Zum Jahresausklang: Ein Interview mit dem Direktor der Leibniz Bibliothek Hannover

027.7 Zeitschrift für Bibliothekskultur ist online

Am Donnerstag, den 19.12.2013, erschien die dritte Ausgabe von “027.7 Zeitschrift für Bibliothekskultur” (ISSN: 2296-0597). Diesmal lautet der Titel „Vom Willen zu verstehen“/ The Will to Understand.

Hier geht’s zur Homepage http://www.0277.ch und Facebookfanseite https://www.facebook.com/027.7.Bibliothekskultur

Inhalte der 3. Ausgabe:

Die Zeitschrift ist eine reine Open Access-Zeitschrift und alle Beiträge stehen unter einer CC BY-Lizenz

Meine persönliche Rückschau auf den BID-Kongress 2013 (Teil 3)

Der zweite Tag begann unter anderem mit der Session „Was Ihr Wollt“ – Nutzerforschung in Bibliotheken, die von Ulla Wimmer (HU Berlin) moderiert wurde. Dabei möchte ich eigentlich vor allem auf den Vortrag von der Ethnologin und Bibliothekarin Corinna Haas eingehen, die in einer Einführung Ethnographische Methoden in der Bibliotheksforschung vorstellte. Besonders bemerkenswert war, dass bereits Pierre Bourdieu als einer der ersten weltweit 1965 „The Users of Lille University Library“ verfasste, was viele Jahre in der anglo-amerikanischen Welt und darüber hinaus wohl kaum jemand zur Kenntnis nahm. Er untersuchte die Bibliotheksbenutzung als Perfomance im Raum und griff als Vorreiter auch Fragestellungen um das Thema „Informationskompetenz“ auf. Weitere Infos zum Originaltext hier:

Les utilisateurs de la bibliothèque universitaire de Lille, in Rapport pédagogique et communication, Bourdieu, Passeron, Saint-Martin (eds.) Mouton, Cahiers du Centre de sociologie européenne, 2, 1965, p.9-36; aussi, Les temps modernes, 232, septembre 1965, p.109-220

Doch nach einer kurzen Recherche, stelle ich schon fest, dass es noch mindestens ein weiteres ethnografisches Projekt an einer Universitätsbibliothek in Frankreich gibt, das Anthrolib nicht verzeichnet. 2008 wurde an der „Bibliothèque universitaire centrale de l’Université Toulouse Le Mirail“ eine „enquête ethnographique“ durchgeführt. Die Publikation hierzu ist „Du lecteur à l’usager“: Ethnographie d’une bibliothèque universitaire aus dem Jahr 2010, welche von der Soziologin Mariangella Roselli und Marc Perrenoud verfasst wurden. Ein 33-seitiger Fachartikel „Formes de réception et d’appropriation des ressources numériques en milieu étudiant“ von Roselli zur ethnografischen Untersuchung in Toulouse findet sich unter folgendem Link. Eine lesenswerte Rezension zu diesem Buch findet sich auf der Internetseite von „La Vie des Idées“, wo auch erwähnt, welche Nutzertypen Roselli und Pernoud die B.U. in Toulouse frequentieren. Dabei wird auch auf die Feminisierung des Bibliothekspersonals eingegangen, was einer kritischen Betrachtung unterzogen wurde.

Weitere Erkenntnisse aus dem Vortrag waren, dass es bislang erst insgesamt etwa 60 Projekte ethnografischer Forschung in bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Einrichtungen gab, wovon sehr viele in den USA an der Universität von Rochester durchgeführt wurden, wie auf der Webseite von Anthrolib der eben genannten Einrichtung zu sehen ist.  Dabei waren das sehr unterschiedliche Herangehensweisen von Untersuchungen zur „Information infrastructure in rural libraries in Romania“ bis hin zu „How children are using computers“. Hierbei fielen für mich neue Fachausdrücke wie „Participatory Design“ oder Space Design, die im bibliothekarischen Bereich bei der Anwendung ethnografischer Methoden einen Schwerpunkt bilden. Werden ethnografische Methoden außer am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der HU Berlin auch an Hochschulen gelehrt? Aufgrund der Tatsache, dass die Vortragsfolien nun schon online sind, will ich nur noch auf die letzte Folie eingehen. Dabei warf Haas einige Fragen auf, die für die weitere Bibliotheksarbeit und -forschung zukünftig eine Beantwortung verlangen: „Brauchen wir mehr Bibliothekare, die ethnographische Methoden in ihrer Einrichtung anwenden oder mehr Ethnografen ( wie Corinna Haas oder Frank Seeliger)? Wer ist überhaupt in der Lage solche Studien durchzuführen? Wie ist bislang hierzu die Interessenlage oder die Finanzierung?“

Sie plädierte dafür ethnografischen Methoden auch in Schulbibliotheken und öffentlichen Bibliotheken auszuprobieren, was bislang noch zu wenige weltweit „wagten“. Warum eigentlich?

