumfeld zur die geplante EU-Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen zur besseren Durchsetzung geistigen Eigentums (IPRED2):

“Kinder, die Musik aus dem Internet laden, sollen nicht ins Gefängnis wandern.”

Nun scheint sich das Ziel zu ändern. Aus “Mafia-ähnlich organisierte Kriminelle” sind jetzt “zunehmende systematische Verletzungen von Urheberrechten durch einige Internetnutzer”. Damit richtet sich die IPRED2 auch verstärkt gegen Filesharer.
Woher plötzlich dieser Sinneswandel, da Juni 2007 noch die verschiedensten Vorbehalte gegen die Richtlinie hatten?

Zingaretti fragte den Rat engl:

Given the need for urgent action by the EU in response to the increasingly systematic violation of copyright by some Internet users, can the Council provide a time frame for discussion of the directive of the European Parliament and of the Council on criminal measures aimed at ensuring the enforcement of intellectual property rights?

In dieser Frage sieht der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) den Beweis, dass die Strafvorschriften doch Filesharer treffen und eine Inhaftierung dieser möglich machen könnten. Sie befürchten, dass die Öffentlichkeit dabei nicht genug Aufmerksamkeit diesem wichtigen Punkt zollt, da die Debatte um IPRED2 ein wenig eingeschlafen wirkt.

Quellen:
Krempl, Stefan: EU-weite Strafvorschriften auch gegen Filesharer? via heise online
Die Kriminalisierung von Filesharing durch die EU via netzpolitik.org
Europe to send downloaders in jail without any public attention? via Digital Majority engl

IPRED 2 – ein paar provokative Fragen zum "geistigen Eigentum"

Joachim Jakobs von der FSFE (Free Software Foundation Europe) findet die Begriffe “Geistiges Eigentum” und “Produktpiraterie” problematisch und vertritt daher die Meinung, dass die Ende April dazu verabschiedete “EU-Richtlinie zur strafrechtlichen Durchsetzung von geistigem Eigentum” (IPRED2) überarbeitet werden muss.
Softwarekonzerne gehen mit den Begriffen wie “geistiges Eigentum” sehr großzügig um. iese Forderung wurde kürzlich auf einer Konferenz des Verbraucherschutzministeriums erhoben. Sie gilt insbesondere für

Sie behaupten, Software sei ein “Produkt” und diffamieren Menschen, die ihre Software illegal kopieren als “Produktpiraten”.

Sollten sie das wirklich ernsthaft meinen, so müssen sie sich auch folgende Fragen gefallen lassen:
Warum soll dann aber §1 des Produkthaftungsgesetzes für ihre “Produkte” nicht gelten?

„Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“

Dies ist eine Forderung des Verbraucherschutzministeriums, insbesondere für “Produkte mit DRM.

Für “geistiges Eigentum” müsste auch der Art. 14 GG gelten:
Art. 14 GG: “Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.”
Wenn DRM aber gerade erschwert, dass die Allgemeinheit Zugang zu diesem “geistigen Eigentum” erhält, wo ist dann die Verpflichtung des Eigentümers, dieses Eigentum zum Wohle der Allgemeinheit zu gebrauchen?

Mehr dazu:
Jakobs, Joachim: IPRED 2 – Haftbefehl für Apples CEO Steven Jobs? (Polixea Portal)

Vorbehalt für Auskunftsansprüche bei Urheberrechtsverletzungen

Gestern fand die 1. Lesung des des Gesetzesentwurfs zur besseren zivilrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte statt. Im Plenum des Bundestags waren es Abgeordnete von Schwarz-Rot, welche die von der Regierung eingezogenen Korsettstangen bei der Rechtsverfolgung unter Beschuss. Zweifelhaft ist, ob so tatsächlich einen besserer Schutz des Urheberrechts erreicht würde. Hingegen Vertreter der Linksfraktion und der Grünen standen hinter dem Bestreben der Regierung, eine unangemessene Verfolgung auch privater Urheberrechtsverletzer zu verhindern.
Auffallend ware jedoch, dass Immaterialgüterrechte am “Tag des geistigen Eigentums” bei den Abgeordneten nur ein Randthema waren, denn auf eine Aussprache nach den Reden wurde verzichtet.