Der anschließende Vortrag „Von der Ethnography zum Participatory Design: Qualitative Nutzerstudien als integraler Bestandteil in der (Weiter-)entwicklung bibliothekarischer Services von Kerstin Schoof & Frank Seeliger ist leider noch nicht online. Schorf benannte des Dialog und die teilnehmende Beobachtung als zentrale Elemente, um Rückschlüsse auf neue und geforderte Dienstleistungen der eigenen Einrichtung zu ziehen. Participatory Design wurden in dern 1970er und 1980er Jahren in Skandinavien entwickelt und sieht vor, User/Nutzer systematisch in Planungs- und Gestaltungsprozesse mit einzubeziehen. So wurde bei der Planung des Urban Media Space in Aarhus (Dänemark) die Bürger und Mitbürger (Nutzer- und Nicht-Nutzer von Bibliothek) integrativ mit eingebunden. Dies geschah z.B. mittels Medthoden wie dem World Café und Village Square, aber auch Befragungen. Diese partzipatorische und demokratische Element wäre sicherlich auch für den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek unbedingt von Nöten, da viele die Entscheidung für die Errichtung in Tempelhof als autoritativ bezeichnen und deshalb einen Bau mehr um Zentrum der Hauptstadt fordern.

All research is problematic, because it’s historical. It’s like looking out the back of a car.“ Terry Leahy

Beim letzten Vortrag dieser Session, den ich sah, ging es um die Neubauplanungen der UB Marburg insbesondere durchgeführte Benutzerumfragen, deren Ergebnisse exakt die einer geisteswissenschaftlich geprägten Universiät widerspiegeln. Begonnen wurde mit dem oben genannten Zitat eines früheren Tesco-Mangers, wenn ich mich richtig erinnere. Der Direktor Hubertus Neuhausen berichtete von 3 Benutzerumfragen, die er im Laufe mehrere Jahre von Mitarbeitern am IBI der HU Berlin durchführen ließ, deren Service er ausdrücklich lobte und weiterempfahl.  Anschließend bewertete deren Ergebnisse, die durchaus Unterschiede aufwiesen, wobei er Interpretationen und Deutungsmöglichkeiten benannte. Für die Nachmittagssessions, welche ich besuchte, werde ich einen weiteren vierten Blogeintrag verfassen.

Jüdische Manuskripte aus Afghanistan aufgetaucht

Vor kurzem berichteten unter anderem Huffington Post und Al Arabiya über die Entdeckung von mittelalterlichen jüdischen Texten („Afghan Genizah„), die aus Afghanistan stammen und etwa 1.000 Jahre alt sind. Sie wurden im Norden des Landes entdeckt, einem Gebiet, das heute von den Taliban beherrscht wird. Ähnlich wie bei den Schriftrollen von Qumran, waren es abermals Hirten, die vor eineinhalb Jahren Manuskripte in einer Höhle in der Provinz Samangan entdeckten. Dabei handelt es sich um etwa 150 Pergamente wie etwa religiösen Kommentaren, privaten Briefen und rechtlichen und finanziellen Dokumente. Einer der Verfasser dieser Texte ist Rabbi Sa’adia ben Yosef Gaon (892-942), der als  Begründer der jüdisch-arabischen Literatur gilt. Diese wertvollen Funde wurden nun von der Nationalbibliothek in Jerusalem auf dem internationalen Antiquitätenmarkt von Käufern in London und Israel erworben.

Laut dem Religionswissenschaftler Shamul Shaked sind diese Funde unter anderen in den Sprachen in Judäo-Arabisch und Judäo-Persisch verfasst. Sie sind der erste physische Beweis der mittelalterlichen jüdischen Gemeinden in Zentralasien.