Bei der EU-Richtlinie zur einfacheren zivilrechtlichen Durchsetzung von Immaterialgüterrechten, die von der Regierung mit ihrem Vorstoß umsetz werden soll, liegt der Schwerpunkt eigentlich auf der Bekämpfung von Produktpiraterie. Diese Richtlinie wurde schon im Rahmen ihrer Verabschiedung im Jahre 2004 Bürgerrechtlern und Verbraucherschützern kritisiert. Sie gaben zu bedenken, dass sich das Hauptaugenmerk und das Verfolgungsinstrumentarium des Gesetzeswerks wohl gegen private Nutzer richten dürfte.

Langer Artikel:
Krempl, Stefan: Skepsis gegenüber Richtervorbehalt für Auskunftsansprüche bei Urheberrechtsverletzungen via heise online

IPRED2 ist durch

Das EU-Parlament hat sich heute in erster Lesung mit der Mehrheit für die EU-Richtlinie zu strafrechtlichen Sanktionen zum Schutz geistigen Eigentums (IPRED2) entschieden. Die Proteste im Umfeld haben jedoch erreicht, dass der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag in mehreren Punkten zurückgestutzt wurde.

Urheberrechtsverletzungen, die im persönlichen und nicht auf Gewinn abzielenden Bereich vorkommen, wurden beispielsweise von Strafrechtssanktionen ausgeschlossen.

In den Positivkatalog der von den Strafrechtsmaßnahmen erfassten geistigen Eigentumsrechte ist neben dem klassischen Urheberrecht auch der Schutz von Datenbanken, Halbleitertopographien, Markenrechten- und Geschmacksmusterrechten, geographischen Herkunftsbezeichnungen und Firmennamen eingeschlossen, jedoch nicht wie bei den 2004 verabschiedeten zivilrechtlichen Maßnahmen (IPRED1) die Patente.

Allerdings wurde auch sofort wieder Kritik an dem Beschluss laut.

“In der vorliegenden Form nach wie vor eine Katastrophe” ist das Gesetz nach Ansicht von Julian Finn vom Netzwerk Freies Wissen /Fairsharing Network:engl: .“Begriffe wie ‘Piraterie’ und ‘gewerbliche Nutzung’ sind nach wie vor nicht ausreichend definiert,” kritisierte Finn.

Quelle:
EU-Parlament schränkt Strafrechtssanktionen zum Schutz geistigen Eigentums ein via heise online

Proteste gegen gegen EU-Richtlinie zum geistigen Eigentum weiter nötig

Heute traf sich das EU-Parlament zu Beratung der Frage zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte:engl: . Diese Vorbereitung dient der Abstimmung über den von der EU-Kommission vorgelegten Richtlinienentwurf “COM(2005)276 final” (Proposal for a European Parliament and Council Directive on criminal measures aimed at ensuring the enforcement of intellectual property rights:engl: ), die am 25. April 2007 stattfinden soll.

Gerechtfertigt wird dieser Richtlinienentwurf neben dem Kampf gegen Priatierie und Organisiertes Verbrechen, dem Schutz der Verbraucher vor gefälschten Produkten auch mit der Notwendigkeit der Harmonisierung von nationalen Strafrechtsvorschriften auf Artikel 17 (2) der EU-Grundrechtecharta, der den Schutz des geistigen Eigentums zum Inhalt hat.

Würde die Richtlinie in der vorliegenden Fassung, die bereits mehrfach stark in die Kritik gekommen ist, verabschiedet, wären bisher im privaten Rahmen verankerte Rechte, wie die Privatkopie, ein Verbrechen.

Darüber hinaus ist in Artikel 3 des Richtlinien-Entwurfs vorgesehen, “den Versuch, die Beihilfe, die Aufforderung oder Verleitung zu solchen Verletzungshandlungen” unter Strafe zu stellen.

Das Abgrenzungskriterium zu nicht strafwürdigen Handlungen, sprich die Formulierung “in gewerbsmäßigem Umfang” (“on a commercial scale”), ist so schwammig, dass es hier nicht mehr auf eine Gewinnerzielungsabsicht ankäme, um eine Verletzung des Urheberrechts zur Straftat werden zu lassen.

Kritiker wie der britische Wissenschaftler Ross Anderson weisen darauf
hin
:engl: , dass durch solche vagen Formulierungen der Wettbewerb geschädigt, das Wirtschaftswachstum behindert und der Zensur Vorschub geleistet werden wird.

Was kann man gegen diese EU-Richtlinie machen?
Die EFF Europe ruft mit dem Motto “Copy Crime” zu Protestaktionen in letzter Minute auf.
Die Bürger Europas sollen sich dabei an ihre Abgeordneten im EU-Parlament:engl: wenden und diese auffordern, dem Richtlinien-Entwurf eine Abfuhr zu erteilen. Eine weitere Möglichkeit, Stellung zu beziehen, soll eine Online-Petition:engl: bieten, mit dem Ziel den
Protest wirksam zu kanalisieren.

Ein Bündnis aus dem Förderverein für eine freie Informationelle Infrastruktur (FFII), der EFF, dem Europäischen Verbraucherverband und dem Europäischen Bibliothekenverband hat konkrete Vorschläge zur Überarbeitung des Richtlinien-Entwurfs unterbreitet. Die Vorschläge können auf der Copy-Crime-Website:engl: eingesehen werden können.

Quelle:
Gehring, Robert A.: EU-Parlament: Tauschbörsen-Nutzern drohen Haftstrafen via golem.de

Mehr Kritik an der IPRED2

Verschiedene Organisationen haben eine Reihe von Änderungsvorschlägen:engl: für die geplante EU-Richtlinie zur strafrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte aufgeschrieben. Sie wollen damite eine weitgehende Kriminalisierung von Nutzern und die Schaffung “vager neuer Urheberrechtsverbrechen” möglichst verhindern. Gerade Verbände aus den Bereichen Verbraucherschutz, Bibliotheken und Hightech-Wirtschaft kritisieren den schlechten Entwurf in einem gleichzeitig an die Abgeordneten des EU-Parlaments versandten offenen Brief :engl: . Das Gesetzes vorhaben richte sich hauptsächlich gegen die jungen Europäer, zumal die Definitionen für neue Straftaten sehr weit gefasst seien. Sie würden damit ganz allgemein “eine Bedrohung für die Bürgerrechte” sein.

“Strafrecht muss klar sein, um fair zu sein”, erklärte der Europa-Koordinator der US-Vereinigung Electronic Frontier Foundation (EFF:engl: ) anlässlich der Veröffentlichung des Schreibens.

Der Entwurf würde mehr Unklarheiten in Bezug auf die strafrechtliche Verfolgung aufwerfen, als das Verfahren vereinfachen.

Weiter werden die Änderungsanträge zur zweiten Intellectual Property Rights Enforcement Directive (IPRED2) von der der EFF unterstützt, die bereits deutlich die Gesetzesinitiative kritisiert hat.:x: Weiter dabei sind der Verbraucherschutz-Dachverband BEUC:engl: , der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII:engl: ), die Free Software Foundation Europe (FSFE:engl: ) sowie die Bibliothekenvereinigung EBLIDA:engl: .

Sie appellieren an die Abgeordneten, im Rahmen der 1. Lesung des Entwurfs kommende Woche insbesondere die Reichweite der Richtlinie allein auf eindeutige Fälle der Urheberrechts- und Markenpiraterie einzugrenzen.

Präzisiert werden müssen die Kriminalisierungskriterien bezüglich des “gewerblichen Umfangs” und der “absichtlichen Verletzung” von Rechten.

So dürften nur “wiederholte und in großer Zahl durchgeführte Rechtsverletzungen” betroffen sein, mit denen ein “direkter kommerzieller Vorteil” verfolgt werde. Handlungen bei Privatpersonen ohne Gewinnabsichten müssten explizit ausgeschlossen werden. Weitere Bedingung sei, dass eine Rechtsverletzung “überlegt, bewusst und böswillig” erfolge.

Quelle:
Krempl, Stefan: Zivilgesellschaft will Strafvorschriften zum Schutz geistigen Eigentums entschärfen via heise online