Die Rollen von Qumran sind nun digital verfügbar

„This digital library is another example of the IAA’s vision and mission, to make these ancient texts freely available and accessible to people around the world. The Leon Levy Dead Sea Scrolls Digital Library represents a new milestone in the annals of the story of one of the greatest manuscript finds of all times.“ Shuka Dorfman

 

Seit dem 18. Dezember 2012 sind die Schriftrollen von Qumran, die 1947 von einem jungen Beduinenhirten in einer Höhle entdeckt wurden, online frei zugänglich. Nach der Entdeckung konnten 30.000 Fragmente von 900 Schriftrollen geborgen werden. Diese Rollen waren nahezu 2.000 Jahre in Höhlen am Toten Meer versteckt.

Es handelt sich um die ältesten erhaltenen Fragmente der Bibel, sowie einigen der zehn Gebote.

Mithilfe von Google Israel und der Antikenbehörde konnten diese Schriftrollen nun online gestellt werden. Es handelt sich um etwa 1.000 Texte

Weitere Infos finden sich auf der Webseite www.deadseascrolls.org.il. Ferner finden sich darauf Bilder hebräischer Texte mit englischen Übersetzungen.

Ziel ist es, dass durch dieses Digitalisierungsvorhaben ein neuer wissenschaftlicher Diskurs zu den Schriftrollen und deren geschichtliche Herkunft entsteht. Zudem wird mit einer Vielzahl von wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema in Zukunft gerechnet. Im Oktober 2011 wurden erstmals Digitalisate zu den Qumran-Rollen durch das Israel Museum online publiziert.

Das folgende Erklärvideo gibt Auskunft darüber, wie die Schriftrollen digitalisiert wurden und was sich die Forscher dadurch erhoffen.

Wer Interesse an einer ausführlichen Dokumentation zum Thema hat, dem sei diese 45-minütige TerraX-Folge „Brennpunkt Qumran – Die Schriftrollen vom Toten Meer“ empfohlen.

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Aus aktuellem Anlass: Zum Internationalen Tag der Sinti und Roma

In communities across Europe and around the world, Romani people have contributed in ways large and small to culture, music, and the arts.  This is also an occasion to commemorate the history of brave resistance against Nazi persecution. Protecting and promoting the rights of Romani people everywhere is a personal commitment of mine.  Far too often and in too many places, Roma continue to experience racial profiling, violence, segregation, and other forms of discrimination.  Individuals, organizations, and governments must establish the political, legal, and social landscape to encourage and value diversity.  I call upon European leaders to redouble their efforts to ensure that Romani people are not discriminated against in access to education, healthcare, housing and employment opportunities.“ Hillary Clinton

Am 8. April 1971 versammelten sich mehrere Roma-Vertreter/innen zum Welt-Roma-Kongress in London, auf  den eine Vielzahl von politischen Forderungen zurückzuführen ist. Nach dem ebengenannten Kongress fand 1976 in Indien das Weltroma-Festival statt. Dabei handelt es sich um einen wichtigen symbolischen Akt, da  im Jahr 1000 nach Christus Angehörige der Roma aus Nordwestindien vertrieben bzw. versklavt worden sind. Durch Sprachvergleiche des Romanes (der Sprache der Roma) ist trotz dieser großen Zeitspanne die historische Herkunft aus Nordwestindien gesichert, obwohl Roma eine weitestgehend mündliche Überlieferungstradition pflegen.Dieser Tag ist zugleich Gedanktag der Porrajmos, dem nationalsozialistischen Genozid an Sinti und Roma. Am Internationalen Tag der Sinti und Roma streuen Roma in ganz Europa Blumen in Flüsse, Seen und Meere, um symbolisch die Verbundenheit mit Roma in allen Teilen der Welt zum Ausdruck zu bringen.

Jaisalmer Ayo! Gateway of the Gypsies from Melitta Tchaicovsky on Vimeo.

An dieser Stelle will ich keine historischen Rundumschläge und keine großen Ausführungen über die Geschichte der Romavölker vornehmen, da ohnehin ein Blogeintrag zu kurz wäre. Außerdem kann ich nicht ausführlicher auf Abschiebungen durch die Bundesregierung von Roma nach Ex-Jugoslawien eingehen. Tatsache ist, dass diese von Amnesty International und vielen anderen Menschrechtsorganisationen angeprangert wurden/werden. Ich will nur auf das Buch „Europa erfindet die Zigeuner“ von Klaus-Michael Bogdal verweisen, das 2011 im Suhrkamp Verlag erschien. Bogdal weist in dieser spannend und anschaulich erzählten Geschichte nach, wie die Europäer zum verachteten Volk am unteren Ende der Gesellschaftsskala stets die größtmögliche Distanz suchten. Keine der unterschiedlichen Gesellschafts- und Machtordnungen, in denen sie lebten, ließ und läßt eine endgültige Ankunft in Europa zu. Ohne einen schützenden Ort sind sie seit ihrer Einwanderung vor 600 Jahren ständigen Verfolgungen und Ausgrenzungen ausgesetzt: in den Imaginationen der Kunst und in der politischen Realität.

Auch Günter Grass ist ein engagierten Fürsprecher, der mit seiner ‚Stiftung zugunsten des Romavolkes‘, mit Auftritten vor dem Europarat und der Europäischen Investitionsbank Partei für diese größte Minderheit Europas ergreift. Ebenso mahnte der im letzten Jahr verstorbene Otto von Habsburg in seinem Buch „Unsere Welt ist klein geworden. Die Globalisierung der Politik“ die mangelnde Anerkennung und Integration der Sinti und Roma an und verwies darauf, dass es sich um Bürger Europas handelt.

In welcher Form bieten Bibliotheken, Archive und Mediatheken einen Service für Roma und Sinti – aber auch für Bürger an, die fernab aller bekannten Klischees und Medienberichte ausgewogenere Informationen erhalten wollen? Die Hauptbücherei Wien am Urban Loritz Platz zählt vermutlich zu den wenigen öffentlichen Bibliotheken, welche einige Bücher in der Romanisprache im deutschsprachigen Raum anbietet. Viele Städte im Ruhrgebiet wie etwa Duisburg, aber auch anderswo in Berlin oder Ingolstadt verzeichnen einen Bevölkerungszuwachs durch Roma. Manche Städte ignorieren das, mit dem Verweis darauf, dass das illegale Campieren bald aufhört, da gewisse Baumassnahmen auf einem Gelände ohnehin bald beginnen und die Roma ohnehin ja nur betteln wollen. Die meisten sind EU-Bürger und wollen ein besseres Leben leben als in ihren Herkunftsländern. Rückführungen durch die französische Regierung wurden von der EU-Kommissarin Viviane Redding angeprangert. Die meisten der abgeschobenen Roma gingen danach wieder nach Frankreich zurück oder in ein anderes EU-Land. Wie kann in öffentlichen Bibliotheken ein ausgewogneres Bild über die Kultur, die Lebensweise und die Traditionen von Roma, aber von Sinti entstehen, die in Deutschland schon seit dem Mittelalter leben und die größte Roma-Gruppe stellen? Wie können Bibliotheken ihre Medien auf den Prüfstand stellen und ermitteln, ob sie nicht doch zu sehr die alten Stereotype und Klischees bedienen? In der Stadt, in der ich lebe, gibt es demnächst einen Kulturverein der Sinti. Die Menschen sind durchaus interessiert über ihr Leben, ihre Traditionen und ihre Kultur zu erzählen, die nicht so ganz den gängigen Klischees aus den Medien entsprechen. Bislang gibt es Aktionen der „Menschenbibliothek“ in den Niederlanden und anderswo, bei der sich Neugierige auch Sinti und Roma „ausleihen“ können. Dennoch gäbe es auch ein Riesenpotential an Storytellingprogramme und an Ideen auf andere Art und Weise die Kultur, Lebensweisen und Sprache an interessierte Menschen zu vermitteln.

Im folgenden Video kommt Romani Rose zu Wort, der über die Bedeutung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg spricht.

Germany: Documentation and Culture Centre for Roma and Sinti from Jake Bowers on Vimeo.

In Europa gibt es das „Roma Routes project„, das der EU-Bevölkerung  und auch den Volksgruppen selbst die Kultur, die Geschichte und Lebensweise von Romagruppen näher bringt. Das Projekt verfolgt folgende Ziele:

„1. Build a network of heritage organisations across Europe with interests in Roma cultural heritageDevelop a transnational network of Roma to create opportunities for understanding and exchange of ideas and knowledge of diversity and commonality of Roma cultural heritage at grass roots level

2. Provide a platform for promotion of Roma cultural heritage through a website related to activities, celebrations, festivals, and collections of heritage

3. Act as a seedbed of activities which will develop across Europe

4. Act as a catalyst for further transnational cooperation between Roma and heritage organisations and between Roma communities

5. Promote a non-confrontational means of communication between Roma and non-Roma communities

6. Lay groundwork for an application to the Council of Europe for  Roma Route of Culture and Heritage“

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